Die Partei des Bo Xilai?
Seit einer Woche gibt es in der Volksrepublik China eine neue Partei mit dem Namen "Zhixiandang". Der Name Zhixiandang heißt so viel wie "Partei der Verfassungshoheit" oder "Die Partei, für die die Verfassung die oberste Autorität ist". Die Partei wurde letzten Mittwoch, am 6. November, von Wang Zheng gegründet. Wang Zheng ist Professorin am "Beijing Institute of Economics and Management" und scheint eine Unterstützerin des tief gefallenen Politstars Bo Xilai zu sein. Sie hält die Entmachtung und Verurteilung Bo Xilais für verfassungswidrig und will sich mit der neuen Partei nun politisch für eine Einhaltung der chinesischen Verfassung einsetzen.
Bis letztes Jahr war Bo Xilai der Chef der Kommunistischen Partei (KP) in der größten Stadt Chinas Chongqing. Er war nicht nur in Chongqing beliebt bei der Bevölkerung und gefürchtet bei seinen Rivalen. Er war auch einer der mächtigsten Männer Chinas. Viele Beobachter haben einen weiteren Aufstieg Bos in die höchste Etage der Partei- und Staatsführung vorhergesagt.
Letztes Jahr wurde Bo jedoch plötzlich entmachtet, seiner Ämter enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. In diesem September wurde er dann für Bestechlichkeit, Korruption und Machtmissbrauch zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Frau war letztes Jahr bereits wegen Mordes zum Tod verurteilt worden, darf aber vermutlich ebenfalls eine lebenslange Haft absitzen.
In den Medien wurde die neue Partei, die sich für einen gerechten Prozess gegen Bo Xilai einsetzt und diesen zum Vorsitzenden in Abwesenheit ernannt hat, bereits als Bo Xilai-Partei interpretiert. Aber ist die neue Partei der Verfassungshoheit tatsächlich nur ein Bo-Fanclub oder ist sie doch mehr als das?
Die neue Partei im Kontext des Einparteiensystems
In den Medien (unten sind die Links zu den wichtigsten Quellen) in Deutschland und weltweit wird die Gründung der neuen Partei mit von einigen Stimmen bereits mit Vorbehalten begrüßt. Till Fähnders schreibt für die faz ganz richtig:
"Wenn jemand in China eine neue Partei gründet, dann lässt sich das nur als ein Akt gegen das bestehende politische System interpretieren. Denn außer ein paar untergeordneten Blockparteien zählt in China nur die Kommunistische Partei."Chinas bestehendes politisches System ist eine staatskapitalistische Einparteienherrschaft. Die Kommunistische Partei Chinas ist die herrschende Partei in diesem System. Mit einer kommunistischen, klassenlosen Gesellschaft hat die chinesische Gesellschaft aber nur gemeinsam, dass die kapitalistische Klassengesellschaft in China genauso wie die klassenlose Gesellschaft eine Gesellschaft ist... Ansonsten sind Chinas Gesellschaft und die noch nicht reale kommunistische Gesellschaft so verschieden wie Tag und Nacht. Oder wie Staatskapitalismus und Kommunismus...
Die acht kleineren "demokratischen Parteien", sind Blockparteien wie es sie in der DDR gab. Sie sind in Wirklichkeit weder wirklich demokratisch, noch wirkliche Parteien. Sie vertreten zwar die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen, aber sie bilden keinerlei Opposition zur Einparteienherrschaft der KP Chinas.
Nun stellt sich die Frage, in wiefern die Zhixiandang eine oppositionelle Partei darstellen wird. Die Blockparteien wurden wie die KP Chinas vor der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 gegründet. Bis dahin waren sie eigenständige Parteien. Nach 1949 sind sie zu Marionetten der KP geworden.
Alle anderen Parteien wurden seither in China früher oder später unterdrückt. Das berühmteste Beispiel ist die Demokratische Partei Chinas. Sie wurde 1998 von chinesischen Liberalen offiziell gegründet und bald darauf verboten. Ihre Mitglieder wurden durch Verhaftungen und Gefängnishaft bestraft. Die Partei existiert in den USA als Exilgruppe weiter. Sie hat sicher noch unzählige Sympathisanten in China, aber von großer Bedeutung ist sie wohl nicht.
Es gibt sicherlich noch andere Gruppen, die man als illegale Parteien oder parteiähnliche Organisationen begreifen kann. Aber sie arbeiten im Untergrund oder verdeckt innerhalb der KP Chinas. Gruppen wie die religiöse Meditationssekte Falun Gong werden verfolgt und terrorisiert.
Wenn nun also eine Wirtschaftsprofessorin an einer renommierten Universität lauthals die Gründung einer Partei zur Einhaltung der chinesischen Verfassung proklamiert und auch noch den kürzlich entthronten und verurteilten Bo Xilai verteidigt und zum Ehrenvorsitzenden der neuen Partei erklärt, ahnt man, dass merkwürdige Dinge vor sich gehen in China. Hat Frau Wang Zheng den Verstand verloren oder hat sie noch ein Ass im Ärmel?
Die Parteigründerin Wang Zheng über die neue Partei
Außerdem soll sie auf die anfangs geringe Mitgliederschaft der KP Chinas bei ihrer chinaweiten Gründung 1921 verwiesen haben. Die Mitgliederzahl der neuen Partei übersteige die Mitgliederzahl der damaligen KP bereits. Abgesehen davon, dass das nicht stimmt, weil die KP bei ihrer Gründung über 50 Mitglieder hatte und die Verfassungspartei nur etwas mehr als ein Dutzend Gründungsmitglieder habe, konnte Wang Zheng noch keine genaueren Zahlen über neue Mitglieder und Sympathisanten seit der Gründung am 6. November nennen.
Den Prozess gegen Bo Xilai hält sie nicht für einen verfassungskonformen Prozess, sondern für einen politischen Schauprozess. Daher sei eine politische Lösung dieses Falles nötig. Außerdem hält sie Bo Xilai für einen Sozialisten, der sich von den anderen Führungsköpfen in China unterscheide. Als bekennender Sozialist und Parteichef in Chongqing habe er die Verfassung befolgt, die China zu einer sozialistischen Gesellschaft erkläre.
Anders als Bo Xilai hätten die anderen politischen Führer das Ideal der Gleichheit mittlerweile vergessen. "In China gibt es eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich. Einige sind sehr reich, einige sehr arm. Aber Bo Xilai hat Chongqings Geldmittel genutzt, um das Leben der gewöhnlichen Massen zu bessern", lobt Wang den entmachteten Populisten. Allerdings sei die neue Partei keine Bo Xilai-Partei, betont sie. Bo Xilai wurde zum Vorsitzenden ernannt, um der Partei eine populäre Symbolfigur zu liefern. Es geht demnach nicht um die politische oder private Person Bo, sondern um den juristischen Fall Bo.
Obwohl Wang Zheng den Vergleich zur einst revolutionären KP zog und die Zhixiandang als politisches Mittel zur Lösung des politischen Schauprozesses von Bo Xilai und seiner Frau sieht, betont sie dennoch, dass sie nicht gegen die Einparteiherrschaft sei.
Sie finde auch die bereits bestehende Verfassung der Volksrepublik gut. Aber die Gesetze werden nicht konsequent umgesetzt. Für Wang stellt sich also die Frage, ob ihre neue Partei helfen kann, die Verfassungshoheit zu realisieren. In der Verfassung wird betont, dass niemand über den Gesetzen stehe. Zugleich ist die "Führungsrolle" der KPCh gesetzlich verankert und sie wird faktisch immer wieder gegen Gesetze geltend gemacht, wenn es die Interessen der Herrschenden gebieten.
Es stellt sich die Frage nach dem Potenzial der neuen verfassungszentrierten Partei, die Führungsrolle der egozentrierten Kommunistischen Partei herausfordern zu können.
Die Gründung der neuen Partei als erster Test für die neue Führung des chinesischen Staatskapitalismus
Die noch frischen Nachfolger von Ex-Präsident Hu Jintao und Ex-Regierungschef Wen Jiabao müssen Kopfschmerzen gehabt haben in diesen Tagen. Xi Jinping und Li Keqiang sind erst seit einem Jahr Staatschef bzw. Regierungschef und müssen sich überlegen, ob sie demnächst als relativ liberale "Reformer" oder als verachtenswerte "Hardliner" betrachtet werden wollen.
Das Plenum des ca. 200 Mann starken Zentralkomitees hat bereits einschneidende Reformen in Wirtschaft und Verwaltung angekündigt. Die Frage ist nicht wirklich, ob diese Reformen einschneidend sein werden. Das ist kaum zu erwarten. Fähnders, der Ostasien-Korrespondent der faz, schreibt denn auch: "Eine völlig neue Wirtschaftspolitik wird auch bei den Profiteuren des chinesischen Staatskapitalismus auf Gegenwehr stoßen."
Die Profiteure des chinesischen Staatskapitalismus sind vor allem die herrschenden Bürokraten im Partei- und Regierungsapparat und die Großkapitalisten, die mit ihnen verbündet oder vermischt sind. Aber auch große Teile der Mittelschichten haben bislang von Chinas autoritärem Kapitalismus wirtschaftlich profitiert und dafür ihre politische Freiheit verkauft. Sogar gewisse Schichten der Arbeiterschaft fühlen sich dem Staat aufgrund seiner staatlichen Transferleistungen und Vergünstigungen zu Loyalität verpflichtet. Außerdem fürchten nicht wenige Chinesen ein Auseinanderbrechen ihres Nationalstaates.
Die Frage ist also weniger, ob es radikale Reformen von oben geben wird. Es ist eher zu fragen, ob die KP in Zukunft noch immer plump auf offene Unterdrückung neuer Parteien setzen wird oder ob sie sie auf geschickte Weise in gewissem Rahmen gewähren lässt.
Hier wie versprochen die Links zu den einschlägigen Artikeln:
faz, Stern, Zeit, SZ, Berliner Zeitung, N24, BBC, the guardian, New York Times, Taiwan News, China Daily.