Freitag, 8. November 2013

Des Kaisers neue Kleider - eine Filmkritik zu "Inside Wikileaks"

Die übermutigen Cyber-Revoluzzer gegen die übermütigen Kaiser von heute

“Inside Wikileaks” inszeniert ein Drama rund um den “Verrat” von Julien Assange an den Mächtigen dieser Welt. Aber der Film handelt vor allem davon, wie sich ein Held des 21. Jahrhunderts weigert, seine eigene Beschränkung einzugestehen und dabei in scharte Konflikte mit seiner Umwelt gerät.

Der Film beginnt mit einer kurzen Sequenz, in der die Geschichte der Kommunikationstechnologie schnell nachgespielt wird. Das soll wohl die zentrale Frage des Films, zu der ich später zurückkomme, anschaulich machen.

Es folgt eine großartige Inszenierung des heutigen Berlins, das auch im Film von Mate trinkenden Hipstern dominiert wird. Das moderne Berlin ist der Ort, an dem die zwei Protagonisten Julien Assange und Daniel Domscheit-Berg bei einem Meeting von Technikfreaks aufeinandertreffen. Da der Hacker Assange für seinen geplanten Angriff auf die Mächtigen von heute einen Partner benötigt, erklärt er den technisch ebenso begabten Domscheit-Berg kurzerhand zu seinem Schüler. Letzterer fährt mit seinem Cityrad locker-flockig vor seinem Chef durch die Büroräumlichkeiten der IT-Firma, für die er arbeitet. Schon alleine diese Darstellung des hippen Berliner Yuppie-Milieus verdient Hochachtung.

Aber der Film kommt schnell aus der Hipster-Idylle heraus, in der er zunächst noch verharrt. Sobald es zu einer Annäherung an den charismatischen Assange kommt, wird die Atmosphäre düsterer. Bei Unterhaltungen mit seinem jüngeren Partner lässt er erahnen, dass er nicht nur schmerzhafte Erfahrungen mit seiner Familie, sondern auch mit seinen ehemaligen Hacker-Freunden und der Staatsmacht gemacht hat. Die anderen Hacker haben ihn verraten, nachdem sie bei einer staatsfeindlichen Aktion aufgeflogen waren. Er alleine wurde bestraft. Man wird den Eindruck kaum los, dass Assange daher niemandem wirklich vertraut und andere Menschen aus Selbstschutz daher nur noch als Mittel zu eigenen Zwecken nutzt.

Dennoch erscheinen beide Protagonisten als durchaus sympathische Charaktere. Während Domscheit-Berg idealistisch und naiv wirkt, erscheint Assange wie ein abgeklärter alter Hase mit dickem Fell. Aber auch Assange glaubt offenbar fest an gewisse Ideale wie "Wahrheit, Gerechtigkeit, die amerikanischen Werte", wie sogar seine politische Kontrahentin im weißen Haus eingestehen muss. Assange und Domscheit-Berg werden zu erklärten Gegnern des weißen Hauses, weil sie planen, der ganzen Welt mit ihrer Internetplattform "Wikileaks" streng geheime Informationen der US-Geheimdienste bereitzustellen.

Die Relativität von Verrat und Aufklärung

Im Film werden verschiedene Perspektiven zu diesem Vorhaben dargestellt. Die Beteuerungen der Mächtigen in den USA wirken wie die plattesten Diffamierungversuche gegen die neuen Helden des 21. Jahrhunderts. 

Ähnlich wie dem bloßgestellten und verratenen Kaiser im Märchen “Des Kaisers neue Kleider” geht es den Herrschenden der Welt von heute, die durch die Enthüllungssplattform Wikileaks von Julien Assange und weitere “Whistleblower” wie Daniel Domscheit-Berg, Bradley Manning und Edward Snowden bloßgestellt wurden. Diese sollen nun als “Verräter” diffamiert und bestraft werden - ganz so als würde das das Image der Mächtigen retten.

Aussagen wie “Julien Assange ist ein Terrorist” kommen im Film ebenso vor wie der Versuch, den Mord an Zivilisten durch US-Soldaten zu bagatellisieren, den die beiden Protagonisten im Film aufdecken. Die führenden Köpfe im Weißen Haus erklären die Hacker von Wikileaks für gefährlich, weil sie durch Aufdeckung verdeckter Operationen überall auf der Welt Menschenleben in Gefahr bringen.

Andererseits kommt es zur Selbstbejubelung der Film-Helden. So z.B. nach einem aufgedeckten Skandal, wobei unsere beiden Hacker stolz feststellen: “Wir haben eine milliardenschwere Bank platt gemacht.” Assange und sein Partner sind sich der Gefahren und Risiken bewusst, aber sie halten ihre "Mission" für gewichtiger als das Schicksal Einzelner.

Beide Seiten werden gut dargestellt.Der Film veranschaulicht auf diese Weise die Relativität von Verrat und Aufklärung. Es kommt ganz auf den Standpunkt an. Der Film versackt aber nicht in Beliebigkeit. Er betont die historische, beinahe epische Bedeutung dieses Konfliktes zwischen einzelnen Aufklärern und den "Sicherheitsbedürfnissen" ganzer Staaten heute.

Die Dramatik der heutigen Cyber-Revoluzzer

Abgesehen von dem aufklärerischen Gehalt des Films wird vor allem das Drama eines neuen Heldentypus im 21. Jahrhundert, des Cyber-Revoluzzers, überaus eindringlich dargestellt. Die Dramatik der Protagonisten hat mehrere Konfliktlinien

Da ist der Konflikt zwischen Privatem und Aufopferung. Das zeigt sich zunächst am Konflikt zwischen Assange und Domscheit-Berg. Zusammen entlarven sie eine Machenschaft nach der anderen und werden mit jedem neuen Skandal begeisterter von ihrer “Mission”.

Auch in Sachen Gender-Thematik veranschaulicht der Film ein relativ modernes Phänomen: den Konflikt zwischen der modernen Arbeitsdisziplin und der scheinbar gleichberechtigten, lockeren und daher wenig romantischen Beziehung von Mann und Frau. 

Unter dem Gewicht der Besessenheit der beiden “Whistleblower” zerbricht die postmoderne Beziehung des Jüngeren mit seiner Freundin Anke. Obwohl es eine moderne Beziehung zu sein scheint, die beiden relativ viele Freiheiten ermöglicht, geht die Beziehung zugrunde, weil Daniel sich in seine aufklärerische Mission vielleicht zu sehr hineinsteigert. 

Das Päärchen lässt sich sogar von Assange beim Techtelmechtel stören als jener einfach in Daniels Wohnung hinein geplatzt kommt, um ihre "Mission" zu vollenden. Übrigens sieht man Anke praktisch nur in der wohlig warmen Intim-Privatsphäre (oder wie man das bei Hackern nennen mag, die im Privatleben zu Weltrettern werden) rund um das Bett herum.

Außerdem prallen die Egos und Ansichten der beiden Mate trinkenden Helden immer wieder aufeinander. Assange erscheint als “ein manipulatives Arschloch” und Weiberheld, der seinem Partner diese Rolle missgönnt. Zudem wird immer deutlicher, dass Wikileaks für den fiktiven Assange vor allem ein Mittel zur Befriedigung seines Narzissmus geworden ist.

Diese charakterlichen Gegensätze führen zum politischen Zerwürfnis. Denn Assange will alle “Leaks” der Mächtigen unzensiert veröffentlichen, während Domscheit-Berg das für gefährlich hält und sich mit der Redaktion des Guardian auf eine gekürzte Veröffentlichung einigen will, um keine Menschenleben zu gefährden. Mit dem privaten Konflikt vermischt sich also der moralische Konflikt.

Gefährdung von Menschenleben durch Aufklärung wird immer wieder thematisiert. In einer Szene werden Informanten von Wikileaks getötet. Empört kommentiert Assange: nur eine stärkere Öffentlichkeit garantiere Schutz vor den Mächtigen. Assange folgert aus solchen Erfahrungen: “Du kommst nicht weit in dieser Welt, wenn du dich auf andere verlässt.” Auch deswegen steigert sich sein Ego zu unermesslicher Prahlerei: “Ich mache keine Fehler”.

Damit wird trotz der heroischen Mission der Cyber-Revoluzzer ihr Privatleben nicht glorifiziert, sondern wahrscheinlich durchaus realistisch dargestellt, womit wir zum nächsten Thema kommen: zum eigentümlichen Realismus des Films.

Künstlerischer und dokumentarischer Realismus im Film

Der Film stellt die wichtigste Frage am Anfang des 21. Jahrhunderts: Wie kann die “fünfte Gewalt”, d.h. der Lobbyismus der Reichen und Mächtigen, mit einer Demokratisierung der Meinungshoheit einhergehen? Anders als die unausgeschlafenen Kritiker in ZEIT, SZ, Spiegel und taz behaupten, traut sich der Film sehr wohl, eine Antwort auf diese Frage zu geben. In der faz wird das auch anerkannt, wobei jedoch die überzeugende schauspielerische Darstellung der Charaktere als "Anmaßung" verurteilt wird. Dass diese Anmaßung gerechtfertigt ist, zeigt die Botschaft, die Assange im Film fast (!) wörtlich so übermittelt:
"Niemand sagt dir je die Wahrheit. Wenn du die Wahrheit suchst, geh los und such sie. Genau davor haben die Reichen und Mächtigen Angst. Vor dir! Es dreht sich alles um dich!"
Wenn die Kritik in der Berliner Zeitung mahnt, der Film sei “gefährlich”, weil “er fiktive Ereignisse mit realen Videomitschnitten vermengt”, dann ist teils zuzustimmen. Aber es ist sicher übertrieben, wenn man meint, dieser Streifen sei “ein sehr perfider Propagandafilm” gegen Assange und Wikileaks.

Man sollte zwar die Kritik des echten Assange am Film kennen, aber diese ist vor allem eine politische, keine ästhetische. Ja, der Film ist fiktiv. So what? Wäre es ein Propagandafilm, dann hätte man Assange nicht als visionären und charismatischen Idealisten dargestellt, dessen Taten von größter historischer Bedeutung sind. Auch dass Domscheit-Berg in Wirklichkeit anders zu Assange stand, kann dem Zuschauer zunächst ziemlich egal sein.

Obwohl der Konflikt zwischen dem Ego von Assange und Domscheit-Berg im Vordergrund des Films steht, ist er nicht sein Hauptmotiv. Das ist viel mehr die Lage der Cyber-Revolutionäre, die in bisher wenig dargestellte Gefahren geraten, die sie mit eigenen Mitteln überwinden müssen. 

Der Film versucht, diese Dimension des Themas auch visuell darzustellen. Digitale Daten werden als Unmengen von beschriftetem Papier dargestellt, dass in absolute Unübersichtlichkeit gerät. Die Verschlüsselungstechniken und Firewalls der Hacker werden durch Multiplikation der Hacker und ihrer Ausrüstung an undefinierbaren Orten dargestellt. Die Mobilität der Hacker wird durch Split-Screening und schnelle Bildwechsel veranschaulicht. Das sind zumindest einige Effekte, mit denen sich der Film bemüht, die Raum- und Zeitlosigkeit der neuen Medien zu erfassen.

Der Film “Inside Wikileaks” ist vor allem ein Spielfilm. Ein Spielfilm ist keine “realistische” Doku. Er soll eine fiktive Handlung darstellen, die uns beeindruckt, uns gedanklich oder emotional provoziert, die uns etwas über die fiktive Welt und über unsere Welt sagt. Und wenn er über unsere reale Welt aufklärt, muss er es aber nicht dokumentarisch oder naturalistisch tun. 

Es reicht, wenn die Rezipienten des Films in die richtige Richtung gestoßen werden. Von da aus können sie hoffentlich selbstständig zu einer realistischen Kritik des Films navigieren. Er ist damit weder völlig von der Realität losgelöst, noch an eine ganz bestimmte Darstellung gebunden. Er muss uns etwas über die Realität sagen können, aber er muss nicht im Detail alle Fakten auf bestimmte Weise anordnen. Deswegen ist der Film keineswegs ein perfider Angriff auf Assange, obwohl die Handlung des Films auf zwei Assange-kritischen Büchern beruht.

Ein filmisches Märchen über die neuen Kleider der heutigen Kaiser

Dieser Film ist zwar keine Doku und an vielen Stellen ändert er die bekannten Tatsachen einfach um. Er basiert auf dem Inhalt von zwei einschlägigen Büchern, die wohl einseitig darüber berichten, was gerade auch den echten Assange dazu gebracht hat, gegen den Film zu protestieren. Aber der Film erfasst dennoch ein wichtiges Thema der heutigen Gesellschaft.

“Inside Wikileaks” ist ein filmisches Märchen über die transparenten Kleider von “Präsidenten, Königen, Despoten”. Kein Zuschauer des Films kann an der neuen Realität des Informationszeitalters vorbeigehen ohne sich zu positionieren. Der Gegensatz zwischen der fünften Gewalt, dem Lobbyismus der Mächtigen, und der vierten Gewalt, der demokratischen Öffentlichkeit, ist nicht mehr zu leugnen. Sogar die heutigen “Kaiser” müssen sich heute öffentlich rechtfertigen. Ihre dreckigen Geheimnisse wurden auf dramatische Weise auch durch diesen Film verraten.

Im Film geht es um “fähige Menschen mit Format, die was bewegen” und die mit zunehmender Erfahrung “irgendwann eigene Vorstellungen” entwickeln, selbst wenn sie von den “Tyrannen dieser Welt” dafür diffamiert werden, wie der fiktive Assange sinngemäß sagt. Allerdings wird in “Inside Wikileaks” auch deutlich, wie wenig Macht auch ein Assange im Alleingang hat. Die Lösung für diese Ohnmacht nennt der fiktive Assange im Film mehrfach beim Namen: “Revolution”.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen