Montag, 15. Februar 2016

Tödliche Langeweile und "sterbende Zeit"


Fast jeder Mensch kennt die tödliche Langeweile.  Man ist unterfordert oder überfordert und weiß nicht, was mit sich anzustellen ist. Das ist nicht nur geist- und nervtötend. Es ist in der Tat auch ungesund, geradezu tödlich. Eine 3sat-Doku berichtet darüber.

Die Lösung für das Problem kann für die meisten Menschen vermutlich nicht innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft gefunden werden. Denn der Kapitalismus kann seine Gier nach Profit nicht abstellen. Aus dieser folgen immer wieder die physische und psychische Zerstörung menschlichen Lebens, Tierquälerei und Umweltzerstörung. Bescheuerte Tätigkeiten, die von Maschinen erledigt werden sollten, werden von Arbeitern erledigt, weil sie billiger als Maschinen sind. Dass dafür vierzig, fünfzig oder noch mehr volle Jahre draufgehen, ist das Leid des typischen Proleten. Er lebt vor allem für die blinden (Ge)Triebe des Kapitals und vergisst dabei die eigenen Bedürfnisse, sofern sie über das Routineprogramm hinausgehen. Damit wird er zum bloßen Anhängsel der kapitalistischen Maschinerie.

Leo Kofler, ein Humanist und Faschismus-Flüchtling aus Ostgalizien, sprach in diesem Zusammenhang von der "sterbenden Zeit". So würdigt Kofler, dass andere scharfsinnige Beobachter bemerkt hätten,

"daß die wichtigste Zeit im Leben des Arbeiters, die Arbeitszeit, eine 'sterbende Zeit' ist. Sie ist unschöpferisch und von Langweile erfüllt, so daß auf den Europäischen Gesprächen der Gewerkschaften in Recklinghausen Kasnacich-Schmid unter Zitierung von Walter Rathenau sagen konnte: 
'Das Arbeitsleid ist eine sehr reale Gegebenheit. Wer mechanische Arbeit am eigenen Leib kennengelernt hat, wer das Gefühl kennt, das sich ganz und gar in einen schleichenden Minutenzeiger einbohrt, das Grauen, wenn ein verflossene Ewigkeit sich auf einen Blick auf die Uhr als eine Spanne von zehn Minuten erweist, wer das Sterben eines Tages nach einem Glockenzeichen mißt, wer Stunde um Stunde seiner Lebenszeit tötet, mit dem einzigen Wusch, daß sie rascher sterbe, der wird das Märchen von der Arbeitslust mit Hohn beiseite schieben...'"

Foto von: zahnraeder-netzwerk.de
Die sterbende Zeit des eigentlichen Proletariers ist auch heute noch durchaus verschieden von der des kleinbürgerlichen Lohnabhängigen, des Angestellten, Bürokraten oder prekarisierten Intellektuellen mit Hochschulabschluss. Wieso? Der Kleinbürger kann sich meist noch in gewissem Maße in seiner Abhängigkeit verwirklichen und einen gewissen Status genießen. Der eigentliche Prolet dagegen genießt nur den Konsum, den ihm sein Lohn ermöglicht. Auf der Arbeit langweilt er sich meist genauso wie daheim vor dem Fernseher oder in unbefriedigenden familiären Verhältnissen - es sei denn, er entwickelt besondere Überlebenstechniken gegen die tödliche Langeweile. Der eine macht unanständige Witze, der andere hat nur Frauen im Kopf. Die nächste hat wiederum Make-Up oder Haushalt im Sinn, während wieder eine überlegen muss, wie sie den einen Macker vor dem anderen geheim hält und beide vor dem Vater, der wiederum die Mutter besänftigen muss, die aber selbst gerne mal ohne Mann verreisen würde etc. pp. Das sind die "Lösungen" der meisten Proleten, um aus der sterbenden Zeit eine leidenschaftliche zu machen.

Hätten sie nur mal Kofler live erlebt...

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