Donnerstag, 26. Dezember 2013

"Tote Arbeit", die tötet (Serie: Gefahren der technokratischen Revolution, Teil 3)

"Am 29. August 1997 endeten drei Milliarden Leben. Die Überlebenden des nuklearen Feuers nannten den Krieg den Tag des jüngsten Gerichts. Sie überlebten nur, um sich einem neuen Alptraum gegenüberzustehen: dem Krieg gegen die Maschinen."

Ein unkontrollierbares System


Der Rückständigkeit sei dank hat sich dieses Schreckensszenario im Action-Film "Terminator 2" bisher nicht bewahrheitet. Die Bedrohungen der Menschheit durch unkontrollierbare Technologien bestehen aber noch immer und werden sogar Jahr für Jahr gefährlicher. Denn der Kapitalismus konnte bisher keine Lösung für die größten gesellschaftlichen Probleme bieten.

Wie denn auch? Ist doch der Kapitalismus die Wurzel aller Probleme in der heutigen Klassengesellschaft. Er kann diese Probleme bisher nicht lösen. Der Kapitalismus vertieft diese sogar, weil er ein uneinheitliches, unberechenbares und unkontrollierbares System darstellt. Dieses System übernimmt im Gegenteil mehr und mehr die Kontrolle, über uns, unser Leben, unsere Arbeit, unser Denken. Kapitalismus ist das Brot und die Religion der heutigen Menschen.

Der Kapitalismus ist ein System, worin ein abstraktes, absurdes und amoralisches Prinzip das konkrete, sinnerfüllte und moralische Leben der Menschen beherrscht. Dieses Prinzip kann man das Prinzip des wirtschaftlichen Gewinns oder der Profitmaximierung nennen.

Der Gewinn als Prinzip der Wirtschaft ist eine fremde Macht gegenüber der Gesellschaft. Die Menschen bestimmen nicht mehr bewusst, wie sie ihre Gesellschaft haben wollen, sondern erliegen ihrem eigenen System. Dieses Prinzip leitet alle gesellschaftlichen Bereiche. Deswegen investieren die Kapitalisten immer weiter in ihre Unternehmen, kürzen Löhne, verpesten die Umwelt, führen Kriege und gründen oder zerstören ganze Staaten. Deswegen wird produziert, gewirtschaftet, kooperiert und konkurriert. Deswegen werden Politik, Wissenschaft, Religion und Kunst betrieben. Marx nennt dieses Prinzip auch die "Selbstverwertung des Werts" oder "Akkumulation um der Akkumulation willen", um den Automatismus dieses Prinzips zu betonen. Nicht mehr Menschen entscheiden für sich. An sich entscheidet dieses Prinzip für sie.

Ohne die Akkumulation von Geld, die zu mehr Geldakkumulation zwingt, würde ein Großteil des gesellschaftlichen Lebens im Kapitalismus zusammenbrechen. Deswegen beugen sich ganze Staaten und sogar die freidenkenden Wissenschaftler und Künstler letztlich der Geldmacherei. Das ist die Expansion des Kapitals in alle gesellschaftlichen Bereiche. Diese Expansion prägt nicht zuletzt auch den zentralen Bereich des Arbeitslebens. Sie macht aus den Produkten und Waren der Menschen "tote Arbeit", die letztlich sogar tötet.

Lebendige und tote Arbeit

Dylan A.T. Miner, Damos Gracias (Wal-Muerto), 
2007, relief print on recycled grocery bag. 
(Image courtesy of the artist.)

Das Arbeitsleben der meisten Menschen dominiert ihre anderen Lebensbereiche. Für die meisten Menschen
ist ihre Arbeit zwar eine trostlose, geistlose und perspektivlose Angelegenheit. Die arbeitenden Menschen unter uns stumpfen beim karrieristischen Spießrutenlauf entsprechend ab. Aber sie erhoffen sich dennoch eine lebendiges und anregende Perspektive fürs Leben. Die Arbeit kann sie ihnen aber oft nicht bieten.

Ihr Glück suchen sie daher meist mit größerem Erfolg in der Freizeit. Auch wenn sie das nicht davor schützt, zu Zombies zu mutieren, die ihr Leben lang unreflektiert durch die Welt schleichen, ist die Freizeit vieler Menschen der Beweis dafür, dass sie irgendwie doch lebendig sind. Das könnte man bezweifeln, wenn man ihre untoten Gesichter morgens um halb acht in der Bahn erinnert, aber glaubt mir ruhig, dass diese Leute wie sämtliche Menschen lebendige Arbeit verrichten.

Das Cover für das Album 
"Living For Dead Labor" 
Arbeit wird sogar und gerade von diesen gelangweilten Wochenendexistenzen als totlangweilige Pflicht begriffen. Deswegen sehen ihre Gesichter so emotions- und geistlos aus. Deswegen ist dieses Leben für sie ein abstraktes, sinnentleertes und letztlich unmoralisches Dasein. Es ändert jedoch nichts daran, dass sogar die geistlos wirkenden Menschen oft quicklebendige Liebhaber und clamheimliche Philosophen sind. Und das ändert nichts daran, dass Arbeit immer "lebendige Arbeit" ist.

"Lebendige Arbeit" macht als Begriff nur Sinn, wenn sie als Gegensatz zu etwas begriffen wird. Der Gegensatz zur lebendigen Arbeit ist die "tote Arbeit". Auf kulturkritik.net gibt es einen Artikel, der den Begriff erklärt:

"Mit dem Begriff 'Tote Arbeit' soll dargestellt sein, dass es ein Produkt der Arbeit gibt, welches alles Leben verlassen hat, welches als tote Macht über das Leben der Menschen herrscht. Hierin fällt die wertmäßige Repräsentanz der Arbeitsproduktivität als Geldbesitz zusammen mit der politischen Allgemeinheit eines entäußerten Willens als immanentes Sollen des Wertwachstums, das sich vom Wirtschaftswachstum und seiner natürlichen Geschichte, der Geschichte der Produktivkraft der Arbeit gelöst hat, letztlich gegen das Leben, gegen die Bedürfnisse von Mensch und Natur richtet. Diese Identität drückt der Begriff von toter Arbeit aus: In ihr gibt es nichts Lebendes, sondern alleine fremde Macht, eines Verwertungstriebs, der eine wirklich fremde Kraft hat."

Im Grunde ist das nur ein Verweis auf Marx, der den Begriff geprägt hat. In seinem Meisterwerk, Das Kapital, schreibt er über die "tote Arbeit":

"Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampirmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt."

Die "verstorbne Arbeit" wird also bestimmender und bestimmt schließlich für die Menschen an sich. Für sich selbst verlieren die Meschen das Selbstbewusstsein und die Selbstkontrolle. Sie geben es ab an den blinden Willen ihres eigenen Produkts und ihrer eigenen Verhältnisse. Bei Marx wurde auch dieser Prozess schon erwähnt. Laut Marx können die Verhältnisse, in denen die Menschen produzieren, ab einem gewissen Punkt über ihren Kopf wachsen und "von ihrem Willen" unabhängig werden:

"In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen."

Die "tote Arbeit" macht sich somit von der lebendigen Arbeit unabhängig und gewinnt eine eigene Automatik und Logik. Auf katy-teubner.de gibt es eine für uns hier nützliche Darstellung des Gegensatzes von lebendiger und toter Arbeit. Das System toter Arbeit übernimmt demnach die Kontrolle über die lebendige Arbeit:

"Die lebendige Arbeit, der Arbeitsprozess, steht der Übermacht der toten Arbeit (Maschinen, das gesellschaftliche Produktionsverhältnis, Geld, der Staat) gegenüber. Spezifisch tritt die lebendige Arbeit in kurzen Zeitabschnitten hervor (aktives Berufsleben), im Gegensatz zu der toten Arbeit mit langen Perioden (eine Maschine kann durchaus mehrere Generationen 'überleben'). Die Masse der toten Arbeit ist in derUnterdrückerklasse, die die einseitige Arbeit verrichtet (funktionieren wie eine Maschine, s.o.). Allerdings kann sich keine Klasse als Besitzer der toten Arbeit bezeichnen. Es findet ein permanenter Kampf um Anteilhabe an der toten Arbeit statt. Er äußert sich beispielsweise in Streiks. Dann findet eine zeitliche Trennung zwischen den beiden Arbeitsarten statt, denn ohne tote Arbeit für sich allein produziert nicht (sonst wäre eine Maschine ein „Perpetuum mobile“). Der Widerspruch ergibt sich nun darin, dass durch die unterschiedlichen Produktionszeiten die Wechselbeziehung zwischen der lebendigen und toten Arbeit für den Einzelnen nicht erfahrbar ist und somit der politische Anspruch der Ökonomie der Arbeitskraft nicht gegeben ist (s.o.). Dieser Widerspruch betrifft das gesamte politische Grundverhältnis einer Gesellschaft."

Der Kampf gegen die "tote Arbeit"


Tote Arbeit ist demnach etwas, "das keinen Sinn hat, aber alles bestimmt, was Sinn macht." Tote Arbeit sei die "Grundlage für den bürgerlichen Staat und die bürgerliche Kultur". Bürgerlicher Staat und bürgerliche Kultur machen Sinn, aber sie sind da für die Profitmaxierung, die keinen Sinn macht. Sogar das Rationale wird von diesem irrationalen Prinzip beherrscht. Auch "Vernunft" und Wissenschaft unterwerfen sich ihm. Der Widerspruch zwischen sinnvollen bürgerlichen Errungenschaften und dem sinnlosen kapitalistischen Prinzip wird so immer krasser.

Und dieser Widerspruch ist grenzenlos, solange es den Kapitalismus als globales System gibt. Die tote Arbeit bemächtigt sich immer mehr unseres Lebens. Wir werden von unserem eigens produzierten Gegenstand zum bloßen Gegenstand degradiert. Die kapitalistische Maschinerie macht uns zu Maschinen. Maschinen kennen keine Moral, keine Solidarität und keine Leidenschaft. Sie werden programmiert und führen bis zu ihrer Verschrottung widerstandslos Befehle aus. Dieser Horrorzukunft nähern wir uns in großen Schritten an. 

Allerdings gibt es noch immer einen Kampf zwischen den beiden Prinzipien, zwischen Leben und Tod. Es kommt zu Widerstand gegen die tote Arbeit. Die Sache ist noch nicht entschieden. Die Zuspitzung der internationalen Konkurrenz führt weiterhin zu Verelendung und Ohnmacht auf der einen Seite und zu mehr Reichtum und Macht auf der anderen Seite. Die leidenden Massen der Bevölkerung wehren sich zwar in regelmäßig ausbrechenden Massenbewegungen und -protesten. Aber bisher wurden revolutionäre Erhebungen immer wieder von der Staatsmacht unterdrückt. Die Technik ist dabei nur ein Mittel im Kampf dieser beiden Seiten.

Wissenschaft und Technik sind im Kapitalismus einerseits dem Bewusstsein und Interesse der Herrschenden unterworfen und damit teils steuerbar. Andererseits sind sie der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen. Aber weder der Staat noch der Markt können die Technik kontrollieren.

Die Technik droht vielmehr, sich zu verselbständigen, da das Resultat am Ende offen ist. Wir wissen nicht, ob es einen Atomkrieg geben wird, ob die Killermaschinen der Zukunft sich gegen die gesamte Menschheit wenden oder ob die Gentechnik die Menschheit auslöschen wird. Was wir aber jetzt schon wissen können ist, dass die Technik den Herrschenden dient.

Und wir können ahnen, dass diese unkontrollierte Technokratie einer demokratischen Kontrolle durch die ganze Gesellschaft bedarf. Eine solche demokratisch kontrollierte Technik könnte allen Menschen dienen. Dafür brauchen wir aber eine Demokratisierung von Staat und Wirtschaft, die den Kern unseres Systems in Frage stellen würde, das kapitalistische Prinzip und die tote Arbeit als Herr der Welt.

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