Donnerstag, 11. Februar 2016

Ich spucke auf dein Grab - ein Meisterwerk über feministische Selbstjustiz

Wie gerufen kommt der dritte Teil von "I spit on your grave" für die deutschen Zuschauer*innen nach Silvester 2015/16. Die Serie behandelt ein überaus makabres Thema: Rache infolge von Vergewaltigung. Anders als Teil 1 und 2 ist der dritte Teil jedoch nicht bloß ein weiterer "Rape and Revenge"-Splatterfilm. "I spit on your grave III" ist vielmehr ein surreales Meisterwerk ganz im Stile von "Fight Club".

Rachesequenz aus "I spit on your grave III"
Jennifer Hills (Sarah Butler) ist die bereits bekannte Protagonistin aus dem ersten Teil, in dem sie Opfer einer Gruppenvergewaltigung durch einige Rednecks wurde, an denen sie sich im Anschluss brutal revanchierte. Im dritten Teil hat sie mit den psychischen Folgen der Ereignisse zu kämpfen: Sie ist allgemein äußerst misstrauisch geworden, hat Alpträume und Paranoia. Überall sieht sie potenzielle Vergewaltiger. Ihren Namen hat sie zu Angela umändern lassen, um mit ihrer Vergangenheit zu brechen. Auch sucht sie eine Therapeutin auf und nimmt an Gruppensitzungen mit anderen Geschädigten teil.

Gleich eine der ersten Szenen ist perfekt. Angelas Kollege spricht sie unvermittelt an und löst damit die typische Situation aus, wenn eine Frau ungewollt angemacht wird:

"Hey, Angie. Warte doch."
"Bitte nenn mich nicht immer so. Ja?"
"Komm schon. Was ist denn mit dir los? Ich meine. Rieche ich? Habe ich faule Zähne?"
"Ich möchte nur nicht Angie genannt werden."
"Augenblick, was ist mit dir? Ich versuche doch nur, nett zu sein."
"Wieso?"
"Was ist falsch daran, nett zu sein?"
"Dann sei doch nett zu Gloria oder xyz§#ß."
"Du bist ja echt schwierig. Hör zu, nicht jeder will dir gleich an die Wäsche."
"Nicht jeder, aber du."

Eiskalt abgeblitzt, bemüht sich der wirklich nette Kollege immer wieder, aber hat im Grunde keine Chance, Angela zu treffen. In einer Therapiestunde erklärt Angela den Grund dafür, d.h. ihr Weltbild:

"Da draußen ist man Raubtier oder Beute. Man muss sich entscheiden."
"Eine etwas einseitige Sicht. Glauben sie nicht an Altruismus?"
"Sie meinen die Gutmenschen? Die kann ich echt nicht ausstehen." 

Bei ihren Gruppensitzungen lernt sie die hammerharte Marla (Jennifer Landon) kennen, die aufgrund ihrer eigenen Geschichte eine Männerhasserin mit viel Humor und Selbstvertrauen ist. Bis dahin konnte Angela ihr Leben kaum genießen. Gemeinsam mit Marla ändert sie fortan jedoch ihre Einstellung. Sie bricht mehr und mehr mit der klassischen Opferrolle und wird zum agierenden Subjekt. Von Marla übernimmt Angela die radikalen Ansichten:

"Für diese Frauen gibt es nur eine Hoffnung und die heißt: Rache... Und die Cops helfen dir nicht. Niemand hilft dir. Du musst dir selbst helfen. Geh deinen Weg und schau nicht zurück. Wenn das nicht hilft, nimmst du ein Messer, schlizt ihn auf und nimmst ihn aus wie einen Fisch und schneidest ihm den verdammten Kopf ab." 

Marla spricht es aus, Angela begreift sofort. Die beiden ziehen also gemeinsam los in den Krieg gegen die Männer. Ob der Kollege, der Angela kennenlernen möchte, der unbekannte Frauenschläger aus der Kneipe oder der angehende Vergewaltiger - alle werden nun zu Opfern psychischer oder physischer Gewalt der beiden Racheengel. Angela muss ihre fiktive Freundin (eine Anspielung auf Marla in "Fight Club"?) sogar mäßigen. Doch ist sie bald selbst nicht mehr zu halten.

Das Hauptmotiv des Plots ist abgesehen von der Verwandlung des Opfers zur Täterin das Fluktuieren unserer Heldin zwischen staatlichem Recht, feministischer Gerechtigkeit und sadistischer Selbstgerechtigkeit. Die Polizei wirkt machtlos oder unwillig, Angela bei der Aufklärung eines Mordes an einer Freundin zu helfen. Der Staat versagt also wie so oft darin, dem Recht die Gerechtigkeit folgen zu lassen. Einzig logische Konsequenz für unsere Rächerin ist die Selbstjustiz. Sie zieht los, um endgültig zu strafen, wo der Staat nicht einmal das öffentliche Recht durchzusetzen vermag. 

Die Zuschauer*innen werden nicht nur Mitgefühl für die Vergewaltigungsopfer empfinden, sondern auch sadistische Lust bei der Bestrafung der Täter. Das ist immer der intendierte Effekt bei diesem Filmgenre. Allein, das Geniale an diesem Film, das ihn außergewöhnlich macht, ist die Überspannung der Selbstjustiz. Die feministische Gerechtigkeit verschmilzt immer mehr mit sadistischer Selbstjustiz. Denn Angela rächt sich nicht bloß. Sie rastet aus und attackiert sogar unschuldige Männer und Frauen. Unterschiedslos rächt sie sich nun also an der ganzen Menschheit. Ihre zunächst gerecht wirkende Verwandlung in eine Rächerin schlägt in einen durch nichts zu rechtfertigenden Menschenhass um. Aus der zornigen Feministin wird so eine Sadistin, aus dem Racheengel ein gefallener. Ganz wunderbar lässt sich das im Kontrast zwischen der Szene im Gefängnis und der Szene in der Mitte des Films erkennen, in der sie sich auf einen kurzen Flirt mit dem Kollegen einlässt. Dort schien es einen Hoffnungsschimmer für die verzweifelte Kreatur gegeben zu haben. Doch der Film endet düster.

Angela selbst weiß um ihre Schuld, weshalb sie Gott um Vergebung bittet. Natürlich löst dieser ihre Probleme nicht. Darum geht es in dem Film. Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun errettet die Opfer von Gewalt. Sie müssen sich selbst retten, selbst wenn es so schwer fällt wie Angela. Und genau diese Spannung zwischen den Kontrasten erhebt den Film auf den Thron des Genres.