Was sagt der Mann selber? Marek Lieberberg korrigiert die Darstellung der Medien über ihn und Naidoo:
Lieberberg: Ich distanziere mich überhaupt nicht von Xavier Naidoo. Das habe ich auch nie in irgendeiner Form geäußert. Er ist mein Künstler, mit dem ich seit mehr als zwanzig Jahren sehr vertrauensvoll und freundschaftlich kooperiere. Den ich nach wie vor sehr schätze, mit dem ich gerne weiter zusammenarbeite. Es wurden Dinge völlig aus dem Zusammenhang gerissen und in einen neuen Kontext gestellt. Und meine klaren Antworten falsch interpretiert.
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Ich habe mich an gewissen Textstellen gerieben. "Muslime tragen den neuen Judenstern", diese Aussage hat mich irritiert. Weil Xavier eine nach meiner Auffassung falsche Parallele zog.
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Wir haben in aller Ruhe und Freundschaft darüber diskutiert. Er hat meine Meinung zur Kenntnis genommen. Aber er sieht die Welt mit seinen Augen und seinem Glauben. Und er verspürt eine Verpflichtung, seine Wahrnehmung zum Ausdruck zu bringen. Er hat sich auf ermordete Muslime bezogen, seine Ansicht begründet er mit Forderungen des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der ja jüngst eine Kennzeichnung von Muslimen gefordert hat. Xavier und ich finden in diesem Punkt möglicherweise zu keinem Konsens. Aber es ändert nichts an meiner Gewissheit, dass Xavier weder homophob noch anti-jüdisch oder antisemitisch ist. Ja, es gibt einige wenige ambivalente Textstellen, z.B. als Xavier Naidoo in "Raus aus dem Reichstag" sang, dass "Baron Totschild" den Ton angibt.
Aber auch innerhalb der Linkspartei und innerhalb linker Kreise wird Xavier Naidoo teils genauso platt betrachtet. Welche linken Kreise sind das? Eher die wohlsituierten, nicht-migrantischen, weißen, biodeutschen und an politischer Karriere orientierten Genossen und Genossinnen. Oder Linksradikale, Autonome, sogenannte "Antinationale" und theoretisch wenig geschulte Menschen, die bauchlinks sind, aber nicht couragiert genug, um jemanden wie Naidoo vor Verleumdung zu verteidigen. Man hetzt lieber mit, so als würde das die Popularität der Linken stärken. Man passt sich den herrschenden Ideen an, man biedert sich an. Das funktionierte schon 1914. Damals biederte sich die noch linke SPD den Herrschenden an und stimmte für die Kriegskredite. Nur die wirklich gut geschulten und proletarisch orientierten Milieus in der SPD bekämpften diesen Opportunismus. Heute gibt es nicht einmal solch eine Opposition von links, die eine neue linke Partei gründen könnte, wie etwa damals Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und ihre engsten Genossen und Genossinnen. Heute gibt es zwar die Linkspartei, die sich prinzipiell gegen den Krieg stellt, die aber von Kriegsfreunden und heimlichen SPD-Anhängern infiltriert ist und sich nicht traut, eine mutige und konsequente Friedensbewegung aufzubauen. Einige Teile dieser Partei wollen unbedingt regierungsfähig werden und Mehrheiten gewinnen, ohne den Kapitalismus dabei zu bekämpfen. Und sie geben die dominanten Ideen innerhalb der linken Szene in Deutschland vor. Damit prägen sie auch den linken Flügel der Linkspartei und die Gruppen links von dieser Partei, also die Linksradikalen und Marxistinnen.
Auch die besser geschulten Marxisten haben Abscheu vor Menschen wie Naidoo oder Ken Jebsen, die beide eine diffuse, linkspopulistische Kritik an der heutigen Gesellschaft und Politik formulieren und eine uneindeutige Perspektive fördern. Sie verkörpern eine Mischung aus Popularität und linker Kritik, die breite Massen erfassen kann. Das ist daher der Linkspopulismus, vor dem die Herrschneden in Europa große Angst haben müssen. Während der Rechtspopulismus nämlich keine Lösung bieten kann für die gesellschaftlichen Probleme und den Kapitalismus nicht ernsthaft angreifen kann, außer mit einem ausufernden Krieg vielleicht, kann der Populismus von links beides leisten, sofern er die Massen wirklich erfasst und von einer intelligenten Strategie begleitet wird. Die Ideen der Herrschenden würden einem linkspopulistischen Projekt schnell weichen, wenn die Linke im Land nicht so elitär, konservativ und sektiererisch wäre wie sie leider momentan noch ist. Unglücklicherweise verzichtet die deutsche Linke auf den Kampf um die Hegemonie.
Das Tragische ist dabei, dass gerade in einer Zeit, in der die Vernetzung von Teilen des Staates mit den Neonazis von der NSU immer offensichtlicher wird, in der die Hetze gegen Geflüchtete, gegen die Russen, Griechen, Moslems etc. eine lange nicht mehr gesehene Zuspitzung erfährt, sogar Antikapitalisten zu bewussten und unbewussten Anhängern der herrschenden Meinungen werden. Lächerlich wird es, wenn biodeutsche Parteimitglieder einer Partei, die Kriegstreiber und SPD-Liebhaber duldet, und die den Mittelschichten entstammen - ganz gleich, wie links sie vorgeben zu sein - gerade einem Pedram Shahyar, einem Ken Jebsen oder einem Xavier Naidoo - alle mit migrantischen Hintergrund und linkspopulistisch und friedenspolitisch engagiert - unterstellen, Rassisten, Neurechte oder Querfrontler zu sein. "Ist es nicht die eigentliche Krise, dass man sich auf seine eigenen Leute nicht mehr verlassen kann?", fragte Ken Jebsen mit Bezug auf die deutsche Linke. Ja, das ist die eigentliche Krise. Stimmt, lieber Ken.
Die Hetze ist gewaltig im Schlande - und es ist Zeit, ihr etwas entgegenzusetzen, was über die linken Minizirkel hinausgeht: Eine populäre Massenbewegung, die sich gegen Krieg, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und den Kapitalismus als Ganzes stellt. Solange die Linke sich nicht von den Ideen der Herrschenden löst, wird sie diese Aufgabe nicht lösen können. Aber wenn das Herz links schlägt, dann stirbt auch die Hoffnung in die Linke zuletzt.