"In vino veritas", im Wein liegt die Wahrheit, heißt es spätestens seit den alten Römern. Stimmt das? Zeigt der Alkohol das wahre Wesen eines Menschen? Wird die Natur eines Menschen durch sein Lallen und Torkeln im betrunkenen Zustand offenbart? Oder ist Alkohol nicht das reinste Teufelszeug, das auch gesittete Menschen zu Teufeln machen kann? Es gibt die verschiedensten Ansichten über die Alkohol-Frage. Im Folgenden einige Überlegungen dazu.
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Bacchus und sein Wein |
Alkoholismus
Die Alkoholiker können ohne den Alkohol nicht mehr leben, wie es scheint. Täglich wird gesoffen, was das Zeug hält, nur um der Realität ohne Alkohol zu entfliehen und in die wohlig-warme alkoholische Realität zu flüchten. Die Welt ist ein böser, schlechter, unseglicher Ort. Der Alkohol erlöst den Trunkenbold von diesem irdischen Jammertal. Der himmlische Rausch ersetzt dem "Alk-Teufel" (酒鬼), wie die Chinesen den Alkoholiker nennen, die Hoffnung auf Erlösung im Himmel. Er braucht kein Gebet, keine Tugend, keine Liebe. Er braucht einzig und allein das fröhlich-feuchte Ritual des Saufens, um
Bacchus-
Dionysos zu frönen.
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Bacchus, lauter nackte Gestalten und der Wein |
Was der Alk-Teufel aber nicht begriffen hat, ist die millionenfach erwiesene Tatsache, dass die Götter dieses Ritual nur zu feierlichen Anlässen wünschen. Alkoholismus, die Religion des Alkoholikers, ist nicht die Verehrung des Rausch-Gottes Dionysos, sondern nur eine Karikatur oder Real-Satire des göttlichen Rausches. Während uns Dionysos den festlichen Rausch als Belohnung zuspricht, werden wir vom fanatischen Rausch bestraft. Der Lohn für den Rausch ist ausgelassene Stimmung, Wagemut, Geselligkeit und Stärkung des
dionysisch-libidinösen Triebes. Bacchus wird nicht umsonst oft entblößt in Gegenwart nackter Schönheiten dargestellt.
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Bacchus und eine beschwipste Dame |
Die Strafe für übertriebenen Rausch sind allerdings Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Trägheit, Gestank, daraus folgende Isolation und Vernichtung aller
Lebenskräfte. Dafür ist kein anderer als der bösartige Widerpart des Bacchus verantwortlich.
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Satyr guckt verschmitzt drein |
Die böse Variante des Rausch-Gottes ist der Rausch-Teufel,
Satyr. Satyr liebt den übertriebenen Rausch und lockt den Alkoholiker mit falschen Versprechungen. Unter dem Einfluss des Satyr wird der gelegentliche Rausch zum Dauerrausch und das dionysische Fest zu einem satyrischen Trauerspiel. Der Alkoholiker erliegt so einem Teufel und er weiß es ganz genau. Der Alkohol ist wie
ein dämonischer Liebhaber oder eine Verführerin, die das immer wieder schwach gewordene Opfer in den unausweichlichen Ruin stürzt. Der Mensch unterwirft sich so im Grunde einer Form des
Vampirismus. Seine Lebenskräfte werden ausgesaugt, nur um dem schönen Rausch zu erliegen.
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Die Vampirella und ihr Opfer |
Aber ohne Hilfe kommt er nicht mehr aus diesem Schlamassel heraus. Denn Dionysos straft jene, die sich gegen ihn versündigen, indem er mit der Macht des Dionysischen ihre Vernunft völlig abstellt und seinen bösen Schergen Satyr gewähren lässt. Nur Disziplinierung von außen kann den Alkoholiker aus seiner Hölle erretten.
Anti-Alkoholismus
Mit Hilfe verständiger Menschen kann der Alkohol-Teufel vertrieben werden und der Alkohol als das begriffen werden, was er ist: Teufelszeug! Alkoholentzug und strikte Abstinenz für alle Zeiten sind die üblichen Methoden, um den Alki vom diesem Teufelszeug dauerhaft zu befreien. Allerdings muss der nun für immer auf den Rausch verzichten, da er für gewöhnlich sofort rückfällig wird und Bacchus ihn wiederum hart bestraft mit Entzug aller Verstandeskräfte.
Auch deswegen ist es in vielen Ideologien eine Sünde, dem Alkohol überhaupt zu frönen. Der Alkohol gilt praktisch immer als Teufelszeug und wird entsprechend gemieden. In den verschiedensten metaphysischen Religionen, aber auch in den Alltagsreligionen wie im Anti-Alkoholismus, in der Rohkost-Diät oder in der
Bewegung des "Straight Edge" wird der Alkohol wie die Pest gemieden.
Die absolute Ablehnung des Alkohols ist die zweite extreme Haltung gegenüber dem Ethanol. Sie ist gesundheitlich unbedingt dem Alkoholismus vorzuziehen und passt vorzüglich zu einer gesunden Lebenshaltung ebenso wie zu
Tugendterror, Moralismus und Puritanismus. Ein Puritaner-Leben ist aber oft
öde und wenig attraktiv. Deswegen gibt es eine weitere extreme Haltung zum Alkohol, die viel angenehmer und verbreiteter ist als Alkoholismus und Anti-Alkoholismus.
Party-Alkoholismus
Die Party-Jugend von heute ist radikal. Sehr radikal sogar. Sie packt zwar nicht die gesellschaftlichen Übel an den Wurzeln. Sie denkt auch nicht besonders weit. Aber sie ist radikal besoffen, am Wochenende. Heutzutage saufen sich schon Kinder und Jugendliche mit Alko-Pops, Bier, Energy-Schnaps-Mischgetränken, Wein und purem Schnaps ins Koma. Die gemäßigte Form davon ist der wöchentliche Party-Alkoholismus. Das ist der Radikalismus der Party-Jugend.
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richtiges Opfer |
Während unter der Woche relativ wenig "Wässerchen" gesoffen wird, wie die Russen ihren Schnaps liebevoll nennen, wird am Wochenende umso mehr zugelangt. Wer nicht mehr gerade gehen kann, lallt und beim Tanzen keinerlei Scham und Anstand zeigt, hat es geschafft! Der hat das tägliche Pensum eines Alkoholikers an einem kurzen Abend intus und kann dabei auch noch abfeiern. Yeah! Wie cool ... nicht. Eigentlich sind die Party-Alkoholiker die reinsten Opfer des Kapitalismus. Ihre Religion ist nicht der Alkohol und nicht Satyr, dafür aber ist es
das dionysische Götzentum des Konsums.
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richtige Opfer |
Das Objekt der Verehrung der heutigen Party-Jugend ist nicht die bessere Welt der 68er und heutigen Linken und nicht die Traumwelt der Alkoholiker und Computerspielefreaks, Nerds und Geeks. Verehrt wird vielmehr der Status Quo. Die heutige Freizeit-Generation lebt für die Freizeit, in der sie frei konsumieren kann, was ihnen der Kapitalismus bietet. Der Kapitalismus bietet das neueste ultra-stylische Handy, das krasseste Ballerspiel und die witzigsten Komödien? Konsumiert. Der Kapitalismus bietet Urlaub auf Mallorca? Konsumiert. Der Kapitalismus bietet einen fetten BMW mit Sitzheizung und Rückenmassage? Konsumiert. Der Kapitalismus bietet heute einen individualistischen Lifestyle und individuelle Wahlmöglichkeiten an, die sich keine Generation zuvor auch nur im Traum vorstellen konnte. Die Party-Jugend wird überhäuft mit Wahlmöglichkeiten. Und sie reizt diese Wahlmöglichkeiten bis zum Ende aus. Man lebt ja nur ein Mal.
YOLO!
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Party-Alkoholiker |
Das wäre ja zunächst einmal nicht schlimm. Das Problem daran ist, dass die Freiheit im Rahmen des kapitalistischen Konsumbetriebs doch sehr begrenzt ist. Konsumiert wird nur, was zuvor produziert wurde. Produziert wird aber nur, was sich für das Kapital rentiert. Für das Kapital rentiert sich bei den Konsumgütern aber vor allem billige und gesundheitsschädliche Produktion und Konsumtion. Daher gibt es einen Döner-Skandal nach dem anderen, die von Skandalen um giftiges Milchpulver und Spielzeug, BSE-Rinder, verseuchten Thunfisch, pestizidbelastetes Obst und Gemüse usw. gefolgt werden. Die Jugend nimmt diese Missstände hin, weil sie völlig unfähig ist, ihr Schicksal als Kollektivschicksal zu begreifen, gegen das nur kollektiv angegangen werden kann. Die Party-Jugend ist eine durch und durch
atomisierte Jugend, obwohl sie sich in Cliquen und Netzwerken zusammenfindet und der bacchantischen Geselligkeit frönt. Die Atomisierung der Jugend und ihre reale Ohnmacht lassen ihr keine andere "Wahl" als die lächerliche Beschränkung auf das Feierabend- und Wochenend-Leben. Was bleibt dieser Jugend denn sonst noch? Im grandiosen Film
The Fight Club wird nicht umsonst gesagt:
"Ich sehe soviel Potential, wie es vergeudet wird! Herrgott noch mal, eine ganze Generation zapft Benzin! Räumt Tische ab! Schuftet als Schreibtisch-Sklaven! Durch die Werbung sind wir heiß auf Klamotten und Autos… Machen Jobs, die wir hassen! Kaufen dann Scheiße, die wir nicht brauchen! Wir sind die Zweitgeborenen der Geschichte, Leute… Männer ohne Zweck, ohne Ziel! Wir haben keinen großen Krieg! Keine große Depression! Unser großer Krieg ist ein spiritueller… Unsere große Depression ist unser Leben… Wir wurden durch das Fernsehen aufgezogen in dem Glauben, dass wir alle irgendwann mal Millionäre werden, Filmgötter, Rockstars… Werden wir aber nicht! Und das wird uns langsam klar!"
Die heutige Jugend merkt, dass ihr trotz immenser Freizeit und Wahlfreiheit im Konsum nicht viel vergönnt ist. Die Jungen merken, dass ihr Leben nicht das Leben der großen Helden und Stars ist, dass sie bloß Zahnräder in der kapitalistischen Maschinerie sind und dass sie keine glänzende Perspektive haben, wenn es so weiter geht. Ihnen ist die Hoffnung genommen worden. Die früheren Generationen, die Väter-und-Mütter-Generation und die Generation des Kalten Krieges, haben versagt. Sie haben ihren Kindern und Kindeskindern eine geschmacklose, gedankenlose, gewissenlose Welt hinterlassen, in der sogar sich als "Sozialdemokraten" verstehende Politiker total asoziale und antidemokratische Politik machen.
Das sehen die meisten Jugendlichen. Sie sind völlig desillusioniert von den großen Ideen, Erzählungen und Entwürfen. Liberalismus, Konservatismus, Marxismus, Öko-Aktivismus und Tier- und Menschenrechtlerei - das sind Begriffe, mit denen die heutige Jugend nur sehr bedingt etwas anfangen kann. Sie sind skeptisch, um nicht zu sagen: nihilistisch und relativistisch. Es gibt für sie keine verbindlichen Werte, keine großen Ideale. Es gibt für sie nur das große Reste-Fressen. Was die Herrschenden ihnen hinwerfen, das essen sie. Und sie sind auch noch dankbar für diese Reste, dankbar wie die dressierten Hunde eines sadistischen Herrchens. Unsere Herrchen sind die Herren dieser Welt, Mr. Capital und Mme Policy.
Der Party-Alkoholismus ist also einfach nur der jämmerlichste Ausdruck des Elends in der ersten Welt, diesem Jammertal der wohlhabenderen Teile des Planeten. Er ist gerechtfertigt und eine verständliche Reaktion. Aber diese Reaktion ist im Grunde nicht fortschrittlich, sondern in der Tat reaktionär. Denn es ist eine reaktionäre Flucht in das Hirngespinst eines tollen Lebens am Wochenende, während der Rest der Woche einfach scheiße ist. Hochgerechnet auf das gesamte Leben ist das eine ziemlich deprimierende Aussicht, weshalb auch so viele Menschen heute depressiv sind, selbst wenn sie Party machen und scheinbar noch ganz aufgeweckt sind. Diese ganz normale Depression und die Unfähigkeit des ziel- und bedeutungslosen Menschenvolkes, mit seinem Los angemessen umzugehen, ist das Schicksal der heutigen Jugend. Worunter sie leidet ist: Alexithymie, die Unfähigkeit, mit sich und anderen Menschen angemessen emotional und kommunikativ umzugehen. Es ist eine erlernte Gleichgültigkeit oder erlernte Hilflosigkeit, wie die Depression oft auch genannt wird. Die Jugend hat demnach gelernt, dass sie nichts Großes und Großartiges erreichen kann, was ziemlich ernüchternd ist gerade für junge Menschen, die ja eigentlich voller Hoffnungen und Träume sein sollten. Aber bei den Älteren sieht es auch nicht viel besser aus.
Alltagsalkoholismus
Zwar ist der alltägliche Alkoholkonsum der deprimierten Bevölkerung an sich nicht unbedingt schlimm. Es kommt ja bei allem auf das Maß an. Aber der gesellschaftlich akzeptierte Alltagsalkoholismus ist dennoch ein Problem. Denn er ist ein Ausdruck für die selbe alexithymische Verzweiflung wie bei den offenen Alkoholikern und den Party-Alkoholikern. Der alltägliche Konsument von Alkohol ist mehrheitlich ein Mitglied der unteren oder mittleren Schichten. Nicht, dass die oberen Schichten auf Alkohol verzichten, aber sie sind zahlenmäßig einfach unerheblich. Die meisten Menschen gehören den unteren und mittleren Schichten an. Viele von ihnen arbeiten lohnabhängig, einige aber auch als Kleinunternehmer oder gehobene Arbeiter mit Angestelltenstatus.
Arbeitslose, Unterbeschäftigte, Vollbeschäftigte im Lohnsystem und Kleinunternehmer teilen zum Einen die Eigenschaft, dass sie den Alkohol zum großen Teil konsumieren, um Stress abzubauen. Zum Anderen teilen sie die Abhängigkeit vom kapitalistischen Markt, der für Dauerstress verantwortlich ist. Der Dauerstress hält die Menschen auf Trab und schwächt ihre Widerstandskraft, sowohl körperlich als auch geistig. Denn wer den ganzen Tag von den Anforderungen der Arbeitsgesellschaft drangsaliert wird und nicht viel Freizeit hat, muss mit seiner Freizeit zur Ruhe verwenden. Die Menschen kommen also täglich gereizt und entnervt mit etwas Glück zu ihrer Freizeit. In dieser Zeit wollen die meisten gewiss nicht auch noch politisch oder sonderlich intellektuell und emotional arbeiten. Daher ist für die meisten das abendliche Bier eine unumgängliche Routine.
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die Bier trinkende Biergeoisie |
Gleichzeitig schädigt dieser Zustand das zwischenmenschliche Leben oft. Viel zu viele Menschen sehen in ihrer Freizeit fern oder sitzen vor dem Rechner, um ihrem Geist den Rest zu geben. So werden die Menschen in ihrer Arbeitszeit zu Maschinen und in ihrer Freizeit zu Zombies. Abgesehen davon konsumieren sie den ganzen ungesunden Scheiß und ihre körpereigenen Abwehrkräfte werden durch den Dauerstress auch minimiert. Die Menschen sind vom Kapitalismus zu Verdummung und Verkümmerung verdammt.
Natürlich hat der Alkohol auch im Alltag, auch ohne Feste, eine gesellige Funktion im Sinne der bacchantischen Philosophie. Der leichte Rausch des Biers hilft vielen Menschen, den Stress abendlich zu vermindern und zusammen zu finden. Der Alkohol hat daher im Leben vieler Menschen eine wichtige soziale Funktion, die nicht zu unterschätzen ist.
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Prost! 干杯!На здоровье! |