Sonntag, 30. August 2015

Isoliert, zerstritten, elitär: Die Linken verweigern den Kampf um Hegemonie

Dieser Text von Christel Buchinger erschien bei aufstehn.wordpress.com und wird hier gespiegelt.

Die Linke und die Medien Teil 2


von Christel Buchinger

Ich wollte mit einer langen Erklärung mein Abonnement der Jungen Welt kündigen. Daraus wurde dieser Essay. Die Kündigung habe ich bereits aus anderen Gründen ausgesprochen, wegen völlig unkritischer Artikel zur Prostitution, in der die Meinungen der Prostitutionslobby platt und unkritisch wiedergegeben wurden. Aber das ist ein anderes Problem.

Ich habe die Junge Welt gekündigt, weil sie ausgerechnet an Brennpunkten der politischen Entwicklung versagt, wo es gerade heute bedeutsam ist, genau hinzuschauen, in die Tiefe zu gehen, zu recherchieren, zu diskutieren, zu fragen. Ich spreche damit neben der Berichterstattung zu Griechenland, das völlige Versagen beim Thema Geschlechterverhältnisse an, vor allem aber den Friedenswinter. Ich will den Umgang mit dem Friedenswinter, respektive mit den Montagsmahnwachen, kritisch beleuchten, wissend, dass die Junge Welt auch diese Meinungsäußerung dazu nicht ernst nehmen wird. Wer Rainer Rupp dermaßen abblitzen lässt1, schert sich um die Meinung einer ehemaligen Leserin nicht.

Bei Friedenswinter und Montagsmahnwachen deutete sich eine neue Entwicklung an, Bewegung und Aufruhr entstanden, ohne dass, wie es traditionell der Fall ist, die Linke ihre Finger im Spiel hatte. Im Gegenteil: die Bewegungen entstanden gerade auf diese Art und Weise, weil die Linke sich vor entscheidenden Auseinandersetzungen und Zuspitzungen drückt, den Kampf um Gegenhegemonie zum Neoliberalismus und zur Kriegstreiberei geradezu verweigert. Das betrifft die ganze Linke, nicht nur die gleichnamige Partei. An dem Eindruck, dass der Kampf um Gegenhegemonie verweigert wird, ändern auch die aufgeblasenen Backen von Monty Schädel und anderen Helden nichts. Weil ein Vorwurf und eine Begründung, warum man sich von den Veranstaltungen fernhalten muss, der auch von der Jungen Welt wiedergegeben wird, jener ist, unter den Demonstranten und Aktivisten des Friedenswinters und der Montagsmahnwachen befänden sich Verschwörungstheoretiker, beginne ich mit einer Verschwörungstheorie.

1.

Verschwörungstheorie im Selbstversuch

Größeren Katastrophen gehen oft Vorwarnungen voraus. Kleine Erdbeben kündigen große an, der Vulkan spuckt und raucht, bevor er ausbricht. Und so waren die Herrschenden gewarnt. Der erste Warnschuss hieß Stuttgart 21.

Viele Menschen aus Stuttgart und Umgebung engagierten sich gegen dieses Bahnprojekt, gingen auf die Straße, zogen nach Berlin, dachten sich phantasievolle Aktionen aus, gingen so weit, neue Aktionen des zivilen Ungehorsams zu erproben, zum Beispiel Bäume zu besetzen. Der Protest strahlte in das ganze Land aus. Er traf tief und breit in die Gesellschaft, erfasste viele Menschen, auch weit über die Region hinaus. Die Kritik war fundiert, sie berührte in Einzelfällen gar das Gesellschaftssystem als ganzes. Und der Prostest ist immer noch nicht zu Ende, kann jederzeit wieder ausbrechen, die Aktivisten sind noch nicht geschlagen.2

Dann kamen die Montagsmahnwachen. Der Protest entzündete sich an der Ukraine-Krise. Hier ging es nicht nur um einen Bahnhof.

Die Herrschenden sahen sich einer neuen Gegnerin gegenüber. Aus dem Nichts war eine Bewegung aufgetaucht, die üblichen Verdächtigen, Linke, Friedensgruppen waren nicht beteiligt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren ähnlich empört wie die in Stuttgart, der Initiator politisch ein unbeschriebenes Blatt. Und es kam noch schlimmer: ohne organisatorischen Rückhalt durch gewachsene Strukturen, Parteien, Gewerkschaften breitete sich die Bewegung über das ganze Land aus. Es kamen einfach Leute aus allen Löchern, versammelten sich und protestierten. Zum Höhepunkt waren jeden Montag mehrere tausend Demonstranten auf den Beinen. Ähnlich wie bei den Occupy-Protesten durfte jede reden, die wollte. Und sie redeten. Gutes und Krauses. Unbekannte und Promis waren da. Auffallend viele Frauen gingen einfach ans offene Mikro und redeten los, was sie dachten und was sie erlebt hatten.

Man kann sich den Unmut vorstellen, den diese Friedensinitiative bei den Mächtigen, den Kriegstreibern, den Oligarchen, den Rüstungsgewinnlern und ihren Bütteln in Politik und Medien hervorrief. Die schöne Farbenrevolution, der Menschenrechtsaufstand wurden desavouiert. Der gut und von langer Hand vorbereitete Regimechange, das Herausbrechen der Ukraine aus dem Einfluss Moskaus war öffentliches Thema und wurde ungestüm kritisiert. Offen wurde gemacht, dass es um Krieg und Frieden ging, und das bunte Völkchen, das, wie sagt man doch gleich, aus der Mitte der Gesellschaft kam, verweigerte offen die Gefolgschaft. Dabei war alles so schön vorbereitet. Nicht dass die Herrschenden fürchten müssten, wirklich einen Fight zu verlieren, aber der Angriff ging auf den Kernbereich der Macht, aufs Ganze.

Die Herrschaft der staatsmonopolistischen Oligarchie ist selbstverständlich noch nicht angefochten, alle Herrschaftsinstrumente sind fest in ihrer Hand, sie sind waffenstarrend, sie bauen ihre Geheimdienste aus, die Polizei wird paramilitärisch aufgerüstet. Aber sie spüren, dass ihre Hegemonie, ihre Herrschaft über das Bewusstsein der Menschen, in Frage gestellt wird. Die logische Reaktion war, die Medienwalze in Bewegung zu setzen. Da kam Jutta Ditfurts Aufschlag gerade recht: da versammeln sich Antisemiten, glühende sogar, Verschwörungstheoretiker und Querfront-Anhänger und tarnen sich als Friedensbewegung! Damit gab sie die Stichworte für die Medien. Alle (fast alle) plapperten nach, kaum jemand bemühte sich hin und befragte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder die Organisatoren, recherchierte und bewertete aufgrund von Kenntnis. Das Foto eines Nazis, der ohne Fahne oder Umhängeschild in der Menge stand, reichte. Ein Shitstorm der Medien brach los.

Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wiederum führte das zu neuer Erkenntnis der Manipulationsmacht der Medien. Viele Linke aber verjagte er gänzlich in die Mauselöcher. Um Gottes Willen nicht wieder Anlass für den Vorwurf des Anitsemitismus geben!

Ob Ditfurth wusste, wessen Geschäft sie da betrieb?

Weiter ging’s: Die Mahnwachen sind von der NPD initiiert, werden von ihr als Friedensbewegung 2.0 bezeichnet. Praktischerweise tauchte Elsässer als Redner auf, der Querfrontler, der mit Ultrarechten paktierte, dem die Nähe zu Nazis nichts ausmacht. Über Mährholz wurde enthüllt, dass er dereinst einer merkwürdigen Journalistenvereinigung angehörte, die von einem deutschnationalen Burschenschaftler gegründet worden war. Und Ken Jebsen wurde beim Rundfunk gefeuert, weil man ihm Antisemitismus vorwarf. Der Vorwerfende war damals Henryk Broder.

Antisemiten, Nähe zu Nazis, das ist normalerweise ein politisches Todesurteil. Aber die Bewegung gab nicht klein bei. Die Vorwürfe wurden zurückgewiesen, entkräftet, relativiert. Die Bewegung ging weiter, wurde größer. Die Hatz auch. Da blieben noch zwei scharfe Waffen für die Obrigkeit. Erstens die Spaltung und zweitens …

Zum ersten Punkt, der Spaltung wollen wir später kommen. Beginnen wir mit der zweiten Waffe: die Gründung einer neuen Bewegung, die geeignet ist, alle weiteren Bewegungen dieser Art zu diskreditieren und ganz nebenbei die vorhandene Wut der Menschen auf die Verhältnisse auf AusländerInnen und Muslime umzuleiten.

Man nehme: eine geklaute Idee (Mahnwachen) oder eine Idee, die im ersten Anlauf schief ging (Hogesa), ein paar V-Leute, Staatsknete, ein Thema (Angst vor Islamisten), lasse aber auch andere Themen zu, z.B. Kritik an den Medien.

Man suche sich einen Ort aus, am besten im Osten Deutschlands, dort ist die rechte Szene stark.

Über die sozialen Netzwerke wird der Aufruf lanciert. Erste Aufmärsche werden von der Presse hochgeschrieben, das ganze von Rundfunk und Fernsehen mit einer Mischung aus Grusel und Neugier übergossen. Immer mehr Demonstranten nahmen teil, tausende waren es schnell, die Zahl Zehntausend wurde überschritten. Es gibt genügend Unzufriedene. In anderen Städten ging’s weiter: wiederum ein paar V-Leute, Geld, Medienrummel. Die Vorwürfe von Medien und Politik waren die gleichen wie bei den Montagsmahnwachen: Rechtsradikale und Antisemiten, Rassisten und Fremdenhasser. Da die Nazis zu den Demos mobilisierten, war das stimmig. Was die Masse der Demonstrierenden wollte oder dachte, wer wusste das? Angereichert wurde noch durch Todesdrohungen durch Antideutsche gegen den sog. Initiator Bachmann.

Und dann der Knaller: Bachmann, einer der Strippenzieher erschien im Internet als Hitlerimitator und verbreitete auf seinem Facebook-Account bösartige, rassistische Sprüche gegen Flüchtlinge. Beweis erbracht. Beweis organisiert. Die Demonstranten wurden weniger, die Nazis übernahmen und bekräftigten damit den „Beweis“. Bachmann trat erst zurück, kam dann wieder.

Im Folgenden wurden Montagsmahnwachen mit Pegida und seinen Ablegern konsequent in einen Topf geworfen. Das war’s.

Das alles wäre leicht durchschaubar gewesen, wenn es nicht die Flankierung von links gegeben hätte. Sie verlieh dem Schmierentheater Glaubwürdigkeit. Wenn Bildzeitung, Welt, Zeit, Linke und Friedensaktivisten das gleiche sagen, muss es ja stimmen. Den Friedenswinter diskreditieren mittels Montagsmahnwachen, das kann nur die Linke selber leisten. Deshalb kommen wir jetzt zur ersten oben genannten Waffe, der Spaltung.

Auch hier stand am Beginn Jutta Ditfurth. Sie gilt als Linke. Ihr Angriff galt vordergründig Jürgen Elsässer. Sie zielte auf Elsässer, aber sie meinte die Friedensdemonstrantinnen und -demonstranten. Jürgen Elsässer hat seine politische Karriere ganz links begonnen, beim Kommunistischen Bund, er publizierte bei der linken Tageszeitung Junge Welt. Inzwischen ist sein Markenzeichen die Vermischung von linken und rechten Positionen. Er ist ein Rechter, aber kein Nazi. Ihn als „glühenden Antisemiten“ zu bezeichnen, war völlig überzogen. Wer es dennoch tut, will nicht kritisieren, sondern eine Kampagne eröffnen. Und das war dann auch der Fall. An ihr beteiligten sich Antideutsche, die sich selber als links bezeichnen, aber kaum dieser politischen Seite zugerechnet werden können, es beteiligten sich aber auch Linke aus der Partei DIE LINKE und aus der Friedensbewegung; es beteiligten sich ebenso linke Presseorgane wie das Neue Deutschland, die Junge Welt oder die linksliberale Wochenzeitung Freitag sowie die Zeitschrift konkret. In Facebook und in Blogs waren der Shitstorm kaum noch zu überschauen. Ein Grundmuster war das „In einen Topf werfen“. Pegida und Montagsmahnwachen, Elsässer und Jebsen, Pegida und Friedenswinter. Ein anderes war der Angriff auf alle, die es wagten, die Vorwürfe zu relativieren oder gar sich an den Montagsmahnwachen zu beteiligen. Die Jungle World schrieb: „Na, von wem ist hier die Rede? Vom Pegida-Mob oder vom Mahnwachen/Friedenswinter-Mob? Von beiden! So groß ist der Unterschied nicht. Der Friedenswinter ist Pegida für Linke und Pegida die Mahnwachenbewegung für Rechte.“ Die Partei DIE LINKE fasste schnellstens Unvereinbarkeitsbeschlüsse wie seinerzeit die alte Tante SPD: Wo Montagsmahnwachen drin sind, wird von der Partei nicht finanziell unterstützt. Einzelne Linke, die sich über den Bannfluch hinwegsetzten, waren Angriffen ausgesetzt. Es traf zum Beispiel Prinz Chaos II., Pedram Shahyar, Dieter Dehm und Heike Hänsel, die bei den Mahnwachen auftauchen, sowie Friedensaktivisten wie Reiner Braun, der das Gespräch und die Zusammenarbeit suchte. Wer sich den Montagsmahnwachen, und sei es auch nur interessiert, näherte, wurde sofort angegriffen. Viele zogen den Schwanz ein. Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse von diversen Friedensinitiativen folgten.

Nun war es ein Leichtes den Friedenswinter in aller Gemütsruhe ebenfalls fertig zu machen. Das schafften Linke ganz allein. Da mussten die Medien gar nichts mehr tun. Die ersten Erklärungen zur Nichtteilnahme am Friedenswinter von VVN bis DKP verhallten medial, aber nach innen hatten sie Wirkung. Auch Tobias Pflügers Distanzierung war sicher wirksam. Im Ergebnis war die alte , linke Friedensszene gespalten, der Friedenswinter konnte nicht die notwendige Kraft entfalten. Das Spiel der Herrschenden war aufgegangen.

2.

Verschwörungen

In Deutschland ist „Verschwörungstheoretiker“ ein Schimpfwort. Warum ist das so? Und warum greift sogar die Linke auf diese Bezeichnung zurück? Auch unter Linken ist doch bekannt, dass es Verschwörungen gab und gibt. Große Verschwörungen, wie diejenige, Hitler an die Macht zu bringen. Den Tonkin-Zwischenfall, den die USA-Regierung erfand, um den Vietnamkrieg zu beginnen. Es waren Linke, die große Verschwörungen enthüllten. Die Enthüllungen um Gladio und die Stay Behind-Truppen der NATO haben Verschwörungen gegen die Nachkriegsdemokratien in schwindelerregendem Ausmaß gezeigt. Putsche und Putschversuche in Herzen Europas waren die Taten dieser Gladios. Hätten wir das in den Siebzigern behauptet, was wäre passiert?

Verschwörungstheorien gibt es, weil es Verschwörungen gibt. Viele Verschwörungstheorien wurden im Laufe der Zeit bestätigt. Dass Terror und Staat vom gemeinsamen Teller essen und gemeinsam Leichen im Keller haben, vermutete Hannes Wader in den Siebzigern. Wer hat darüber gelacht oder den Kopf geschüttelt? Spätestens seit 9/11 versuchen die Herrschenden und ihre Medien, jene Menschen zu verleumden, lächerlich zu machen, die der viel lächerlicheren offiziellen Erklärung zu den Anschlägen eigene Recherchen entgegenstellen. Sie nennen sie Verschwörungstheoretiker.

3.

Zweiter Selbstversuch einer Verschwörungstheorie

Etwas, was in Demokratien oder aufgrund des Völkerrechts nicht durchsetzbar ist, aber gewollt von Mächtigen, wird heimlich durchgezogen. Das nennt man eine Verschwörung. Es wird dazu eine Geschichte fabriziert, das ist die dazugehörige Verschwörungstheorie der Herrschenden. Das Problem an Verschwörungen ist, dass sie früher oder später auffliegen. Dann wird die bisher in Umlauf gebrachte Story, die alle Medien nachgebetet haben, in Frage gestellt und investigative Journalisten zum Beispiel arbeiten an einer neuen Geschichte. Diese werden nun von den Medien, von interessierten Kreisen, von Geheimdiensten, die in die Verschwörung verwickelt waren, ironischerweise als Verschwörungstheoretiker beschimpft. Und damit das V-Wort auch ein Schimpfwort ist oder wird, beteiligen sich die „Dienste“ im Auftrag der Oberen an der Produktion von Verschwörungstheorien, verrückten und absurden oder glaubwürdigen. Beide Sorten kann man gut brauchen. Die glaubwürdigen, damit viele kritische Menschen, die den Oberen nicht mehr alles glauben, sich damit beschäftigen und verwirrt werden, wenn die Unglaubwürdigkeit der Theorien nachgewiesen wird und absurden, damit man dann die Verschwörungstheoretiker öffentlich und medienwirksam lächerlich machen kann.

Ich glaube also, dass die Geheimdienste des Westens und ihre Beauftragten das Internet mit Verschwörungstheorien überschwemmen, um die wirklichen Verschwörungen unsichtbar zu machen. Darauf fallen viele rein. Auch Linke. Auch die Junge Welt.

4.

Noch einmal zu den Montagsmahnwachen

Es waren ganz normale Menschen, mehrheitlich Männer. Das zeigen die Videos, die es in großer Zahl im Internet über die Montagsdemonstrationen, die sich Mahnwachen nannten, gibt. Es war der Durchschnittsbürger, der da hinging. Auch ein paar alternativ aussehende, buntere, langhaarige, auffälligen Schmuck tragende. Was sie dachten und sagten, dachten und sagten viele. Sie hatten die Nase voll. Sie wollten von den arroganten Medienfuzzis und deren Brötchengebern, den Medienmogulinnen und -moguln nicht mehr belogen werden. Sie wussten folglich, dass sie belogen wurden. Sie wussten, dass die Lüge vor allem Urständ feiert, wenn es um Krieg geht.

Sie informierten sich im Internet und vieles durchschauten sie, wenn auch nicht alles. Aber das ist kein Wunder. Wer durchschaut schon alles. Sie sahen, dass aus Putin ein Monster gemacht wurde, obwohl er sich im Ukraine-Konflikt ganz rational verhält, rationaler verhält sich kaum ein westlicher Regierungschef. Sie sahen, dass da ein Putsch stattgefunden hatte, der aber vom Westen gutgeheißen wurde. Sie sahen, dass dieser Putsch weitgehend von außen gesteuert worden war, von den Regierungen, den Stiftungen, den Geheimdiensten, dem Establishment der USA und Europas.

Sie merkten, dass die Kriegsgefahr, die in den letzten Jahrzehnten immer nur Asien und Afrika betraf, nun näherrückte. Sie wollten keinen Krieg, sie hielten Krieg für Irrsinn und sie hatten begriffen, dass die Medien und die Politik für die Propagierung dieses Irrsinns verantwortlich sind. Mehr noch: Sie erkannten, dass die Kriege nicht nur mit dem Rohstoffhunger des Westens zu tun haben, sondern mit seinem Wirtschaftssystem überhaupt, dem Kapitalismus.

Sie fingen an zu begreifen. Daran trägt die FED3 die Schuld, sagten einige. Die FED steht für das Bankensystem. Occupy nannte das Kürzel für das Finanzkapital „Wallstreet“. Mit Lenin wissen wir, dass das Finanzkapital die Verschmelzung von Bank- und Industriekapital ist, unter der Hegemonie der Banken. Die Verquickung amerikanischen Kapitals mit Hitler und dem deutschen Faschismus ist mittlerweile gut dokumentiert, siehe z.B. „Kein Blitzkrieg ohne USA – Nicht nur die deutsche, auch die herrschende Klasse der Vereinigten Staaten liebte Hitler und verlängerte profitträchtig den Zweiten Weltkrieg“ von Werner Rügemer4. Die Mahnwachler, die anfingen zu begreifen waren auf der richtigen Spur. Was taten Linke? Gingen sie hin und diskutierten mit? Nein! Sie mäkelten herum, dass nur die FED genannt wurde, nannten das strukturellen Antisemitismus, angeblich, weil dort viele in den Chefetagen Juden seien. Das wisse man im Prinzip und würde Kritik an der FED nutzen, um die Juden zu treffen. Die meisten MahnwachlerInnen hatten bis dahin wahrscheinlich keinen Gedanken darauf verwandt, dass in der FED vielleicht Juden sitzen.

Es gab unter all den Rednerinnen und Rednern, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch ganz absonderliches Gedankengut.Wie im Querschnitt der Gesellschaft auch. Allerlei Mythologisches, Spirituelles und Verschwörungstheoretisches. Wobei weder Mythologie noch Spiritualität oder Verschwörungstheorien per se absonderlich sind. Mythologien sind für das Begreifen der menschlichen Geschichte und der Ideengeschichte wichtig, Spiritualität ist für viele Menschen ein zentraler Lebensinhalt und Theorien zu Verschwörungen sind notwendig, weil es Verschwörungen gibt. Wie sich zuletzt in der Ukraine zeigte.

Warum wurden die Herrschenden nun so nervös? Ganz einfach: Als die Occupy-Bewegung über den Globus rollte, waren das viele, aber es waren die üblichen Verdächtigen. Es waren Jugendliche, junge Menschen, Linke und Alternative. Leicht marginalisierbare Leute, die man nur in ein paar gewalttätige Auseinandersetzungen verwickeln musste, und schon war der gute Ruf hin.

Occupy hatte eine eigene Kultur entwickelt. Jeder Anwesende durfte reden. Man wollte Basisdemokratie, keine Hierarchien und keine Gurus. Das Links-Rechts-Schema wurde zunehmend in Frage gestellt oder ganz abgelehnt. Herkömmliche Politik und Politiker hatten bei ihnen verspielt. Und genau diese Kultur übernahmen die Montagsmahnwachen. Occupy war bei den Normalen und Durchschnittlichen angekommen. Und nun wurde es für die dauerhafte Hegemonie der Herrschenden eng.

Und noch etwas war anders. Es waren keine Demos, die Forderungen an die Politik stellten. Es waren Versammlungen, die Leute zusammen brachten, die selber etwas ändern wollten und überlegten, wie das gehen kann.

Klaus-Peter Kurch, ein kluger Linker, der den Opablog betreibt, beschreibt, was ich nur aus der Ferne über youtube sehen konnte, sehr schön: „Ganz ähnlich erlebe ich die Situation wöchentlich auf den Montagsmahnwachen. Außerhalb gewohnter Bahnen bewegen sich Informationen zwischen den Menschen, und zugleich sind die Menschen begierig, sich mit Informationen, auch “unüblichen”, auseinanderzusetzen. Das ist ein breiter Fluss, der auch trübe Bestandteile mit sich führt. Vieles passiert doppelt und dreifach, Informationen behindern sich gegenseitig, manchmal macht sich Abstruses breit. Doch ich glaube, dass das Äußerlichkeiten sind. Das Beständige, Innere, das sich auszuprägen scheint, ist ein Prozess komplexer Informationsverarbeitung zu Kernfragen, Grundfragen, Lebensfragen der Menschen durch die eigene Initiative der Menschen. Sie sind spontan und Viele durchaus aufmüpfig in den direkten wechselseitigen Austausch gegangen. Für die modernen Götterorakel, “Massenmedien” genannt, diese “Medien” die statt Mittler zwischen den Menschen und der Welt zu sein, in Wahrheit eher Irrgartenspiegel sind, für die wird der Platz plötzlich knapp. Da geschieht, allem Anschein nach, etwas Enormes.“ Schön gesagt und gut gesagt!

Aber nur wenige Linke reagierten wie Klaus-Peter Kurch und sahen sich das ganze selber an. Zeitungs- und Blogseiten wurden vollgeschrieben von Linken, die nie persönlich bei einer Montagsmahnwache waren oder mit einem Teilnehmer oder einer Teilnehmerin gesprochen hatten.

5.

Junge Welt drückt sich und entlarvt die Lüge nicht

Am 11. Oktober gelang überraschend der Schulterschluss, als Vertreterinnen und Vertreter der Montagsmahnwachen an der Aktionskonferenz der Kooperation für den Frieden in Hannover teilnahmen. Alte und neue Friedensbewegung redeten miteinander. Bis dahin war der Weg steinig. Einzelne Linke und ProtagonistInnen der traditionellen Friedensbewegung, die sich bei den Montagsdemonstrationen blicken ließen, dort gar redeten, wurden bezichtigt, Nazis auf den Leim zu gehen, Querfrontpolitik zu unterstützen, mindestens ernteten sie Kopfschütteln.

Die Wellen im linken Lager schlugen zeitweise hoch. In einer solchen Situation käme einer linken Tageszeitung wie der Jungen Welt die Rolle zu, analysierend, klärend, kommunizierend einzugreifen. Bezeichnet sich die Junge Welt doch selbst als eine Zeitung, die die Wahrheit sagt, wo andere lügen. Und diese Lügen dienen ja nicht selten der Hetze. Gegen Putin, gegen Russland, gegen die Armen, gegen Roma, gegen Muslime. Dienen auch der Kriegsvorbereitung. Der Feindbildproduktion. Und wenn die Junge Welt den Anspruch formuliert, dort die Wahrheit zu sagen, wo andere lügen, muss sie das dann nicht überall tun, wenn sie glaubwürdig sein will? Muss sie die Wahrheit nicht in allen Fragen suchen? Auch wenn es wehtut? Die TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen hatten im Übrigen einen ähnlichen Anspruch, nämlich die Mauer der Desinformation zu durchbrechen. Eigentlich also ein positiver Grund hin zu gehen.

Als allerdings die „Qualitätsmedien“ die Montagsmahnwachen eine Versammlung, von Spinnern, Neu-Rechten, Antisemiten und Verschwörungstheoretikern nannten, mischte die Junge Welt in diesem Chor mit. Die seltene Übereinstimmung, kam ihr nicht komisch vor. Was tat der zuständige Redakteur der Jungen Welt, Sebastian Carlens? Er gab die ganzen Vorwürfe von Ditfurth und den Mainstreammedien kritiklos und ohne den Aufwand von zusätzlicher Recherche weiter. Das war bequem vom Sessel in der Redaktion aus zu erledigen. Die Junge Welt, sonst Dokumentaristin noch des winzigsten Autonomenaufmarschs, ansässig in Berlin, große Reisekosten waren also kaum zu erwarten, hat noch nicht einmal verdeckte Aufklärer zu den Demos geschickt. Um die Ecke zum Brandenburger Tor zu gehen, war zu viel verlangt? Oder wollte man, da das Label des Antisemitismus schon angeheftet war, dort nicht gesehen werden? Ich halte das für einen möglichen Beweggrund für das Nichtdahinbewegen. Es ist natürlich feige.

Auch nachdem einige Linke neugierig geworden waren, aber auch besorgt und Kontakte aufnahmen, dort sprachen, auch in anderen Städten sprachen, änderte Sebastian Carlens seine Haltung nicht. Haben also die Leserinnen und Leser der Jungen Welt keinen Anspruch, diesbezüglich informiert zu werden?

Die Medien griffen sich einzelne Personen heraus. Die Junge Welt folgt ihnen.

Die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Ulla Jelpke, die ich ansonsten schätze, verging sich an Ken Jebsen. Mit einer hanebüchenen „Beweiskette“ will sie ihn des Antisemitismus überführen:

„Mit dabei ist auch der frühere RBB-Moderator Ken Jebsen (…) Jebsen musste den RBB nach bis heute nicht ganz aufgeklärten Antisemitismus-Vorwürfen verlassen. Ob diese zutreffen, kann dahingestellt bleiben – in jedem Fall vertritt der Mann Positionen, die eine antisemitische Interpretation nahelegen. So weist er bezüglich der Schuld am Zweiten Weltkrieg auf seiner Homepage darauf hin, dass »Firmen wie Shell, die damals zu 40 Prozent in jüdischem Besitz waren, 40 Millionen Reichsmark an die NSDAP spendeten«“.

Die Vorwürfe sind also nicht ganz aufgeklärt, ihre Klärung kann aber unterbleiben? Jelpke weiß natürlich um die Finanzierung der Nazis durch amerikanisches Monopolkapital und auch um deren Sympathien für den Faschismus. Sie weiß natürlich um den Aberwitz, dass mit dieser Finanzierung auch Juden den deutschen Faschismus unterstützten, weil Kapital keine nationalen, religiösen oder kulturellen Grenzen kennt, wenn es um Profit und Herrschaft geht. Auch kein eigenes Volk.

Weiter schrieb sie:

„Medienvertreter, die kritisch über ihn berichten, fordert er auf: »Würdet ihr klassisches Pay-TV anbieten, könnte man euch schon kommenden Monat keine Löhne mehr zahlen. Oder muss man sagen, fiele der Judaslohn weg.«“

Ist – Teufel nochmal – die Benutzung des Begriffs Judaslohn Beweis einer antisemitischen Gesinnung? Und dann kommt es ganz bizarr:

„Da Jebsen zudem unaufhörlich vom »Fed-Imperium« spricht, kann man das nur als Unterstellung lesen, die Medien seien jüdisch kontrolliert, um im Auftrag der (jüdischen) Federal Reserve die Welt unter Kontrolle (des Judentums) zu behalten.“

Kann man das? Ich meine nein. Auch nur wenig genaueres Hinsehen, hätte den Aberwitz dieser „Beweiskette“ gezeigt. Ginge sie noch einen Schritt weiter, sie landete bei den Antideutschen, für die Kapitalismuskritik und Kritik am US-Imperialismus „strukturell antisemitisch“ sind.

Nachdem Ulla Jelpke sich mit den Montagsmahnwachen auseinandergesetzt hatte, nicht ohne die Vorwürfe ihrerseits ungeprüft zu wiederholen, aber immerhin mit dem Ziel, jetzt eine linke Debatte zu beginnen, schob die Junge Welt einen Artikel aus der Feder von Peter Strutinsky nach, in dem dieser ohne einen einzigen Beleg behauptete, die neue Friedensbewegung sei von der NPD ins Leben gerufen. Auf welche Erkenntnisse stützte er sich dabei? Wer sind seine Zeugen? War er da? Hat er mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern gesprochen? Er führte keinerlei Belege an. Er ist Wissenschaftler. Er weiß, was er tut, wenn er etwas behauptet, ohne es zu belegen. Der Artikel strotzte von Unterstellungen und von verletzter Eitelkeit des Autors. Traute sich da eine Friedensinitiative auf die Straße, ohne die Erlaubnis der erlauchten etablierten Friedensbewegung zu erbitten!

Der Geschäftsführer der Genossenschaft Junge Welt, Dieter Koschmieder, konnte ebenso nicht an sich halten, diese neuen Friedensinitiative zu verteufeln.

Auch er arbeitete sich an Ken Jebsen ab und warf ihn mal schnell in einen Topf mit Jürgen Elsässer und Pegida. Ist das gut recherchiert? Ist das die Wahrheit? Jebsen wird mit den anderen o.g. Verdächtigen vorgeworfen, er rede dafür, das gute nationale Kapital gegen das böse ausländische verteidigen, mittels christlichem Glauben die islamische Verrohung zu bekämpfen, abendländische Werte zu vertreten und nicht links oder rechts und oben und unten zu sehen sondern nur das deutsche Volk, zu fragen, wer uns vor Fremden schütze usw. Das ist infam!

Wieder die Frage: Wo sind dafür die Belege, wo ist der Beleg für auch nur einen der Punkte? Gibt es Zitate? All das gibt es nicht. Es bleibt dabei: Jede einzelne Behauptung ist üble Verleumdung. Dass er auf das Feindbild der Mainstreammedien reinfällt, wäre noch die freundlichste Unterstellung. Es könnte auch sein, dass er einen alten, miesen, kleinen Meinungsmachertrick anwendet, nämlich einen Unliebsamen in den Sack mit anderen Wüstlingen stecken, Beschuldigungen zu nennen, die auf die anderen zutreffen und dann draufzuschlagen.

Danach war wieder Funkstille bei der JW. Dabei wäre eine Analyse der Bewegung notwendig und hilfreich gewesen und für die Junge Welt auch nicht so sehr aufwändig. Am anderen Ende der Republik sitzend war es mir zumindest möglich, über die von den Versammlungen eingestellten Videos einen guten Eindruck davon zu erlangen, was sich dort abspielte. Natürlich waren da seltsame Gestalten dabei. Aber war das in den Achtzigern bei der damaligen Friedensbewegung nicht auch so? Wenn wir das damals abgeblasen hätten wegen der Esoteriker, der Spinner, der Rechten, hätte es eine große Friedensbewegung nicht gegeben. Da waren Generäle dabei. Mechtersheimer war eine zentrale Person in der Bewegung. Hat er sich wirklich erst danach als einer vom rechten Rand erwiesen?

Zurück zu den Mahnwachen. Ein soziologischer Schnelltest erbrachte kurz darauf, dass das ganze Geunke von der Nazi-Friedensbewegung wohl Quatsch war. Die Mehrheit der TeilnehmerInnen verortete sich eher links. Das wurde von der Jungen Welt etwas pikiert zur Kenntnis genommen, aber Konsequenzen wurden keine gezogen.

Zweidrittel bis dreiviertel der Deutschen sind gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und für eine friedliche Politik. Da sind die nicht deutschen Menschen, die bei uns leben, noch gar nicht gerechnet. Die Junge Welt und andere Linke räsonierten jahrelang darüber, dass diese Friedensfreunde sich leider, leider nicht mobilisieren ließen. Das war offenbar Quatsch. Der Linken und der linken Friedensbewegung gelang es nicht, diese Leute zu mobilisieren. Dass sie mobilisierbar waren, haben die Montagsmahnwachen gezeigt. Offenbar waren einige Leute darüber so beleidigt, dass sie lieber in den Chor der Medien einfielen, als sich freuen zu können, dass es Bewegung gibt und dass man reden kann. Nein. Selbst die Junge Welt sprach von „Wutbürgern“. Geht’s noch?

Wich die Skepsis, als TeilnehmerInnen der Montagsmahnwachen und Teile der Friedensbewegung zum Friedenswinter mobilisierten? Machte der verantwortliche Redakteur Sebastian Carlens sich kundig? Wieder nicht! In der Schmollecke in der Redaktionsstube saß er und produzierte ein „manipulatives Traktat“ (Rainer Rupp) und nannte es „Formierte Gegenaufklärung“. Rupps Bezeichnung „manipulativ“ trifft das Wesen des Artikels gut. Sein lang geratener Einstieg ins Thema suggeriert marxistische Analyse. Ohne dass er den Leuten der Mahnwachen etwas konkretes nachsagen kann, außer dass sie die Fed verantwortlich machen für die Kriegsgefahr, spannt er einen suggestiven Bogen vom Friedenswinter über Pegida undAfd zu angeblich „neuen Inflationsheiligen“. Da gehört Elsässer dazu, dessen rechtsradikale Gesinnung wird genutzt, um auch Jebsen zu entlarven, auch diesmal ohne einen konkreten Vorwurf. Der Artikel erschien in der gleichen Ausgabe, wie ein Interview mit Monty Schädel, in dem dieser in der gleichen Art wie Carlens ohne Beweise die Montagsmahnwachenleute zum rechten Rand erklärt. Eine Breitseite der Jungen Welt gegen den Friedenswinter also. Schädel ist Vorsitzender der DFG/VK. Auf seiner Website steht geschrieben, er habe mit anderen Aktivisten zusammen die Proteste gegen den G8-Gipfel in, Heiligendamm organisiert. Hört sich etwas überheblich an. Dass Schädel im besten Falle ein Sempliciotto, im schlechteren Falle ein übler Provokateur ist, zeigt er, wenn er in dem Interview skandalisiert, der Journalist Ken Jebsen teile alle Meinungen seiner Interviewpartner von weit rechts bis weit links. Er findet, die Friedensbewegung solle sich wieder auf ihre bewährten Strukturen stützen und den „Friedenswinter“ beenden. Und das, obwohl er zugibt, in der Ukraine-Frage habe die Friedensbewegung versagt. Er sagt das so dahin, dabei handelt es sich um den für den Frieden in Europa gefährlichsten Konflikt gegenwärtig. Da hat die Friedensbewegung halt mal versagt. Und wenn die Montagsmahnwachen nicht stattgefunden hätten? Dann wäre es bei diesem Versagen geblieben, nicht wahr?

Der Friedenswinter habe mit der Friedensbewegung, wie er sie kenne, nichts zu tun, teilt der Ossi Schädel mit. Ja eben, die alte große, starke, breite Friedensbewegung, in der alle politischen Meinungen und Haltungen außer faschistischen willkommen waren, eine ohne Gesinnungsprüfung für die, die mitmachen wollten, eine die auch Militärs willkommen hieß und Kapitalisten, das kann sich Schädel nicht vorstellen. Weil er sich nicht vorstellen kann, was er nicht selber erlebt hat? Wahrcheinlich kann er nur eine Friedensbewegung gut finden, die ihm selber ein Podium ohne Konkurrenz für seine Selbstdarstellung bietet.

Reiner Rupp, der den Skandal dieser JW-Ausgabe benannte, wurde abgefertigt, seine Aufforderung, eine breite Debatte in der Jungen Welt zu führen, kaltschnäuzig abgelehnt. Dagegen darf ein Leander Sukov einen „Debattenbeitrag“ leisten – in welcher Debatte? And who the hell is Leander Sukov? Doch nicht der mit der angeblich „wuchtigen Sprache“? Und was hat nun ausgerechnet Leander Sukov befähigt, diese Zusammenfassung zu schreiben? Vielleicht eine Auftragsarbeit weil er Geld brauchte. Der Beitrag ist weniger als eine schmalbrüstige Zusammenfassung aller Vorurteile, die in der JW bereits serviert wurden.

Das alles Revue passieren lassend, könnte man auf eine neue Verschwörungstheorie kommen: Die Junge Welt ist vom Gegner gekapert.

6.

Zum Schluss

In der Jungen Welt ist der Zustand von Teilen der Linken abgebildet, jener Linken, die sich radikal oder marxistisch oder kommunistisch oder alles gleichzeitig wähnen. Kennzeichnend für diese Linke ist, dass sie gesellschaftlich isoliert ist. Dies führt sie selber gerne auf den noch immer wirkenden Antikommunismus und die Linkenhatz zurück. Aber der Antikommunismus hat viel von seiner Wirkung verloren, nicht nur bei jungen Menschen. Die radikale Linke betreibt vielmehr eine sehr effiziente Selbstisolierung. Sie wirkt nach außen unattraktiv. Attraktivität ist aber Teil der Fähigkeit, eine Gegenhegemonie gegen die neoliberalen Machteliten aufzubauen. Die radikale Linke aber ist abgeschottet von der Gesellschaft, zerstritten, misstrauisch, gibt sich elitär und teilweise rückwärtsgewandt, ist voller Vorurteile und wahrscheinlich durchsetzt von Agenten. Sie bietet reichlich Platz für Selbstdarsteller, Wichtigtuer, Halbgebildete und Looser, die sich durch ihr Dabeisein Bedeutung zu geben versuchen. Die Linke hat kein Charisma und sie findet das noch nicht einmal traurig. Sie sind stattdessen gerne graue Mäuse, Hauptsache, sie haben Recht.

Die Selbstisolation hat Folgen. Von Veränderungen in der Gesellschaft, die sich unter der Oberfläche vollziehen, bekommen sie nichts mit. Sie bemerken nicht, dass die Hegemoniefähigkeit der herrschenden neoliberalen Machteliten schwindet. Dass der gesellschaftliche Konsens brüchig wird. Dass die Menschen anfangen, selber zu denken, dass diese überall spürbare Aufmüpfigkeit Ausdruck von sich ändernden Verhältnissen ist. Es gibt einen Trend zur Selbstermächtigung. Immer mehr Menschen nehmen wahr, dass ihre Interessen, die Interessen der Mehrheit, von den Herrschenden ignoriert werden, was sich auch in sinkenden Wahlbeteiligungen äußert. Die radikale Linke hingegen lässt sich von 70 Prozent Zustimmung für Schäuble und Merkel in Umfragen blenden, obwohl sie um den Schwindel mit Umfragen weiß und übt sich lieber in Publikumsbeschimpfungen, als dass sie ihre Wichtigtuerecke verließe.

Und so hält sie die Gesellschaft auch nicht für würdig, dass sie ihr Vorschläge macht. Sie macht keine Angebote an jene Menschen, deren Misstrauen in den Kapitalismus wächst. Sie formuliert keine Zukunftsinteressen und -forderungen. Wo in der ach so radikalen Linken diskutiert jemand über den Ausweg aus dem Kapitalismus und wie es in Richtung Sozialismus gehen könnte?

Nehmen wir das Beispiel Gesundheitswesen. Lassen wir das Programm der Partei DIE LINKE beiseite, deren Worte zu dem Thema nur verdeutlichen, dass es ihr um die Verschönerung des Kapitalismus geht. Fragen wir, was an radikalen Analysen, solchen, die an die Wurzel gehen, geleistet werden. Wo werden aus der Analyse des Gesundheitssystems Forderungen, Ideen für die Zukunft und für notwendige Kämpfe abgeleitet? Die mehr sind als nur die Verteidigung des Bestehenden? Oder die bessere Bezahlung der dort Arbeitenden? Zum Beispiel, dass aus Krankheit überhaupt kein Profit geschlagen werden darf. Dass deshalb nur gemeinwirtschaftliche Krankenhäuser (außer für Schönheits-OPs) zu dulden sind, private in Gemeineigentum, egal welcher Art, umgewandelt werden müssen. Auch für Reha-Zentren, Alten- und Pflegeheime muss das gelten. Die Versorgung des ländlichen Raums mit Ärzten kann nicht durch PR-Kampagnen, sondern muss durch die Einrichtung öffentlicher Arztpraxen gesichert werden, besser noch: die gute Einrichtung aus dem Sozialismus, die Polykliniken, könnten wiederbelebt werden. Auch Ärzte müssen nicht auf der Krankheit von Menschen und den Beiträgen der Versicherten zu Millionären werden, aber sie müssen auch gut davon leben können, statt sich auf Lebenszeit zu verschulden.

Den größten Profit im Gesundheitswesen macht die Pharmaindustrie. Sie muss enteignet werden. Das ist das dickste Brett. Staatseigentum oder kommunales, gemischtes, Belegschaftseigentum oder Kasseneigentum, der Phantasie muss keine Grenze gesetzt sein. Das alles gehört nicht in Parteiprogramme, sondern in die Diskussion, muss propagiert werden. Aber das würde ja bedeuten, dass man mit Menschen reden muss, die zum Teil noch mit reaktionärem Gedankengut infiziert sind.

Ein weiteres Beispiel: Wo ist die linke Politik für die EU? Wieso wird nicht die Solidarität derer propagiert, die gezwungen sind, vom Verkauf ihrer Arbeitskraft zu leben? Wo wird von dem Gewinn berichtet, wenn man zusammenhält? Und zwar unabhängig davon, ob man nun raus aus der EU will oder drinbleiben oder für die Auflösung ist.

Weil die Menschen in Deutschland keine Zukunftsvorstellungen, keine Kämpfe mit der Linken verbinden, sind einige leichte Opfer für Rattenfänger von rechts, für Pegida, Nazis, Rechtspopulisten, Salafisten, fundamentalistische religiöse Sekten, Männlichkeitswahn und Chauvinismus.

Der Kampf für eine bessere Welt beginnt mit dem Kampf gegen die kulturelle und ideologische Hegemonie des Finanzkapitalismus und das ist der Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen.

„Wenn wir es nicht schaffen, all dies zu thematisieren, wird es die Rechte übernehmen.“

Oskar Lafontaine


1 http://www.rationalgalerie.de/schmock/junge-welt.html


2 Wie sich gerade zeigt, erhält die Bewegung gegen Suttgart 21 erneuten Schwung durch die Ergebnisse der Recherchen eines Journalisten.


3 Federal Reserve Bank; US-amerikanische Notenbank


4 http://www.jungewelt.de/2014/04-28/005.php

Der 30. August - Gedenktag Andrej Braschewskis

Genossen! Am 30. August wäre Andrej Braschewski 27 Jahre alt geworden. Aber die Schlagstöcke der Säuberungskommandos verhinderten das.

Wir wenden uns an alle progressiven, kommunistischen und antifaschistischen Organisationen mit der Bitte, Akte des Gedenkens an den getöteten ukrainischen Antifaschisten durchzuführen.

Wir dürfen ihn und seinen Kampf nicht vergessen!

Andrej Braschewski wurde am 30. August 1987 geboren. Er war einer der aktivsten Teilnehmer der antifaschistischen und marxistischen Bewegung Odessas und einer der Gründer des Zusammenschlusses "Borotba" in Odessa. Er starb durch die Hand von Nazis am 2. Mai 2014 als er Ältere und Frauen im Gewerkschaftshaus beschützen wollte. Andrej war ein sehr ordentlicher und ehrlicher Mensch, ein wahrer Freund und Genosse in der ganzen Bedeutung des Wortes. Er trank und rauchte nie. Er beschäftigte sich mit Capoeira und Rope Jumping und studierte marxistische Literatur. Er arbeitete als Programmierer in einer odessiter Firma, nahm nicht nur an sämtlichen antifaschistischen und proletarischen Protestaktionen in Odessa teil, sondern auch in anderen Städten. Andrej war ein sehr bescheidener und gesitteter Mensch. Er bemühte sich immer, Genossen und seinen Engsten zu helfen. Er verriet niemals seine Prinzipien und Ideale. Der Tod Andrejs war eine Bestätigung seiner Ideenwelt. Er konnte nicht abseits stehen, konnte nicht schweigen als die Faschisten nach Odessa kamen. Er gab sein Leben im Kampf für eine neue, gerechtere Gesellschaft, in der mit der Ungleichheit, der Diskriminierung und der Ausbeutung des Menschen Schluss gemacht wird. Wir sind in tiefer Trauer um dich, Andrej! Wir versprechen, deine Sache weiterzuführen - die Sache des Kampfes für eine neue Welt!

Gedenken heißt kämpfen!



http://borotba.su/30_avgusta_-_den_pamyati_andreya_brazhevskogo.html

Wiktor Schapinow: Marxismus und der Krieg im Donbass

borotbaAm 28. August 2015 veröffentlichte Borotba einen Text ihres Aktivisten Wiktor Schapinow. Thema des Textes ist die Haltung der Linken zum gegenwärtig geführten Bürgerkrieg im Donez-Becken. Schapinow verwirft die Analogie des Krieges ähnlich starker Imperialismen und vergleicht den ukrainischen Bürgerkrieg mit den Erfahrungen von Irland, Spanien und Rojava. Er argumentiert dafür, dass die Volksrepubliken im Donez-Becken für die Linke bessere Bedingungen geschaffen haben als das offen antikommunistische Regime Kiews. 

Der Text wurde hier erstmalig ins Deutsche übersetzt. Die englische und russische Version lassen sich auf der neuen Homepage von Borotba finden.

Marxismus und der Krieg im Donbass


Borotba wird oft dafür kritisiert, die Volksrepubliken im Donbass zu unterstützen und für die Tatsache, dass unsere Genossen in der Miliz mitkämpfen und die friedliche Nationenbildung in Lugansk und Donezk unterstützen. Diese Kritik hört man nicht nur seitens der früheren Linken, die der nationalistischen Inbrunst erlegen sind und die den ersten Maidan und dann Kiews Krieg zur Eroberung des Donbass unterstützt haben. Andere kritisieren uns vom Standpunkt eines "marxistischen Pazifismus" aus und nennen sich "das neue Zimmerwald".

1914 = 2014?


Diese "Zimmerwalder" vergleichen ernsthaft den Krieg im Donbass mit dem Ersten Weltkrieg. Historische Parallelen sind immer riskant. Doch diese Parallele ist völlig sinnlos. Im Ersten Weltkrieg von 1914-1918 kämpften Blöcke imperialistischer Länder von ähnlicher Stärke um Märkte, Quellen für Rohstoffe und Kolonien. Der Sieg des anglo-französischen Blocks, was im Nachhinein leicht einzusehen ist, war für Zeitzeugen des Krieges nicht vorhersehbar, sogar für Marxisten nicht. Zum Beispiel hat Lew Kamenew, ein Anführer der Bolschewiken, einen deutschen Sieg vorhergesagt.

1914 waren zwei Zentren der Kapitalakkumulation, zwei Systeme der kapitalistischen Arbeitsteilung mit ihren Zentren in London und Berlin in einer mörderischen Schlacht miteinander konfrontiert. Diese Systeme hatten die Grenzen ihrer geographischen Expansion in den 1870ern erreicht und stießen auf die Grenzen des jeweils Anderen. Der letzte Akt dieser Expansion war die rasche Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter die Großmächte.



Der Kampf dieser Systeme der Arbeitsteilung (des deutsch-zentraleuropäischen, des anglo-französischen, des amerikanischen und des japanischen) war der ökonomische Grund für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es bloß ein solches System - angeführt von den USA. In den späten 1940ern verleibte es sich die europäischen Systeme und das japanische System ein, in den 1970ern absorbierte es die früheren Kolonien, in den 1980ern China und die osteuropäischen Volksrepubliken und in den 1990ern die Sowjetunion.

Die rechte, neoliberale Reaktion von Reagan-Thatcher gab diesem System seine vollendete, gegenwärtige Form. Im Herzen dieses System liegen die Federal Reserve als das Organ, das die Weltwährung produziert, der IWF, die WTO und die Weltbank.

Nach 2008 trat das System in eine Periode der systemischen Krise, deren Gründe ich an anderer Stelle untersucht habe, und des fortschreitenden Verfalls ein. Als eine Folge des Kollaps fingen die kapitalistischen Eliten einiger Länder damit an, die von Washington festgesetzten "Spielregeln" herauszufordern, weil das bestehende System nicht mehr länger die Attraktivität von vor der Krise hatte.

Daher haben wir nicht zwei Blöcke, die in einem tödlichen Showdown (wie 1914) aufeinander treffen, sondern eine brandneue Situation, - jenseits historischer Analogien - in der das System zusammenbricht und anfängt, in Teile zu zerbrechen, und einige kapitalistische Gruppen (organisiert in Nationalstaaten und transnationalen Formationen) versuchen, den bestehenden Rahmen des System zu revidieren, während andere Gruppen (Abhängige des Washingtoner "Oblast-Komitees"*) im Gegensatz dazu am Status Quo festhalten und jene strafen wollen, die an den heiligen Prinzipien des Systems rütteln.

Konflikte innerhalb des Systems hängen vielmehr mit seinen inneren Widersprüchen zusammen als mit einem Kampf zwischen einzelnen Zentren der Kapitalakkumulation und ihren Systemen der Arbeitsteilung wie 1914 und 1939.

Der moderne Imperialismus ist ein Weltsystem


Jene, die den heutigen Konflikt in der Ukraine als einen Kampf zwischen dem russischen und dem US-Imperialismus à la 1914 darstellen, haben analytische Fähigkeiten auf dem Niveau des Propagandisten Dmitri Kiseljow, der damit droht, Amerika zu "atomarem Staub" zu machen. Russland und die Vereinigten Staaten sind in Bezug auf ihre ökonomische Macht nicht zu vergleichen; sie kämpfen in verschiedenen Gewichtsklassen. Darüber hinaus gibt es keinen "russischen Imperialismus" und keinen "amerikanischen Imperialismus" im Sinne von 1914. Es gibt ein hierarchisch organisiertes imperialistisches Weltsystem mit den USA an der Spitze. Es gibt eine russische kapitalistische Klasse, die in dieser Struktur nicht auf der ersten und nicht eimal auf der zweiten Ebene verweilt, und die versucht hat, ihren "Status" in dieser Hierarchie anzuheben und die nun vor ihrem eigenen Hochmut zurückschreckt, nachdem sie auf den Widerstand des geeinten Westens stieß.

Man stelle sich einen Moment lang vor, Russland sei wirklich ein imperialistisches Land à la 1914, d.h. wie Italien mit seinem "Imperialismus der armen Leute". Solch ein Russland hätte wirklich imperialistische Interessen in der Ukraine, die primär mit dem Transport von Kohlenwasserstoffen zusammenhängen würden, und in weit geringerem Maß mit Industrieanlagen. Jedoch wären das keine Interessen, für die es vorsätzlich eine Verschlechterung der Beziehungen mit dem Westen riskieren würde.

In der ukrainischen Krise haben die russischen kapitalistischen Eliten keine bewusste imperialistische Strategie verfolgt, sie haben nur auf die Herausforderungen reagiert, welche die sich rasant entwickelnde Situation aufgeworfen hat. Sie haben halbherzig, widersprüchlich, inkonsequent reagiert und zeigten damit dem aufmerksamen Beobachter das Fehlen einer Strategie auf.

Mit der weiteren Entwicklung der Situation nach dem Putsch in der Ukraine und dem Anfang des Aufstands auf der Krim und im Südosten sah sich die russische Führung einem schwierigen Dilemma ausgesetzt. Nicht einzuschreiten und die Bevölkerung der Krim und des Südostens nicht zu unterstützen hätte einen Legitimationsverlust in den Augen der eigenen Bevölkerung bedeutet in einer sich verschlechternden ökonomischen Situation, die von einer politischen Krise begleitet wird, die viel tiefer ist als die Krise 2011. Intervenieren würde bedeuten, mit dem Westen zu brechen, mit unvorhersehbaren Nebenfolgen. Letztlich wählten sie den Mittelweg: Intervention in der Krim, aber nicht im Südosten.

Als jedoch der Aufstand im Donbass von einem friedlichen zu einem bewaffneten wurde, musste Russland Unterstützung anbieten. Es musste so handeln, da die militärische Unterdrückung der Rebellen mit stillschweigender Zustimmung Russlands eine Katastrophe für das Image der russischen Behörden innerhalb des Landes gewesen wäre. Aber diese Unterstützung wurde nur zögerlich geleistet. Putin rief die Menschen dazu auf, kein Referendum über die Unabhängigkeit der Donezker Volksrepublik und der Lugansker Volksrepublik abzuhalten und ein bedeutsamer Fluss militärischer Hilfen begann erst nach der Aufgabe von Slawjansk, als die Hauptstadt von Donezk von der Einnahme durch die ukrainische Armee bedroht war.

Solche Unterstützung erweckte den Unmut und Widerstand einer großen Fraktion der russischen Oligarchie, die nicht von einer Restauration des russischen Imperiums träumt, sondern von einer Partnerschaft mit dem Westen, die für beide Seiten vorteilhaft ist.

Historische Parallelen: Spanien 1936, Irland 1916, Rojava 2015


Ist es möglich, die Republiken zu unterstützen, wenn das russische Bourgeoisregime versucht, den Aufstand zu instrumentalisieren und ihn für die eigenen geopolitischen Interessen zu nutzen?

Lasst uns eine historische Analogie anführen. Sie scheint mir weit passender zu sein als die Analogie mit der Situation des Ersten Weltkriegs.

1936. Der Bürgerkrieg in Spanien. Stellen wir uns vor, die Sowjetunion hätte aus dem einen oder anderen Grund die Spanische Republik nicht unterstützen können oder es nicht gewollt und das bürgerliche Großbritannien und das bürgerliche Frankreich hätten im Gegensatz dazu Unterstützung geleistet, militärische Ausrüstung und humanitäre Hilfe geschickt, Kredite gewährt und sogar militärische Experten entsendet, um der republikanischen Armee und Miliz zu helfen. Natürlich hätten die kapitalistischen Eliten Großbritanniens und Frankreichs zugleich ihre eigenen Interessen verfolgt: Die Bewahrung Spaniens im eigenen System der Investition und des Handels im Kontext einer aufkommenden Konfrontation mit dem deutschen Block.

Hätte die Linke, auf dieser Grundlage, dem antifaschistischen Kampf der spanischen Republikaner ihre Unterstützung verwehrt? Natürlich nicht.



Ein anderes Beispiel: Der Osteraufstand der irischen Republikaner gegen das britische Imperium 1916. Alle, die sich selbst Linke nennen, würdigen diese heroische Episode im antiimperialistischen Kampf des irischen Volkes.

Unterdessen entschied eine der großen Fraktionen des Aufstandes - die Irish Republican Brotherhood - 1914 zu Anfang des Krieges, zu revoltieren und jede erdenkliche deutsche Unterstützung anzunehmen. Ein Vertreter der Brotherhood reiste nach Deutschland und erhielt eine Zusage für solch eine Unterstützung. Sie wurde nur deswegen nicht bereitgestellt, weil das deutsche Schiff mit den Waffen auf hoher See von einem britischen U-Boot abgefangen wurde.

Lenin unterstützte den irischen Aufstand unbedingt, trotz der Tatsache, dass er weit weniger "proletarisch" war als der Aufstand im Donbass. Und damals gab es Linke, die den irischen Aufstand einen "Putsch" schimpften, eine "rein städtische, kleinbürgerliche Bewegung, die, trotz der Sensation, die sie bewirkte, nicht viel sozialen Rückhalt hatte." Lenin antwortete auf sie: "Wer einen solchen Aufstand einen Putsch nennt, ist entweder der schlimmste Reaktionär oder ein hoffnungsloser Doktrinär, der unfähig ist, sich die soziale Revolution als eine lebendige Erscheinung vorzustellen." (1)

Trotz der offensichtlichen Unterstützung der Deutschen, geschweige denn der Tatsache, dass der Aufstand im Rücken des britischen Empire dem deutschen Imperialismus "in die Hände spielte", unterstützten echte Linke die irischen Republikaner. Sie unterstützen sie ungeachtet der Tatsache, dass der Sozialist James Connolly und seine Unterstützer gemeinsam mit den bürgerlichen und kleinbürgerlichen irischen Nationalisten kämpften. Natürlich sagte Connolly, dass eine Unabhängigkeitserklärung ohne die Bildung einer sozialistischen Republik für die Katz sein würde. Aber das sagt die Linke im Donbass ebenfalls.

Warum sollte das irische Beispiel nicht auch für das Donbass gelten, ein Beispiel aus der Ära des Ersten Weltkriegs, auf das die selbsternannten "Zimmerwalder" so stolz sind?

Oder nehmen wir ein modernes Beispiel. Es ist kein Geheimnis, dass die kurdische Miliz in Syrien, die gegen die Faschisten des IS kämpft, Unterstützung von den USA erhält. Auf dieser Grundlage soll die Linke eine Unterstützung für die Kurden von Rojava verwehren? Natürlich nicht.

Über die Jahre stütze sich der palästinensische Widerstand gegen die israelische Besatzung auch auf die Unterstützung bürgerlicher und undemokratischer Regimes im Nahen Osten und der Anteil der fortgeschrittenen und progressiven Elemente in der palästinensischen Führung war für gewöhnlich weit weniger günstig für die Kräfte des Fortschritts als er es im Donbass ist. Jedoch hat die Linke die palästinensische Befreiungsbewegung stets unterstützt.

Aber beim Donbass wenden manche Linke einen Doppelstandard an und suchen fleißig nach Ausflüchten, um die Donezker Volksrepublik und die Lugansker Volksrepublik zu verurteilen, sodass sie die Haltung des indifferenten Pazifismus einnehmen können. Wirkliche Linke nehmen solch eine Position niemals ein. "Gleichgültigkeit gegenüber dem Kampf ist daher in Wirklichkeit keineswegs Fernbleiben vom Kampf, Enthaltung vom Kampf oder Neutralität. Gleichgültigkeit ist stillschweigende Unterstützung desjenigen, der stark ist, desjenigen, der die Herrschaft hat", schrieb Lenin. (2) Die selbsternannten "Zimmerwalder" stellen sich, mit desinteressierter Miene abseits herumstehend, tatsächlich auf die Seite der Kiewer Behörden, die eine Strafexpedition gegen die Rebellen führen.

Krieg - die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln


"Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln", schrieb der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz. Diese Aussage wird von den Klassikern des Marxismus zustimmend anerkannt. (3) Welcher Art ist die Politik, die von Kiew und vom Donbass fortgesetzt wird? Um eine "neutrale" Position zu rechtfertigen, versuchen die imaginären "Zimmerwalder" zu beweisen, dass deren Politik dieselbe ist. "Alle Katzen sind grau" - das ihrer "marxistischen" Weisheit letzter Schluss.

Der Weltkrieg von 1914-1918 war wirklich die Fortsetzung derselben Politik Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Österreich-Ungarns und Russlands - die Politik der kolonialen Ausplünderung, des Kampfes um Kolonien und Märkte, des Kampfes zur Vernichtung der imperialistischen Konkurrenten. Der russisch-japanische Krieg von 1904-1905 war eine Fortsetzung derselben Politik.

Jedoch wäre es närrisch zu argumentieren, dass es einen Bürgerkrieg geben könnte, in dem die Parteien dieselbe Politik fortsetzen. Das Wesen des Bürgerkriegs ist es, dem Feind die eigene Politik aufzuzwingen, seine politische Macht zu brechen und die gesellschaftlichen Klassen oder Schichten zu unterdrücken, die seine Politik verfolgen. Nord- und Südvietnam führten eine unterschiedliche Politik durch, was in einen Bürgerkrieg mündete. Unterschiedliche Politik wird zum Beispiel auch vom Regime von Bashar al-Assad und vom IS, von Al-Kaida und anderen Islamisten in Syrien umgesetzt. Unterschiedliche Politik leitete die Spanische Republik und Franco in den Jahren 1936-1939. Unterschiedliche Politik wurde von Muammar Gaddafi und seinen Gegnern im Bürgerkrieg in Libyen von 2011 verfolgt.

Der Bürgerkrieg in der Ukraine ist also nicht die Fortsetzung derselben Politik. Was ist die unterschiedliche Politik Kiews und des Donbass?

Politik in Kiew


Die Politik Kiews im Bürgerkrieg ist eine logische Fortsetzung der Politik des Maidan. Da gibt es mehrere Komponenten:

1. Die "europäische Integration" und die Unterordnung unter den Imperialismus. Der erste Slogan des Maidan war die sogenannte "europäische Integration", die in Bezug auf die Ökonomie die Auslieferung der ukrainischen Märkte an die europäischen Unternehmen, die Transformation der Ukraine in eine Kolonie der Europäischen Union als Quelle für Rohstoffe und entrechtete migrantische Arbeitssklaven bedeutet. Heute, mehr als ein Jahr nach dem Sieg des Maidan, werden die ökonomischen Auswirkungen schon so tief gespürt, dass sie nicht einmal von den hartgesottensten "Euro-Optimisten" igoriert werden können. (4)

Das neue Regime in Kiew hat letztlich auch seine Souveränität abgestreift und ist zu einem Marionettenstaat geworden. Die Lösung des inneren Konflikts im Kiewer Regime zwischen dem Oligarchenpräsidenten Petro Poroschenko und dem Oligarchengouverneur Igor Kolomoiski erfolgte durch ein Gesuch an die US-Botschaft. Die Auslieferung der militärisch und logistisch strategischen Region von Odessa unter die direkte Kontrolle eines US-Zöglings, den früheren georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, bezeugt das ganz klar.

2. Ultraliberalismus. Die Regierung nach dem Maidan hat durchgehend eine Politik verfolgt, die vom IWF diktiert wird. Und das ist kein "Betrug" an den Erwartungen des Maidan. All das wurde auf der Kanzel des Maidan erklärt und die politischen Kräfte, die die Bewegung anführten, haben lange und durchgehend den ökonomischen Neoliberalismus bevorzugt. Die Bewegung hin zur vollständigen Privatisierung und zur systematischen Vernichtung der Überreste des Wohlfahrtsstaates - das ist das Wesen der ökonomischen Politik des Poroschenko-Jazenjuk-Regimes. Linke Leser benötigen wahrscheinlich keine Erklärung meinerseits über die Schädlichkeit solcher Politik für die Arbeiterklasse und andere Volksschichten.

3. Nationalismus und Faschismus. Nationalisten und offene Faschisten haben durch den Maidan die Auferlegung ihrer Agenda erreicht. Unsere Organisation schrieb im Winter 2014: "Es war  zweifellos ein Erfolg der Nationalisten, dass es ihnen dank großer Aktivität gelungen ist, dem Maidan ihre ideologische Führung aufzudrücken. Davon zeugen die Losungen, die zu eigentümlichen "Parolen" für die Zusammenrottung der Massen und Aktivisten auf dem Maidan wurden: So z.B. "Heil der Ukraine - Heil den Helden!", das zusammen mit dem gehobenen rechtem Arm und ausgestreckter Hand der Parteigruß der Organisation der ukrainischen Nationalisten vom April 1941 war. So auch "Heil der Nation - Tod den Feinden!", "Ukraine über alles!" (wie mit dem wohlbekannten deutschen "Deutschland über alles!") und "Wer nicht hüpft, der ist ein Russ."  Bei den anderen oppositionellen Parteien gab es schlicht keine eindeutige ideologische Linie und kein Inventar an Losungen, sodass der liberale Teil der Opposition die nationalistischen Losungen und die nationalistischen Order übernahm." (5)

Daher wurde kam es zur Bildung der Allianz aus Neoliberalen und Nazis. Die Neoliberalen übernahmen das politische Programm der ukrainischen Faschisten und die Nazis stimmten der Durchführung der neoliberalen Linie in der Wirtschaft zu. Diese Allianz wurde von Vertretern des Imperialismus wie Catherine Ashton, Victoria Nuland und John McCain "geweiht". Ein anderer wichtiger Punkt bei der Faschisierung der Gesellschaft nach dem Maidan war die Legalisierung paramilitärischer Nazigruppen und die Integration der Nazis in die Staatsgewalt.

4. Die gewaltsame Unterdrückung politischer Gegner, Repression, Zensur der Medien, das Verbot der kommunistischen Ideologie. Es ist nicht notwenig, Beispiele zu geben, da dies allgemein bekannt ist.

5. Verachtung der Arbeiterklasse bzw. "Klassenrassismus". Auf dem Maidan unter Führung der Oligarchie begründet, hat die Ideologie des gesellschaftlichen Blocks der nationalistischen Intelligenzija und der kleinen Eigentümer der "Mittelschicht" den westukrainischen "Mann auf der Straße" infiziert, der seinen Klassenfeind klar bestimmt: das "Vieh" im Donbass. Mit diesem "Klassenrassismus" gegen die proletarische Mehrheit im Südosten schart die Oligarchie breite gesellschaftliche Schichten um sich selbst und bringt sogar den nicht gerade reichen Jedermann auf den Straßen Kiews dazu, eine Politik im Interesse der Milliardäre Poroschenko und Kolomoiski zu unterstützen.

Das sind die wesentlichen Züge der Politik des neuen Regimes in Kiew. Das ist die Klassenpolitik des transnationalen imperialistischen Kapitals und der ukrainischen kapitalistischen Oligarchie, die aus ihrer Krise auf Kosten der Arbeiterklasse zu entkommen versucht. Diese Politik basiert auf der Nutzung des Kleinbürgertums, der sogenannten "Mittelschicht", als ihre Fußtruppe. In den 1930ern nannte man diese Form der politischen Diktatur im Interesse des Großkapitals: Faschismus.

Die Politik im Donbass


Da die Staatlichkeit der von den Rebellen befreiten Gebiete der Regionen von Donezk und Lugansk gerade erst entsteht, ist es vermutlich noch zu früh, um letzte Schlussfolgerungen über die Politik der Donezker und Lugansker Volksrepubliken zu ziehen. Jedoch können wir einige Trends herausarbeiten:

1. Antifaschismus. Die Rebellen aller politischer Überzeugungen charakterisieren das Regime, das nach dem Maidan in Kiew entstanden ist, definitiv als faschistisch. Häufig ohne einen klaren wissenschaftlichen Begriff von Faschismus zu haben, lehnen sie dennoch die folgenden Merkmale des Kiewer Regimes ab: Extremen Nationalismus, chauvinistische Sprachenpolitik, Antikommunismus und Sowjetfeindlichkeit, Repression politischer Gegner, die Rehabilitierung von Naziverbrechern und Kollaborateuren mit den Nazis.

2. Antioligarchismus. Die Rolle der ukrainischen Oligarchie als Hauptsponsor und -nutznießer des Maidan und des rechten nationalistischen Putsches wurde ein wesentliches Element des Bewusstseins der Widerstandsbewegung im Südosten. Zudem wurde im Winter und Frühling 2014 die völlige Abhängigkeit und Unterordnung der ukrainischen Oligarchie unter den Imperialismus unter Führung der USA offenbar. Ein gutes Beispiel ist das Verhalten des "Meisters des Donbass" und Hauptsponsors der Partei der Regionen, Rinat Achmetows. Dieser "freundliche" Donezker Oligarch unterstützte, nach einer Konversation mit der Vertreterin des US-State Department, Victoria Nuland, offen den Maidan, indem er eine besondere Mitteilung im Namen seiner Firma SCM veröffentlichte. Dann konnten die Ukrainer Rinat Achmetow bei der Inauguration des "Maidanpräsidenten" Petro Poroschenko sehen.

In dieser Hinsicht kann so argumentiert werden: Für die Rebellen des Donbass und die Massen, die im WIderstand gegen den Südosten invovliert sind, sind die antioligarchischen Slogans nicht bloßer "Populismus". Diese Massen, haben aus eigener Erfahrung die Rolle der Führung der herrschenden Klasse, der ukrainischen politischen Oligarchie, verstanden.

Das unterscheidet die progressive Massenbewegung im Südosten von der reaktionären Massenbewegung des Maidan. Einige milde antioligarchische Losungen waren ebenfalls auf dem Maidan zu hören. Allein, sie verließen niemals den bestehenden Rahmen, welcher der sozialen Demogogie und dem Populismus der rechten Bewegung inhärent war - der direkte Beweis dafür ist die Wahl des Oligarchenpräsidenten Petro Poroschenko durch die Massen des Maidan, wie auch die Zustimmung zur Aufstellung solcher Oligarchen wie Igor Kolomoiskis oder Sergej Tarutas auf Schlüsselposten.

3. Antineoliberale Politik. Ein wichtiges Merkmal des inneren Lebens der Donbassrepubliken ist der Trend zu sozialdemokratischen, keynesianischen Modellen der ökonomischen Entwicklung, der sozial ausgerichtete Staatskapitalismus. Während das nur ein Trend ist, wenn auch ein wichtiger, ist es das Gegenteil der ökonomischen Politik der Kiewer Behörden. Zaghafte Schritte in Richtung einer Verstaatlichung strategischer Anlagen (wie der Einzelhandel, Minen etc.) treffen auf das Wohlwollen der Bevölkerung. Alexander Borodai, der sich durch seine Aussage auszeichnete, dass "wir keine Verstaatlichungen durchführen werden, weil wir keine Kommunisten sind", hat die Führung der Volksrepublik Donezk verlassen. Im Gegensatz dazu macht die Führung der Republiken nicht nur Schritte hin zur Rückführung einiger Industrien, des Handels und der Infrastruktur in Staatseigentum, sondern wirbt für diese Maßnahmen aktiv innerhalb der Bevölkerung.

4. Völkerfreundschaft, Internationalismus und russischer Nationalismus. Jeder, der im Donbass war, bemerkt den internationalen Charakter der Region. Gefährliche Trends zum russischen Nationalismus als Antwort auf den ukrainischen Chauvinismus der neuen Kiewer Behörden haben sich nicht auf ernst zu nehmende Weise entwickelt (obwohl diese Gefahr von Gegnern der Volksrepubliken für Propagandazwecke ausgenutzt wurde). Im Gegenteil zeigt die Formalisierung der ukrainischen Sprache zur zweiten offiziellen Sprache in der fast völlig russischsprachigen Region die Intention, eine demokratische Nationalitäten- und Sprachenpolitik umzusetzen. Es war auch ein wichtiges Signal, dass der Geburtstag des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko in Donezk und Lugansk offiziell gefeiert wurde. Das zeigt, dass die Führung der Republiken die Bedeutsamkeit einer Alternative zur chauvinistischen und repressiven Sprachen- und Kulturpolitik Kiews versteht.

Ebenso wenig gab es eine ernst zu nehmende Entwicklung einer anderen Gefahr, der Klerikalisierung der Widerstandsbewegung. Ungeachtet der Tatsache, dass die orthodoxe Kirche in mehreren Dokumenten der Volksrepubliken erwähnt wird, spielen klerikale Kräfte keine entscheidende oder bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Leben des Donbass. Die Widerstandsbewegung ist ihrer Natur nach mehrheitlich säkular und der Einfluss von Kirche und Religion geht nicht über den der Vorkriegsperiode in der Ukraine hinaus. Dies unterscheidet die Widerstandskräfte vom Maidan, bei dem die griechisch-katholische Kirche eine bedeutende Rolle spielte (mit täglichen Gebeten, die von der Kanzel des Maidan verlesen wurden, Kirchenhymnen etc.).

Das sind die wesentlichen Elemente der Politik der Volksrepubliken des Donbass. Natürlich ist diese Politik nicht sozialistisch. Aber sie lässt den Raum offen für die Linke, die Kommunisten, in solch einer Bewegung teilzunehmen unter dem eigenen Banner, mit eigenen Ideen und Losungen, ohne die eigenen Ansichten und das eigene Programm zu verwerfen. Die Bewegung des Maidan und das Regime nach dem Maidan konzentrierten sich von Anfang an auf militanten Antikommunismus, der solche Möglichkeiten nicht bietet.

Indem wir im Detail überprüft haben, welche Art der Politik der Bürgerkrieg für beide Seiten darstellt, müssen wir zur Schlussfolgerung kommen, dass aus Sicht linker, antikapitalistischer Kräfte diese Politik keine einheitliche ist. Die selbsternannten Zimmerwalder, die behaupten, beide Seiten seien ein und dasselbe, zeigen, dass sie entweder unfähig sind, eine Analyse der Politik Kiews und des Donbass durchzuführen oder - was wahrscheinlicher ist - Heuchler sind.

Gerechte und ungerechte Kriege


Die Haltung von Marxisten zum Krieg kann nicht auf das einzelne Beispiel des Ersten Weltkriegs reduziert werden. Marxisten haben immer Kriege der Unterdrückten gegen die Unterdrücker unterstützt und den Rückzug auf den Pazifismus und Gleichgültigkeit im Falle eines gerechten Krieges als bürgerliche Heuchelei und als heimliche Unterstützung für die Herrschaften betrachtet.

Ja, sogar im Ersten Weltkrieg waren jene Sozialisten, die sich nicht durch Verrat beschmutzt haben und die nicht in den Dienst der imperialistischen Regierungen eingetreten sind, nicht bloß für ein Ende des Bruderkrieges, in dem Arbeiter eines Landes die Arbeiter eines anderen Landes für die fremden Interessen der kapitalistischen Elite töteten; diese Sozialisten forderten die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg. Sie sagten, dass die Unterdrückten ihre Waffen auf ihre eigenen Unterdrücker richten sollten. Die Bewaffnung der Volksmassen sollte zum Mittel der sozialen Revolution werden.

Lenin schrieb, "daß es in der Vergangenheit, in der Geschichte Kriege (demokratische und revolutionäre Kriege) gegeben hat (und gewiß auch künftig geben wird und geben muß), die, obwohl sie für die Zeit des Krieges jedes 'Recht', jede Demokratie durch Gewalt ersetzen, ihrem sozialen Gehalt und ihren Folgen nach der Sache der Demokratie und folglich auch des Sozialismus dienten." (6) Es ist solch ein Krieg, den wir nun im Donbass haben. Das ist die Position von wirklichen, linken Zimmerwaldern. Die imaginären "Zimmerwalder" Kiews, die eine Entwaffnung beider Seiten des Konfliktes fordern, stellen zwischen die Rebellen einerseits und die neonazistischen Freiwilligenbatallione und regulären Truppen, die man an die Front zwingt, andererseits ein Gleichzeichen. Die Forderung nach der Entwaffnung der Rebellenmilizen ist die Forderung nach ihrer Kapitulation und es ist unwahrscheinlich, dass die selbsternannten Zimmerwalder dies nicht begreifen.
Natürlich bedeutet jeder Krieg Blut und Leid für die Menschen, aber diesen Krieg mit einer vollständigen Kapitulation des Aufstandes zu beenden, hieße, dass das Blut umsonst vergossen wurde. Außerdem hieße das Vergeltung und Repression durch die nationalistischen Kräfte gegen die Bevölkerung des Donbass.

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Anmerkungen:


(1) Lenin schrieb weiterhin in "Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung" vom Juli 1916: "Denn zu glauben, daß die soziale Revolution denkbar ist ohne Aufstände kleiner Nationen in den Kolonien und in Europa, ohne revolutionäre Ausbrüche eines Teils des Kleinbürgertums mit allen seinen Vorurteilen, ohne die Bewegung unaufgeklärter proletarischer und halbproletarischer Massen gegen das Joch der Gutsbesitzer und der Kirche, gegen die monarchistische, nationale usw. Unterdrückung - das zu glauben heißt der sozialen Revolution entsagen. Es soll sich wohl an einer Stelle das eine |364| Heer aufstellen und erklären: "Wir sind für den Sozialismus", an einer anderen Stelle das andere Heer aufstellen und erklären: "Wir sind für den Imperialismus", und das wird dann die soziale Revolution sein! Nur unter einem solchen lächerlich-pedantischen Gesichtspunkt war es denkbar, den irischen Aufstand einen "Putsch" zu schimpfen.

Wer eine "reine" soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution.

Die russische Revolution von 1905 war eine bürgerlich-demokratische Revolution. Sie bestand aus einer Reihe von Kämpfen aller unzufriedenen Klassen, Gruppen und Elemente der Bevölkerung. Darunter gab es Massen mit den wildesten Vorurteilen, mit den unklarsten und phantastischsten Kampfzielen, gab es Grüppchen, die von Japan Geld nahmen, gab es Spekulanten und Abenteurer usw. Objektiv untergrub die Bewegung der Massen den Zarismus und bahnte der Demokratie den Weg, darum wurde sie von den klassenbewußten Arbeitern geführt.

Die sozialistische Revolution in Europa kann nichts anderes sein als ein Ausbruch des Massenkampfes aller und jeglicher Unterdrückten und Unzufriedenen. Teile des Kleinbürgertums und der rückständigen Arbeiter werden unweigerlich an ihr teilnehmen - ohne eine solche Teilnahme ist ein Massenkampf nicht möglich, ist überhaupt keine Revolution möglich -, und ebenso unweigerlich werden sie in die Bewegung ihre Vorurteile, ihre reaktionären Phantastereien, ihre Fehler und Schwächen hineintragen. Objektiv aber werden sie das Kapital angreifen, und die klassenbewußte Avantgarde der Revolution, das fortgeschrittene Proletariat, das diese objektive Wahrheit des mannigfaltigen, vielstimmigen, buntscheckigen und äußerlich zersplitterten Massenkampfes zum Ausdruck bringt, wird es verstehen, ihn zu vereinheitlichen und zu lenken, die Macht zu erobern, die Banken in Besitz zu nehmen, die allen (wenn auch aus verschiedenen Gründen!) so verhaßten Trusts zu expropriieren und andere diktatorische Maßnahmen durchzuführen, die in ihrer Gesamtheit den Sturz der Bourgeoisie und den Sieg des Sozialismus ergeben, einen Sieg, der sich durchaus nicht mit einem Schlag aller kleinbürgerlichen Schlacken "entledigen" wird."
(2) W.I. Lenin, "Sozialistische Partei und parteiloser Revolutionismus", Nov.-Dez. 1905.

(3) Zum Beispiel schrieb Lenin: "In Bezug auf Kriege ist die grundsätzliche Position der Dialektik … dass 'Krieg [...] eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln' ist. Das ist die Ausdrucksweise von Clausewitz.... Und das war immer der Standpunkt von Marx und Engels, die jeden Krieg als Fortsetzung der Politik der betreffenden Staatsmacht ansahen - und der verschiedenen Klassen innerhalb dieser - zu jener Zeit."  W.I. Lenin, Gesammelte Werke (russische Ausgabe), 5. Ausgabe, Band 26, S. 224, (eigene Übersetzung des Übersetzers).

(4) Man erinnere sich daran, dass diese Linken, die sich heute als "Zimmerwalder" darstellen wollen, dieselbe Politik unterstützten, die als Krieg gegen den Donbass fortgesetzt wurde. Hier das, was der imaginäre Liebknecht schrieb: "Wir fordern die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der Europäischen Union und sind zuversichtlich, dass das die Demokratie stärken wird, die Transparenz in der Regierung erhöhen wird, zur Entwicklung eines fairen Rechtssystems führen und die Korruption begrenzen wird." (Link nicht mehr auffindbar: http://gaslo.info/?p=4541)

Schon damals schrieben wir: "Euro-Hysterie hat die politische Bewegung links von der KPU überflutet. Eine anarchistische Gruppe brachte einen Flyer heraus, der nicht erwähnt, dass die europäischen Anarchisten sich der EU aktiv entgegenstellen - nur die üblichen Mantras über 'Selbstorganisation'. Eine kleine trotzkistische Gruppe wurde am Rande der Maidan-Menge fotografiert, die 'Ehre der Nation! Tod den Feinden!' skandierte und eine Stellungnahme herausbrachte, die die Webseite einer beliebigen liberalen NGO zieren könnte:

'Wir fordern die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der Europäischen Union und sind zuversichtlich, dass das die Demokratie stärken wird' etc. pp.

Genossen, es ist Zeit, sich zu erinnern, was Opportunismus ist. Es ist nicht notwendigerweise die Teilnahme an Wahlen (das parlamentarische System kann auf revolutionäre Weise genutzt werden). Opportunismus ist - unter anderem - die Anpassung der eigenen Politik an die Stimmung der Menge, an den Mainstream und schließlich an fremde Klasseninteressen.

Auf dem Weg des Opportunismus befinden sich diejenigen ukrainischen Linken, die aus ihren Stellungnahmen die Slogans gegen die EU, die allen europäischen Linken eigen sind, entfernt haben. Sie haben sie entfernt, sodass sie am Straßenrand des 'Euromaidan' stehen konnten... dessen Sieg nicht nur nicht der Verbreitung der berüchtigten europäischen Werte stärken wird, sondern im Gegensatz dazu garantiert diejenigen Nationalisten an die Macht bringen wird, die uns heute attackieren.

Ist das wirklich linke Politik oder nur ein Spiel mit dem rechts-liberalen Block? Können sie ernsthaft jemanden in der Euromaidan-Menge überzeugen? Nein, im Gegenteil haben sie ihre Linie der Hysterie wegen der europäischen Integration angepasst, die die kleinbürgerlichen Massen in Kiew erfasst hat, wo 20 Jahre rechte Propaganda die 'demokratische' Menge zum 'demokratischen' Sprechgesang tanzen ließ: 'Wer nicht hüpft, der ist ein Russ.'** Sie entfernen alle Slogans gegen die imperialistische EU, um zu zeigen, dass sie zur liberal-nationalistischen Menge 'gehören' - obwohl nur die Linke den Ukrainern die Argumente gegen die EU, die die europäischen Linken und Gewerkschafter teilen, vermitteln kann. Sie sind der Stimmung ihrer nicht-linken Freunde erlegen. Und dann werden sie sich ihrer Handlungen schämen, so wie es beschämend war für die Unterstützer des "Volkspräsidenten" Juschtschenko einige Jahre nach dem vorherigen 'Maidan' - als einige wenige Linke ebenfalls eine Kampagne mit dem selben Erfolg geführt hatten.

Die Hysterie wird verfliegen, aber die Erinnerung wird bleiben, Genossen."

(5) http://borotba.su/sergei-kirichuk-uchastie-nacionalistov-factor-padeniya-populyarnosti-maidana.html

(6) W.I. Lenin: "Antwort an P. Kijewski (J. Pjatakow)", Aug.-Sept. 1916.

*Die KPdSU hatte ein sogenanntes "Oblast-Komitee", das für den Zusammenhalt der russischen Regionen zuständig war. Im Russischen dient das Wort in diesem Fall als Spott gegenüber den westlichen Vasallenstaaten der USA.

**Das ursprüngliche Wort москаль (Moskal) hat sich im Deutschen noch nicht verbreitet. Es ist abwertend und lässt sich grob mit "Russ" oder "Russki" übersetzen.

Von Wiktor Schapinow