Freitag, 25. September 2015
Ischtschenko und Hufen über das linke Fiasko in der Ukrainefrage
Vor genau einer Woche wurde abseits der Kölner Musiknacht über das linke Fiasko in der Ukrainefrage diskutiert. Der ukrainische Soziologe Wolodimir Ischtschenko stand zusammen mit dem Kölner Russlandexperten Uli Hufen im Mittelpunkt der Verantstaltung über den Konflikt in Osteuropa. Die von der Akademie der Künste der Welt in Köln organisierte Veranstaltung fand unter dem vielsagenden Titel "The Crisis in Ukraine and the Crisis of European Left" (“Die Krise in der Ukraine und die Krise der europäischen Linken”) statt.
Die etwa 30 Besucher und Besucherinnen konnten dabei Einiges über die Schwäche und Ohnmacht der ukrainischen, aber auch der russischen und westlichen Linken erfahren. “Die Ukraine-Krise ist”, so Ischtschenko, “nicht nur für die Ukraine oder Osteuropa von Bedeutung, sondern auch für die Linke insgesamt.” Der selbst politisch engagierte Soziologe nehme in seinem Land eine unbequeme Position zwischen den Stühlen ein. Seiner Meinung nach - ganz im Gegensatz zur These von Wiktor Shapinow von der ukrainischen sozialistischen Organisation Borotba - sei es gar nicht so entscheidend, dass der westliche Block der stärkere sei, denn es gebe eine Analogie zum Ersten Weltkrieg, in dem rivalisierende Imperialismen aufeinander trafen. Die Vertreter Kiews begriff er ebenso wie die Donbass-Republiken als Marionetten dieser Mächte.
Die Linken gehen diesen Mächten auf den Leim, so Ischtschenko, indem sie sich zu einem der geopolitischen Blöcke bekennen. Ischtschenko machte auf Seiten Kiews eine “schwarz-braune” Koalition der Anarchisten und ukrainischen Nationalisten und im Donbass eine “rot-braune” Koalition der Kommunisten und russischen Nationalisten ausfindig. Deren Weltbilder seien ironischer Weise dieselben, nur spiegelverkehrt: Für die pro-russischen Kommunisten führe der amerikanische Imperialismus den globalen Kapitalismus an und Russlands Machtstreben sei das kleinere Übel. Die Maidan-Linken hingegen betrachten Russlands Herausforderung der US-Hegemonie als globale Gefahr. Ob man so nun zum Anhängsel Russlands oder des Westens werde, das mache für die Linke keinen Unterschied, so der Soziologe.
Es sei außerdem extrem schwer zu klären, wer in der Ukraine Unterdrücker und wer unterdrückt sei. Beide Seiten arbeiten mit Verklärung des eigenen Hintergrundes und verkennen dabei den wirklichen Antagonismus, der zwischen den ArbeiterInnen in Ost und West einerseits und den Oligarchen und Mächtigen andererseits bestehe. Die Spaltung in einen Maidan einerseits und einen Anti-Maidan anderersetis verhindere eine Klassensolidarität gegen den gemeinsamen Feind.
Beide Varianten seien keine Optionen, da sie die Priorität der Klassenfrage vergessen. Während die pro-westliche Seite das EU-Assoziierungsabkommen idealisiere und die Klassenfrage vernachlässige, tue die pro-russische Linke das selbe mit einer Annäherung der Ostukraine an Russland. Dabei bieten die Großmächte natürlich keine Lösung der sozialen Frage. Die Furcht der europäischen Linken vor einem Bruch mit den etablierten Institutionen in Europa müsse aber überwunden werden. Ischtschenko forderte daher “eine starke politische Klassenorganisation”, die den Bruch mit dem Status Quo sucht.
Uli Hufen ergänzte Ischtschenkos Vortrag mit einem Verweis auf die russische Linke anhand von Sachar Filipin, eines berühmten russischen Schriftstellers und Linken. Anfangs habe dieser den Maidan in Kiew unterstützt, ging jedoch bald auf die Seite der Separisten über. Die Politik des Donbass habe dieser offenbar als utopischen Versuch des Aufbaus einer proletarischen Republik oder dergleichen idealisiert. Die Bevölkerung des Donbass habe er mit Spenden unterstützt und die Menschen dort getroffen. Letztlich sah es so aus, als unterstütze der Regimekritiker Filipin auf diese Weise Putin und dessen Regime. Aber Putin selbst suche nun offenbar einen Bruch mit den Ostukrainern, die ihm nicht mehr nützen.
Im Laufe der Diskussion mit den ZuhörerInnen wurden diverse Fragen thematisiert, die auch die deutsche Linke betrifft. Ischtschenko kritisierte die Idealisierung der “kommunistischen” Geisterbrigade unter Alexej Mosgowoj. Die Realität sei, dass in der Ostukraine “reaktionäre Nationalisten” hegemonial seien. Und in Kiew habe sich die extreme Rechte als sichtbarste Kraft auf dem Maidan erwiesen. Als solche war sie viel stärker in den ukrainischen Medien und auf dem Maidan präsent als konservative, liberale oder linke Kräfte. 2.000 bis 4.000 bewaffnete Kämpfer seien mit der extremen Rechten verbunden. Trotz der ultrarechten Bedrohung trage die aktuelle Regierung in Kiew die Hauptverantwortung für die Eskalation des Bürgerkrieges. Das Gerede über die extreme Rechte lenke vom eigentlichen Problem der Kriegsführung ab. Uli Hufen ergänzte, dass man aus der Stärke der rechten Kräfte nicht ableiten sollte, dass die Ukraine nun faschistisch sei. Andererseits dürfe man nicht der westlichen Illusion erliegen, dass unter Poroschenko eine ukrainische Demokratie heranreife.
Die eigentliche Frage - das wurde immer wieder betont - sei aber: Wie politisiert man die bestehenden Proteste hin zu einem Klassenbewusstsein der Arbeiter und Arbeiterinnen? Wie verbindet man den Protest mit einer gemeinsamen politischen Perspektive für die gewöhnlichen Menschen des Landes, wenn schon ganz unpolitischer, sozioökonomischer Protest von den Kiewer Medien als Putinismus oder russischer Imperialismus verleumdet wird? Die Idealisierung der Ostukraine durch Filipin und andere Linke sei fatal und ein Teil der Krise der Linken im Allgemeinen. Sie vergessen in einem Konflikt schnell andere Unterdrückungsformen, sodass sie entweder Konservative im Donbass unterstützen oder die Nationalisten in Kiew. Die Schwäche der ArbeiterInnenklasse ermöglichte erst die Stärke der Nationalisten. Das zeige sich auch an den Kommunisten von Borotba, die aufgrund ihrer pro-separatistischen Haltung nicht nur in den Untergrund oder ins Exil getrieben wurden, sondern auch ihr ganzes Potenzial in der Westukraine verschenkt haben. Deren Klassenanalyse, wonach der Maidan vor allem bürgerlich, der Anti-Maidan hingegen proletarisch sei, bezeichnete Ischtschenko als “Wunschdenken”, das nicht auf guten statistischen Daten beruhe.
Trotz des linken Versagens im Ukraine-Konflikt gebe es aber Potenzial für einen linken Neuanfang. Denn sowohl im Donbass als auch auf der Krim gab es Graswurzelbewegungen innerhalb der Anti-Maidan-Proteste. Und obwohl Ischtschenko gegenüber dem Maidan skeptisch war, sehe er die sozialen Bedürfnisse der Protestierenden ein. Die Linken, die beim Maidan teilnahmen, nahmen später auch am Anti-Maidan teil. Auf beiden Seiten habe es ähnliche Sehnsüchte in Bezug auf die soziale Frage gegeben, die sich in der Ukraine stellt. Ischtschenko selbst wolle diese gemeinsamen Interessen in einer neuen Partei bündeln. Diese soll gemeinsame Klasseninteressen artikulieren und nicht die Ideologien eines Maidan oder Anti-Maidan.
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