Montag, 10. Februar 2014

Der (neokonservative) Medicus?!

Die  kürzlich erschienene Verfilmung von Der Medicus ist kein platter und langweiliger Film wie so viele andere deutsche Produktionen. Dennoch kann man den etwas faden Geschmack westlicher Propaganda nicht loswerden. Philipp Stölzls Werk ist daher beachtenswert, aber mit Vorsicht zu genießen.

Von einem, der auszog...


"Liebe überwindet alle Hindernisse"?
Wohl kaum, aber immerhin ist die Schauspielerin
Emma Rigby nicht schlecht gewählt.
Das christliche England im 11. Jahrhundert: Rob Cole muss als Kind im tiefsten Mittelalter erleben, wie seine Mutter an der mysteriösen "Seitenkrankheit" stirbt. Nur die Adoption durch den Bader, einen vagabundierenden Mediziner, rettet dem traumatisierten Jungen das Leben.

Rob wird seither vom Wunsch angetrieben, eine Heilung für die "Seitenkrankheit" und andere Gebrechen zu finden. Der Bader bringt ihm all sein Wissen bei, aber das rettet den Bader nicht davor, an grauem Star zu erkranken. Denn die katholische Kirche hat ja Wissenschaft und Technik enge Grenzen gesetzt, sodass auch die Medizin der abendländischen Christen äußerst rückständig bleiben musste.

Jüdische Mediziner können die Sehkraft des Baders wiederherstellen und damit den Geist der Wissenschaft in Rob entfachen. Von den jüdischen Ärzten erfährt er, dass ihr Wissen im Vergleich zum Genie des größten Mediziners der Welt, Ibn Sinas, nichts ist. Rob beschließt daher, als Jude getarnt ins hoch zivilisierte Persien nach Isfahan zu reisen, um Ibn Sinas Schüler zu werden, der unter der Herrschaft des islamischen Schahs keine Christen unter seinen Schülern dulden kann.

Unterwegs begegnet Rob seiner zukünftigen Liebe, der jüdischen Spanierin Rebecca, die aber einem anderen Mann versprochen ist. Die unvermeidliche Affäre zwischen den beiden kostet sie beinahe den Kopf, aber im Grunde ist das nur eine Nebenhandlung.

Der Hauptkonflikt ist der zwischen Robs Drang nach Befreiung der Menschen vor Gebrechen durch Wissenschaft und Medizin und seinen konservativen Widersachern, sei es der vorsichtige Ibn Sina, der Schah, die Mullahs oder die Seldschuken, auf deren Widerwillen er als stößt.

Die schöne Seite des Films


"Eine Reise aus der Dunkelheit ins Licht"
Die filmische Umsetzung der Romanhandlung, die Schauspielerwahl, die schauspielerischen Leistungen, die Musik, die beeindruckenden Bilder und die Vielschichtigkeit des Films sind ziemlich gut gelungen.

Die Stimmung einiger Szenen wird teilweise sehr schön wiedergegeben. Man glaubt sofort, dass Rob wirklich von Wissensdrang getrieben wird. Der Konflikt zwischen seiner Neugierde und der religiösen Realität, in der er sich befindet, wird ganz wunderbar deutlich. Die schändliche Zurückgebliebenheit des christlichen Europa muss den Zuschauer einfach empören. Und die Zivilisiertheit der Juden und Moslems muss Respekt einflößen.

Ibn Sina wird wie der höchste Repräsentant der Menschheit dargestellt. Seine Weisheit und Intelligenz sind fast ebenso schön wie die großartigen Bilder von prächtigen Bauten der Perser. Auch die zwischenmenschlichen Dynamiken werden auf sympathische Weise realisiert, wie etwa in der kleinen Romanze zwischen Rob und Rebecca, oder in den Schüler-Lehrer-Beziehungen in Ibn Sinas Schule und zwischen den verschiedenen Autoritäten, die auf subtile und weniger subtile Weise ihre Machtkämpfe führen. All das macht den Film sehenswert, wenn auch nicht grandios, da der Film zwar Pathos hat, aber zu wenig Eros.

Die hässliche Seite des Films


Andererseits hat der Film seine hässliche Seite. Denn irgendwie wirkt der Film trotz der vielleicht guten Intentionen irgendwie propagandistisch und dabei nicht gerade im besten Sinne. Demokratische und soziale Propagandafilme sind oft allein schon deswegen sehenswert. Aber Propaganda für die Überlegenheit des Okzidents und die prinzipielle Unterlegenheit des Orients ist kaum schön darzustellen. Sie muss hässlich und ein wenig Ekel erregend sein. Viele Zuschauer werden diesen Aspekt des Films übersehen haben, aber er ist definitiv vorhanden.

Ibn Sina, Rob Cole und der Schah

Der Film weicht von der Handlung her an einigen relevanten Stellen stark von der Buchvorlage ab. Und das geschieht sicher bewusst, um der okzidentalen Ideologie der Überlegenheit des christlichen Abendslandes Tribut zu zollen. Rob sieht zwar ein, dass das christliche Europa rückständig ist und dass Forschung nötig ist. Aber schon die Tatsache, dass er sich als Jude tarnen muss, ist wohl ein wichtiger Aspekt der westlichen Propaganda im Film. So wirken die muslimischen Perser gegenüber den Christen etwas unfair und sogar unterdrückerisch. Auch die antisemitisch wirkenden Ressentiments im Film von Seiten einiger Moslems erzeugen einen ähnlichen Eindruck. Die hochgläubigen muslimischen Mullahs wirken weltfremd, etwas fanatisch und zugleich korrupt. Auch scheint das Verbot der Autopsie und Sektion ("Schändung") hinderlich zu sein. Daher kommt es der nötigen Dramatik des Films entsprechend auch zu einer Beulenpest in Isfahan. Ibn Sina und seine Schüler retten die Stadt, natürlich durch Robs geniale Auffassungsgabe.

"Mut kennt keine Grenze". Stimmt,
denn im arabischen Raum kämpfen
auch kleine Jungs mit Steinen gegen
tyrannische Regimes.
Rob kommt ja nicht umsonst aus dem Westen. Was ihn so besonders macht, ist das gläubige Herz von einem, der auszog, um die Wahrheit in der christlichen Nächstenliebe, hier am Beispiel der Medizin, zu finden. Die kleine Sünde, dass er sich und seinen christlichen Glauben verleugnet, um sein großes Ziel zu erreichen, ist zutiefst menschlich. Im Film heiligt der christliche Zweck somit die Mittel. Da ist die kleine Lüge und die Affäre mit der verheirateten Frau halb so schlimm, wie es scheint. Auch, dass er unerlaubter Weise den Leichnam eines Patienten seziert erscheint nicht nur als mutige Tat im Widerspruch zu allen drei abrahamitischen Religionen von Judentum, Christenheit und Islam, sondern auch als der wahre Kern des abendländischen Denkens: Wissenschaft und Moral in einer neuen Einheit. Wissenschaftliche Notwendigkeit und moralische Notwendigkeit müssen, so belehrt uns der Film, durch mutige Einzelpersonen, die keine Angst haben vor scharfer Kritik von allen Seiten, vereint werden. Aber nicht nur Wissenschaft und Moral finden im Film in unserem guten Christen Rob Cole zusammen.

Auch die Politik kommt nicht zu kurz. Die christlich-idiotischen Dogmatiker im mittelalterlichen Okzident kommen im Film zwar schlecht weg, aber sie sind ja ungebildet, dumm und egozentrisch. Dennoch haben sie die ein hervorragendes Individuum hervorgebracht wie Rob Cole, der zudem ein wirklich guter Christ ist, obwohl er betrügt und ehebricht. Denn sein Kampf für den guten Zweck auch gegen den Widerstand der alten,  konservativen Moral der etablierten Mächte rechtfertigt offenbar seine kleinen Sünden. Immerhin laufen da draußen weit größere Gefahren herum, repräsentiert von pesttragenden Flöhen und Ratten, fanatischen Mullahs, autokratischen Schahs, eifersüchtigen Ehemännern und barbarischen Seldschuken, die keine Moral und keinen Gott kennen. In solch einer Welt muss, so suggeriert der Film, offenbar gelogen und betrogen werden. Für außergewöhnliche Individuen gilt scheinbar keine moralische Grenze. Am Ende beichtet der gläubige Christ freilich seine Sünden und wird dadurch auch noch zum christlichen Heiligen und Märtyrer angesichts der drohenden Verurteilung durch Christen, Juden und Moslems. Aber der Film lobt die Überschreitung der Moral aller Religionen im Sinne des höheren Zwecks.

Geopolitische Ansagen macht der Film scheinbar auch. Es ist kein Zufall, dass der etwas tyrannische Schah sich mit Rob Cole anfreundet. Es ist auch kein Zufall, dass die muslimischen Mullahs irgendwie fanatisch und zugleich korrupt wirken. Es ist auch kein Zufall, dass die Seldschuken, diese gottlosen Mörder von Frauen, Kindern und betender Moslems, als das größte Übel erscheinen. Es ist auch kein Zufall, dass sich diese atheistischen Seldschuken ausgerechnet mit den religiösen Mullahs verbünden, um den Schah zu stürzen. Es ist noch weniger ein Zufall, dass dieses Szenario an Ereignisse im 20. Jahrhundert erinnert.

Man tausche Rob Cole durch den neokonservativen Westen, angeführt von den USA und Großbritannien, den persischen Schah des Mittelalters durch den persischen Schah Reza Pahlewi, die damaligen Mullahs durch die Mullahs von Ayatollah Chomeini und die atheististischen Seldschuken Persiens durch die atheistischen Kommunisten Irans aus und schon hat man eine neokonservative Propaganda gegen das heutige iranische Regime.

Tatsächlich waren die iranischen Mullahs mit Hilfe der iranischen Kommunisten an die Macht gekommen, indem sie den Schah stürzten. Der Schah ist in den Augen der israelischen, amerikanischen und europäischen Neokonservativen ein kleineres Übel gewesen. Und die Sünde der Kriegsführung gegen das heutige iranische Regime wäre die kleinere Sünde im Vergleich zur Unterlassung und zur Unterordnung unter die etablierte Moral. Dass der Schah in Wirklichkeit beim iranischen Volk verhasst war, das kümmert nicht wirklich, denn die Mullahs sind ja heute noch verhasster.

Und der Okzident repräsentiert ja den Fortschritt, der auch mit militärischer Gewalt, Lug und Trug durchgesetzt werden darf, wie der Film es so plastisch darstellt. Der außergewöhnliche Kreuzfahrer des fortschrittlichen Westens darf sich demnach über die Rückschrittlichkeit des Ostens erheben und diesen zur Not mit Lüge und Gewalt im Namen der christlichen Nächstenliebe und des Fortschritts unterwerfen.

In der Epoche des "War on Terror" neokonservativer A*schgesichter gegen unliebsame Regierungen und Massenbewegungen, in der ein Regime nach dem anderen gestürzt wird und in dem die Region des Nahen Ostens nicht bloß die Realität eines großen Bürgerkrieges, sondern auch das Potenzial eines größeren regionalen und internationalen Krieges verschiedenster Mächte in sich birgt, ist diese Darstellung Teil einer neokonservativen Propaganda im Sinne der Herrscher dieser Welt. Die Moral in Der Medicus kann leicht im Sinne der westlichen Kriegstreiber-Rhetorik gedeutet werden. Der Zweck, "Freedom & Democracy", heiligt demnach die Mittel, Lug, Trug, Heuchelei, Mord und Totschlag. Die neokonservative Agenda der großen Westmächte kann so verharmlost und gefördert werden. Wenn abgefuc&te Kreaturen wie der androgyne Terrorlord "Angelo Merte", der scheindemokratische "Obamaniac", der ultrarechte "Netanjahova" und die im Kern nur nach Liebe dürstende russische Pu§§mu++er "Putain" Rhetorik des common sense und des common good in ihre Fre$$en nehmen, dann teilen sie im Grunde die Moral des neokonservativ gedeuteten Medicus. Die katastrophalen Resultate dieser Doppelmoral sind bekannt.

Neokonservative Moral


Insofern ist Der Medicus von Stölzl ein schöner Film einerseits und eine hässliche Propaganda für den Neokonservatismus andererseits. Denn die feine Romanhandlung, die Idee des Fortschritts durch Synthese der besten Erkenntnisse und der Überschreitung von Grenzen und die kluge Darstellung politischer Dynamik wird überschattet von westlicher Arroganz, neokonservativer Heuchelei und orientalistischer Stereotypenbildung. Die Crux der Sache ist, wie man den Film rezipiert. Leider kann Der Medicus leicht neokonservativ und eurozentrisch gedeutet werden.

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