"Sie grölen auf ihren Demonstrationen zynische Parolen, wie „Palästina, knie nieder! Die Siedler kommen wieder!“ oder „Wir tragen Gucci. Wir tragen Prada. Tod der Intifada!“ Aber nicht nur „bedingungslose Solidarität mit Israel“, westlicher Chauvinismus, eine ausgeprägte Upper-Class-Arroganz gegenüber den schlecht Gekleideten ‚da unten‘ und eine schaurige Freude am Tanz auf den Gräbern der ausgemachten Feinde – Friedensaktivisten, Kapitalismuskritiker, vor allem von ihnen als „Barbaren“ titulierte Bewohner des Orients – sind signifikante Merkmale der sogenannten Antideutschen.
Seit rund 20 Jahren betreiben diese Exlinken, deren Ideologie aus Versatzstücken der Bush-Doktrin, Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie und Adornos Kritischer Theorie zusammengekleistert ist, auf rabiate Weise Geschichtsrevisionismus. Sie verkehren die Begriffe Emanzipation und Aufklärung in ihr Gegenteil und schrecken auch vor Kooperationen mit Rechtsextremisten nicht zurück."
Hier der ganze Artikel zum Thema: Antideutsche Ideologen auf rechtsextremen Wegen!
Samstag, 21. November 2015
Kaveh Ahangar: Der barbarische „IS“ Vs. fortschrittliche Selbstverteidigungskräfte im syrischen Rojava
Auf der facebook-Seite von Kaveh Ahangar findet man eine schöne Analyse des Kampfes zwischen "IS" und den progresssiven Kämpfern und Kämpferinnen in Rojava. Seine Analyse ist intelligenter als die meisten Gedankenflüge der üblichen Verdächtigen in den Massenmedien zum Thema, aber auch der deutschen Linken und der "anti"deutschen Ideologen. Man beachte, dass Kaveh Rapper ist. Es gibt also Menschen, die hinter hartem Sprechgesang solidere Analysen abliefern als hauptsächlich mit Ideologie beschäftigte "Wissenschaftler", "Journalisten", "Politiker" und "Theoretiker". Der ursprüngliche post findet sich hier.
von Kaveh
Der „Islamische Staat“ und Rojava repräsentieren zwei völlig entgegengesetzte Gesellschaftsmodelle. Aber sowohl „Daesh“ als auch die Selbstverteidigungskräfte in Nordsyrien ziehen Kämpfer*innen aus aller Welt an. Um es stark vereinfacht auszudrücken: Wenn radikalisierte Sunniten zu militanten Islamisten werden schließen sie sich häufig dem „IS“ an, während Rojava vor allem radikale Linke anzieht, die den Befreiungskampf der Kurd*innen, den Schutz unterschiedlicher religiöser und ethnischer Gruppen, Frauenrechte und die Schaffung rätedemokratische Strukturen unterstützen.
Natürlich trägt jeder Mensch Verantwortung für seine Taten und muss dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden. Um die menschenverachtenden Praktiken von Individuen, Gruppen oder Staaten verstehen zu können, sollte man sich nicht nur mit äußeren Faktoren zufrieden geben. Eigenschuld, interne politische und sozio-ökonomische Strukturen und zufällige Gegebenheiten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Dennoch: die Tatsache, dass Menschen im „Nahen- und Mittleren Osten“ zu militanten Islamisten überlaufen hängt insbesondere auch mit Bedingungen und Umständen zusammen, die außerhalb der Einflussmöglichkeiten von Muslim*innen liegen. Nach Angaben des Verfassungsschutzes sind mehr als 730 Salafisten von Deutschland aus in den Irak und die syrischen Kampfgebiete ausgereist – über 200 davon kehrten bereits zurück. Was macht aber den militanten Islamismus so attraktiv? Der „IS“ ist mittlerweile die reichste Terrorgruppe der Welt. Er kontrolliert eine Fläche, die so groß ist wie Großbritannien sowie einen Großteil der Ölfelder im Irak und Syrien. Er finanziert sich nicht nur durch Öleinnahmen, sondern auch durch Konfiszierungen, Raubzügen und Steuererhebungen.
Welche Rolle spielt dabei der Westen? Kritische Geister behaupten, dass, je nach Kräfteverhältnis, die USA entweder die eine Seite (z.B. Assad) oder die andere Seite (z.B. gewaltbereite Islamisten) unterstützen, damit kein Lager zu stark wird und die Kontrolle der Region, ihrer Märkte und wertvollen Ressourcen leichter zu gewährleisten sind. „Divide(nde) et Impera“ im Namen wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen von Staat und transnationalen Konzernen wie dem Militärisch-Industriellen Komplex bis es schließlich nur noch Satellitenstaaten gibt, die nach ihrer Pfeife tanzen? Nach neuen Schätzungen hat die Obama-Administration mehr Waffen verkauft als jeder andere US-Präsident seit dem 2. Weltkrieg. Obamas Deregulierung des Waffenexports hat dazu geführt, dass in den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit Kriegsgerät im Wert von 169 Milliarden Dollar verschachert wurde. Obamas Regierung hat also nicht nur sechs Mal mehr Menschen (ca. 2500) durch Drohnenangriffe getötet als Bush, sondern auch etwa 30 Milliarden Dollar mehr Einnahmen durch Waffenverkäufe erzielt. 60% der Waffen gingen an den „Nahen-und Mittleren Osten“. An der Spitze liegt einer der wichtigsten US-Verbündeten in der Region: Saudi Arabien mit 46 Milliarden Dollar. Ausgerechnet der Staat mit den schlimmsten Menschenrechtverletzungen weltweit hat also mit US-Waffen erst die Demonstranten in Bahrain blutig niedergeschlagen und nun tötet er Houthi-Rebellen und unschuldige Zivilsten im Jemen. Jetzt darf Saudi-Arabien - von wo aus militante Islamisten wie der „IS“ seit Jahren durch private Geldgeber unterstützt werden - für ihre Luftwaffe auch noch mehr als 19.000 Bomben im Wert von 1,29 Milliarden Dollar von den USA kaufen. Verfolgt das US-Imperium eine ethnische „Neuordnung“ des sog. „Nahen- und Mittleren Ostens“? Sollen durch die Auflösung von Nationalstaaten wie Irak und Syrien neue Grenzen entstehen, die nach Stammes- und Religionszugehörigkeit gebildet werden? Seit 2006 scheint dies die vorherrschende Strategie der Neokonservativen in den USA zu sein. Auch die deutsche Waffenindustrie profitiert prächtig vom Krieg und den Folgen des „konstruktiven Chaos“ (Condoleezza Rice).
Diese Entwicklungen, in Verbindung mit der uneingeschränkten westlichen Solidarität mit Israel, den ethnischen Säuberungen in Gaza, den ungeahndeten Massakern an Muslim*innen durch Drohnenangriffe und privaten Söldnerfirmen schüren bei den Betroffenen wiederum starke Ressentiments gegenüber dem Westen und erhöhen die Bereitschaft sich radikalen Gruppen anzuschließen. Letzteres betrifft auch die im Westen lebenden Menschen mit muslimischem Hintergrund oder westliche Konvertiten, die entweder familiär vom Krieg betroffen sind oder politische, kulturelle und religiöse Motive haben. Da islamistische Organisationen aufgrund der jahrelangen Unterstützung durch den Westen, die Golfstaaten oder Iran besser finanziert, ausgerüstet und vernetzt sind als z.B. linke und in vielen Ländern sogar liberale Organisationen, liegt es nahe, dass islamistische Gruppen mühelos vernachlässigte, diskriminierte, verarmte und arbeitslose oder von Krieg und der Ermordung von Angehörigen betroffene Menschen rekrutieren können. Sie geben ihnen körperliche und geistige Nahrung, eine Ausbildung, Arbeit und oftmals auch Waffen und Kriegsbeute. Sie bieten die Möglichkeit die aufgestaute Wut gegen diese Ungerechtigkeiten tatkräftig zu kanalisieren. Sie wollen sich beim US-Imperium und ihren Verbündeten für die seit Jahrzehnten stattfindende Demütigung und Dehumanisierung rächen. Das kann man an den Aussagen von „Jihadisten“ aus aller Welt beobachten. Einer der Attentäter von Charlie Hebdo z.B. wurde erst durch Bushs Irak-Krieg und die US-Folter im Abu Ghraib-Gefängnis radikalisiert. Mohamad Emwazi aka „Jihadi John“ scheint sich erst durch die Befragungen und die Überwachung des britischen Geheimdienstes MI5 radikalisiert zu haben. Einer der Attentäter von Boston kritzelte folgendes an die Wand des Bootes, in dem er sich versteckt hielt als die Polizei ihn jagte: "Die Regierung der Vereinigten Staaten tötet unschuldige Zivilisten. Wir Muslime sind eins, wenn man einen verletzt, verletzt man alle." In einem Verhör kritisiert er nach Angaben des FBI die Angriffe des US-Militärs auf Muslime im Irak und in Afghanistan. Wäre Saddam Hossein damals nicht unter falschen Vorwänden beseitigt worden, dann hätten wir heute wohl kaum den seit fast 10 Jahren anhaltenden Bürgerkrieg zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden, die durch amerikanische „teile-und herrsche“ Politik und regelmäßigen Militärschlägen angeheizt werden, die gesamte Region destabilisieren, über 1.3 Millionen Menschen das Leben kosteten und Hundertausende Menschen in die Arme militanter Islamisten treiben. Die Hauptursachen für das Erstarken des militanten Islamismus sind also der US-Imperialismus, vor allem die Nato-Kriege in Afghanistan, Pakistan, Irak, Mali, Libyen und Syrien sowie die US-Finanzierung militanter islamistischer Gruppen – von den Mujaheddin bis zum „IS“ – das bis in die 1980er zurückreicht. Ein geheimes Pentagon-Dokument aus dem Jahr 2012, das Ende Mai in Teilen veröffentlicht wurde, hat zudem offiziell bestätigt, was Experten schon seit Jahren wissen: Dass vor allem die Unterstützung der USA, aber auch diejenige der Türkei und der Golfstaaten eine entscheidende Rolle in der Entstehung des „IS“ gespielt haben. Ein „Islamischer Staat“ sei wortwörtlich eine „strategische Chance“ für den Sturz der Assad-Regierung in Syrien und ein Mittel, um die schiitische Expansion im Irak durch Iran einzudämmen. Aber auch 2) strukturelle Diskriminierung und anti-muslimischer Rassismus in Staat und Gesellschaft – vor allem auf dem Arbeits-, Bildungs,- und Unterhaltungsmarkt – bieten dem militanten Islamismus im Westen einen fruchtbaren Nährboden. Im Alltag von der Mehrheitsgesellschaft zunehmend als das „Andere“ dämonisiert, für „kulturell andersartig“, „zivilisatorisch unterlegen“ oder als „minderwertig“ und „böser Moslem“ abgestempelt, sind viele traumatisiert und es wird ihnen immer mehr das Gefühl gegeben nicht zur Mehrheitsgesellschaft dazu zu gehören. Regelmäßige rechtsradikale Angriffe auf muslimische Kinder, Frauen und Männer spiegeln den rasanten Zustrom anti-muslimischer Rassisten wie PEGIDA und AfD wieder. Laut einer jüngsten Umfrage der Bertelsmann Stiftung sehen 57 Prozent der nicht-muslimischen Bürger der Bundesrepublik den Islam als Bedrohung und 61 Prozent sind der Meinung, der Islam “passe nicht in die westliche Welt”. Diese Befragung fand noch vor den Anschlägen in Paris statt und würde heute wohl noch krasser ausfallen. Menschen mit muslimischem Hintergrund sind häufig überproportional von Diskriminierung, Armut, Verdrängung, Arbeitslosigkeit und Bildungsdefiziten betroffen, was wiederum die Gewaltbereitschaft erhöht. Diskriminierungserfahrungen werden außerdem dadurch gesteigert, dass nicht-weiße Menschen häufiger von staatlicher Gewalt, Polizeiwillkür (z.B. „racial profiling“) und Polizeigewalt betroffen sind. Hinzu kommt der seit 9/11 zunehmende anti-muslimische Rassismus auf institutioneller Ebene, die Verschärfung rassistischer Gesetze und der Generalverdacht, der oftmals auf Muslim*innen lastet.
Der Umgang von Staat, Justiz und Gesellschaft mit den Angehörigen der NSU-Opfer oder auch Phänomene wie die Gefangenenlager Guantánamo, Bagram usw. in denen auch aus Deutschland stammende Muslime, mit der Mitwisserschaft der deutschen Regierung, zu Unrecht gefangen gehalten und gefoltert wurden (z.B. Murat Kurnaz), sind dabei nur der Gipfel des anti-muslimischen Rassismus. Hinzu kommen 3) Die zerstörerischen Ausmaße des Neoliberalismus und Kapitalismus, die immer extremere Ausgrenzung, Entfremdung und Ungleichheit produzieren. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die in Großbritannien und den USA in den 70er und 80er Jahre ihren Anfang nahm und sich in Deutschland seit den letzten 15 Jahren immer stärker verbreitet, hat zu einem enormen Anstieg der Armut, einer nie dagewesenen Schere zwischen Arm und Reich, zunehmender Privatisierung von Industrie, Dienstleistungssektor und öffentlicher Güter, einer massiven Umverteilung von unten nach oben, einer globalen Finanzkrise und der Kürzung von Mitteln für Bildungs,- Kultur- und Jugendeinrichtungen geführt. TTIP bildet dabei nur den Zenit des global um sich greifenden Diktats des Freihandelsregimes. Weil es immer weniger Jugendfreizeitzentren gibt, fangen vor allem Neonazis oder religiöse Institutionen die Jugendlichen auf. Diese bieten ihnen kostenlose Freizeitangebote wie Sport usw. an. Da ist es wohl kaum verwunderlich, dass sich so mancher Jugendlicher radikalisiert. Vor allem diejenigen, die regelmäßig mit Rechtsradikalen in Verbindung stehen oder Moscheen besuchen, die von extremistischem Gedankengut durchdrungen sind. Der Kern des Problems liegt aber nicht im heute vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell, sondern im kapitalistischen System an sich. Kapitalismus meint diesbezüglich die spezifische Form der Ausbeutung, Entfremdung, Unterdrückung und Vereinzelung, der ungleiche Tausch wohlhabender und wirtschaftlich schwacher Nationalstaaten, der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, die Kommodifizierung von Natur und den gesellschaftlichen Verhältnissen, der ständige Zwang zum Konkurrenzkampf und zur Reinvestition des Profits, der Konsumwahn, die Zerstörung der Umwelt, die zunehmende Industrialisierung, Mechanisierung und Informatisierung, kurz: die kapitalistischen Eigentums,- Herrschafts,- Konsum,- Tausch,- Verteilungs,- und v.a. Produktionsverhältnisse. Diese haben dazu geführt, dass viele Menschen den inneren Drang verspüren der Sinnleere des kapitalistischen Daseins zu entkommen, indem sie sich etwas suchen, das ihrem Leben wieder Bedeutung, Halt, Glück, Stolz und Ehre verleiht. Die einen versuchen sich künstlerisch zu betätigen, manche werden religiös oder spirituell und andere wiederum schließen sich politischen Gruppen an. Schlimmstenfalls sind das Rechtsextremisten oder militante Islamisten, die unter dem Deckmantel einer bestimmten Religion oder Ideologie, nach Macht und Kapital lechzen. Letztendlich sind die Rekruten religiöser Extremisten und Faschisten sowohl Täter als auch Opfer des Kapitalismus sowie den damit verbundenen imperialen,- gesellschaftlichen- und innerstaatlichen Machtstrukturen. Die von der Sehnsucht nach einem Leben in Würde, Freiheit und Gerechtigkeit getriebenen „Gotteskrieger“ und Neonazis werden aus Verzweiflung oder religiöser und ideologischer Verblendung von fanatischen und machtbesessenen Gestalten rekrutiert und für ihre Zwecke missbraucht. Aber die Widersprüche des Kapitalismus stärken auch fortschrittliche und emanzipatorische Kräfte wie man in Rojava beobachten kann.
Das Machtvakuum, welches durch den Bürgerkrieg in Syrien 2011 entstand, hat es den Menschen in Rojava ermöglicht selbstverwaltete Strukturen unter dem Banner des „demokratischen Konföderalismus“ aufzubauen. Dies wurde ironischerweise nicht von Unten, sondern von Oben inspiriert, und zwar durch den PKK-Führer Abdullah Öcalan, der mittlerweile seit 16 Jahren in der Türkei im Gefängnis sitzt und sich dort unter dem Einfluss der Schriften des libertären Sozialisten und öko-Anarchisten Murray Bookchin allmählich von einem Stalinisten zu einem radikalen Demokraten entwickelt zu haben scheint.
Rojava befindet sich weiterhin im Krieg gegen militante Islamisten wie den „IS“. Dem türkischen Staat wird vorgeworfen, dass er mithilfe von Al-Nusra und Ahrar al-Scham syrische Gebiete unter seine Einflusssphäre bringen und dort eine Pufferzone errichten wolle. Darüber hinaus gibt es einige Indizien dafür, dass der „IS“ von der türkischen Regierung unterstützt wird. Rojava unterliegt einem Embargo durch die Türkei und auch durch Barzanis Peshmerga in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Kurdische Stellungen in Nordsyrien und der Türkei werden zudem massiv vom türkischen Militär angegriffen und bombardiert. Diese Politik wird in Teilen auch von den USA und von Saudi-Arabien unterstützt. Während die USA den Kurd*innen mit Luftschlägen gegen den „IS“ den Rücken freihält, werden gleichzeitig die Bombardierungen Rojavas durch die Türkei gebilligt. Die syrische Regierung wiederum ist damit beschäftigt, keine weiteren Gebietsverluste zu erleiden und die alevitischen Gebiete zu schützen.
Während der „IS“ Schiiten, Christen, Eziden und Atheisten massakriert, Andersdenkende Sunniten kaltblütig ermordet und die Frauen unterdrückt, wird der Kampf in Rojava gleichberechtigt von Männer und Frauen unterschiedlicher Nationen und Religionen geführt. Es sind hauptsächlich Kurd*innen, aber auch Araber*innen, Aramäer*innen, Assyrer*innen, Armenier*innen, Türk*innen, Turkmen*innen und Iraner*innen. Es kämpfen Muslim*innen, Zoroastrier*innen, Christ*innen und Atheist*innen. Nicht nur die Truppen des „IS“ bekommen aus dem Westen Verstärkung. Auch in Rojava kämpfen Europäer*innen wie der britische Hollywoodstar Michael Enright oder die im März in Rojava von IS-Truppen getötete Deutsch-Togolesin Ivana Hoffman.
Die nationalen und internationalen Kämpfer*innen in Rojava sind trotz Krieg gegen militante Islamisten, gerade bemüht in Nordsyrien die fortschrittlichste Gesellschaftsordnung ganz Asiens aufzubauen. Neben der Naxalitenbewegung in Indien bildet es eines der wenigen emanzipatorischen Lichtblicke auf dem asiatischen Kontinent. Die kurdischen Selbstverteidigungskräfte, die zu 30% aus Frauen bestehen, haben in der Region bisher die erfolgreichste Bodenabwehr im Kampf gegen den „IS“ geleistet. Sowohl in Südkurdistan (Sengal) als auch in Nordsyrien (Al Hawl) wurden „IS“-Truppen von den Selbstverteidigungskräften zurückgedrängt. Wichtige Verbindungsstraßen zwischen Mossul und Raqqa wurden bereits von der YPG und den Peschmerga eingenommen. Rojava wird basisdemokratisch regiert und der Gesellschaftsvertrag garantiert die Gleichheit von Religionen, Sprachen, des Glaubens und der Geschlechter. Laut dem Gesellschaftsvertrag für Rojava haben Frauen „das Recht zur Selbstverteidigung und das Recht, jegliche Geschlechterdiskriminierung aufzuheben und sich ihr zu widersetzen.“ Folter, Kinderarbeit und die Todesstrafe sind verboten und die Verwaltungen „akzeptieren weder ein nationalstaatliches, militaristisches und religiöses Staatsverständnis, noch akzeptieren sie die Zentralverwaltung oder Zentralmacht.“ Gefängnisse sollen Bildungs- und Rehabilitationszentrum sein. Der Anteil von Frauen „darf in allen Institutionen, Vorsitzen und Ausschüssen nicht weniger als 40% betragen. Jede/r hat das Recht auf politisches Asyl. Keine/r, die/der Asyl beantragt, darf gegen ihren/seinen Willen abgeschoben werden.“ Umweltschutz und Behindertenrechte wurden eingeführt. Es gibt ein „Recht auf Bildung (gebührenfrei und verpflichtend); das Recht auf Arbeit, Unterkunft, Gesundheits- und Sozialversicherung.“ Jeglicher Grundbesitz und Boden sollen der Bevölkerung gehören und nationale Produktionsmittel sollen geschaffen werden usw. Natürlich geht in Rojava einiges nicht weit genug, nicht alles wird eingehalten und es wird auch von Menschenrechtsverletzungen berichtet. Aber es ist trotzdem erstaunlich, was für einen bewundernswerten Mut und Kampfwillen die Kurd*innen und ihre nationalen und internationalen Unterstützer*innen in Nordsyrien aufbringen und dass sie mit ihrem Blut für einen Gesellschaftsvertrag eintreten, der in wichtigen Teilen fortschrittlicher ist als die deutsche und andere westliche Verfassungen.
Was wir jetzt nach den jüngsten Anschlägen in Paris beobachten können, sind eine zunehmende Beschränkung der Bürgerrechte, mehr Überwachung, stärkere Grenzkontrollen, mehr Aufrüstung, mehr Anschläge und Angriffe auf Muslime, die nicht erst jetzt unter Generalverdacht stehen sowie die zunehmende Kriminalisierung von Geflüchteten. Und wer profitiert davon? Die NATO-Staaten nutzen die Anschläge als Vorwand, um noch aggressiver militärisch in der Region vorzugehen, der Militär-Industrielle-Komplex steigert seine Verkäufe und rechte Kräfte wie die Front National und AfD bekommen noch mehr Zustimmung. Der „IS“ hätte somit sein Ziel erreicht. Denn „Daesh“ will genauso wie Huntington, Bush & Co. einen Kampf der Kulturen heraufbeschwören. Nur wenn die Muslime im Westen noch weiter marginalisiert werden und die Perspektivlosigkeit im Orient durch die Bombardierungen wächst, gibt es auch weiterhin einen Nährboden für Terror. Die Unterstützung der stark unterfinanzierten Selbstverteidigungskräfte in Rojava bietet eine emanzipatorische, humanistische und säkulare Alternative zu den fanatischen Barbaren des „IS“. Um sie jedoch nachhaltig zu stärken, müsste die Kriminalisierung der PKK und kurdischer Politiker*innen im Westen beendet und die Türkei und Golfmonarchien unter Druck gesetzt werden, anstatt ihnen immer neue Waffenlieferungen zu gewähren. Vor allem das türkische Embargo gegenüber Rojava ist äußerst destruktiv und schwächt genau diejenigen Kräfte, die in den letzten Jahren die erfolgreichsten Bodenoffensiven gegen den „IS“ durchgeführt haben.
Der barbarische „IS“ Vs. fortschrittliche Selbstverteidigungskräfte im syrischen Rojava
von Kaveh
Der „Islamische Staat“ und Rojava repräsentieren zwei völlig entgegengesetzte Gesellschaftsmodelle. Aber sowohl „Daesh“ als auch die Selbstverteidigungskräfte in Nordsyrien ziehen Kämpfer*innen aus aller Welt an. Um es stark vereinfacht auszudrücken: Wenn radikalisierte Sunniten zu militanten Islamisten werden schließen sie sich häufig dem „IS“ an, während Rojava vor allem radikale Linke anzieht, die den Befreiungskampf der Kurd*innen, den Schutz unterschiedlicher religiöser und ethnischer Gruppen, Frauenrechte und die Schaffung rätedemokratische Strukturen unterstützen.
Die Ursachen für den Militanten Islamismus
Natürlich trägt jeder Mensch Verantwortung für seine Taten und muss dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden. Um die menschenverachtenden Praktiken von Individuen, Gruppen oder Staaten verstehen zu können, sollte man sich nicht nur mit äußeren Faktoren zufrieden geben. Eigenschuld, interne politische und sozio-ökonomische Strukturen und zufällige Gegebenheiten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Dennoch: die Tatsache, dass Menschen im „Nahen- und Mittleren Osten“ zu militanten Islamisten überlaufen hängt insbesondere auch mit Bedingungen und Umständen zusammen, die außerhalb der Einflussmöglichkeiten von Muslim*innen liegen. Nach Angaben des Verfassungsschutzes sind mehr als 730 Salafisten von Deutschland aus in den Irak und die syrischen Kampfgebiete ausgereist – über 200 davon kehrten bereits zurück. Was macht aber den militanten Islamismus so attraktiv? Der „IS“ ist mittlerweile die reichste Terrorgruppe der Welt. Er kontrolliert eine Fläche, die so groß ist wie Großbritannien sowie einen Großteil der Ölfelder im Irak und Syrien. Er finanziert sich nicht nur durch Öleinnahmen, sondern auch durch Konfiszierungen, Raubzügen und Steuererhebungen.
Welche Rolle spielt dabei der Westen? Kritische Geister behaupten, dass, je nach Kräfteverhältnis, die USA entweder die eine Seite (z.B. Assad) oder die andere Seite (z.B. gewaltbereite Islamisten) unterstützen, damit kein Lager zu stark wird und die Kontrolle der Region, ihrer Märkte und wertvollen Ressourcen leichter zu gewährleisten sind. „Divide(nde) et Impera“ im Namen wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen von Staat und transnationalen Konzernen wie dem Militärisch-Industriellen Komplex bis es schließlich nur noch Satellitenstaaten gibt, die nach ihrer Pfeife tanzen? Nach neuen Schätzungen hat die Obama-Administration mehr Waffen verkauft als jeder andere US-Präsident seit dem 2. Weltkrieg. Obamas Deregulierung des Waffenexports hat dazu geführt, dass in den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit Kriegsgerät im Wert von 169 Milliarden Dollar verschachert wurde. Obamas Regierung hat also nicht nur sechs Mal mehr Menschen (ca. 2500) durch Drohnenangriffe getötet als Bush, sondern auch etwa 30 Milliarden Dollar mehr Einnahmen durch Waffenverkäufe erzielt. 60% der Waffen gingen an den „Nahen-und Mittleren Osten“. An der Spitze liegt einer der wichtigsten US-Verbündeten in der Region: Saudi Arabien mit 46 Milliarden Dollar. Ausgerechnet der Staat mit den schlimmsten Menschenrechtverletzungen weltweit hat also mit US-Waffen erst die Demonstranten in Bahrain blutig niedergeschlagen und nun tötet er Houthi-Rebellen und unschuldige Zivilsten im Jemen. Jetzt darf Saudi-Arabien - von wo aus militante Islamisten wie der „IS“ seit Jahren durch private Geldgeber unterstützt werden - für ihre Luftwaffe auch noch mehr als 19.000 Bomben im Wert von 1,29 Milliarden Dollar von den USA kaufen. Verfolgt das US-Imperium eine ethnische „Neuordnung“ des sog. „Nahen- und Mittleren Ostens“? Sollen durch die Auflösung von Nationalstaaten wie Irak und Syrien neue Grenzen entstehen, die nach Stammes- und Religionszugehörigkeit gebildet werden? Seit 2006 scheint dies die vorherrschende Strategie der Neokonservativen in den USA zu sein. Auch die deutsche Waffenindustrie profitiert prächtig vom Krieg und den Folgen des „konstruktiven Chaos“ (Condoleezza Rice).
Diese Entwicklungen, in Verbindung mit der uneingeschränkten westlichen Solidarität mit Israel, den ethnischen Säuberungen in Gaza, den ungeahndeten Massakern an Muslim*innen durch Drohnenangriffe und privaten Söldnerfirmen schüren bei den Betroffenen wiederum starke Ressentiments gegenüber dem Westen und erhöhen die Bereitschaft sich radikalen Gruppen anzuschließen. Letzteres betrifft auch die im Westen lebenden Menschen mit muslimischem Hintergrund oder westliche Konvertiten, die entweder familiär vom Krieg betroffen sind oder politische, kulturelle und religiöse Motive haben. Da islamistische Organisationen aufgrund der jahrelangen Unterstützung durch den Westen, die Golfstaaten oder Iran besser finanziert, ausgerüstet und vernetzt sind als z.B. linke und in vielen Ländern sogar liberale Organisationen, liegt es nahe, dass islamistische Gruppen mühelos vernachlässigte, diskriminierte, verarmte und arbeitslose oder von Krieg und der Ermordung von Angehörigen betroffene Menschen rekrutieren können. Sie geben ihnen körperliche und geistige Nahrung, eine Ausbildung, Arbeit und oftmals auch Waffen und Kriegsbeute. Sie bieten die Möglichkeit die aufgestaute Wut gegen diese Ungerechtigkeiten tatkräftig zu kanalisieren. Sie wollen sich beim US-Imperium und ihren Verbündeten für die seit Jahrzehnten stattfindende Demütigung und Dehumanisierung rächen. Das kann man an den Aussagen von „Jihadisten“ aus aller Welt beobachten. Einer der Attentäter von Charlie Hebdo z.B. wurde erst durch Bushs Irak-Krieg und die US-Folter im Abu Ghraib-Gefängnis radikalisiert. Mohamad Emwazi aka „Jihadi John“ scheint sich erst durch die Befragungen und die Überwachung des britischen Geheimdienstes MI5 radikalisiert zu haben. Einer der Attentäter von Boston kritzelte folgendes an die Wand des Bootes, in dem er sich versteckt hielt als die Polizei ihn jagte: "Die Regierung der Vereinigten Staaten tötet unschuldige Zivilisten. Wir Muslime sind eins, wenn man einen verletzt, verletzt man alle." In einem Verhör kritisiert er nach Angaben des FBI die Angriffe des US-Militärs auf Muslime im Irak und in Afghanistan. Wäre Saddam Hossein damals nicht unter falschen Vorwänden beseitigt worden, dann hätten wir heute wohl kaum den seit fast 10 Jahren anhaltenden Bürgerkrieg zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden, die durch amerikanische „teile-und herrsche“ Politik und regelmäßigen Militärschlägen angeheizt werden, die gesamte Region destabilisieren, über 1.3 Millionen Menschen das Leben kosteten und Hundertausende Menschen in die Arme militanter Islamisten treiben. Die Hauptursachen für das Erstarken des militanten Islamismus sind also der US-Imperialismus, vor allem die Nato-Kriege in Afghanistan, Pakistan, Irak, Mali, Libyen und Syrien sowie die US-Finanzierung militanter islamistischer Gruppen – von den Mujaheddin bis zum „IS“ – das bis in die 1980er zurückreicht. Ein geheimes Pentagon-Dokument aus dem Jahr 2012, das Ende Mai in Teilen veröffentlicht wurde, hat zudem offiziell bestätigt, was Experten schon seit Jahren wissen: Dass vor allem die Unterstützung der USA, aber auch diejenige der Türkei und der Golfstaaten eine entscheidende Rolle in der Entstehung des „IS“ gespielt haben. Ein „Islamischer Staat“ sei wortwörtlich eine „strategische Chance“ für den Sturz der Assad-Regierung in Syrien und ein Mittel, um die schiitische Expansion im Irak durch Iran einzudämmen. Aber auch 2) strukturelle Diskriminierung und anti-muslimischer Rassismus in Staat und Gesellschaft – vor allem auf dem Arbeits-, Bildungs,- und Unterhaltungsmarkt – bieten dem militanten Islamismus im Westen einen fruchtbaren Nährboden. Im Alltag von der Mehrheitsgesellschaft zunehmend als das „Andere“ dämonisiert, für „kulturell andersartig“, „zivilisatorisch unterlegen“ oder als „minderwertig“ und „böser Moslem“ abgestempelt, sind viele traumatisiert und es wird ihnen immer mehr das Gefühl gegeben nicht zur Mehrheitsgesellschaft dazu zu gehören. Regelmäßige rechtsradikale Angriffe auf muslimische Kinder, Frauen und Männer spiegeln den rasanten Zustrom anti-muslimischer Rassisten wie PEGIDA und AfD wieder. Laut einer jüngsten Umfrage der Bertelsmann Stiftung sehen 57 Prozent der nicht-muslimischen Bürger der Bundesrepublik den Islam als Bedrohung und 61 Prozent sind der Meinung, der Islam “passe nicht in die westliche Welt”. Diese Befragung fand noch vor den Anschlägen in Paris statt und würde heute wohl noch krasser ausfallen. Menschen mit muslimischem Hintergrund sind häufig überproportional von Diskriminierung, Armut, Verdrängung, Arbeitslosigkeit und Bildungsdefiziten betroffen, was wiederum die Gewaltbereitschaft erhöht. Diskriminierungserfahrungen werden außerdem dadurch gesteigert, dass nicht-weiße Menschen häufiger von staatlicher Gewalt, Polizeiwillkür (z.B. „racial profiling“) und Polizeigewalt betroffen sind. Hinzu kommt der seit 9/11 zunehmende anti-muslimische Rassismus auf institutioneller Ebene, die Verschärfung rassistischer Gesetze und der Generalverdacht, der oftmals auf Muslim*innen lastet.
Der Umgang von Staat, Justiz und Gesellschaft mit den Angehörigen der NSU-Opfer oder auch Phänomene wie die Gefangenenlager Guantánamo, Bagram usw. in denen auch aus Deutschland stammende Muslime, mit der Mitwisserschaft der deutschen Regierung, zu Unrecht gefangen gehalten und gefoltert wurden (z.B. Murat Kurnaz), sind dabei nur der Gipfel des anti-muslimischen Rassismus. Hinzu kommen 3) Die zerstörerischen Ausmaße des Neoliberalismus und Kapitalismus, die immer extremere Ausgrenzung, Entfremdung und Ungleichheit produzieren. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die in Großbritannien und den USA in den 70er und 80er Jahre ihren Anfang nahm und sich in Deutschland seit den letzten 15 Jahren immer stärker verbreitet, hat zu einem enormen Anstieg der Armut, einer nie dagewesenen Schere zwischen Arm und Reich, zunehmender Privatisierung von Industrie, Dienstleistungssektor und öffentlicher Güter, einer massiven Umverteilung von unten nach oben, einer globalen Finanzkrise und der Kürzung von Mitteln für Bildungs,- Kultur- und Jugendeinrichtungen geführt. TTIP bildet dabei nur den Zenit des global um sich greifenden Diktats des Freihandelsregimes. Weil es immer weniger Jugendfreizeitzentren gibt, fangen vor allem Neonazis oder religiöse Institutionen die Jugendlichen auf. Diese bieten ihnen kostenlose Freizeitangebote wie Sport usw. an. Da ist es wohl kaum verwunderlich, dass sich so mancher Jugendlicher radikalisiert. Vor allem diejenigen, die regelmäßig mit Rechtsradikalen in Verbindung stehen oder Moscheen besuchen, die von extremistischem Gedankengut durchdrungen sind. Der Kern des Problems liegt aber nicht im heute vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell, sondern im kapitalistischen System an sich. Kapitalismus meint diesbezüglich die spezifische Form der Ausbeutung, Entfremdung, Unterdrückung und Vereinzelung, der ungleiche Tausch wohlhabender und wirtschaftlich schwacher Nationalstaaten, der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, die Kommodifizierung von Natur und den gesellschaftlichen Verhältnissen, der ständige Zwang zum Konkurrenzkampf und zur Reinvestition des Profits, der Konsumwahn, die Zerstörung der Umwelt, die zunehmende Industrialisierung, Mechanisierung und Informatisierung, kurz: die kapitalistischen Eigentums,- Herrschafts,- Konsum,- Tausch,- Verteilungs,- und v.a. Produktionsverhältnisse. Diese haben dazu geführt, dass viele Menschen den inneren Drang verspüren der Sinnleere des kapitalistischen Daseins zu entkommen, indem sie sich etwas suchen, das ihrem Leben wieder Bedeutung, Halt, Glück, Stolz und Ehre verleiht. Die einen versuchen sich künstlerisch zu betätigen, manche werden religiös oder spirituell und andere wiederum schließen sich politischen Gruppen an. Schlimmstenfalls sind das Rechtsextremisten oder militante Islamisten, die unter dem Deckmantel einer bestimmten Religion oder Ideologie, nach Macht und Kapital lechzen. Letztendlich sind die Rekruten religiöser Extremisten und Faschisten sowohl Täter als auch Opfer des Kapitalismus sowie den damit verbundenen imperialen,- gesellschaftlichen- und innerstaatlichen Machtstrukturen. Die von der Sehnsucht nach einem Leben in Würde, Freiheit und Gerechtigkeit getriebenen „Gotteskrieger“ und Neonazis werden aus Verzweiflung oder religiöser und ideologischer Verblendung von fanatischen und machtbesessenen Gestalten rekrutiert und für ihre Zwecke missbraucht. Aber die Widersprüche des Kapitalismus stärken auch fortschrittliche und emanzipatorische Kräfte wie man in Rojava beobachten kann.
Der Befreiungskampf in Rojava
Das Machtvakuum, welches durch den Bürgerkrieg in Syrien 2011 entstand, hat es den Menschen in Rojava ermöglicht selbstverwaltete Strukturen unter dem Banner des „demokratischen Konföderalismus“ aufzubauen. Dies wurde ironischerweise nicht von Unten, sondern von Oben inspiriert, und zwar durch den PKK-Führer Abdullah Öcalan, der mittlerweile seit 16 Jahren in der Türkei im Gefängnis sitzt und sich dort unter dem Einfluss der Schriften des libertären Sozialisten und öko-Anarchisten Murray Bookchin allmählich von einem Stalinisten zu einem radikalen Demokraten entwickelt zu haben scheint.
Rojava befindet sich weiterhin im Krieg gegen militante Islamisten wie den „IS“. Dem türkischen Staat wird vorgeworfen, dass er mithilfe von Al-Nusra und Ahrar al-Scham syrische Gebiete unter seine Einflusssphäre bringen und dort eine Pufferzone errichten wolle. Darüber hinaus gibt es einige Indizien dafür, dass der „IS“ von der türkischen Regierung unterstützt wird. Rojava unterliegt einem Embargo durch die Türkei und auch durch Barzanis Peshmerga in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Kurdische Stellungen in Nordsyrien und der Türkei werden zudem massiv vom türkischen Militär angegriffen und bombardiert. Diese Politik wird in Teilen auch von den USA und von Saudi-Arabien unterstützt. Während die USA den Kurd*innen mit Luftschlägen gegen den „IS“ den Rücken freihält, werden gleichzeitig die Bombardierungen Rojavas durch die Türkei gebilligt. Die syrische Regierung wiederum ist damit beschäftigt, keine weiteren Gebietsverluste zu erleiden und die alevitischen Gebiete zu schützen.
Während der „IS“ Schiiten, Christen, Eziden und Atheisten massakriert, Andersdenkende Sunniten kaltblütig ermordet und die Frauen unterdrückt, wird der Kampf in Rojava gleichberechtigt von Männer und Frauen unterschiedlicher Nationen und Religionen geführt. Es sind hauptsächlich Kurd*innen, aber auch Araber*innen, Aramäer*innen, Assyrer*innen, Armenier*innen, Türk*innen, Turkmen*innen und Iraner*innen. Es kämpfen Muslim*innen, Zoroastrier*innen, Christ*innen und Atheist*innen. Nicht nur die Truppen des „IS“ bekommen aus dem Westen Verstärkung. Auch in Rojava kämpfen Europäer*innen wie der britische Hollywoodstar Michael Enright oder die im März in Rojava von IS-Truppen getötete Deutsch-Togolesin Ivana Hoffman.
Die nationalen und internationalen Kämpfer*innen in Rojava sind trotz Krieg gegen militante Islamisten, gerade bemüht in Nordsyrien die fortschrittlichste Gesellschaftsordnung ganz Asiens aufzubauen. Neben der Naxalitenbewegung in Indien bildet es eines der wenigen emanzipatorischen Lichtblicke auf dem asiatischen Kontinent. Die kurdischen Selbstverteidigungskräfte, die zu 30% aus Frauen bestehen, haben in der Region bisher die erfolgreichste Bodenabwehr im Kampf gegen den „IS“ geleistet. Sowohl in Südkurdistan (Sengal) als auch in Nordsyrien (Al Hawl) wurden „IS“-Truppen von den Selbstverteidigungskräften zurückgedrängt. Wichtige Verbindungsstraßen zwischen Mossul und Raqqa wurden bereits von der YPG und den Peschmerga eingenommen. Rojava wird basisdemokratisch regiert und der Gesellschaftsvertrag garantiert die Gleichheit von Religionen, Sprachen, des Glaubens und der Geschlechter. Laut dem Gesellschaftsvertrag für Rojava haben Frauen „das Recht zur Selbstverteidigung und das Recht, jegliche Geschlechterdiskriminierung aufzuheben und sich ihr zu widersetzen.“ Folter, Kinderarbeit und die Todesstrafe sind verboten und die Verwaltungen „akzeptieren weder ein nationalstaatliches, militaristisches und religiöses Staatsverständnis, noch akzeptieren sie die Zentralverwaltung oder Zentralmacht.“ Gefängnisse sollen Bildungs- und Rehabilitationszentrum sein. Der Anteil von Frauen „darf in allen Institutionen, Vorsitzen und Ausschüssen nicht weniger als 40% betragen. Jede/r hat das Recht auf politisches Asyl. Keine/r, die/der Asyl beantragt, darf gegen ihren/seinen Willen abgeschoben werden.“ Umweltschutz und Behindertenrechte wurden eingeführt. Es gibt ein „Recht auf Bildung (gebührenfrei und verpflichtend); das Recht auf Arbeit, Unterkunft, Gesundheits- und Sozialversicherung.“ Jeglicher Grundbesitz und Boden sollen der Bevölkerung gehören und nationale Produktionsmittel sollen geschaffen werden usw. Natürlich geht in Rojava einiges nicht weit genug, nicht alles wird eingehalten und es wird auch von Menschenrechtsverletzungen berichtet. Aber es ist trotzdem erstaunlich, was für einen bewundernswerten Mut und Kampfwillen die Kurd*innen und ihre nationalen und internationalen Unterstützer*innen in Nordsyrien aufbringen und dass sie mit ihrem Blut für einen Gesellschaftsvertrag eintreten, der in wichtigen Teilen fortschrittlicher ist als die deutsche und andere westliche Verfassungen.
Fazit
Was wir jetzt nach den jüngsten Anschlägen in Paris beobachten können, sind eine zunehmende Beschränkung der Bürgerrechte, mehr Überwachung, stärkere Grenzkontrollen, mehr Aufrüstung, mehr Anschläge und Angriffe auf Muslime, die nicht erst jetzt unter Generalverdacht stehen sowie die zunehmende Kriminalisierung von Geflüchteten. Und wer profitiert davon? Die NATO-Staaten nutzen die Anschläge als Vorwand, um noch aggressiver militärisch in der Region vorzugehen, der Militär-Industrielle-Komplex steigert seine Verkäufe und rechte Kräfte wie die Front National und AfD bekommen noch mehr Zustimmung. Der „IS“ hätte somit sein Ziel erreicht. Denn „Daesh“ will genauso wie Huntington, Bush & Co. einen Kampf der Kulturen heraufbeschwören. Nur wenn die Muslime im Westen noch weiter marginalisiert werden und die Perspektivlosigkeit im Orient durch die Bombardierungen wächst, gibt es auch weiterhin einen Nährboden für Terror. Die Unterstützung der stark unterfinanzierten Selbstverteidigungskräfte in Rojava bietet eine emanzipatorische, humanistische und säkulare Alternative zu den fanatischen Barbaren des „IS“. Um sie jedoch nachhaltig zu stärken, müsste die Kriminalisierung der PKK und kurdischer Politiker*innen im Westen beendet und die Türkei und Golfmonarchien unter Druck gesetzt werden, anstatt ihnen immer neue Waffenlieferungen zu gewähren. Vor allem das türkische Embargo gegenüber Rojava ist äußerst destruktiv und schwächt genau diejenigen Kräfte, die in den letzten Jahren die erfolgreichsten Bodenoffensiven gegen den „IS“ durchgeführt haben.
Freitag, 20. November 2015
Boris Kagarlitzki: "Die russische Gesellschaft wird plötzlich aus ihrem Schlaf erwachen"
Der russische Sozialist und Soziologe Boris Kagarlitzki hat für Telepolis ein Interview über die Linke in Russland, Putin als Nationalsymbol, die russische Politik in Syrien und seine schillernden Ansichten über Europa gegeben. Es ist sehr lesenswert, selbst wenn man nicht allen Einschätzungen zustimmt.
http://m.heise.de/tp/artikel/46/46611/1.html
http://m.heise.de/tp/artikel/46/46611/1.html
Boris Kagarlitzki 2013. Bild: www.facebook.com/kagarlitsky |
Sonntag, 15. November 2015
Was ist mit "diegesellschafter.de" passiert?
"In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Mit dieser Frage startete die Aktion Mensch im März 2006 die Gesellschafter-Initiative. Seitdem haben fast eine Million Menschen die Internet-Seite dieGesellschafter.de besucht. Ihre Antworten und Diskussionsbeiträge würden ausgedruckt mehr als 10.000 Buchseiten füllen.
Nach fast fünf Jahren ist jetzt Zeit für Neues. Das Gesellschafter-Projekt endet.
[...]
Die Aktion Mensch bedankt sich bei allen Gesellschaftern: Bei tausenden Nutzern, die in den Foren von dieGesellschafter.de diskutiert haben, bei allen Ideengebern und Unterstützern für ihr großes Interesse und Engagement. Bleiben Sie uns verbunden – im Internet, mit Ihrem Engagement, mit Ihrem Interesse. Denn die Fragen bleiben.
Ihre Aktion Mensch"
Wieso hat man ein überreiches Forum mit unglaublich interessanten Visionen für eine bessere Gesellschaft einfach geschlossen und dem öffentlichen Zugang verweigert? Was könnte es dafür für Gründe geben? Doch nicht etwa die zu mindestens 90% radikaldemokratischen, antikapitalistischen, sozialistischen und kommunistischen Ansichten, die dort vertreten wurden? Oder die vielleicht 10% finanzkritischen und dubiosen, freigeld-orientierten Gesellschaftsutopien?
Soll die Öffentlichkeit vor diesem Radikalismus beschützt werden? Diente das Projekt etwa von Anfang an den Geheimdiensten? Wurde das Projekt im Laufe der Zeit erst für Geheimdienste interessant? Wollte "Aktion Mensch" einfach Informationen sammeln und sie dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit für sich selbst nutzen? Oder was könnte der Grund dafür sein, eine sehr aktive Gemeinschaft von diskutierenden Menschen aus allen Schichten und diversen Lagern plötzlich voneinander abzutrennen?
Man weiß es nicht. "Aktion Mensch" hätte das erklären können. Auch auf Anfrage per Email kam bisher keine Antwort. Aber nicht jeder Mensch auf dem Planeten vergisst so leicht. Insofern war es notwendig, einen Blog-Eintrag dazu zu machen und sich zu überlegen, was es denn heißt, wenn "Aktion Mensch" schreibt: "Doch vieles, was während des Projektes entstanden ist, bleibt." Ja, was bleibt denn und für wen?
Samstag, 14. November 2015
Der Staat, rechter Terror und die "präventive Konterrevolution"
Freitag der dreizehnte 2015 wird in die Geschichte eingehen. Am 13. November 2015 kam es zu einem Terroranschlag in Paris, der dutzenden Menschen das Leben kostete. Mehrere Täter wurden im Anschluss von französischen Spezialkräften getötet. Nur wenige Monate nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris ist es somit wieder zu einem schockierenden Ereignis für die Franzosen und darüber hinaus vermutlich auch für viele weitere Menschen weltweit gekommen. Der Anschlag ist in doppeltem Sinne ein erneuter Angriff auf die Freiheit und das Leben friedlicher Menschen.
Denn wie bei 9/11 vor allem die Amerikaner traumatisiert wurden, wird nach dem Terror "hier bei uns" mitten in Europa die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt sein. Wie 2001 auf dem amerikanischen Kontinent wird nun auch auf dem europäischen Kontinent die Innenpolitik eine Umwälzung erfahren. Auch die Außenpolitik wird mit Sicherheit einer solchen Umwälzung unterliegen. Doch man kann vermuten, dass diese Umwälzung keineswegs revolutionären, demokratischen oder freiheitlichen Charakters sein wird, sondern vielmehr eine "präventive Konterrevolution" legitimieren wird.
Die präventive Konterrevolution
Man kann davon ausgehen: Die Imperialisten Europas werden mit dem heutigen Tag die Gesetze verschärfen und immer öfter das Militär im Inneren und Äußeren einsetzen. Vorgeschobener Grund wird vermutlich sein, dass man mit diesen Maßnahmen Islamisten, Terroristen und "Extremisten" allgemein ausfindig und unschädlich machen wolle. Aber in Wirklichkeit werden die Verschärfungen vor allem dazu dienen, um die Innen- und Außenpolitik ohne nennenswerten Widerstand umzugestalten. Der Umbau der Staatsapparate wird gewiss dazu dienen, die Bevölkerung zu kontrollieren, an den Staat zu binden und für rassistische Proteste zu mobilisieren, während zugleich die Bügerrechte für vermeintliche Sicherheiten weiter beschnitten werden, demokratische Opposition unterdrückt, die Presse stärker zensiert und direkter gelenkt wird, und nicht zuletzt werden die Interventionen im Ausland im Namen des "War on Terror" besser legitimiert. Darauf kann man wetten.
Das wird nichts anderes sein als die Fortführung der "präventiven Konterrevolution", die spätestens seit Mitte der 70er Jahre in Form des Neoliberalismus begonnen wurde. Der neoliberale Umbau der Staaten in globalem Maßstab seither markierte eine neue Phase des Kapitalismus. Dieser Kapitalismus schien ein deregulierter, marktradikaler und postdemokratischer zu sein. Gegenwärtig findet womöglich die Vertiefung der vorbeugenden Konterrevolution statt. Und der 13. November markiert vielleicht eine neue Phase des Kapitalismus, ganz gleich, ob man ihn technokratischen Autoritarismus oder totalitären Marktradikalismus nennen mag. Die Begriffe sind nebensächlich. Entscheidend ist, dass die Staaten dieser Welt eher noch weiter nach rechts rücken werden und dass es womöglich einen allgemeinen Rechtsruck geben wird, der vor allem alle fortschrittlichen Kräfte, alle unterdrückten Klassen und die ohnehin schon schikanierten Flüchtlinge dieser Welt treffen wird. Das mag hysterisch klingen, aber es ist wahrscheinlicher als ein plötzlicher Linksruck und Friede, Freude, Eierkuchen in der Welt. Wir müssen uns auf eine brutalisierte Staatsmacht und zunehmenden rechten Terror gefasst machen.
Der Staat und rechter Terror
Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA legitimierten den sogenannten "War on Terror". Folge dessen waren massive Verschärfungen der Innenpolitik vieler Staaten auf der Welt und eine ebenso starke Zunahme des antimuslimischen Rassismus sowie eine imperialistische Offensive der westlichen Staaten, die im Namen der "Freiheit" andere Staaten zerstörten. Afghanistan, Pakistan, Irak, Tunesien, Libyen und Syrien sind seither die erschreckendsten Beispiele für solche Interventionen. Sie alle wurden von den Imperialisten und ihren Sprachrohren unter dem Deckmantel des Kampfes für Freiheit und Demokratie legitimiert.
Dass Gaddafi und Assad in Libyen und Syrien z.B. bis zu den kriegerischen Interventionen säkulare Regimes anführten, war dabei nebensächlich. Dass in all diesen Ländern heute ausgerechnet die Islamisten, Salafisten und islamischen Terroristen stärker als je zuvor sind, kümmert die Propaganda des Westens kaum. Dass diese vom Westen attackierten Regimes zuvor enge Verbündete des Westens waren, geht natürlich in den Massenmedien unter, die sich weitgehend der westlichen Darstellung unterordnen. Und dass gerade der rechte Terror in sämtlichen Ländern direktes oder indirektes Produkt staatlicher Politik ist, wird natürlich so gut es geht verschleiert.
Die afghanischen Gotteskrieger (die Mujaheddin, die Taliban, al-Kaida), der deutsche Nationalsozialistische Untergrund und der IS sind solche Produkte staatlicher Politik. Die US-Regierung war massiv in die Förderung der afghanischen Islamisten im Kampf gegen die afghanischen Kommunisten und die Sowjetunion verstrickt. Ebenso war der deutsche Staat zumindest in die Verschleierung und Verharmlosung des rechten Terrors des NSU gegen griechisch- und türkischstämmige Deutsche verwickelt. Der IS entstand aus diversen vom Westen gestützten sunnitischen Islamistengruppen und rechten Freikorps, die sich im Zuge der Besatzung des Iraks durch NATO-Truppen gegen die neue Regierung organisierten. Westliche Staaten und rechter Terror sind in solchen Fällen eng miteinander verbunden, selbst wenn die entsprechenden Terroristen ganz autonom agierten oder noch agieren.
Wie diese Fälle erinnern die Ereignisse vom 13. November an den rechten Terror von "Gladio", einer NATO-Einheit, die Anschläge auf Zivilisten in Italien durchführte. Der Historiker Daniele Ganser zitierte einen geständigen Terroristen, der die Strategie des damaligen Terrors im Verbund mit staatlichen Geheimdiensten erklärte:
„Man musste Zivilisten angreifen, Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren. Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten das italienische Volk dazu bringen, den Staat um größere Sicherheit zu bitten. […] Diese politische Logik liegt all den Massakern und Terroranschlägen zu Grunde, welche ohne richterliches Urteil bleiben, weil der Staat sich ja nicht selber verurteilen kann.“
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Uns stehen dunkle Zeiten bevor. Die demokratischen und progressiven Kräfte sollten endlich die lächerlichen Grabenkämpfe überwinden, die nötigen Lehren ziehen und sich gegen die modernen Kreuzfahrer, Gotteskrieger und Faschisten wappnen.
Montag, 9. November 2015
Sind die neuen Montagsdemonstrationen um Lars Mährholz und Ken Jebsen antisemitisch und rechts?
Heute werden für die neuen Montagsdemos allein in Berlin 5000 Menschen erwartet. Der politische Aktivist und Rapper Kaveh hat
sich in einem Debattenbeitrag mit diesen auseinandergesetzt und mit der
Frage beschäftigt, ob diese rechts und antisemitisch sind:
Seit
knapp einem Monat gibt es bundesweit neue Montagsdemonstrationen
(Mahnwachen) unter dem Motto: ‘‘AUFRUF ZUM FRIEDLICHEN WIDERS…TAND! FÜR
FRIEDEN! IN EUROPA! AUF DER WELT! FÜR EINE FREIE, UNABHÄNGIGE PRESSE!
GEGEN DIE TÖDLICHE POLITIK DER FEDERAL RESERVE (einer privaten Bank)!‘‘
Die Demos, die sich von Berlin auf 22 weitere Städte ausgebreitet haben,
werden überwiegend über soziale Netzwerke wie Facebook organisiert.
Während zunächst nur einige hunderte von Menschen auftauchten, waren es
zumindest in Berlin weit über tausend Demonstranten, die in den letzten
Wochen zur Mahnwache kamen. Am Anfang wurden die Demos noch von den
Mainstream-Medien ignoriert. Mittlerweile existieren aber schon mehrere
Zeitungsartikel über die Mahnwachen, z.B. in der Taz, Berliner Zeitung,
Spiegel Online etc. Es gab einen Beitrag beim Radiosender
Deutschlandfunk, ein 3Sat Interview mit Jutta Ditfurth, ein Bericht über
den Initiator der Mahnwachen auf tageschau.de und sogar ein Kommentar
von Konstantin Wecker. All diese Beiträge haben gemeinsam, dass sie die
Mahnwachen zum rechten und antisemtischen Spektrums zählen. Auch linke
Friedensorganisationen und Gruppen wie ATTAC haben sich von den
Organisatoren distanziert und eindeutig vor den neuen Montagsdemos und
ihrer Unterwanderung durch rechte Strömungen gewarnt. Die ‘‘neue
Friedensbewegung‘‘ treibt unterdessen einen offen zur Schau getragenen
Keil zwischen regierungskritischen Aktivisten. Ist die scharfe Kritik an
den Mahnwachen berechtigt?
Kaveh |
Lars Mährholz
In
einem Interview mit Voice of Russia vom 7.4.2014 und einer
Stellungnahme vom 18.4 erklärt der 34-jährige Fallschirmspringer,
frühere Event-Manager und Initiator der neuen Montagsmahnwache in
Berlin, Lars Mährholz, dass er sich erst Anfang dieses Jahres verstärkt
politisiert habe und die westliche Berichterstattung im Zuge der
Ukraine-Krise als Anlass nahm auf die Straße zu gehen. Er war bisher
nicht politisch organisiert, gehört keiner Partei an und fühlt sich
weder dem rechten noch linken Spektrum zugehörig. Der Weltfrieden und
alternative Informationsbeschaffung lägen ihm besonders am Herzen und er
sieht das Zentralbanksystem und die Federal Reserve Bank (FED, die
US-Notenbank) – die seit 100 Jahren der Auslöser von Kriegen sei, die
Fäden auf dem Planeten ziehe und mächtiger daherkomme als die
US-Regierung – als ‘‘den Anfang allen Übels‘‘. Darüber hinaus kritisiert
er das Zinseszinssystem und Fiatgeld (ein Tauschmittel ohne
innewohnenden Wert, das von der Regierung reguliert wird). Für ihn sind
extreme Positionen auf der Mahnwache nicht erwünscht, also weder
Rechtsextreme noch Linksextreme oder religiöse Fanatiker sind
willkommen. Zugleich spricht er sich gegen die Spaltung in ein linkes
und rechtes Lager aus und versucht Menschen unterschiedlicher Couleur,
politischer Gesinnungen, Religionen etc. zu mobilisieren. Er tritt
ausdrücklich für einen friedlichen Widerstand ein, da ‘‘Gewalt nie eine
Lösung ist‘‘ und ‘‘nie eine Veränderung auf dem Planeten hervorrufen‘‘
könne. Nur mir Frieden und Liebe sei eine Veränderung möglich. Wo die
Veränderung konkret hinführen soll, geht aus dem oben genannten
Interview und Statement von Mährholz allerdings nicht hervor. Die
Kooperation für den Frieden – ein Dachverband der Friedensbewegung, dem
mehr als 50 friedenspolitische Organisationen und Initiativen angehören –
schrieb vor kurzem: ‘‘Auf eine nicht nur zufällige Verbindung zum
Rechtsextremismus deutet hin, dass Lars Mährholz zeitweise auf seiner
Webseite unter der Überschrift „Einige unserer Volksvertreter wachen
auf!“ nur einen einzigen per Video zu Wort kommen lässt: Karl Richter,
Stadtrat und Vorsitzender der Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) und
Leiter des Parlamentarischen Beratungsdienstes der NPD-Landtagsfraktion
im Sächsischen Landtag!‘‘ Darüber hinaus hat Mährholz auf seiner
Facebook-Seite ein Bild gepostet, wo die (jüdische) Rothschild-Familie
quasi als Weltherrscher in Erscheinung tritt. Dies deutet zwar auf
anti-jüdische und rassistische Ressentiments hin. Gleichzeitig
distanzierte sich Mährholz aber jüngst von der Rede einer ‘‘jüdischen
Weltverschwörung‘‘ und auch vom Gedankengut des von
völkisch-rassistischen Aussagen durchdrungenen Videos, das auf der
angeblich von Rechten gekaperten Facebook-Seite von Anonymous Deutschland gezeigt
wurde. Seine Ausführungen über die FED und Zinseszins weisen zwar auf
eine – von der sog. ‘‘Zeitgeist-Bewegung‘‘ inspirierte – verkürzte
Kapitalismus-Kritik und Verharmlosung der Nazi-Verbrechen hin. Dies aber
als antisemitische Chiffre zu enttarnen ist undifferenziert und führt
angesichts seiner Distanzierung von der Existenz einer ‘‘jüdischen
Weltverschwörung‘‘ auch deutlich zu weit. Es scheint eher so zu sein,
als vertrete Mährholz eine Weltanschauung, die sog.
verschwörungstheoretische Perspektiven mit naivem Hippietum und einem
Hauch von Esoterik vermischt und sich außerdem vom Gedankengut aller
möglichen politischen Strömungen beeinflussen lässt. Mährholz ist also
durchaus kritikwürdig. Aber ihn als rechten Antisemiten hinzustellen,
scheint nach dem, was er bisher von sich gegeben hat wohl unangemessen
zu sein. Wie sieht es mit Ken Jebsen aus?
Ken Jebsen
Der
48-jährige Journalist Ken Jebsen (geb. Moustafa Kashefi) ist ein
brillanter Rhetoriker und Entertainer, der sich als vorübergehender
Hauptredner der Berliner Mahnwachen herauskristallisiert hat. Er ist ein
Kritiker der US-Außenpolitik, Nato, israelischen Kolonialpolitik und
westlicher Menschenrechtsverletzungen. Er kritisiert die zerstörerischen
Ausmaße der Konsumgesellschaft, die Ausbeutung der Mehrheit durch
Geldeliten und die Desinformationen, die von den Mainstream-Medien
gestreut werden. Er vertritt auch sehr kontroverse Thesen, wenn er die
offizielle Version von 9/11 infrage stellt und suggeriert, dass die
Anschläge von der US-Regierung inszeniert worden seien. Zwar benutzt
Jebsen in seinen provokativen und stark zugespitzen Texten und Beiträgen
gelegentlich unglückliche Formulierungen, welche die nötige
Sensibilität vermissen lassen und analytisch sowie methodisch eher
fragwürdig sind. In seiner Berichterstattung über die mediale Hetze
gegen Länder wie Russland werden zudem menschenrechtsverletzende
Praktiken wie die von Putin kaum thematisiert oder kritisiert. Dennoch
wurde er – wie schon so oft, wenn Israel kritisiert wird – zu Unrecht
als Antisemit verleumdet und seine Radiosendung daraufhin vom RBB
abgesetzt. Seitdem arbeitet er als unabhängiger Journalist und betreibt
die Internetsendung KenFM. Obwohl sich Jebsen gegen das Lagerdenken in
rechts und links ausspricht, vertritt er klassisch linke Positionen des
Anti-Imperialismus, die man ja in Deutschland bei vielen von der
antideutschen Weltanschauung geprägten Linken gänzlich vermisst. Und
auch wenn es für ihn in der journalistischen und politischen Praxis
weder links noch rechts gibt, machte er in seiner Rede während der
Berliner Mahnwache vom 14.4.14 unmissverständlich klar, wo er politisch
steht: ‘‘Rechts ist natürlich das Kapital, Rechts ist natürlich die
Ausbeutung, Rechts heißt natürlich über Leichen gehen. Und Links heißt
natürlich dagegen ankämpfen…Links heißt natürlich solidarisch sein, aber
es reicht nicht es bloß am Schreibtisch zu tun…Wenn du möchtest, dass
sich die Bewegung in die richtige Richtung entwickelt, dann komm doch
hierher…Ihr [Linken] seid herzlich willkommen.‘‘ Tatsächlich ist da
etwas dran, wenn Jebsen auf seiner Facebook-Seite Kurt Tucholsky
zitiert: ‘‘Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz
hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.‘‘ Bei
vielen Linken bekommt man in der Tat den Eindruck, dass sie lieber
vermeintliche Antisemiten entlarven und brandmarken, anstatt die
Wirtschaft, Kriegstreiber, Banken und ihre politischen Handlanger zur
Rechenschaft zu ziehen, da viele Linke die personalisierte
Kapitalismuskritik ablehnen und dahinter einen strukturellen
Antisemitismus erkennen. Personalisierte Kapitalismuskritik nimmt bei
einigen tatsächlich antisemitische Züge an, da sie den Kapitalismus
fälschlicherweise mit sog. ‘‘jüdischen Finanzkapital‘‘ in Verbindung
bringen, ohne den multi-ethnischen, transnationalen und multi-religiösen
Charakter der milliardenschweren ‘‘Global Player‘‘ zur Kenntnis zu
nehmen. Personalisierte Kapitalismuskritik ist auch immer verkürzte
Kapitalismuskritik, da die Bewegungsgesetzte und Eigendynamik des
Kapitalismus als das heute dominierende gesellschaftlich-ökonomische
System unberücksichtigt bleiben. Dies bedeutet allerdings nicht, dass
die Kritik an globalen Geldeliten und multinationalen Konzerne an sich
unzutreffend ist, sondern mit einer Kritik an der noch wesentlicheren
kapitalistischen Eigentums,- Herrschafts,- Konsum,- Tausch,-
Verteilungs,- und vor allem Produktionsverhältnissen einhergehen sollte.
Karl Marx, z.B., hat zwar darauf hingewiesen, dass die
Ausbeutungsmechanismen des Kapitalismus nicht in erster Linie von den
Kapitalisten selbst verursacht werden, sondern von systemimmanenten
Charakteristika wie dem ständigen Zwang zur Profitmaximierung herrühren,
dem die Kapitalisten permanent unterworfen sind. Allerdings ist er
nicht davor zurückgeschreckt, Kapitalisten persönlich für unmenschliche
Handlungen verantwortlich zu machen. Denn er vertrat die Auffassung,
dass die Umwälzung der Verhältnisse keine natürliche Gesetzmäßigkeit
darstelle, sondern von den Unterdrückten aktiv erkämpft werden müsse. Da
viele Linke jedoch zum bürgerlichen Establishment gehören und Teil des
Systems geworden sind, von dem sie profitieren, sehen sie die
transnationalen Konzernen, bürgerlichen Parteien und Mainstream-Medien
als ihre strategischen Verbündeten. Daher sind
viele selbsternannte
Linke auch nicht so sehr an einem Systemwechsel interessiert.
Die Gefahr der Vereinnahmung von rechts – Andreas Popp und Jürgen Elsässer
Trotz
der Übertreibung und Diffamierung von Seiten der Massenmedien sowie
einiger linker Gruppen und Personen, bergen die Montagsdemos dennoch ein
gewisses Gefahrenpotential, über das man nicht einfach so hinweg
schauen kann: Für die Mahnwache am 21.4 sind in Berlin Reden von Andreas
Popp und Jürgen Elsässer geplant. Linksuntern.indymedia.org schreibt:
‘‘Andreas Popp ist ein Goldhändler, Autor und Medienunternehmer mit
einem Faible für Verschwörungen, Pseudomedizin und Esoterik, der
regelmäßig bei zwielichtigen Veranstaltungen auftritt, wie z.B. bei
„Bewusst TV“ des Rechtsaußen-Esoterikers und „Kommissarische
Reichsregierung (KRR)“-Anhängers Jo Conrad, oder bei der
„Antizensurkonferenz (AZK)“ des Sektengründers Ivo Sasek. Auf der AZK
tritt so ziemlich alles auf, was in der rechtsesoterischen/ verschwörungsideologischen
Szene Rang und Namen hat: Anhänger*innen der „Germanischen Neuen
Medizin (GNM)“, Chemtrails-Paranoiker*innen, HIV/AIDS-Leugner*innen
u.v.a.m., aber beispielsweise auch die wegen Volksverhetzung und
Holocaustleugnung verurteilte Nazi-Anwältin Sylvia Stolz (Freundin von
Horst Mahler).‘‘ Über Popp bezieht ATTAC in einer Warnung ‘‘vor den
rechten Montagsdemonstrationen‘‘ folgendermaßen Stellung: Er ‘‘gehört
zur sogenannten Wissensmanufaktur, mit der er seit langem für einen
„Plan B“ wirbt, mit dem Untertitel „Revolution des Systems für eine
tatsächliche Neuordnung“. Popp und sein Mitautor Albrecht beziehen sich
dort positiv auf die antisemitische Hetzschrift „Manifest zur Brechung
der Zinsknechtschaft“ von Gottfried Feder, den sie als „großen
Wirtschaftstheoretiker“ würdigen. Feder war bis 1933 einer der führenden
Wirtschaftstheoretiker der NSDAP. Mit seinen Thesen zur
Zinsknechtschaft und seiner antisemitischen Hetze hatte er großen Anteil
an den Wahlerfolgen der NSDAP. In „Mein Kampf“ streicht Hitler mehrmals
die hohe Bedeutung heraus, die die Thesen Feders für ihn hatten.‘‘ Der
Journalist und Chefredakteur des Magazins Compact Jürgen Elsässer
wiederum war früher Mitglied des Kommunistischen Bundes und Teil der
antideutschen Bewegung, wovon er sich später aber distanzierte. Er
gründete 2009 die „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“. Elsässer
vertritt teils menschenverachtende und rechte Positionen. Er
sympathisierte und verteidigte sogar offen die Politik von Ahmadinejad
und auch diejenige Putins. Nach dem vermeintlichen Wahlerfolg
Ahmadinejads im Jahre 2009 befürwortete er die brutale Niederschlagung
der ‘‘Grünen Bewegung‘‘ im Iran. Er schreibt z.B., ‘‘Gut, dass
Ahmidenedschads Leute ein bisschen aufpassen und den einen oder anderen
in einen Darkroom befördert haben.‘‘ Abgesehen davon vertritt Elsässer
nicht nur homophobe Standpunkte. Er behauptet auch, dass Thilo Sarrazin
mit seinem Buch ‘‘Deutschland schafft sich ab‘‘ im Kern Recht habe.
Sarrazin, schreibt er, ‘‘macht – als erster aus der politischen Klasse –
einen Vorschlag, wie Deutschland als Nationalstaat und als Sozialstaat
gerettet werden kann. Dazu gehört: Die ungehinderte Zuwanderung in die
Sozialsysteme – über bedingungslose Transferzahlungen werden Leute aus
aller Herren Länder regelrecht hergelockt, die kein Interesse an diesem
Land, seiner Sprache und Kultur haben müssen, um weiter Knete zu
beziehen, die weit über dem Arbeitseinkommen in ihren Herkunftsländern
zu beziehen – muss sofort beendet werden.‘‘ Nach dem 4:4 der deutschen
Fußball Nationalmannschaft gegen Schweden (2012) schrieb Elsässer sogar
folgende Worte: ‘‘…absolut TÖDLICH ist das Vermischen: Wenn den
Deutschen ihr Fleiß und ihre Kampfkraft ausgetrieben werden soll – und
die heißblütigen Südländer ans Kreuz der preußischen Arbeitsdisziplin
geschlagen werden“. Umso bedauerlicher ist es, dass Ken Jebsen eng mit
Elsässer zusammenarbeitet. Jebsen lud ihn schon öfters in seine Sendung
ein. Er schreibt immer wieder Artikel und moderiert Veranstaltungen für
das Compact-Magazin von Elsässer. Während man über diese Zusammenarbeit
geteilter Meinung sein kann, ist Elsässers geplante Rede auf der
Montagsdemo nicht akzeptabel. Noch sind die Mahnwachen politisch
heterogen, aber falls Menschen mit rechten Argumentationsmustern wie
Popp und Elsässer zum Sprachrohr der Mahnwachen werden sollten, besteht
die Gefahr, dass menschenverachtende Ideologien wie völkische,
rassistische und chauvinistische Gesinnungen gefestigt werden und
mithilfe der Mahnwachen noch mehr Verbreitung finden. Nur eine
Distanzierung gegenüber solchen Personen und Gruppen ebnet den Weg für
eine längerfristige Beteiligung und strategische Zusammenarbeit.
Ausblick
Die
während der Mahnwachen von Jebsen und Mährholz häufig gefallene
Aussage, ‘‘wir sind nicht gegen etwas, sondern für Frieden‘‘ und die
ablehnende Haltung sich politisch klar zu verorten birgt die Gefahr,
dass rassistische, homophobe oder anti-jüdische Gesinnungen
anschlussfähig werden und populistische- und rechtsradikale Kräfte wie
die AFD, NPD oder rechte Anonymous-Anhänger für die Mahnwachen werben
und unterwandern, was sie ja teilweise sogar schon tun. Eine klare
anti-nationalistische Positionierung und Distanzierung gegenüber
Persönlichkeiten wie Popp und Elsässer wäre daher von Seiten der
Veranstalter absolut notwendig, um der Infiltration menschenverachtender
Ideologien entgegenzutreten. Bevor dies nicht geschieht ist äußerste
Vorsicht geboten. Da Linke ja ausdrücklich von Jebsen und anderen
eingeladen wurden sich an den vermeintlich hierarchielosen und
dezentralen Mahnwachen zu beteiligen, sollte sich die
anti-imperialistische Linke tatsächlich fragen, ob sie diese Plattform
nicht nutzen sollte, um die verkürzte Kapitalismuskritik von Mährholz
und co. zu problematisieren, eine kritischere Auseinandersetzung mit
Machthabern wie Putin anzustoßen und wichtige Inhalte wie die
rassistische Flüchtlingspolitik der BRD zu thematisieren? Ob man dort
solche Positionen überhaupt toleriert, muss von den Organisatoren und
Demonstranten der Montagsdemos aber erst noch bewiesen werden. Linke
Gruppen und Aktivisten organisieren schon seit langem zahlreiche
Friedensdemonstrationen und Mahnwachen. Dass jedoch eher unpolitische
bzw. politisch nicht klar einzuordnende Bürger und Menschen aus dem sog.
verschwörungstheoretischen Spektrum es schaffen, tausende von Menschen
für Demos zu mobilisieren scheint relativ neu zu sein. Daher sollten
sich Linke schon die Frage stellen und darüber diskutieren, ob sie in
diesen mit dem politischen und wirtschaftlichen System unzufriedenen
Menschen nicht strategische Verbündete sehen sollten, anstatt sie zu
dämonisieren? Natürlich vorausgesetzt diese verfolgen keine
rassistischen, homophoben, antisemitischen oder andere diskriminierende
Meinungen und Ziele.
Artikel von Die Freiheitsliebe übernommen.
Authentischer Linkspopulismus in Plauen oder: Solidarität mit Ken Jebsen
Man muss kein Fan von Ken Jebsen sein, um seine Rede in Plauen am 8. November als absolut brillant einzustufen. Das ist der ehrliche Linkspopulismus, den die deutsche Linke spätestens seit 2007 hätte betreiben sollen. Und es gab nicht eine rechte Idee in der Rede. Refugees, Griechenland, Kriege, Ungleichheit, Demokratieabbau, Abbau des Sozialstaats, Kapitalismus als System, Passivität der Bürger, Notwendigkeit von Bewegung von unten etc. - alles Themen seiner Rede, die weitgehend auch von Sahra Wagenknecht oder Oskar Lafontaine hätte stammen können. Das war astreine linke Agitation.
Das eigentliche Problem bei ihm ist etwas ganz anderes als angeblicher Antisemitismus oder Nationalismus (dass er sich teils ungünstig und teils mehr als provokativ ausdrückt, ist untrüglich). Es fehlt ihm an organisatorischer Perspektive, an einem historischen Rahmen und an kluger Bündnispolitik. Deswegen bewegt sich da viel, aber es läuft ins Leere und damit Gefahr, zu noch mehr Enttäuschung zu führen. Ein Genosse drückte das Problem so aus:
Es formiert sich innerhalb der Linken mit einjähriger Verspätung eine gedankliche Solidarität mit Ken Jebsen, der wie kein Mensch im Land der Verleumdung von allen Seiten ausgesetzt war und sich trotz allem nicht ins Private zurückgezogen hat. Wenn die Linke Leute wie ihn für sich gewinnen könnte, wäre für die Menschen in Europa schon viel gewonnen.
Leider ist die deutsche Linke zutiefst konservativ, elitär, kleinbürgerlich und zudem zumeist sehr weiß dominiert. Die Gründung der Linkspartei war zwar ein Fortschritt für die deutsche Linke, aber eigentlich auch nur aufgrund des desolaten Zustands der hiesigen Bewegung. Die LINKE ist nicht halb so links wie die SPD vor 1914. Und sie ist viel schwächer. Die radikale Linke links dieser Partei kann zwar effektive Blockaden und sonstige antifaschistische Aktionen erreichen, aber sie hat einen katastrophalen Ruf. Für viele von den Medien indoktrinierte Menschen ist die Antifa ebenso schlimm wie der Faschismus. Von den linken Kleinstparteien muss man gar nicht groß reden. Sie vegetieren bei unter einem Prozent der Wählerstimmen und leiden an Mitgliederschwund und Überalterung. Insgesamt ist die deutsche Linke einerseits allzu reformistisch und andererseits viel zu selbstgenügsam. Sie ist, obwohl durchaus im Parteiensystem in Form der Linkspartei etabliert, immer noch gesellschaftlich isoliert.
Und das Versagen der europäischen Linken in der Friedensfrage, in der europäischen Frage und im Kampf um gesellschaftliche Hegemonie in den imperialistischen Zentren wie Deutschland und Frankreich wird immer offensichtlicher. In Deutschland wird der traurige Zustand der SozialistInnen allein schon durch die bloße Existenz der "antideutschen", neokonservativen Ideologie veranschaulicht, die nur aufgrund der Schwäche der Linken in den Köpfen wirrer Mittelschichtskinder herumschwirren kann. Alle Welt schaut auf Deutschland. Alle SozialistInnen der Welt schauen auf die deutsche Linke. Und die deutsche Linke - was tut die? Den erfolgreichsten linken Agitator der letzten Jahrzehnte gemeinsam mit den Leitmedien, Grünen, ex-grünen Adligen, Sozen, "Christ"demokraten, "Anti"deutschen und Ultrarechten verleumden, anstatt eine kluge Bündnispolitik und antifaschistische Taktik im Kampf gegen den absteigenden Kapitalismus und aufsteigenden Faschismus zu entwickeln. Die linken Sektierer tun so, als hätten sie superbe Spielregeln für linke Politik und als wäre Jebsen ein böser Spielverderber. Ein kluger Genosse stellte dazu fest:
Ja, es fehlt der deutschen Linken die Perspektive. Da ein radikalisierter Kleinbürger und Linkspopulist wie Ken Jebsen alleine mehr Anhänger hat als die ganze deutsche Linke insgesamt, ist die organisierte Linke natürlich besorgt. Anstatt in ihm einen großartigen Bündnispartner zu entdecken - sei er noch so schwankend und selbst letztlich perspektivlos -, unterstützt man die großbürgerliche, spießbürgerliche und adlige Hetze gegen diesen radikalen Demokraten. (Ja, gemeint ist auch die Hetze von Jutta von Ditfurth, die die Verkörperung der Zweischneidigkeit des deutschen Ultraradikalismus ist: Kluge Kritik an den Grünen einerseits und linkes Elitegehabe andererseits.)
Dabei liefert ausgerechnet dieser sich in Rage redende Journalist, anarchistische Wutbürger und mutige Populist die Lösung der linken Krise: authentischen Linkspopulismus. Lafontaine, Wagenknecht, Gysi und andere begabte Redner der Linken sind eher Ausnahmen, denn sie beherrschen den Linkspopulismus meisterhaft. Allerdings wirken sogar sie auf viele Bürger nicht mehr authentisch, weil die Linkspartei sich ungewollt zu weit von den einfachen Massen entfernt hat. Viele unpolitische Bürger, "besorgte Bürger" und "Wutbürger" setzen nicht nur die Antifa mit dem Faschismus gleich, sondern auch die Linkspartei mit den anderen Parteien im Bundestag. Das liegt nicht unbedingt daran, dass sie alle rechts wären. Es liegt vor allem an den postdemokratischen Zuständen im Lande und am Versäumnis der sozialistischen Bewegung, eine breite Massenbewegung gegen diese Zustände zu werden. Kein Wunder, können doch die meisten deutschen SozialistInnen von heute den breiten Massen kaum glaubhaft verklickern, dass es sich für sie lohnen könnte, sich der sozialistischen Bewegung anzuschließen. Ken Jebsen dagegen politisiert und mobilisiert zuvor unpolitische und apathische Schichten der Bevölkerung. Das wäre eigentlich die Aufgabe der KommunistInnen im Land. Die bittere Realität beschrieb ein Genosse mit folgenden Worten:
Alles das könnte auf die Idee bringen, dass die deutsche Linke wieder zum Marxismus finden muss, um mit der hochgradig gefährlichen Situation, die die gegenwärtige Weltlage prägt, zurechtzukommen. Alles das könnte dazu verleiten, die hegemonietheoretischen und bündnispolitischen Überlegungen der großen marxistischen Denker und Denkerinnen auch einmal praktisch umzusetzen, anstatt sie bloß in Seminaren für Studierende zu debattieren. Einer dieser Denker, Lenin, mahnt uns heute noch:
Viel Überwindung den GenossInnen, die endlich bereit sind, von ihrem hohen Ross abzusteigen und sich mal ernsthaft mit der Frage der Hegemonie auseinanderzusetzen. Und viel Spaß mit der brillanten Rede Jebsens.
Das eigentliche Problem bei ihm ist etwas ganz anderes als angeblicher Antisemitismus oder Nationalismus (dass er sich teils ungünstig und teils mehr als provokativ ausdrückt, ist untrüglich). Es fehlt ihm an organisatorischer Perspektive, an einem historischen Rahmen und an kluger Bündnispolitik. Deswegen bewegt sich da viel, aber es läuft ins Leere und damit Gefahr, zu noch mehr Enttäuschung zu führen. Ein Genosse drückte das Problem so aus:
"Es fehlt bei Ken leider jede konkrete Perspektive. Welches alternative Wirtschaftsmodel meint er, wie erreicht man das? Kein Wort über Organisierung, kein Wort darüber, wo und wie soziale Kämpfe geführt werden müssen. Was erzählt er den Leuten? Sie sollen sich einmal die Woche irgendwo hinstellen und sich unterhalten??? Was ist mit Gewerkschaften? Was ist mit Generalstreik? Von einer kämpferischen Partei ganz zu schweigen. Das Problem ist nicht Ken Jebsen, das Problem ist, dass wir keine Leute haben, die sich in Plauen hinstellen und den Menschen wirklich einen Weg und eine Perspektive aufzeigen. Das Problem ist die Schwäche und Zersplitterung der marxistischen Linken."
Es formiert sich innerhalb der Linken mit einjähriger Verspätung eine gedankliche Solidarität mit Ken Jebsen, der wie kein Mensch im Land der Verleumdung von allen Seiten ausgesetzt war und sich trotz allem nicht ins Private zurückgezogen hat. Wenn die Linke Leute wie ihn für sich gewinnen könnte, wäre für die Menschen in Europa schon viel gewonnen.
Ken Jebsen in Plauen, 8.11.2015 |
Und das Versagen der europäischen Linken in der Friedensfrage, in der europäischen Frage und im Kampf um gesellschaftliche Hegemonie in den imperialistischen Zentren wie Deutschland und Frankreich wird immer offensichtlicher. In Deutschland wird der traurige Zustand der SozialistInnen allein schon durch die bloße Existenz der "antideutschen", neokonservativen Ideologie veranschaulicht, die nur aufgrund der Schwäche der Linken in den Köpfen wirrer Mittelschichtskinder herumschwirren kann. Alle Welt schaut auf Deutschland. Alle SozialistInnen der Welt schauen auf die deutsche Linke. Und die deutsche Linke - was tut die? Den erfolgreichsten linken Agitator der letzten Jahrzehnte gemeinsam mit den Leitmedien, Grünen, ex-grünen Adligen, Sozen, "Christ"demokraten, "Anti"deutschen und Ultrarechten verleumden, anstatt eine kluge Bündnispolitik und antifaschistische Taktik im Kampf gegen den absteigenden Kapitalismus und aufsteigenden Faschismus zu entwickeln. Die linken Sektierer tun so, als hätten sie superbe Spielregeln für linke Politik und als wäre Jebsen ein böser Spielverderber. Ein kluger Genosse stellte dazu fest:
"wer hat hat denn bei den Linken und vor allem bei den Kommunisten in Deutschland eine Alternative? Da habe ich nach den Ereignissen in Griechenland vor allem das Wort Verrat gehört. Ab Mittwoch hat (hoffentlich) auch Portugal eine linke Regierung, und ich fürchte aus den ultra-linken Zentren in Deutschland wird dann auch gleich wieder Verrat geschrien, wenn am Donnerstag in Lissabon nicht gleich Barrikaden gebaut werden und die Suuperreichen unter die Guillotine kommen. Aber es gibt den perfekten Weg nicht, und in Griechenland und in Portugal und einigen anderen Ländern Europas sind die Volksmassen viel weiter als in unserem lieben Land. Man muß die Wege im HEUTE suchen und nicht nur in 120 Jahre alten Schriften, obwohl die auch ihre Bedeutung haben. Dass das in Deutschland bis heute nicht begriffen wurde, liegt auch an den ewig zerstrittenen, ewig besserwisserischen Linken in unserem Land."
Ja, es fehlt der deutschen Linken die Perspektive. Da ein radikalisierter Kleinbürger und Linkspopulist wie Ken Jebsen alleine mehr Anhänger hat als die ganze deutsche Linke insgesamt, ist die organisierte Linke natürlich besorgt. Anstatt in ihm einen großartigen Bündnispartner zu entdecken - sei er noch so schwankend und selbst letztlich perspektivlos -, unterstützt man die großbürgerliche, spießbürgerliche und adlige Hetze gegen diesen radikalen Demokraten. (Ja, gemeint ist auch die Hetze von Jutta von Ditfurth, die die Verkörperung der Zweischneidigkeit des deutschen Ultraradikalismus ist: Kluge Kritik an den Grünen einerseits und linkes Elitegehabe andererseits.)
Dabei liefert ausgerechnet dieser sich in Rage redende Journalist, anarchistische Wutbürger und mutige Populist die Lösung der linken Krise: authentischen Linkspopulismus. Lafontaine, Wagenknecht, Gysi und andere begabte Redner der Linken sind eher Ausnahmen, denn sie beherrschen den Linkspopulismus meisterhaft. Allerdings wirken sogar sie auf viele Bürger nicht mehr authentisch, weil die Linkspartei sich ungewollt zu weit von den einfachen Massen entfernt hat. Viele unpolitische Bürger, "besorgte Bürger" und "Wutbürger" setzen nicht nur die Antifa mit dem Faschismus gleich, sondern auch die Linkspartei mit den anderen Parteien im Bundestag. Das liegt nicht unbedingt daran, dass sie alle rechts wären. Es liegt vor allem an den postdemokratischen Zuständen im Lande und am Versäumnis der sozialistischen Bewegung, eine breite Massenbewegung gegen diese Zustände zu werden. Kein Wunder, können doch die meisten deutschen SozialistInnen von heute den breiten Massen kaum glaubhaft verklickern, dass es sich für sie lohnen könnte, sich der sozialistischen Bewegung anzuschließen. Ken Jebsen dagegen politisiert und mobilisiert zuvor unpolitische und apathische Schichten der Bevölkerung. Das wäre eigentlich die Aufgabe der KommunistInnen im Land. Die bittere Realität beschrieb ein Genosse mit folgenden Worten:
"Als alter Erz-Trotzkist sage ich: Ken Jebsen hat mehr kritisches Bewusstsein in weiten Teilen der Arbeiterklasse (und die gibt es wirklich, 70-80% der Bevölkerung) bewirkt und durch seine aufrichtige und transparente journalistische Arbeit mehr systemkritisches Potential erzeugt, als die gesamte lumpige 'linke Szene' in den letzten 30 Jahren. Und als Zeitzeuge weiß ich da genau, was ich sage."
Alles das könnte auf die Idee bringen, dass die deutsche Linke wieder zum Marxismus finden muss, um mit der hochgradig gefährlichen Situation, die die gegenwärtige Weltlage prägt, zurechtzukommen. Alles das könnte dazu verleiten, die hegemonietheoretischen und bündnispolitischen Überlegungen der großen marxistischen Denker und Denkerinnen auch einmal praktisch umzusetzen, anstatt sie bloß in Seminaren für Studierende zu debattieren. Einer dieser Denker, Lenin, mahnt uns heute noch:
"Einen mächtigeren Gegner kann man nur unter größter Anspannung der Kräfte und nur dann besiegen, wenn man unbedingt aufs angelegentlichste, sorgsamste, vorsichtigste, geschickteste sowohl jeden, selbst den kleinsten 'Riß' zwischen den Feinden, jeden Interessengegensatz zwischen der Bourgeoisie der verschiedenen Länder, zwischen den verschiedenen Gruppen oder Schichten der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder als auch jede, selbst die kleinste Möglichkeit ausnutzt, um einen Verbündeten unter den Massen zu gewinnen, mag das auch ein zeitweiliger, schwankender, unsicherer, unzuverlässiger, bedingter Verbündeter sein. Wer das nicht begriffen hat, der hat auch nicht einen Deut vom Marxismus und vom wissenschaftlichen, modernen, Sozialismus überhaupt begriffen. Wer nicht während einer recht beträchtlichen Zeitspanne und in recht verschiedenartigen politischen Situationen praktisch bewiesen hat, daß er es versteht, diese Wahrheit in der Tat anzuwenden, der hat noch nicht gelernt, der revolutionären Klasse in ihrem Kampf um die Befreiung der gesamten werktätigen Menschheit von den Ausbeutern zu helfen. Und das Gesagte gilt in gleicher Weise für die Periode vor und nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat."
Viel Überwindung den GenossInnen, die endlich bereit sind, von ihrem hohen Ross abzusteigen und sich mal ernsthaft mit der Frage der Hegemonie auseinanderzusetzen. Und viel Spaß mit der brillanten Rede Jebsens.
Sonntag, 8. November 2015
Musik kann eine kraftvolle Waffe des Widerstands sein – Im Gespräch mit Kaveh
In den Medien tobte in den letzten Wochen die Debatte um den neuen Song von Bushido, in dem dieser verschiedene PolitikerInnen beleidigt. Während es Bushido um „Stress ohne Grund“ ging, machen Musiker wie Kaveh Stress mit Grund, ohne Politiker zu beleidigen. Kaveh setzt sich in seinen Songs mit den Problemen der herrschenden Wirtschaftsordnung auseinander und versucht musikalischen Aufklärungsarbeit zu leisten, wir haben mit ihm über seine musikalischen Hintergründe, Rassismus und Krieg gesprochen.
Interview übernommen von Freiheitsliebe.de
Die Freiheitsliebe: Wie bist du zum Rap gekommen?
Kaveh |
Kaveh: Ich bin zuerst mit Gruppen wie Public Enemy und Boogie Down Productions (BDP) in Berührung gekommen. Durch diese Inspiration habe ich begonnen Texte zu schreiben, zunächst auf Englisch und dann auch relativ schnell auf Deutsch und Französisch. Später kam auch Persisch mit dazu.
Die Freiheitsliebe: Du machst relativ viele politische Songs. Gibt es eine Verbindung zwischen Politik und Musik?
Kaveh: Auf jeden Fall! Wenn man in die Geschichte zurückschaut, kann man sehen, dass politische und sozialkritische Rap-Musik – neben dem Party-Entertainment-Rap – von Anbeginn mit am Start war. Es waren vor allem Musiker mit politischem Bewusstsein wie Last Poets und Gil Scott-Heron, die in den 70ern mit zu den Urvätern des Hip Hop gehörten. Sie wurden stark beeinflusst von den Black Panthers, Malcolm X und Martin Luther King, der Bürgerrechtsbewegung, der anti-Kriegsbewegung und den 68ern im Allgemeinen. Da die ersten Hip Hop Gruppen und Artists, die ich hörte, also Public Enemy oder KRSone, unmittelbar von der Protestbewegung und ihrem musikalischen Soundtrack der 70er und frühen 80er Jahre beeinflusst wurden, war es auch für mich von Anfang an klar, dass ich politischen Hip Hop machen würde.
Die Freiheitsliebe: Du sprichst dich in dem Song „Iran Update (2012)“, gemeinsam mit B-Lash und anderen RapperInnen, gegen eine Intervention im Iran aus. Hast du das Gefühl, dass diese in nächster Zeit droht und ist Musik ein Weg dagegen zu agieren?
Kaveh: Die Gefahr eines Krieges ist auf jeden Fall vorhanden. Ob er jetzt unmittelbar bevorsteht, ist natürlich eine andere Frage. Ich denke, dass die USA und ihre Verbündeten sich momentan aus vielen Gründen nicht auf eine Intervention einlassen werden. In Zukunft kann sich das aber schnell ändern. Wir haben ja leider schon erleben müssen, wie Afghanistan, Ex-Jugoslawien und Irak bombardiert wurden, während die verheerenden Auswirkungen für die Menschen in diesen Regionen bis heute schwer zu spüren sind. Musik kann einen Krieg natürlich nicht verhindern. Man kann aber durch ihre relativ weite Verbreitung die Aufmerksamkeit auf diese wichtigen Themen lenken, vor allem bei Menschen, die nicht so politisch interessiert sind. Unser Song beabsichtigt sozusagen einen musikalischen Ansporn dafür zu liefern, dass sich mehr Menschen, und vor allem Jugendliche, mit den Gefahren eines möglichen Angriffskrieges gegen den Iran auseinandersetzen. Wir wollten auch die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen betonen, die im Gegensatz zu den Menschenrechten, die wahren Motive des Westens darstellen. Musik kann in der Tat eine kraftvolle Waffe des Widerstands sein, da sie den Stimmlosen – von der Politik und Wirtschaft ignorierten – eine Stimme verleiht und somit entscheidend zum Protest und der Mobilisierung gegen Unterdrückung, Imperialismus und des Primats des Kapitals beitragen kann.
Die Freiheitsliebe: Du hast auch einen Song (Mehr als nur ein 16er) zur Solidarität mit den Protesten in der Türkei. Siehst du auch andere KünstlerInnen, außer die mit denen du zusammenarbeitest, die versuchen Politik und Rap zu verbinden.
Kaveh: Ich habe keinen Song über die Proteste in der Türkei, sondern habe den eben genannten Track den Demonstranten von Istanbul bis Sao Paolo gewidmet. Ich denke, dass man Proteste, egal ob sie nun zivilgesellschaftlicher oder revolutionärer Natur sind, mit Musik und anderen Protest- und Solidaritätsformen unterstützen sollte. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland auch andere Künstler gibt, die sich zu den Ereignissen positioniert haben.
Die Freiheitsliebe: Du versuchst mit deiner Musik auch Kritik am Rassismus zu äußern, ein Thema, welches im Rap häufiger Musik als Widerstand vorkommt. Glaubst du, dass insbesondere auch für den anti-muslimischen Rassismus, der in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ein Bewusstsein geschaffen werden kann und wie denken die Jugendlichen, die von dem Rassismus betroffen sind?
Kaveh: Es ist für mich schwer zu sagen, was die betroffenen Jugendliche im Allgemeinen über den zunehmenden Rassismus denken und vor allem wie sie darauf reagieren. Ich bekomme immer mal wieder Mails, in denen Leute mir schreiben, dass ich ihnen aus der Seele spreche. Besonders bei Songs wie Sarrazynismus oder der Antwort auf Harris. Für einige können die Lieder sicher ihre Gefühle widerspiegeln und ein Sprachrohr sein. Wie jeder einzelne mit Rassismus umgeht, ist jedoch schwer zu beantworten. Ich kann das nur aus meinem eigenen Umfeld heraus beurteilen. Manche reagieren aggressiv, andere schotten sich ab. Einige entwickeln ein schärferes Bewusstsein und stärken ihr Selbstbewusstsein und ihre Identität aufgrund der notgedrungenen und immer wiederkehrenden Auseinandersetzung mit Diskriminierung. Andere wiederum lassen sich auf die hohlen Argumente der Rassisten ein und reproduzieren sie sogar. Wichtig war es mir zu betonen, dass Rassismus nicht nur ein Alltagsphänomen ist – sogar in seiner Alltagsform ist er „mehr als nur ein Augenblick.“ Er ist in der U-Bahn, bei alltäglichen Begegnungen oder im Supermarkt anzutreffen und darüber hinaus gibt es noch den strukturellen Rassismus. Er ist auf Behördengängen, bei der Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnungssuche oder auch vor Diskotheken anzutreffen, in die man als Kanake oder Schwarzkopf nur selten reinkommt. Er ist also auf unterschiedlichsten Ebenen anzutreffen. Der strukturelle Rassismus ist eine große Last, die das Leben der Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund erschwert, wie auch das Zusammenleben mit Menschen, die davon weniger betroffen sind. Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art, gegen Frauen, Homosexuelle etc. ist fast überall tief verwurzelt in den Gesellschaften. Was leider viel zu wenig angesprochen wird, ist die Frage der Identität – also inwiefern die gängige Definition von Identität in Frage gestellt werden sollte. Im Mainstream wird kaum die Ansicht vertreten, dass es möglich sein sollte mehrere Identitäten zu besitzen, oder dass die Identitäten sich hier verändert haben und nicht mehr so homogen daherkommen wie noch vor 60 Jahren. Der deutschen Mehrheitsgesellschaft fällt es immer noch sehr schwer das zu akzeptieren. Dies sind sozusagen die Nachwehen der Blut und Boden Mentalität, die in Deutschland bis ins 19. Jhdt. zurückreichen und während der Nazizeit ihre konsequente Vollendung gefunden haben. In Deutschland wird oft von der vorbildhaften Aufarbeitung des Faschismus gesprochen. Was dabei meiner Meinung nach aber leider zu kurz kommt ist, dass Deutschland während der Kaiserzeit und Weimarer Republik durchaus kosmopolitische Züge aufzuweisen hatte, diese jedoch während der Nazizeit durch Ausrottung und Vertreibung einen herben Rückschlag erleben mussten. Eine völlig übertriebene Angst und der zunehmende Hass gegenüber dem vermeintlich Fremden und Anderen gehören heute vielleicht zu den bedrückendsten Kontinuitäten des europäischen und vor allem deutschen Faschismus. Besonders Menschen die heikle Aufenthaltstitel haben, wie Flüchtlinge, Sinti und Roma etc. haben am stärksten unter dem EU weiten Rassismus zu leiden. In Deutschland sind die schändliche Residenzpflicht, Lagerunterbringung und Abschiebung der beste Beweis dafür.
Die Freiheitsliebe: Du hast Harris, ein Rapper aus Berlin, schon angesprochen. Dieser rappt in einem Song: „Schäm dich schlecht über Deutschland zu reden!“ Wie kommt es, dass jemand der selber Erfahrung mit Rassismus gemacht hat, nun eine Position vertritt, die sich quasi der Mehrheit unterordnet?
Kaveh: Dies dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen hängt es mit seiner Biographie zusammen. Er ist in Kreuzberg aufgewachsen, wo er weniger Erfahrungen mit Rassismus gemacht hat, als jemand der in anderen Bezirken, Städten oder gar auf dem Land aufgewachsen ist. Auf der anderen Seite hängt es mit seiner politisch-gesellschaftlichen Entwicklung und Sozialisation zusammen. Da kann man nämlich ganz klar sehen, dass er ein durch und durch konservatives Denken vertritt. Er hat eine Sendung auf Jam FM, die sich der „Patriot“ nennt, in der die Gäste nur deutsche Wörter verwenden sollen. Ähnlich wie sein Kollege Sido steht er dem Denken Sarrazins ziemlich nahe. Er hat in einem Interview zu Guttenberg als sein politisches Idol bezeichnet. Er hat sogar ein Deutschland-Tattoo auf der Brust. Er spricht zwar von einem „neuen Deutschland“, in dem diejenigen Menschen mit Migrationshintergrund auch dazu gehören, wodurch er sich von einigen konservativen Strömungen abgrenzt. Im Grunde genommen vertritt er aber ein ziemlich nationalistisches Denken, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass keine Kritik an der Mehrheitsgesellschaft und der deutschen Nation akzeptiert wird, die von sogenannten Ausländern stammt. Eines seiner fragwürdigsten Positionen liegt also darin, dass er Menschen mit Migrationshintergrund, die sogar hier geboren oder aufgewachsen sind als Ausländer bezeichnet und ihnen dadurch jegliche Kritik an den ‘‘wahren Deutschen‘‘ oder Deutschland verwehrt.
Die Freiheitsliebe: Du kritisiert auch, dass er Themen wie Zwangsehe auf alle herunterbricht, was auch in Gesamtdeutschland ein Problem ist. So liest man in Zeitungen, dass dies ein alltägliches türkisch/arabisch/kurdisches Problem sei. Siehst du eine eher internationalistische Gesellschaft als Ziel, in der der Nationalismus gänzlich aus dem Geist vertrieben wurde oder sagst du, dass dieser auch in Teilen nachvollziehbar sein kann?
Kaveh: Es kommt auf den Kontext an. Im Kampf gegen Kolonialismus war der Nationalismus ein wichtiges Mittel, um die Unabhängigkeit gegen Kolonialmächte zu erlangen. Das konnte man in Südamerika, Asien und auch Afrika beobachten. In einigen Ländern mag es sein, dass der Nationalismus immer noch eine wichtige Form des Widerstands darstellt. Im europäischen Kontext jedoch ist der Nationalismus größtenteils überkommen, denn er entspricht nicht mehr den multikulturellen Lebensrealitäten vieler Menschen. In Deutschland trägt er in keinster Weise zu einem besseren Zusammenleben bei. Ich denke daher, dass das nationalstaatliche Denken der Vergangenheit angehören sollte. Ein internationalistisch/kosmopolitisches Denken ist meiner Meinung nach die einzige Alternative, weil sie ein menschlicheres Miteinander ermöglicht und durch ihre offenen und beweglichen Identitätsmuster auch dazu in der Lage ist von den unterschiedlichen Einflüssen zu lernen. Natürlich hat Multikulturalität aber auch seine Grenzen, und zwar wenn die universellen Menschenrechte verletzt werden.
Die Freiheitsliebe: Ich danke dir für das Interview.
Samstag, 7. November 2015
Zwei Taktiken des Antifaschismus gegen den Aufstieg der deutschen Rechten
Das Aufkommen neuer rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien in Deutschland stellt die Antifaschist*innen im Lande vor die Wahl zwischen zwei Formen des Antifaschismus. Damit sind nicht der gutbürgerliche Antifaschismus auf der einen Seite und der übliche Antifaschismus der radikalen Linken auf der anderen Seite gemeint. Diese zwei traditionellen Formen des Antifaschismus sind tatsächlich zwei Seiten einer Medaille. Sie sind im Kern reformistisch. Dass der Antifaschismus des Schwarzen Blocks, der roten Antifa und einzelner Blockadeteilnehmender als reformistisch bezeichnet wird, soll keine Beleidigung sein. Die antifaschistischen Blockaden sind absolut notwendig und verdienen großen Respekt. Aber sie reichen nicht aus. Letztlich zielen sie nicht auf eine Umwälzung der Verhältnisse, so radikal sich ihre Akteure auch geben mögen. Denn für eine Umwälzung der Verhältnisse müsste man eine umwälzende Kraft auf seiner Seite haben - das Proletariat etwa oder zumindest die Avantgarde des Proletariats. Tatsächlich gibt es diese Avantgarde in Deutschland nicht mehr und das Proletariat ist passiv. Da, wo diese Klasse aktiv wird, ist sie eher auf Seiten von SPD, CDU oder Rechtspopulisten. Nur eine winzige Elite ist regelmäßig an antifaschistischen Aktionen beteiligt. Die meisten Blockadeteilnehmenden dürften jedoch nicht einmal dem Proletariat entstammen, sondern vielmehr dem Kleinbürgertum. Die meisten radikalen Linken sind kleinbürgerlich sozialisiert und agieren dementsprechend klassistisch. Das Proletariat zeigt nur vereinzelt Sympathien für die radikalisierten Kinder des Bürgertums. Dass dies geleugnet oder ignoriert wird, ist eine Katastrophe für die deutsche Linke. So ist eine Erneuerung kaum denkbar. Aber das Kleinbürgertum ist auf eine solche Erneuerung vielleicht auch nicht angewiesen. Die Struktur der deutschen Linken ist nicht nur konservativ, sondern auch zirkulär. Die Linkspartei etwa erhält sich auch ohne revolutionäre Politik selbst. Ihre Mitgliedschaft wächst vielleicht nicht, aber die in ihr etablierten Kräfte profitieren auch schon von einem stagnierenden Parteiapparat. Und für eine rot-rot-grüne Koalition ist auch ein rotes Feigenblatt wie eine Linkspartei unter der Dominanz der Reformer ausreichend. Abgesehen von der Linkspartei sind aber auch die anderen linken Parteien trotz revolutionärer Gesinnung strukturell konservativ. Man schaue sich die DKP oder die MLPD an. Wer erwartet von diesen Parteien noch einen revolutionären Anstoß? Und zwischen diesen Parteien stehen die vielen kleinen und mittleren Bündnisse und Grüppchen der radikalen Linken, sowie Lesekreise und Möchtegern-Kommunistische Parteien. Ob theoretisch fit oder nicht - sie leiden am Ultraradikalismus. Sie schotten sich durch Habitus zusätzlich zu ihren oft nicht üblen Familienhintergründen von Proleten und Lumpen ab. Dadurch aber, durch ihren Ultraradikalismus, halten sie die deutsche Linke künstlich und unnötig schwach und klein. So ist keine Umwälzung zu machen. Kein Wunder, dass Pegida, Hogesa, Widerstand Ost-West und wie sie alle heißen mutiger geworden sind. Auch kein Wunder, dass "unpolitische" oder parteikritische Bewegungen wie die Montagsmahnwachen für den Frieden oder dieses merkwürdige Bündnis in Plauen unter dem Titel "Wir sind Deutschland" spontan mehr Massen mobilisieren als die Linke. Trotz aller Errungenschaften der radikalen Antifa hat sie insgesamt zweifellos versagt. Das Versagen des traditionellen Antifaschismus müsste überdacht werden und daraus resultieren sollte eine zweite Form des Antifaschismus.
Im Gegensatz zum bürgerlichen Antifaschismus von SPD, Grünen, CDU, Gewerkschaften, Nachbarschaftsvereinen und schaulustigen Einzelpersonen einerseits und der radikalen Antifa andererseits ist ein Antifaschismus nötig, der große Teile der Bevölkerung radikalisiert, der seine soziale Basis erweitert und damit auch erst selbst revolutionär im eigentlichen Sinne werden kann. Statt bloß auf die etablierten politischen Grüppchen und ihr Standesdenken zu setzen, müssten bisher unpolitische, schwankende und verwirrte Schichten und Milieus für den Antifaschismus gewonnen werden. Das geht aber weder mit dem Opportunismus der bürgerlichen Parteivertreter, noch mit dem sektiererischen Habitus der radikalen Linken. Natürlich können die bürgerlichen Parteien keine Lösung bieten. Sie fallen als Akteure weg und müssen als objektive Hindernisse für solch einen Antifaschismus betrachtet werden. Ob die radikale Linke der richtige Akteur, d.h. radikales Subjekt, sein kann, wird sich noch zeigen. Dafür müsste sie aus ihrem Milieu herauskommen und sich dem Klientel für radikale Politik annähern: den prekären, proletarischen und kleinbürgerlichen Massen, die bisher passiv waren. Die Linke muss eine nachvollziehbare langfristige Strategie ersinnen, eine praktikable mittelfristige Taktik etablieren und ein greifbares alltägliches Angebot aufbauen. Dort, wo es ein alltägliches Angebot gibt, ist es meist durch und durch reformistisch oder ultraradikal. Die Kreisverbände der Linkspartei sind meist ein Beispiel für durchweg verknöcherte Büroangebote, während Autonome Zentren und linke Clubs ziemlich abgehoben sind. Beide sind für die Massen völlig uninteressant und müssen es auch bleiben. Dagegen gibt es Beispiele für gelingende Alltagsarbeit im nachbarschaftlichen Rahmen. Zusammen e.V. in Frankfurt-Rödelheim ist ein solches Beispiel. Die Versuche der Linkspartei kurz nach ihrer Gründung, die Opfer der Hartz-Regimes zu mobilisieren, gehören auch dazu. Leider ist die Partei damit letztlich gescheitert, sodass immer mehr Menschen, die ins "abgehängte Prekariat" herabgesunken sind, der Politik ganz den Rücken zuwandten oder sich nun neuerdings durch rechtspopulistische Propagandisten mobilisieren lassen. Dennoch waren die Ansätze in der LINKEN, diese Schichten zu erreichen, durchaus von Bedeutung. Die Linkspartei ist DIE politische Partei des Prekariats, sei es des intellektuellen Prekariats oder des prekarisierten Proletariats, während die großen Gewerkschaften und die SPD noch immer die politische Heimat für die Arbeiteraristokratie und die verbürgerlichten Arbeiter darstellen. Ein kluger Antifaschismus sollte in der Lage sein, sowohl die Prekären wie auch die Festangestellten unter den Lohnabhängigen auf seine Seite zu ziehen. Ein volksnaher Antifaschismus sollte den bürgerlichen Parteien und Bürgervereinen die Hegemonie entziehen und diese für Antikapitalismus mobilisieren können. Außerdem sollte ein selbstbewusster Antifaschismus keine Berührungsängste mit dem Otto Normalverbraucher haben, der nunmal von der bürgerlichen Ideologie, dem Rassismus der Mitte, den Vorurteilen der populären Extremismustheorie und der gelegentlichen Berührung mit der radikalen Linken von Antifaschismus und Antikapitalismus abgestoßen ist. Dazu gehört, dass Antifschist*innen eindeutig rechte Bewegungen wie Pegida und Hogesa zusammen mit einem breiten Bündnis aus gutbürgerlichen und wenig radikalen Menschen bekämpfen. Dazu gehört aber auch, dass mutige Antifaschist*innen ohne Berührungsängste in "unpolitischen" Bewegungen wie den Mahnwachen für den Frieden oder der Plauener Bürgerbewegung arbeiten können müssen, ohne diffamiert zu werden. Schließlich ist die radikale Linke nicht frei von Opportunismus gegenüber dem Großbürgertum und den medialen Kampagnen, die radikalisierte Kleinbürger wie Ken Jebsen und Lars Mährholz von vornherein verleumdet haben, um sie von der radikalen Linken fernzuhalten und sie den Rechtspopulisten zuzutreiben. Die Linke ist in diesen Fällen der medialen Propaganda auf den Leim gegangen und nur wenige mutige Ausnahmen stellten sich gegen diese Verleumdungen. Ein revolutionärer Antifaschismus macht sich radikalisierte Kleinbürger zu Koalitionspartnern gegen das Großbürgertum und offen rechte Kräfte, Nazis und Faschisten. Entwickelt die Antifa keine breite, populäre Taktik im Bündnis mit weniger radikalen Kräften, ist sie selbst mitverantwortlich für das Erstarken der deutschen Rechten. Bisher haben wir noch zu wenig aus der Geschichte des Faschismus gelernt. Doch gerade für die Linke gilt, was schon für die Bolschewiki galt: "Lernen, lernen und nochmals lernen!" (Lenin)
Im Gegensatz zum bürgerlichen Antifaschismus von SPD, Grünen, CDU, Gewerkschaften, Nachbarschaftsvereinen und schaulustigen Einzelpersonen einerseits und der radikalen Antifa andererseits ist ein Antifaschismus nötig, der große Teile der Bevölkerung radikalisiert, der seine soziale Basis erweitert und damit auch erst selbst revolutionär im eigentlichen Sinne werden kann. Statt bloß auf die etablierten politischen Grüppchen und ihr Standesdenken zu setzen, müssten bisher unpolitische, schwankende und verwirrte Schichten und Milieus für den Antifaschismus gewonnen werden. Das geht aber weder mit dem Opportunismus der bürgerlichen Parteivertreter, noch mit dem sektiererischen Habitus der radikalen Linken. Natürlich können die bürgerlichen Parteien keine Lösung bieten. Sie fallen als Akteure weg und müssen als objektive Hindernisse für solch einen Antifaschismus betrachtet werden. Ob die radikale Linke der richtige Akteur, d.h. radikales Subjekt, sein kann, wird sich noch zeigen. Dafür müsste sie aus ihrem Milieu herauskommen und sich dem Klientel für radikale Politik annähern: den prekären, proletarischen und kleinbürgerlichen Massen, die bisher passiv waren. Die Linke muss eine nachvollziehbare langfristige Strategie ersinnen, eine praktikable mittelfristige Taktik etablieren und ein greifbares alltägliches Angebot aufbauen. Dort, wo es ein alltägliches Angebot gibt, ist es meist durch und durch reformistisch oder ultraradikal. Die Kreisverbände der Linkspartei sind meist ein Beispiel für durchweg verknöcherte Büroangebote, während Autonome Zentren und linke Clubs ziemlich abgehoben sind. Beide sind für die Massen völlig uninteressant und müssen es auch bleiben. Dagegen gibt es Beispiele für gelingende Alltagsarbeit im nachbarschaftlichen Rahmen. Zusammen e.V. in Frankfurt-Rödelheim ist ein solches Beispiel. Die Versuche der Linkspartei kurz nach ihrer Gründung, die Opfer der Hartz-Regimes zu mobilisieren, gehören auch dazu. Leider ist die Partei damit letztlich gescheitert, sodass immer mehr Menschen, die ins "abgehängte Prekariat" herabgesunken sind, der Politik ganz den Rücken zuwandten oder sich nun neuerdings durch rechtspopulistische Propagandisten mobilisieren lassen. Dennoch waren die Ansätze in der LINKEN, diese Schichten zu erreichen, durchaus von Bedeutung. Die Linkspartei ist DIE politische Partei des Prekariats, sei es des intellektuellen Prekariats oder des prekarisierten Proletariats, während die großen Gewerkschaften und die SPD noch immer die politische Heimat für die Arbeiteraristokratie und die verbürgerlichten Arbeiter darstellen. Ein kluger Antifaschismus sollte in der Lage sein, sowohl die Prekären wie auch die Festangestellten unter den Lohnabhängigen auf seine Seite zu ziehen. Ein volksnaher Antifaschismus sollte den bürgerlichen Parteien und Bürgervereinen die Hegemonie entziehen und diese für Antikapitalismus mobilisieren können. Außerdem sollte ein selbstbewusster Antifaschismus keine Berührungsängste mit dem Otto Normalverbraucher haben, der nunmal von der bürgerlichen Ideologie, dem Rassismus der Mitte, den Vorurteilen der populären Extremismustheorie und der gelegentlichen Berührung mit der radikalen Linken von Antifaschismus und Antikapitalismus abgestoßen ist. Dazu gehört, dass Antifschist*innen eindeutig rechte Bewegungen wie Pegida und Hogesa zusammen mit einem breiten Bündnis aus gutbürgerlichen und wenig radikalen Menschen bekämpfen. Dazu gehört aber auch, dass mutige Antifaschist*innen ohne Berührungsängste in "unpolitischen" Bewegungen wie den Mahnwachen für den Frieden oder der Plauener Bürgerbewegung arbeiten können müssen, ohne diffamiert zu werden. Schließlich ist die radikale Linke nicht frei von Opportunismus gegenüber dem Großbürgertum und den medialen Kampagnen, die radikalisierte Kleinbürger wie Ken Jebsen und Lars Mährholz von vornherein verleumdet haben, um sie von der radikalen Linken fernzuhalten und sie den Rechtspopulisten zuzutreiben. Die Linke ist in diesen Fällen der medialen Propaganda auf den Leim gegangen und nur wenige mutige Ausnahmen stellten sich gegen diese Verleumdungen. Ein revolutionärer Antifaschismus macht sich radikalisierte Kleinbürger zu Koalitionspartnern gegen das Großbürgertum und offen rechte Kräfte, Nazis und Faschisten. Entwickelt die Antifa keine breite, populäre Taktik im Bündnis mit weniger radikalen Kräften, ist sie selbst mitverantwortlich für das Erstarken der deutschen Rechten. Bisher haben wir noch zu wenig aus der Geschichte des Faschismus gelernt. Doch gerade für die Linke gilt, was schon für die Bolschewiki galt: "Lernen, lernen und nochmals lernen!" (Lenin)
Dienstag, 3. November 2015
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