Sonntag, 2. Februar 2014

Cr7z

Wenn es so etwas wie ein Genie gibt, dann ist Cr7z ein Rap-Genie. Gelesen wird Cr7z wie Chris oder auch einzeln ausbuchstabiert: C R 7 Z. Sein bürgerlicher Name ist Christoph Hess. Ja, er ist wohl verwandt mit der Nazi-Größe Hess, was er in vielen Liedern auch durchklingen lässt. Idioten haben ihm bereits Nazi-Symboliken an die Wand geschmiert deswegen. Deutschrapper mit Anspruch, Teil 7.

Vielleicht ist Cr7z auch deswegen so melancholisch. Er hat bestimmt nicht wenig nachgedacht über die Höhen und Tiefen des Mensch-Seins. Daher ist sein musikalisches Talent von aller größter Leidenschaft und Leid erfüllt. Weltschmerz ist allgegenwärtig in seinem bisherigen Schaffen. Dennoch ist er kein Emo.

Er kennt Hoffnung und Liebe, sogar Respekt von Amewu, Chefket und Absztrakkt, die seine Mentoren waren. Und er war ihr genialer Schüler, ein großartiges Talent. Allerdings erwartet die talentiertesten Schüler ja immer das selbe Schicksal. Ob das auch auf Cr7z zutrifft?

Ein Genie akzeptiert keine künstlichen Schranken


Entsprechend spiegelt sich das in seiner Musik wider. Wie ein Genie stellt Cr7z eigene Regeln für die Rap-Poetik auf. Er unterwirft sich den bisherigen Regeln nur dort, wo sein Talent es für nötig hält. Wo formale Schranken ihn aufhalten, da walzt er sie nieder. Jedenfalls wendet er sich gegen Reimzwang, Gangstergehabe, Kommerzmotive und Vereinnahmung durch Andere. Er hat seinen ganz eigenen Stil und seine ganz eigene Message, was in jedem einzelnen Lied rüberkommt. Er unterwirft sich die Kunst. Sein Rap ist wie ein elegant geschwungener Degen, mit dem er ein Herz in den Sand malen oder Kehlen aufschneiden kann. Je nach Laune.

Cr7z hat offenbar ein klares Ziel vor Augen. Oder zumindest fährt er wie ein Hochgeschwindigkeitszug in eine ganz bestimmte Richtung. Man hat den Eindruck, dass er bereits hunderte Tracks auf dem Weg zum Ziel veröffentlicht hat. Jedenfalls findet man Unmengen an Titeln kostenlos online. Cr7z, sag mal, wie viele sind es denn etwa? 200, 300, 400? Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es ihm darum geht, der riesigen Masse an Menschen eine entsprechende Masse an Liedern zu widmen, was er in einem Lied sogar wörtlich so sagt. Wenn er sich nur nicht so sehr von dieser Masse abgrenzte.

Wie schätzt er selbst sein Genie ein? Über seine Tätigkeiten rappt er, "die Wechselspiele zwischen Peitsche und Brot sind bei mir nicht wegzudenken", "würde ich stoppen, würde es meinen Verstand verkrüppeln", "es ist kein Witz, wenn man sagt, dass ich überlegen bin; guck dir an, was du machst - dann geh in die Ecke und schäme dich. Rap' die Wahrheit mit eisernem Willen. Ansonsten guck' ich P.S. Ich liebe dich und wein' bei dem Film."



"Das Biest" und die Gefahren der Menschheit


Die dumpfe, einförmige und seelenlose Masse ist für Cr7z ein Anstoß der Empörung. Er scheint die Geist- und Lieblosigkeit der Menschen zutiefst zu verachten. In fast jedem Lied kommt dieser Eindruck rüber. Im Grunde ist Cr7z eine Art einsamer Ronin, der gegen etwas Dunkles, Unbekanntes, Beängstigendes ankämpft. Er selbst nennt es "das Biest".

Das Biest ist aber kein einfaches Feindbild. Es ist vielmehr ein dialektischer Gegensatz zu Cr7z. Es ist ein Teil seines Ichs und zugleich etwas, was er von sich fern halten muss, ein bisschen wie ein weißer Hai aus Deep Blue Sea, der den Taucherkäfig mit aller Gewalt zu demolieren versucht. Ein noch passenderes Bild ist vielleicht der Hulk. Cr7z ist ein wenig wie der Hulk. Solange er sich kontrollieren kann und seine Kunst ihm als Ventil dient, kann er friedlich sein. Aber reize ihn nicht zu sehr, denn sonst "hast du ein Messer an der Kehle".

Das Biest ist also in Cr7z selbst und es umgibt ihn zugleich. Es liegt nahe: dieses "Biest" ist nichts anderes als die Menschheit. Cr7z liebt und hasst dieses Biest. Er kann sich von diesem Biest trotz aller Mühen nicht abtrennen. Dafür müsste er schon vor die Bahn springen. Aber solange er Leben in sich hat, muss er also ein Teil dieses Biestes bleiben. Wie der unbesiegbare Hulk ist auch dieses Biest unbesiegbar. Anders als der Hulk ist es aber sterblich. Löscht sich die Menschheit aus, ist auch das Biest ausgelöscht. Genau darum geht es bei Cr7z, dessen überragende Kunst vor den drohenden Gefahren der technokratischen Revolution warnt. Oder in seinen eigenen Worten: "Drecksversager, Drecksvisagen, Drecksgelaber, Drecks-gewalttätiges-Pack macht seit Tag 1 unsere Kinder krank, vergiftet die Flüsse".

Eines der stärksten Lieder von Cr7z ist "Neue Welt". Epischer Chorgesang begleitet den dystopischen Sprachgesang von Cr7z. Obwohl er Alltagswörter und vulgäre Sprache nutzt, klingt alles, was er sagt dadurch wie die letzte Predigt eines reuigen Papstes vor dem jüngsten Gericht. Dann kann es nämlich nicht mehr um Lug und Trug, um Ausbeutung und Auspeitschung durch die Kirche gehen, sondern ausnahmsweise Mal wirklich um das Seelenheil auch des aller letzten Sünders. In diesem Duktus warnt Cr7z also die Menschheit vor dem endgültigen Aus:

Yeah, der Verfall unserer Gesellschaft schreitet weiter fort
Die Zukunft war noch weit entfernt
Erinnert ihr euch? Wir sprachen wie's einmal wird
Und wenn man nachdenkt, merkt man, dass es bereits soweit ist
Aber irgendwie hat den Switch keiner so richtig mitgekriegt
Damals hab ich dich besucht, als es mir nicht gut ging
Heute schreib ich das Wort über das Internet
Plötzlich bist du offline und bevor ich zu dir hintercheck
Haben mir andere schon wieder 'nen Link geschickt
Und ich nick besoffen mit
Wir haben uns schon so daran gewöhnt und finden's nicht mal zum Kotzen
Denn die Informationen stehen uns in ihrer Schönheit offen
Wir können uns ansehen wie im Osten wieder 'n Kind verreckt
Und wieder rüberklicken, wo es Mittel gibt die Pipe zu stopfen
Gefühl verworren, wir machen die Boxen an und tanzen
Lachend geht die Welt zugrunde, lieber noch 'ne Runde zocken
Alle tun es und keiner warnt mehr zur Vorsicht
Mich warnt schon allein ein Junge, der alleine auf ein Tor schießt

Ein wichtiges Motiv ist dabei die Betäubung, die Unbewusstheit, die Schläfrigkeit. Menschen denken, die unkontrollierbaren Gefahren und bösen Machenschaften aus Filmen und Spielen gäbe es nicht in der Realität. Die Realität wird vielmehr als "ganz gleichgültig und grau" aufgefasst. "Am Anfang merkt man noch nicht viel davon". Aber irgendwann sitzt man mit "heiligen Augen" vor bunten Bildschirmen, um vor dem eigenen Grau zu fliehen.

Oder man ist an den Arbeitstagen ein untotes Stück Fleisch. Man dient als Erweiterung für Maschinen und Computer, um am Wochenende die herrliche Illusion der Lebendigkeit zu genießen. "Zombies" und "Cyborgs" bevölkern jetzt schon die neue Welt. Alko-Pops, Wodka-E, Tequila sind zu Lebenselixieren geworden, die für kurze Zeit die trägen Zombies quicklebendig machen. Und die Cyborgs müssen monotone, mechanische, geradezu maschinelle Tätigkeiten im Fitness-Studio und beim Lohnarbeiten machen. Beide dienen im Grunde dem Herren der "toten Arbeit", der kapitalistischen Maschinerie.

Dass sie ironische Sendungen, urkomische Filme und sarkastische Witzchen machen können ist kein Beweis für Leben. Leben ist nicht einfach eine biologische Eigenschaft von Materie. Leben ist eine geistige Haltung, die Lebewesen zelebrieren oder in sich selbst abtöten können. "Das Biest" von Cr7z ist nichts anderes als die Selbsttötung der Menschen, die einander in blinder Wut abschlachten oder "tanzend und lachend" "dem Untergang geweiht" sind.

In "Neue Welt" wird erklärt, der Mensch habe sich selbst bereits betäubt, um sich nun schmerzfrei sezieren zu können. In der Hook von "Neue Welt" wird der technokratische Charakter der kommenden Gefahren deutlich unterstrichen:

Wie betäubt, wir bekommen kaum noch mit, was uns hier hält
Digitalisiertes Freuen, wir finden alles, was gefällt
Und was einmal begann mit dem Teufel und dem Geld
Ist heute die Wand die herrunterfällt, betreten wir die neue Welt
Und stehen wir einmal da, wo sie uns sehen, gibt es kein Zurück
Der Mensch wird gläsern, Bequemlichkeit gibt uns einen Chip
Kein Science Fiction, ja, wir sind daran teils selber Schuld
Ich hab dich so geliebt und werd dich nie vergessen, alte Welt

"Kali Yuga" ist eine okkultistische Warnung der Menschheit vor dem Zeitalter des Verfalls und Verderbens. Besonders okkulte Quellen behaupten über dieses dekadente Zeitalter:

"Als solches wurde es oftmals zu dem von Hesiod in der Theogonie geschilderten griechischen „Eisernen Zeitalter“ in Beziehung gesetzt und auch "Eisernes Zeitalter" genannt. [...] Herr über diese Zeit ist der schwarze apokalyptische Dämon Kali, laut Vishnu Purana die negative Manifestation von Vishnu, der in dieser Form für die Zerstörung des Universums zuständig ist. Kaliyuga wird (fälschlicherweise) auch oft mit der Göttin Kali (kālī) assoziiert, die generell für dunkle, materielle Aspekte steht. Kali bezeichnet auch die mit einem Punkt bezeichnete Verliererseite des Spielwürfels. Nach der buddhistischen Kosmologie bezeichnet ein solches finsteres Zeitalter die vierte und letzte größere Zeitperiode eines Zeitabschnitts von zirka 3.000 Jahren, nach der Geburt eines Buddhas bis zum Erscheinen eines neuen Buddhas."



"Das Kind" und die Hoffnung der Menschheit


Das Gegenteil vom "Biest" ist das "Kind". Es ist ebenso in Cr7z und umgibt ihn (wohl) auch. Das Kind ist im Grunde die ursprüngliche Naivität, die kindliche Unschuld und Reinheit der Menschen. Verkörpert wird es tatsächlich von Kindern. Cr7z betont, er verstehe sich "nur mit Alten und mit Kindern", aber nicht mit der grauen Masse dazwischen. Wieso wohl?

Kinder und Alte sind vielleicht etwas einfältig wie Cr7z selbst. Aber sie haben entweder noch keine Schandtaten begangen oder bereuen sie aufrichtig. Entweder sind sie aus Naivität gut oder aus Weisheit. Die Menschen dazwischen dagegen sind zum großen Teil Anhänger des "Biestes", der Selbstvernichtung der Menschheit. Während also jung und alt die Menschlichkeit repräsentieren, vertreten die "Erwachsenen" Un-Menschlichkeit.

Während unausgewachsene Kinder und senile Alte sich dem Zustand von liebenswerten Tieren annähern, nähern sich die selbstständigen Erwachsenen hassenswerten Un-Tieren, d.h. dem Biest. Cr7z hat sogar ein Album "Zurück zum K7nd" genannt. In seinem Track "33°" stellt er klar:


Mir ist das Wichtigste das Kind, viele haben es verloren. Klar, du freust dich über'n Porsche. Ach, wie soll ich's dir erklär'n? Schlaf dich erstmal aus. Vielleicht kapierst du's morgen. Es gibt dafür kaum 'ne Formel. Ich glaub', es kommt aus dem Bauch und aus dem Herz, und mit etwas Glück wohl auch aus dem Verstand. [...] Hat keiner Lust, mit mir mit zukommen, um das Leben zu ergründen? Was weiß ich, vielleicht gibt es auch nichts zu finden, aber immer noch besser als hechelnd zu dürsten in der Dürre.


"Hoffnungsschimmer" illustriert diese Haltung zum Leben am klarsten. Es lohnt sich auch, das Video dazu zu genießen. Es gibt nur wenige Rap-Videos, die auch nur annähernd die Schönheit dieser Vorstellung erreichen können. Auch die skits aus "Ichi - die blinde Schwertkämpferin" sind wunderbar gewählt, wenn Cr7z Ichi sagen lässt: "Wir sehen einfach nicht die Grenze. Und deswegen haben wir Angst." Wie so oft bei Cr7z geht es in diesem Stück um Blindheit für das Gute und Böse, das in der Welt passiert. Ichi sagt daher passend: "Ich weiß nicht wer böse ist und wer es nicht ist. Ich hab kein Gespür dafür, wie weit ich gehen kann. Ich sehe keine Grenzen, kann nichts unterscheiden. Ich hab nicht mal ein richtiges Gefühl, dafür, ob ich noch lebe oder schon tot bin."

Ichi - die blinde Schwerkämpferin, www.arte.tv

Offenbar hat die Blindheit der Menschen für Cr7z also wirklich mit ihrem untoten Dasein zu tun. Blindheit für die Welt ist bei Cr7z das selbe wie das Fehlen von moralischen Maßstäben und Lebendigkeit. Der geniale Dreh im Film mit der blinden Schwertkämpferin ist, dass sie in Wirklichkeit weniger blind ist als die sehenden Schergen, von denen sie ständig attackiert und misshandelt wird. Wer den Film kennt, kennt vielleicht auch die Anspielung von Cr7z auf Ichis Beziehung zu den Kindern. Auf die Frage, ob sie Kinder möge, antwortet Ichi ganz und gar im Sinne von Cr7z:

"Ich hasse sie. Sie sind lästig, sind mir zu laut. Aber: Sie sind unverdorben. Man kann ihnen mehr trauen als den Erwachsenen."

Die Schwertkämpferin Ichi steht insofern für den Kampf des unverdorbenen "Kindes" mit dem völlig verdorbenen "Biest" im Menschen. Die ganze Symbolik von Cr7z ist durchzogen von diesem konfliktreichen Dualismus. Es geht ihm stets um die Einheit der Gegensätze, um Dialektik. Gerade die Dialektik lässt einen Hoffnungsschimmer selbst in der tiefsten Finsternis übrig. Denn der Kampf gegen die Finsternis ist die eigentliche Realität, fast wie im Film oder Spiel. Zugleich ist der Kampf gegen die Umnachtung das einzige Mittel, um vielleicht wach und am Leben zu bleiben, sei es noch so schwer. Denn "wer kämpft kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren." 




Ein weiterer Dialog zwischen Ichi und ihrem Freund Toma nähert uns der Problematik von Cr7z an. Toma will in den Kampf ziehen. "Es wird wohl bald zum Krieg kommen...". Ichi kommentiert: "Wer da mit macht, bringt sich in Gefahr, ob er es will oder nicht." Toma reagiert empört:

"Ich kann mich nicht raushalten, so wie du es bei deiner Freundin neulich getan hast. So gut wie du mit dem Schwert umgehst, hättest du doch der anderen Blinden zur Seite stehen können. Ich weiß nicht, was du erlebt hast. Aber wieso hast du so Angst davor, dich auf jemanden einzulassen?"

Die Antwort von Ichi ist der obige skit zur Frage von Leben und Tod, Moral und Unmoral. Aber Cr7z lässt eine Sache aus, die Ichi sagt: "Allerdings hänge ich auch nicht am Leben. So wertvoll ist es nicht." Ob das auch auf unseren Rapper zutrifft? Ich glaube schon. Wenn man sich die Elegie "Mir tut es so Leid" von ihm hört, nicht Mal eben so anhört, sondern wirklich hört, dann versteht man genau, was er meint.

Was genau tut Cr7z Leid? Der Verlust der Kindlichkeit. Menschen "erwachsen" und verkümmern zugleich, wenn sie ihre Kindlichkeit verlieren. Aus unverdorbenen, lebenfrohen Menschen werden verdorbene, jämmerliche Kreaturen. Von Natur aus schöne Menschenkinder werden zu hässlichen Kreaturen, zu menschlichem Staub, zu stinkendem Abschaum gemacht. Aus dem siebenmilliardenfachen Smeagol wird der siebenmilliardenfache Gollum. Cr7z beweint daher die Verkrüppelung des Menschenkindes durch das Menschenbiest. Für Cr7z ist also "das Kind" eine Art Rückbesinnung auf die guten Anlagen im Menschen, auf die kindliche Freude, auf das Kuschel- und Liebesbedürfnis des Menschen. Aber was ist mit Cr7z selbst? Er sagt ja: "Wenn ich Kindlichkeit verlier', sterbe ich."

Einsamkeit und Eremitentum


Cr7z ist ein Eremit. Und Ichis Eremitenleben hat Parallelen zum Eremitentum von Cr7z. Zwar wandert er nicht mit einem Schwert umher und tötet Menschen, die ihm in die Quere kommen. Aber er ist offenbar oft alleine. Mit Sicherheit kennt er quälende Einsamkeit, selbst in Gesellschaft. Und ganz bestimmt sind die meisten Menschen blind für sein Wesen. Für gewöhnlich ist er friedlich. Das glaube ich ihm aufs Wort. Aber man sollte ihm besser auch glauben, dass er einem nicht nur verbal im Rap die Kehle durchschneidet, wenn man ihn belästigt wie die Schergen es mit Ichi ständig tun.


Toma reicht Ichi die Hand, aus dem Film "Ichi"
Er ist aber nicht genau wie Ichi. Ichis Freund Toma teilt auch einige Merkmale mit Cr7z. Eine traumatische Erinnerung an eine Verletzung seiner Mutter, an der er Schuld trug verhindert, dass der meisterhafte Schwertkämpfer sein Schwert ziehen kann. Also kämpft er bloß mit einem Stock. Er wird somit daran gehindert, sein Potenzial voll auszuschöpfen, weil er von den eigenen Gewissensbissen gehemmt wird. Ähnlich scheint es unserem Rap-Genius zu gehen: "Ich hab' so viel gesehen und das in viel zu jungen Jahr'n. Meine Schotten sind so ausgesprochen dicht." Und "bin zu sehr sensibel."

Cr7z hat wohl den Wert von Familie begriffen. Konflikte mit der Familie sind zwar unvermeidbar. Denn "ich bin wie ich bin" trifft auf jeden Menschen zu. Und "Menschen wir unsereins behandelt man nie so, wie es sich gehört. Wir werden nur verachtet und müssen irgendwo im Stillen krepieren" auch. Ja. So ist es wirklich. Ichi wurde sogar vergewaltigt und danach dafür auch noch verstoßen. Gegen sowas muss man ankämpfen. Und jeder Mensch muss alleine für sich das verteidigen, was das wachsende Kind in ihm ausmacht. Aber dennoch muss man für die Familie, ob verwandt oder nicht, Feuer und Flamme sein und sie zur Not mit dem Schwert verteidigen. An sich sollte das Putzen oder Müll-Heraustragen der geringste Dienst sein. Oder? ;-)

Über sich sagt Cr7z z.B., er sei "kein Cyborg der Maschinerie", habe "niemals eine Crew gebildet", "er hat sie alle Backstage abserviert", "die Wechselspiele zwischen Peitsche und Brot sind bei mir nicht wegzudenken", "würde ich stoppen, würde es meinen Verstand verkrüppeln." Er ist offenbar ein Zerrissener und Getriebener. Wohin er will, wird erst klar, wenn man viele seiner Stücke studiert und sich einen Reim auf seine oft reimlose Lyrik gemacht hat. Cr7z hat seinen eigenen Film. Jeder Mensch hat seinen eigenen Film. Es ist genau wie mit Ichi. Erst am Ende ihres Films wird klar, wo sie überhaupt hin wollte, was sie überhaupt wollte. Wie Ichi sehnt sich auch Cr7z schlicht, "man würde mich mal drücken, das ist alles." Stattdessen muss ohne Ende angekämpft werden gegen brutale Schergen, lebende Tote und Maschinenmenschen. Aber träumen reicht nicht:

Scheiße Criz, reiß dich zusammen, dieses Leid zerfickt dich.Wir sind hier nicht bei 'Wünsch dir was', sondern bei 'So ist es'.Nix mit Chillen, nix mit Flaschengeistern, Alter, trink nicht.Du weißt es bringt nix, es drückt dich nur einmal zurück.

Cr7z hat offenbar seine eigenen Mittel entwickelt, mit dem Leid umzugehen. Abgesehen vom "silbernen Feuer" im Glas und "silber, grün und grauem Schimmer" in den Augen, die "heilige Wut" spiegeln, hat er seine Kunst und sein Eremitentum. Alkohol hilft nur kurzfristig. Hass und Rache lösen das Problem bestimmt nicht. Die Kunst ist eine Form, die Wut loszuwerden. Das Eremitentum ist sicherlich der beste Schutz und Selbstschutz vor dem "Biest". "Es geht nicht darum, was dort jenseitig des Himmels moved. Es geht um die Rotation des eigenen Wirbelsturms."




Die Sehnsucht nach Zweisamkeit


"Ich hätte mir gewünscht, man würde mich mal drücken" ist ein Satz aus "Lass mich gehen", dem Stück von Cr7z, das wohl am konzentriertesten auf das Motiv der Zweisamkeit eingeht. Diese Elegie ist eines seiner ergreifendsten Werke. Er sagt darin zwar "ich will nicht klagen", aber im Grunde ist es reine Nostalgie, die er da erdichtet hat:

Wieso scheitert die schönste Sache der Welt
in der heutigen Zeit an Kleinigkeiten, das würde ich gern begreifen.
Wahrscheinlich, weil wir zu verpeilt sind und das Ego Nummer 1 ist
Sieben ist davon nicht grad begeistert, aber weißt' was?
Ich bin auch nicht grad ein Heiliger
Ist wohl nur der Lauf der Dinge, dass das ganze hier am scheitern war.
Also weiter Bar für Bar, um mich bloß zu erinnern:
Wenn ich Kindlichkeit verlier', sterbe ich.



"Heut' ist wieder 'ne Trennung, weil ich eh nie meine Liebe find'", "ich such' nach meinem Ebenbild und das zu finden geht nicht wirklich" sind typische Sätze von Cr7z, der sein ewiges Liebesunglück durch den Rap verewigt. Auch "Wie sie tanzt" geht auf gestörte Zweisamkeit ein:

Was ist los? Wir haben uns angezogen, abgestoßen.
Hast mich angelogen, lass mich los.
Ich hab' genug von dir und deiner Angewohnheit
zu ficken mit Angspsychosen.

"Silbernes Feuer" vertieft dieses deprimierende Bild der ewigen Einsamkeit und des "unendlichen Leids" noch:

Mein Album schneidet bis ins Fleisch. Hier wird nichts beschönigt.Deine Haltung dazu solltest du überdenken, ich schwör's dir.Du hast mich nicht gesehen, wie die Faust an meine Wand schlag,wie das Blut herunterrinnt und meine Tränen vom Gesicht in Strömen laufen wie ein Wasserfall.Mein Herz wurde gebranntmarkt und es sticht in meiner Brust, als hätte ich dauernd 'nen Anfall.Zeige Anstand, respektier' mich. Wärst du so ich ich vom Schicksal gevögelt, wärst du nicht handzahm, sondern schmeißt dich vor 'ne Trambahn.

Ichi und Toma Arm in Arm,
aus "Ichi - die blinde Schwertkämpferin"

Die Perspektive der 7


Völlig hoffnungslos ist der Junge aber nicht. Daher hat er auch die Hymne "Hoffnungsschimmer" verfasst, in der er seine optimistische Seite am klarsten darstellt:

Mir ist aufgefallen in dem Auf und Ab bleib ich auf Kurs. Ich weiß, dass es sich lohnt Zähne zusammenbeißen und durch. Und auch wenn das für die meisten nicht logisch klingt, bin ich von Zeit zu Zeit überglücklich selbst wenn ich so melancholisch bin. Klar, ich schreibe vieles hin was einen runter reißt, es stimmt, nur müsst ihr verstehen ich reinig mich damit so gesehen. Es ist etwas Gutes für mich, somit bleibt das Licht noch bestehen und scheint genauso für die, denen es nicht so gut geht.

Auch die zuvor deprimierenden Aussagen über die Wertlosigkeit des Lebens werden relativiert. Erst durch diese "Wiedergutmachung" ist ein halbwegs vollständiges Bild von Cr7z gegeben. Dass er die Schlechtigkeit der Welt feststellt und nicht wie ein Blinder oder ein Zombie durch die Welt irrt, heißt nicht, dass er kein Licht sieht. Im Gegenteil.

Da er die Dunkelheit genau kennt, kann er die "Hoffnungsschimmer am Horizont" sicher mehr schätzen als die Cyborgs mit ihren rosaroten Visieren. Dabei spielt offenbar Familie eine große Rolle, die eine viel größere Bedeutung hat, als es die meisten Menschen im Lande eingestehen würden:

Bedenke immer, dass es bei mir auch die Kehrseite gibt. Wenn ich von den Schmerzen schreibe dann nähere ich mich dem Licht. Warum sollt ich auch die Dunkelheit verneinen. Setz ich mich mit ihr nicht auseinander, kommt sie noch stärker zurück. Wie eine Mutter für die Kleinen. Schuftet wie ein Schwein und lächelt in Kriesenmomenten, egal wie schwer sie auch sind. Und wie die Jahre so vergehen, irgendwann bekommt sie eine Krankheit und das heißt, das hat sie nicht verdient. Ist kein Wunder wenn man weiß, wie es wirklich für sie ist. Sie freut sich über jedes Küsschen und zieht sich in die Küche zurück. Wünscht sich vielleicht auch mal eine Blume, einfach so. Nicht nur an ihrem Geburtstag, sondern weil man ihre Leistung lobt. Möchte vielleicht auch mal Ruhe und alleine sein und nicht ständig untergebuttert werden in den Streitereien. Deshalb Augen auf. Ich spreche aus Erfahrung, egal ob Gutes oder Schlechtes geschieht. Vielleicht warst es du.

Und weiter:

Jeder macht Fehler, doch die Wenigsten lernen. Hören wir auf uns etwas vorzuwerfen, das Leben ist‘s wert. In der dunkelsten Stunde verstehst du sicher, was ich mein. Lass es nicht erst soweit kommen, sondern sehe es jetzt ein. Lang genug war unser Ego Nummer 1, es wird Zeit für die 2, vielleicht erleben wir die 3. Eine gemeinsame Seele. Es gibt keinen, der perfekt ist. Hoffnungsschimmer am Horizont. Vergebung und Verständnis.

Die 7 Milliarden Menschen auf der Welt haben durchaus eine Perspektive. Sie haben sogar sieben Milliarden davon. Kann man so oder so sehen. "Das Biest" hat im Grunde nur eine: das Zeitalter der Dekadenz. Cr7z formuliert es in "33°" so:

Ich sehe keine Wandlung und das seit Ewigkeit.Klar sind Viele wach, aber das sind halt zu wenig, weißte?Würd' mich freuen, wenn du mir mal Beachtung schenkst, denn ich begreife mittlerweile, wie 'ne Loge einen Schachzug lenkt.
Wichtig ist: wir bleiben von einander abgetrennt.
Denn wenn wir uns verbünden, ist es es ein Witz,
was sie machtvoll nennen.
Ich bin selbst im Widerspruch mit mir,
mein Aszendent ist Waage, Mond, Stier, Sonne, Fische.
Das ist lachhaft, echt. 

Die Perspektive der 7 ist im Grunde eine einzige, obwohl sie die Perspektive von sieben Milliarden ist: "V wie Vendetta. V wie Variation."




Achso, Chris, wenn du meinen Standpunkt wirklich begreifen willst, lies dir die anderen Artikel auf diesem Blog durch und diskutier' mal 'ne Runde mit mir. ;-)

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