Sonntag, 10. November 2013

Tua

Tua ist ein Russe für sich, der die deutsche Sprache besser nutzt als der Deutsche an sich. Als solcher entspricht er einigen Klischees als Russe, aber ist kaum in eine Schublade zu schieben. Deutschrapper mit Anspruch, Teil 3.

Russische Melancholie, Elektro und Sprechgesang


Seine Musik bietet uns einerseits solche Titel wie "Vodka Beat" oder "Dein Lächeln", in denen er das Wasser des Russen an sich als Musikinstrument benutzt oder der Trennung von einer russischen Schönheit wehleidig nachtrauert wie Onegin seiner Tatjana...

Andererseits werden in Tracks wie "Die Stadt", "Szene in der Wüste", "Es regnet" "Strassen dieser Erde" oder "Bei dir" (alle zusammen mit Vasee) die Grenzen zwischen Musikrichtungen durchbrochen. Tua ist ein Rapper, aber seine Musik ist nicht als Rap einzuordnen. Man könnte sie auch in die Schubladen von Techno oder Liedermacherei schieben. Jedenfalls ist er schwer einzuordnen. Dennoch gibt es einige charakteristische Merkmale seines Schaffens.

"Grau"


Der graue Liebesbrief an dieses graue Leben


Das Album "Grau" ist heftig. Tua ist schon allein deswegen unsterblich geworden, weil er uns dieses Album geschenkt hat. Es ist derart ergreifend wie wenige Alben, zumal im Rap.

Der erste Track des Albums ist "Es regnet". Regenplätschern, eine russische Melodie, epischer Frauengesang und desillusionierter Sprechgesang vermischen sich zu einem stimmigen Kunstwerk. Tua ist weniger textlastig als Disarstar oder JAW, aber wo er Text hat, steht er der Melancholie dieser beiden in nichts nach. Tua lädt mit diesem Lied in seine verregnete Welt ein:
Kannst du den Wind sehn, er wirbelt Zeug umher
Keine Leute mehr, meine Straße bleibt für heute leer
Komm geh ein Stück mit mir, ich kann die ein paar Sachen zeigen
Lass versuchen wach zu bleiben bis die Nacht vorbei is
Der Sprechgesang wird in der Mitte des Liedes unterbrochen. Der Bruch erfolgt durch eine kritische Stimme aus meiner Jugend. In Liedern können Kinderstimmen furchtbar Angst einflößend oder erhebend sein. Die Kinderstimme in "Es regnet" schafft beides. Man bekommt Gänsehaut. Aber man denkt zugleich an die Erhabenheit des kindlichen Weltbildes. Zitiert wird da Momo aus dem gleichnamigen Film. Im Film geht es um die prosaische Realität der modernen Welt, die vom Weltbild des Mädchens Momo konfrontiert wird. Aber Momo erklärt uns hier keine naiven kindlichen Gedanken, sondern das allgemeine Elend des modernen Menschen:
Man fühlt sich immer missmutiger, immer leerer im Inneren
Immer unzufriedener mit sich und der Welt
Die ganze Welt kommt einem fremd vor
Und geht einen nichts mehr an
Es gibt keinen Zorn mehr, und keine Begeisterung
Man kann sich nicht mehr freuen und nicht mehr trauern
Man verlernt das Lachen und das Weinen
Dann ist es kalt geworden in einem
Und man kann Nichts und Niemanden mehr lieb haben
Dann hört nach und nach sogar dieses Gefühl auf
Und man fühlt gar nichts mehr
Man wird ganz gleichgültig und grau
"Für immer" geht in die selbe Richtung. Es handelt von Dingen, die man besser nicht hätte tun oder sagen sollen. Mit Kool Savas hat Tua einen fantastischen Track mit dem Titel "Problem" geschaffen. Tua rappt darin:
Ich trampel 'ne Runde rum auf allem woran ich glaub
Die anderen auch, bis sich das ganze verwandelt in Rauch
Herzlichen Glückwunsch zum Ende der Welt!
Ich fühl mich wie wenn's dir gut geht, dann fick du dich selbst!
Ich schreib einen grauen Liebesbrief an dieses Leben
Und dreh mich um, um zu sehen, ob sich jemand dreht, um mich zu sehen
"Unter Druck" ist hektisch, denn das Thema ist Stress und Hektik im grauen Alltag, aus dem man unbedingt raus will. Die Verpflichtungen überfordern. Der Schuldenberg wächst. Die Zeit läuft. Das Leben schwindet dahin. Und man weiß es. Aber der Stress kann sich nicht entladen. Also kommt man unter Druck. Die Hektik des Stücks reißt einen mit. Man fühlt sich als hätte man 5 Tassen Kaffee hintereinander runtergespült.

 In "Bilder" bringt er uns üble Schicksale näher, die er nicht vergessen kann:
Oder ich kenne dieses kleine Mädchen und ihr Vater hat sie nur gehau'n
Und ihre Mutter war gestorben, als sie drei war,
er war jeden Tag nur über über blau. Sie dann auch,
an dem Bauch, an den Augen, den Beinen und den Armen auch
Man ich seh' diese Bilder Tag ein und Tag aus.
Shit, ich mal sie dir auf
Die Geschichten, die er erzählt, zeugen von der absurden Dummheit der Menschen. Sie leiden an sich selbst, helfen sich nur nicht selbst. Aber trotz der grauen Welt, die Tua beschreibt, gibt es auch bei ihm Lichtblicke. Denn die Bilder, die man nicht mehr vergisst, können trotz allem eine Lehre sein:
Sie bleiben ein Leben lang sie haben großen Willen
Sie sind Erfahrungen aus denen man lernt
Wenn man sie sehen kann sei es auch bloß im Schmerz
Sind sie doch Wahrheit aus denen man lernt
"Ohne Titel" toppt die depressive Stimmung aller Stücke von Tua. Es geht um eine Abtreibung und die zerstörerischen Folgen für das Leben für die Frau, die abtrieb. Es geht auch um die gefühllose Behandlung der Frau durch das lyrische Ich. Was für eine vernichtende Atmosphäre hier geschaffen wird!

Aufmunterung


"Bruder" und "War der Tag nicht dein Freund" sind zur Aufmunterung da. Den letzteren Track könnte man stundenlang wochenlang hören, da der wunderschöne Text perfekt zur musikalischen Untermalung passt:
Wir kriegen es so wie wir es glauben, nicht so wie wir es wollen
Also glaub an was du willst, aber glaub dran, was du willst
Und hab ein' Traum weil er dir hilft
Und wenn sie Mauern bauen, dann lass uns Treppen bauen
Man lass versuchen in den Himmel statt den Dreck zu schau'n
"Viktor" ist einfach ein Klavierstück ohne Stimme und zeigt wie weit Tuas musikalisches Talent geht. Auch "Nachtschattengewächs" hat irgendwie aufmunternde Wirkung, auch wenn dieser Track von einer klaustrophobischen Stimmung dominiert wird. "Endpunkt" bildet einen krönenden Abschluss des Albums. Man fühlt sich versetzt auf die berühmte Weggabelung, an der der richtige Pfad links ausgeschildert ist und der falsche Pfad rechts. Man denkt sich nach einer Minute vom Track: jetzt tue ich endlich, was ich tun muss! Man spürt Tuas Warnung. Das Problem ist, dass der Track über acht Minuten lang langsam ausläuft und die Melodie dahin führt, dass man die Warnung am Anfang schon wieder verdrängt hat.

Die Frau für sich


Es ist typisch für den wehleidigen Russen an sich, dass er die "Frau für sich" idealisiert und mit den süßesten Worten in den Himmel lobt, während er wie ein Teufel einen Wodka nach dem anderen wegkippt. Das trifft natürlich nur auf den klischeehaften Russen an sich zu. Der Russe für sich macht es wie Tua. Er besingt in Elegien wie "Dein Lächeln" den Verlust einer Beziehung, der er im Nachhinein nachweint:


Ich hab’ verloren, Ich hab’ dich besiegt
Alles bricht zusammen jetzt,
Wo ich nicht mehr lüg’
Diese Freiheit ist ein Scheißdreck wert
Zu spät, es einzuseh’n
Und dein Lächeln lacht mich aus, jetzt, wo du gehst
Und dein Lächeln lacht mich aus, jetzt, wo du gehst

Offenbar gab es beim lyrischen Ich einen Konflikt mit der Frau, den er wohl im Streit gewonnen hat. Das lyrische Ich hat sie offenbar auch angelogen, um sich seine Freiheiten zu sichern. Erst nach der Trennung wird aber klar, wie wertlos diese Freiheiten waren. Die Sehnsucht nach der verlorenen Liebe steigt auf, während die verlorene Liebe darüber zynisch lacht. Tua hat einiger solcher melancholischer Lieder. "Dein Lächeln" ist sicherlich das eindringlichste.

"MDMA" steht für "magst du mich auch?". Es ist weniger elegisch als "Dein Lächeln", eher eine gerappte Liebeserklärung:
Du bist ein Traum. Ich finde Frieden wegen dir,
Tiefsinn wegen dir, Liebe wegen dir, Süße
Du lässt die Fragen verschwinden und schenkst mir all den Sinn
Wegen dir beiß ich die Zähne zusammen, alles halb so schlimm
Und ich hab all die guten Gefühle im Bauch
Ich frag mich nur, Süße, magst du mich auch?

Tua und Vasee


Mit Vasee zusammen hat Tua einige ebenso gute Songs geschaffen. In "Bei dir" wird etwa hundert Mal wiederholt, wie das lyrische Ich "bei dir" bleibt, "was auch immer du tust". Eigentlich eine sehr schlichte Methode. Aber sie haut rein. Wer richtig geile Boxen daheim hat, kann die Selbsthypnose durch diesen Song sicherlich voll und ganz auskosten. Vielleicht hilft das ja in der Liebe?

"Die Stadt" hat dagegen starke gesellschaftskritische Untertöne, z.B. im Widerspruch zum blinden Wachstumsdrang unserer Wirtschaft:

Wir haben einen Komplex errichtet
Der leider zu komplex für uns ist
Wenn man Wachstum zu seiner einzigen Gottheit macht
Dann wächst man ins Nichts

Aber auch die Frage der Ungleichheit wird thematisiert:

Unsere Stadt hat keine Grenzen mehr
Außer Arm und Reich

Auch "Strassen dieser Erde" ist eine globale Kritik an der Gesellschaft, wie schon der Titel vermuten lässt. Das Lied nutzt nicht nur das obergeile Lied "Streets of Philadelphia" von Bruce Springsteen als Hintergrundmusik, sondern transportiert auch eine humanistische Kritik am Elend auf den Straßen dieser Welt.

Die Orsons


Mit Maeckes, Kaas und Bartek ist Tua Teil von den Orsons. Zusammen haben sie einige ziemlich coole Tracks verfasst. Es reicht aber schon, wenn man von ihnen "Jetzt" ein einziges Mal hört. Wer dann von dieser Gruppe nicht überzeugt ist, ist entweder taub oder dumm. Vor allem der Part von Tua ist genial, unschlagbar, bombastisch:
Ich lauf mit dem Überkater die endlose Vorstadt entlang
Zwischen gelben Feldern, es ist irgendwo, irgendwann
Ohne genaues Ziel, völlig verlor'n
In Gedanken wie man innere Leere nich einfach loslassen kann
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so alt werd'
Weil: Mitte 20 fühlte ich schon meine Halbwertszeit
Ich berühre das Gras nur um zu prüfen, ob ich was spür'
Und ob ich noch lebe, noch fühle wie früher
Ob das noch da ist
Die Sonne färbt sich langsam rot
Komisch, gerade noch dacht' ich doch sie stand ganz oben
Wie die Tage vergeh'n
Denk ich und
Bieg ab in einen unendlichen, kerzengeraden Weg








Fazit


Tua hat als Russe für sich und für uns großartige Texte gemacht. Er thematisiert den Einzelnen, die Liebe, die Menschheit, und die Menschlichkeit - und die negativen Varianten: den Vereinzelten, die enttäuschte Liebe, die verkommene Menschheit und die verlorene Menschlichkeit. Er macht all das, während er mit und ohne Wodka-Flaschen beeindruckende Musik herbeizaubert.




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