Dienstag, 8. April 2014

Sookee - "Lila Samt"

Teil 9 der Serie über deutschen Rap mit gewissen Ansprüchen. Diesmal wie in Teil 4 wieder über Sookee - und ihr neues Album "Lila Samt".

Album-Cover zu "Lila Samt".
Sookee, Bild von ???
Sookees neues Album "Lila Samt" erschien am 07. April 2014. "Lila Samt" verblüfft und enttäuscht zugleich, denn einerseits bleibt es auf dem unwahrscheinlich hohen Niveau, das typisch für Sookee ist, und es übertrifft andererseits nicht wirklich das Niveau des vorigen Albums "Bitches Butches Dykes & Divas". Insofern kann Mensch also mit "Lila Samt" typische Sookee-Mucke genießen.


Die "Intro"


Wenn man das Album von vorne bis hinten durchhört, wird man positiv überrascht. Denn die "Intro" ist bereits ein äußerst starkes Stück! Ein tranceartiger Rhythmus führt die Hörerschaft in eine lila-samtene Traumwelt, sofern die Hörerschaft die Augen schließt und sich von der Musik treiben lässt:

Ich tauch ein wie zwishen shenkel dieser traum findet niemals ein ende
Wabern zerfasern reich wieder hände sook wop will liebe entgrenzen
Vielleicht das ultimative ich genieß die momente
Alles gute und liebe wie wenn ich briefe beende
Shwäche und stärke sind keineswegs gegensatz shöpf neue lebenskraft
Ein gruß geht ins jenseits oder wohin auch immer connece is shemenhaft
Ich shieb tragik beiseite lass zeit und raum für entwicklung
Erarbeite freiheit vertrau genau dieser richtung

"Lass mich mal machen" (feat. form)


Sookee. Bild von: Flox Schoch.
Mit form hat Sookee mal wieder eine feine Kollaboration gebracht, in der es um Identitäten, Machismus in der (linken) Szene und Hip Hop geht. Der Track lässt sich wie so viele Stücke von Sookee wunderbar in Dauerschleife hören, wobei die kritische Message immer deutlicher werden sollte. Allerdings ist die postmoderne Anschauung hier allzu offenbar und daher ein wenig störend, wie z.B. auch schon in Tracks wie "Lernprozess 2".



"If I had a"


Auch "If I had a" ist stark postmodernistisch gefärbt. Das macht den ganzen Track einerseits enorm witzig und andererseits sehr erzieherisch. Mann wird das Gefühl nicht los, dass es hierbei vor allem um die Aufklärung der Männerwelt geht. Die Machos mögen den Track in Dauerschleife hören, um die "Erwartungen und Bilder" zu hinterfragen, "wie ein Schwanz sein muss" und ob "das Leistungsprinzip", das von beschwanzten Menschen gefordert wird, sinnvoll ist. Das machistische Schwänzeln soll durch ein gechilltes Schwänzen ausgetauscht werden: 
If i had a dick ich würd ihn lustig benenn
Versuchen zu shützen vor all dem druck und zwängen
Den erwartungen und bildern wie ein shwanz angeblich sein muss
Wie er zu funktionieren hat und wo er überall rein muss
... 
Aber das gequatshe über härter länger tiefer gagging gangbabanger
Ist alles dumme sheiße maskulisten wollen männer ändern
Er hätt kein bock auf machtspiele kein bockj auf hassliebe
Mein dick könnt erhobenen hauptes ab und an flachliegen
If i had a dick ich würd ihm ne mütze stricken
Ob mit dick puss händen dildos alle sollen nur glücklich ficken

"Menschen sind komisch" 


"Menschen sind komisch" ist zwar nicht so witzig, aber deutlich stärker. Denn zum Einen werden die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten in der heutigen Gesellschaft ebenso gut kritisiert wie in "If I had a", aber zugleich weniger in der Form eines postmodernen Erziehungsdiktats - man möge uns den Begriff verzeihen - verpackt. Auch ist der Beat kraftvoll und energisch. Der Track ist schön anzuhören, leicht verständlich und macht gute Laune. Sookee auf höchstem Niveau!

"Wenngleich zuweilen" (feat. Amewu)


"Wenngleich zuweilen" ist ein ultrageiles Feature mit Amewu. Musik, Stimmen und Inhalt passen absolut perfekt zusammen und müssen alles und jede/n beeindrucken. Sowohl Sookee wie auch Amewu sind hier absolut spitzenmäßig. Allerdings muss Mensch genau hinhören, was ausgesagt wird. Dauerschleife lohnt auch hier!

"Die Kirche"


"Die Kirche" ist ebenso amüsant wie aggressiv und boshaft. Im Grunde ist es ein Spottlied gegenüber irgendeinem Anderen, vermutlich einem Mann. Wäre klar, dass irgend ein rechtsgerichteter Bauer oder CSU-Wähler gemeint ist, hätte es dem Lied nicht geschadet. In der Abstraktheit des Liedes aber erinnert es fatal an die typisch postmoderne Überheblichkeit, mit der linke, liberale, konservative, rechte, religidiotische und unpolitische Kontrahenten der Deleuze- oder Foucault-Anhänger*innenschaft konfrontiert und verwirrt werden. Inhaltlich ist der Track damit eher schwach.

"Who owns Hip Hop" (feat. Shirlette Ammons)


"Who owns Hip Hop" kommt leider nicht an den unfassbar guten "NK2NC", die andere Kollaboration mit Shirlette Ammons, heran. Und der Track wird zwar klar von Ammons dominiert, aber immerhin der zweite Part von Sookee in "Who owns Hip Hop" ist richtig stark:

Und jetzt zu mir wessen stimme erheb ich
Weiße uni deutsher pass doch geistig immer beweglich
Ich streue lila glitzer auf die früchte shwarzen widerstands
Die frage ist was ich kartoffel hiphop bieten kann
Also in dem sinne dass ich immer nur gast bin
Hiphop gehört mir nicht das ist sinnloser shwachsinn
Ich beobacht das noch genauer sobald ich dafür kraft find
Solang gestalten wir hiphop respektvoll lassen ihn wachsen
Es geht nicht darum dass manche hautfarben es mehr draufhaben
Sondern darum das weiße gekauft oder geklaut haben
Miley und robin twerken auf marvin gayes beat
Wer teilt hiphop mit wem weil diese frage nahe liegt

"Emoshit & Hippietum"


"Emoshit & Hippietum" ist eines der stärksten Lieder von Sookee. Es ist ein inhaltlich sehr schönes und relativ schnelles Lied, aber kein Stück aggressiv. Vielleicht ist es der Ausgleich für den inhaltlich schwachen, langsamen und ziemlich aggressiven Track "Die Kirche"? Ironischer Weise kommt gerade "Die Kirche" etwas dogmatisch rüber, während "Emoshit & Hippietum" wie ein gebetsähnliches Kirchenlied wirkt:

Liebe für zerbrechlichkeit rücksicht und gerechtigkeit
Liebe für kein zeitgefühl die erste oder letzte sein
Die oberen sind abgeshöpft liebe für den rest der bleibt
Liebe für entshleunigung ruhe und vergessenheit
Liebe für shweiß tränen sheitern und verstehen
Sogar liebe für sysiphos kein grund nicht weiterzugehen
Liebe für füreinander miteinander voneinander lernen
Keine liebe für die die nur kommen und sich beshweren
Liebe für viele perspektiven für den regenbogen
Liebe dafür frieden zu shließen für geglättete wogen
Liebe für entshuldigung für fehlerfreundlichkeit
Liebe für ermutigung leben ist nicht leicht
Liebe für jedes textblatt dafür dass ihr den text echt macht
Liebe dafür dass jede realität recht hat
Liebe dafür sich mitzuteilen bin ich mit all dem verständlich
Liebe für jedes urteil das ausbleibt nach diesem bekenntnis

"Kraftlos" und "Immer wenn es weh tut"


"Kraftlos" ist eine feine Ballade, die verdächtig nach den energischen Tracks von Tic Tac Toe und anderen Hofgesängen klingt. Das gilt auch für "Immer wenn es weh tut". Ist das ein Zufall? Mensch weiß es nicht. Aber ein Vergleich von Sookees "Kraftlos" und Tic Tac Toes "Keine Ahnung" oder "Warum" dürfte veranschaulichen, was gemeint ist. Auch Sookees "Emoshit & Hippietum", "Siebenmeilenhighheels", "Deine Hände" oder "Aua" könnten irgendwie an "Isch liebe disch" von Tic Tac Toe, "Keine ist" von Sabrina Setlur, "Sie sieht mich nicht" von Xavier Naidoo oder Tuas "Dein Lächeln" erinnern. "Kraftlos" ist in dieser Reihe der Hiphop-Balladen anzusiedeln. Klügere Köpfe mögen das bestätigen oder widerlegen.

"SLPC", "Links außen" und "Frauen mit Sternchen"


"SLPC und "Frauen mit Sternchen" sind technisch besonders stark und inhaltlich bemerkenswert. "Links außen" ist inhaltlich herausragend, aber auch vom Stil her anders als die meisten von Sookees Stücken, da Ben Dana und der Irié Revolté-Sänger Mal Élevé hier dominieren.

"Vorläufiger Abschiedsbrief" 


"Vorläufiger Abschiedsbrief" stellt eine Attacke gegen das Rap-Business und -Establishment dar. Die homophoben, sexistischen und pseudo-gangsta Raps werden hier schön auseinandergenommen. Allerdings ist auch hier wieder die aggressive Reaktion auf die machistische Kultur in Alltag und Medien nicht zu ignorieren. Im Grunde ist es ein Diss-Track, der dem kritisierten Machismus nicht völlig unähnlich ist. Sookee hat einige solcher Diss-Tracks, die manchmal mehr links, manchmal mehr postmodern sind. Oft sind sie deutlich schwächer als Stücke wie "Pro Homo", "Schluss jetzt", "Zeckenrapsupport", "Siebenmeilenhighheels", "Menschen sind komisch", "Bitches Butches Dykes & Divas" oder "SLPC", die Sookee zu den besten Rapper*innen in Deutschland machen.