Politik und Politikverdrossenheit
Ein Großteil der Weltbevölkerung ist politikverdrossen. In Deutschland ist das Problem seit vielen Jahren bekannt. Die Leute haben keinen Bock mehr auf Politik. Sie erwarten von ihr nichts mehr. Oder sie erwarten, nur noch verarscht zu werden. Fast allen Menschen ist klar, das Politik ein dreckiges Geschäft ist, in dem man sich kaum mit Ruhm bekleckern kann, aber mit viel Schmutz. Die real existierende Politik ist moralisch verkommen und intellektuell bankrott. Sie ist unredlich und verlogen. Sie dient ganz offenbar nicht den Interessen der Weltbevölkerung, sondern einer verschwindend winzigen Minderheit. Die 99% stehen gegen 1%, zu dem die politische und wirtschaftliche Elite der Welt gehört. Die Elite ist unser Feind. Wir sind der Feind der Elite. Das wissen die meisten von uns und daher kümmern wir uns meist nicht um das, was die da oben machen.
Politik und Politisierung
Obwohl ein Großteil der Bevölkerung zum großen Teil politikverdrossen ist, ist doch nie die ganze Bevölkerung ganz politikverdrossen. Irgendjemand will bestimmt auch in der tiefsten Umnachtung noch Politik machen. Und das ist kaum zu vermeiden. Leute sind ja noch nicht völlig kontrollierbar, sondern bloß manipulierbar. Das wissen auch die politischen und wirtschaftlichen Eliten, deren Privilegien von Politik abhängen.
Da die Bevölkerung nicht völlig kontrolliert werden kann, muss sie zumindest in Schach gehalten und in gewissem Rahmen gelenkt werden. Sie muss, wenn sie zu verdrossen ist, wieder für Politik mobilisiert werden. Politisierung ist also ein politisches Mittel der Politiker, um ihre Ziele zu erreichen. Die Ziele sind vor allem ein hohes Gehalt, eine gesicherte Rente, Bankkonten in der Schweiz, Ruhm und Ehre, Macht, Weltherrschaft usw. Das Übliche eben. Andererseits können einige Ziele auch realen Menschen außerhalb des Politikbetriebs angehören.
Politisierung funktioniert deswegen, weil den Menschen nichts anderes übrig bleibt als sich mit Politik zu beschäftigen. Wenn sie extrem ausgenommen und verarscht werden, müssen sie irgendwann das kleinere Übel wählen, damit es nicht noch schlimmer wird. Protest-Wähler wählen dann auch mal Parteien und Politiker am Rande des Establishments, also okkulte, spiritualistische, knallrechte oder völlig absurde Wahlmöglichkeiten wie die FDP und die AfD. Andere wählen aus grotesken Gründen solche Parteien wie die CDU, die Grünen oder die SPD, die sich mehr oder weniger sozial und demokratisch geben, um ihren antisozialen und elitären Charakter zu tarnen. Manche wählen vielleicht auch wirklich demokratische und soziale Parteien wie DIE LINKE.
Die Medien helfen den Eliten für gewöhnlich aber dabei, dass nicht allzu viele Wähler die Linkspartei wählen. Sie erwähnen sie seltener. Sie machen sie lächerlich. Sie gehen nicht auf ihre Inhalte ein. Wenn sie sie erwähnen, dann meist mit negativer Konnotation oder mit Konzentration auf das Unpolitische. Politiker anderer Parteien werden dagegen weit mehr thematisiert, ernst genommen und gefeiert. Und selbst wenn die Politik oder der Stil der nicht-linken Politiker kritisiert wird, dann lenkt es dennoch von den Inhalten der Linkspartei ab. Denn DIE LINKE kann nur punkten, wenn man sich ernsthaft mit ihren Positionen auseinandersetzt, während Merkel auch dann schon punktet, wenn man Mitleid für sie hat oder sich über sie aufregt, nur um dann niemanden mehr zu wählen. Nicht-Wählen stärkt die rechten und elitären Parteien, weil deren Wähler auch dann wählen, wenn gute Leute aus Protest nicht wählen. Politikverdrossenheit kann also den Hass und die Massenverachtung in der Politik schüren. Aber es geht auch anders.
Erich Fromm |
Liebenswerte Politik ist politisierte Liebe
Erich Fromm hat in seinem Klassiker Die Kunst des Liebens den Kern der Sache getroffen. Der Marxist hat in seinen Büchern die kranke Natur des Kapitalismus und des durchschnittlichen Lebens trefflich und verständlich herausgearbeitet.
So schrieb er über die Politikverdrossenheit der Menschen:
Ein Satz ist besonders eindeutig, was Politik im Kapitalismus und die Liebe angeht:
Fromm sagt also, es gibt zwei Prinzipien, die sich gegenseitig ausschließen. Der Kapitalismus ist der Feind aller Liebe. Er ist ein liebloses, kaltes System "toter Arbeit", die die Liebesfähigkeit der Menschen unterdrückt und in Zynismus und Nihilismus verwandelt. Wo auch immer Liebe auftaucht, da stört der Kapitalismus den oder die Liebenden daran, die Liebe zu verwirklichen.
So schrieb er über die Politikverdrossenheit der Menschen:
"Tatsächlich steckt er [Zynismus] hinter der Auffassung des Durchschnittsbürgers, der das Gefühl hat: 'Ich wäre ja recht gern ein guter Christ - aber wenn ich damit ernst machte, müßte ich verhungern.' Dieser 'Radikalismus' läuft aber auf einen moralischen Nihilismus hinaus. Ein solcher 'radikaler Denker' ist genau wie der Durchschnittsbürger ein liebesunfähiger Automat, und der einzige Unterschied zwischen beiden ist der, daß letzterer es nicht merkt, während ersterer es weiß und darin eine 'historische Notwendigkeit' sieht. Ich bin der Überzeugung, daß die absolute Unvereinbarkeit von Liebe und 'normalem' Leben nur in einem abstrakten Sinn richtig ist."
Ein Satz ist besonders eindeutig, was Politik im Kapitalismus und die Liebe angeht:
"Unvereinbar miteinander sind das der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zugrunde liegende Prinzip und das Prinzip der Liebe."
Auch deswegen ist heute die romantische Vorstellung von Liebe in den Liebesfilmen so attraktiv. Im echten Leben ist so eine Liebe so gut wie unmöglich. Sie wird immer wieder von den Realitäten zunichte gemacht. Hegel sagte: "der Konflikt zwischen der Poesie des Herzens und der entgegenstehenden Prosa der Verhältnisse sowie dem Zufalle äußerer Umstände" sei typisch für die moderne Kunst in der kapitalistischen Gesellschaft.
Hegel hatte Recht. Denn in den Liebesfilmen wird nur aufgegriffen, was sich die durchschnittlichen Bürger der bürgerlichen Gesellschaft bloß erträumen oder eben in Form von Kunst genießen können. Die "Prosa der Verhältnisse", das graue alltägliche Leben, zieht auch die höchsten Höhenflüge der Liebe in den graubraunen Sumpf des kapitalistischen Alltags. Dieser Alltag besteht aus monotoner Arbeit, monotoner Freizeit und illusionären Träumen. Es ist doch absolut natürlich und menschlich, dass die Leute dann zu Drogen, Gewalt, Kriminalität, Hass, Zerstörung und Selbstzerstörung greifen, um in solch einem prosaischen Leben ihre eigene Lyrik auszudrücken. Allerdings wäre es wiederum zynisch und nihilistisch, diesen status quo einfach hinzunehmen. Es ist ein inakzeptabler und absolut bekämpfenswerter Zustand.
Wer will, dass seine oder ihre Kinder in so einer gottlosen und gottverdammten Welt aufwachsen müssen? Gibt es völlig gewissenlose Maschinen, denen es gleichgültig ist, wie ihre Nachfahren leben müssen? Schämen sich diese Menschen nicht, wenn sie existieren? Wahrscheinlich gibt es völlig verkommene Kreaturen, denen all das egal ist. Es sind lebende Tote oder "Cyborgs der Maschinerie" (Cr7z), die daher keine Moral und keine Scham kennen. Sie machen einfach.
So machen sie auch Politik. Die Politik für solche Menschen und von solchen Menschen ist Politik in den Abgrund, Politik in die Selbstauslöschung, Politik, deren Damoklesschwert nicht nur über das seelische Überleben der Menschlichkeit, sondern auch über das physische Überleben der Menschheit urteilt. Fromm drückte das so aus: "Zum ersten Mal in der Geschichte hängt das physische Überleben der Menschheit von einer radikalen Veränderung des Herzens ab." Radikale Veränderung des Herzens? Yoga? Meditation? Ja, auch. Aber es geht vor allem darum, die eigene Einstellung zum Leben radikal zu ändern, indem das "Wesen des Menschen" anders aufgefasst wird als bisher:
"Das Wesen der Liebe zu analysieren, heißt ihr allgemeines Fehlen heute aufzuzeigen und an den gesellschaftlichen Bedingungen Kritik zu üben, die dafür verantwortlich sind. Der Glaube an die Möglichkeit der Liebe als einer individuellen Ausnahmeerscheinung ist ein rationaler Glaube, der sich auf die Einsicht in das wahre Wesen des Menschen gründet."
"Liebe braucht keine Motive, Liebe ist Motivation".
Liebe ist Motivation. Liebe treibt Menschen wirklich an. Fromm sagt "Liebe ist eine Aktivität und kein passiver Affekt. Sie ist etwas, das man in sich entwickelt, nicht etwas, dem man verfällt." Fromm geht noch weiter. Er reduziert Liebe nicht auf die erotisch-sexuelle Liebe, sondern versteht sie weit umfassender. Fromm insistiert darauf, "daß sie in allen ihren Formen stets folgende Grundelemente enthält: Fürsorge, Verantwortungsgefühl, Achtung vor dem anderen und Erkenntnis." Eine Definition Fromms von Liebe ist besonders beachtenswert:
"Liebe ist die tätige Sorge für das Leben und das Wachstum dessen, was wir lieben."
Es gibt natürlich auch andere Motive und andere Motivationen, aber im Grunde handelt jeder Mensch mehr oder weniger aus Liebe und Motivation. Sogar die schlechtesten Menschen sind im Grunde von einer Abart der Liebe getrieben. Auch in diesen Menschen steckt irgendwo, so darf man annehmen, ein guter und liebenswerter Kern, denn sie sind Menschen, selbst wenn sie "Zombies" oder "Cyborgs" der kapitalistischen Maschine sind.
Auch der jämmerlichste Nazi-Köter ist trotz seiner Unbarmherzigkeit im Geiste ein kleines Kind, das nur gedrückt und geliebt werden will. Aber keiner liebt Nazis. Deswegen hat man keine Toleranz für Nazis und keinen Sex mit Nazis. Da hilft ihnen ihr "Schrei nach Liebe" (Die Ärzte) auch wenig. Nazis sollen aufhören, Nazis zu sein. Dann kuschelt man auch mehr mit ihnen. Natürlich "kuscheln" Nazis auch viel miteinander. Es soll ja auch eine homosexuelle Untergrund-Szene im Nazi-Untergrund geben, in der sich Menschen ganz besonders nach Liebe sehnen und vielleicht auch deswegen Nazis geworden sind, weil unsere Gesellschaft sie diskriminiert. Aber das "Kuscheln" von Nazis ist natürlich nicht wirkliches Kuscheln, sondern bloß die Imitation zärtlicher Verhaltensweisen, damit sie sich nicht wie die völligen Schwachköpfe und lieblosen Zombies fühlen, die sie sind. Jedenfalls sehnen sich auch Nazis in ihrem tiefsten Inneren nach einer liebenswerten Politik und nach politisierter Liebe.
Liebenswerte Politik und politisierte Liebe sind im Grunde das selbe. Solche Politik und Liebe sind der "Geist einer Gesellschaft, die zum Mittelpunkt Personen hat" (Fromm). Aber da solch eine Gesellschaft noch fern ist, müssen Politik und Liebe darauf hinarbeiten, die gewünschte Gesellschaft zu erreichen. Politik und Liebe gehören untrennbar zusammen, sofern man liebenswerte Politik machen will, sofern man als Politiker und Nicht-Politiker geliebt werden will.
Aber erst die "menschliche Gesellschaft" (Marx) ist eine Gesellschaft, die von liebenswerter Politik und politisierter Liebe dominiert wird. Bis dahin ist es noch weit. Bis dahin werden wohl noch viele ultrarechte, konservative, liberale, linksliberale, GroKo-mäßige und pseudosozialistische Regierungen gestürzt. Erst eine Regierung, die im Grunde schon keine Regierung mehr ist, weil sie nicht mehr systematisch unterdrückt und ausbeutet, wird eine liebenswerte Regierung sein, die auf eine liebenswerte Gesellschaft zusteuert, indem sie die Liebe politisiert und liebenswerte Politik macht. Sowas gab es bisher nur sehr selten. Und immer, wenn es das gab, wurde der Versuch niedergemacht von hasserfüllten Menschen...
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