Sonntag, 8. November 2015

Musik kann eine kraftvolle Waffe des Widerstands sein – Im Gespräch mit Kaveh


In den Medien tobte in den letzten Wochen die Debatte um den neuen Song von Bushido, in dem dieser verschiedene PolitikerInnen beleidigt. Während es Bushido um „Stress ohne Grund“ ging, machen Musiker wie Kaveh Stress mit Grund, ohne Politiker zu beleidigen. Kaveh setzt sich in seinen Songs mit den Problemen der herrschenden Wirtschaftsordnung auseinander und versucht musikalischen Aufklärungsarbeit zu leisten, wir haben mit ihm über seine musikalischen Hintergründe, Rassismus und Krieg gesprochen.

Interview übernommen von Freiheitsliebe.de

Die Freiheitsliebe: Wie bist du zum Rap gekommen?
 
Kaveh

Kaveh: Ich bin zuerst mit Gruppen wie Public Enemy und Boogie Down Productions (BDP) in Berührung gekommen. Durch diese Inspiration habe ich begonnen Texte zu schreiben, zunächst auf Englisch und dann auch relativ schnell auf Deutsch und Französisch. Später kam auch Persisch mit dazu.

Die Freiheitsliebe: Du machst relativ viele politische Songs. Gibt es eine Verbindung zwischen Politik und Musik?

Kaveh:  Auf jeden Fall! Wenn man in die Geschichte zurückschaut, kann man sehen, dass politische und sozialkritische Rap-Musik – neben dem Party-Entertainment-Rap – von Anbeginn mit am Start war. Es waren vor allem Musiker mit politischem Bewusstsein wie Last Poets und Gil Scott-Heron, die in den 70ern mit zu den Urvätern des Hip Hop gehörten. Sie wurden stark beeinflusst von den Black Panthers, Malcolm X und Martin Luther King, der Bürgerrechtsbewegung, der anti-Kriegsbewegung und den 68ern im Allgemeinen. Da die ersten Hip Hop Gruppen und Artists, die ich hörte, also Public Enemy oder KRSone, unmittelbar von der Protestbewegung und ihrem musikalischen Soundtrack der 70er und frühen 80er Jahre beeinflusst wurden, war es auch für mich von Anfang an klar, dass ich politischen Hip Hop machen würde.

Die Freiheitsliebe: Du sprichst dich in dem Song „Iran Update (2012)“, gemeinsam mit B-Lash und anderen RapperInnen, gegen eine Intervention im Iran aus. Hast du das Gefühl, dass diese in nächster Zeit droht und ist Musik ein Weg dagegen zu agieren?

Kaveh: Die Gefahr eines Krieges ist auf jeden Fall vorhanden. Ob er jetzt unmittelbar bevorsteht, ist natürlich eine andere Frage. Ich denke, dass die USA und ihre Verbündeten sich momentan aus vielen Gründen nicht auf eine Intervention einlassen werden. In Zukunft kann sich das aber schnell ändern. Wir haben ja leider schon erleben müssen, wie Afghanistan, Ex-Jugoslawien und Irak bombardiert wurden, während die verheerenden Auswirkungen für die Menschen in diesen Regionen bis heute schwer zu spüren sind. Musik kann einen Krieg natürlich nicht verhindern. Man kann aber durch ihre relativ weite Verbreitung die Aufmerksamkeit auf diese wichtigen Themen lenken, vor allem bei Menschen, die nicht so politisch interessiert sind. Unser Song beabsichtigt sozusagen einen musikalischen Ansporn dafür zu liefern, dass sich mehr Menschen, und vor allem Jugendliche, mit den Gefahren eines möglichen Angriffskrieges gegen den Iran auseinandersetzen. Wir wollten auch die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen betonen, die im Gegensatz zu den Menschenrechten, die wahren Motive des Westens darstellen. Musik kann in der Tat eine kraftvolle Waffe des Widerstands sein, da sie den Stimmlosen – von der Politik und Wirtschaft ignorierten – eine Stimme verleiht und somit entscheidend zum Protest und der Mobilisierung gegen Unterdrückung, Imperialismus und des Primats des Kapitals beitragen kann.

Die Freiheitsliebe: Du hast auch einen Song (Mehr als nur ein 16er) zur Solidarität mit den Protesten in der Türkei. Siehst du auch andere KünstlerInnen, außer die mit denen du zusammenarbeitest, die versuchen Politik und Rap zu verbinden.

Kaveh: Ich habe keinen Song über die Proteste in der Türkei, sondern habe den eben genannten Track den Demonstranten von Istanbul bis Sao Paolo gewidmet. Ich denke, dass man Proteste, egal ob sie nun zivilgesellschaftlicher oder revolutionärer Natur sind, mit Musik und anderen Protest- und Solidaritätsformen unterstützen sollte. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland auch andere Künstler gibt, die sich zu den Ereignissen positioniert haben.

Die Freiheitsliebe: Du versuchst mit deiner Musik auch Kritik am Rassismus zu äußern, ein Thema, welches im Rap häufiger Musik als Widerstand vorkommt. Glaubst du, dass insbesondere auch für den anti-muslimischen Rassismus, der in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ein Bewusstsein geschaffen werden kann und wie denken die Jugendlichen, die von dem Rassismus betroffen sind?

Kaveh: Es ist für mich schwer zu sagen, was die betroffenen Jugendliche im Allgemeinen über den zunehmenden Rassismus denken und vor allem wie sie darauf reagieren. Ich bekomme immer mal wieder Mails, in denen Leute mir schreiben, dass ich ihnen aus der Seele spreche. Besonders bei Songs wie Sarrazynismus oder der Antwort auf Harris. Für einige können die Lieder sicher ihre Gefühle widerspiegeln und ein Sprachrohr sein. Wie jeder einzelne mit Rassismus umgeht, ist jedoch schwer zu beantworten. Ich kann das nur aus meinem eigenen Umfeld heraus beurteilen. Manche reagieren aggressiv, andere schotten sich ab. Einige entwickeln ein schärferes Bewusstsein und stärken ihr Selbstbewusstsein und ihre Identität aufgrund der notgedrungenen und immer wiederkehrenden Auseinandersetzung mit Diskriminierung. Andere wiederum lassen sich auf die hohlen Argumente der Rassisten ein und reproduzieren sie sogar. Wichtig war es mir zu betonen, dass Rassismus nicht nur ein Alltagsphänomen ist – sogar in seiner Alltagsform ist er „mehr als nur ein Augenblick.“ Er ist in der U-Bahn, bei alltäglichen Begegnungen oder im Supermarkt anzutreffen und darüber hinaus gibt es noch den strukturellen Rassismus. Er ist auf Behördengängen, bei der Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnungssuche oder auch vor Diskotheken anzutreffen, in die man als Kanake oder Schwarzkopf nur selten reinkommt. Er ist also auf unterschiedlichsten Ebenen anzutreffen. Der strukturelle Rassismus ist eine große Last, die das Leben der Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund erschwert, wie auch das Zusammenleben mit Menschen, die davon weniger betroffen sind. Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art, gegen Frauen, Homosexuelle etc. ist fast überall tief verwurzelt in den Gesellschaften. Was leider viel zu wenig angesprochen wird, ist die Frage der Identität – also inwiefern die gängige Definition von Identität in Frage gestellt werden sollte. Im Mainstream wird kaum die Ansicht vertreten, dass es möglich sein sollte mehrere Identitäten zu besitzen, oder dass die Identitäten sich hier verändert haben und nicht mehr so homogen daherkommen wie noch vor 60 Jahren. Der deutschen Mehrheitsgesellschaft fällt es immer noch sehr schwer das zu akzeptieren. Dies sind sozusagen die Nachwehen der Blut und Boden Mentalität, die in Deutschland bis ins 19. Jhdt. zurückreichen und während der Nazizeit ihre konsequente Vollendung gefunden haben. In Deutschland wird oft von der vorbildhaften Aufarbeitung des Faschismus gesprochen. Was dabei meiner Meinung nach aber leider zu kurz kommt ist, dass Deutschland während der Kaiserzeit und Weimarer Republik durchaus kosmopolitische Züge aufzuweisen hatte, diese jedoch während der Nazizeit durch Ausrottung und Vertreibung einen herben Rückschlag erleben mussten. Eine völlig übertriebene Angst und der zunehmende Hass gegenüber dem vermeintlich Fremden und Anderen gehören heute vielleicht zu den bedrückendsten Kontinuitäten des europäischen und vor allem deutschen Faschismus. Besonders Menschen die heikle Aufenthaltstitel haben, wie Flüchtlinge, Sinti und Roma etc. haben am stärksten unter dem EU weiten Rassismus zu leiden. In Deutschland sind die schändliche Residenzpflicht, Lagerunterbringung und Abschiebung der beste Beweis dafür.

Die Freiheitsliebe: Du hast Harris, ein Rapper aus Berlin, schon angesprochen. Dieser rappt in einem Song: „Schäm dich schlecht über Deutschland zu reden!“ Wie kommt es, dass jemand der selber Erfahrung mit Rassismus gemacht hat, nun eine Position vertritt, die sich quasi der Mehrheit unterordnet?

Kaveh: Dies dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen hängt es mit seiner Biographie zusammen. Er ist in Kreuzberg aufgewachsen, wo er weniger Erfahrungen mit Rassismus gemacht hat, als jemand der in anderen Bezirken, Städten oder gar auf dem Land aufgewachsen ist. Auf der anderen Seite hängt es mit seiner politisch-gesellschaftlichen Entwicklung und Sozialisation zusammen. Da kann man nämlich ganz klar sehen, dass er ein durch und durch konservatives Denken vertritt. Er hat eine Sendung auf Jam FM, die sich der „Patriot“ nennt, in der die Gäste nur deutsche Wörter verwenden sollen. Ähnlich wie sein Kollege Sido steht er dem Denken Sarrazins ziemlich nahe. Er hat in einem Interview zu Guttenberg als sein politisches Idol bezeichnet. Er hat sogar ein Deutschland-Tattoo auf der Brust. Er spricht zwar von einem „neuen Deutschland“, in dem diejenigen Menschen mit Migrationshintergrund auch dazu gehören, wodurch er sich von einigen konservativen Strömungen abgrenzt. Im Grunde genommen vertritt er aber ein ziemlich nationalistisches Denken, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass keine Kritik an der Mehrheitsgesellschaft und der deutschen Nation akzeptiert wird, die von sogenannten Ausländern stammt. Eines seiner fragwürdigsten Positionen liegt also darin, dass er Menschen mit Migrationshintergrund, die sogar hier geboren oder aufgewachsen sind als Ausländer bezeichnet und ihnen dadurch jegliche Kritik an den ‘‘wahren Deutschen‘‘ oder Deutschland verwehrt.

Die Freiheitsliebe: Du kritisiert auch, dass er Themen wie Zwangsehe auf alle herunterbricht, was auch in Gesamtdeutschland ein Problem ist. So liest man in Zeitungen, dass dies ein alltägliches türkisch/arabisch/kurdisches Problem sei. Siehst du eine eher internationalistische Gesellschaft als Ziel, in der der Nationalismus gänzlich aus dem Geist vertrieben wurde oder sagst du, dass dieser auch in Teilen nachvollziehbar sein kann?

Kaveh: Es kommt auf den Kontext an. Im Kampf gegen Kolonialismus war der Nationalismus ein wichtiges Mittel, um die Unabhängigkeit gegen Kolonialmächte zu erlangen. Das konnte man in Südamerika, Asien und auch Afrika beobachten. In einigen Ländern mag es sein, dass der Nationalismus immer noch eine wichtige Form des Widerstands darstellt. Im europäischen Kontext jedoch ist der Nationalismus größtenteils überkommen, denn er entspricht nicht mehr den multikulturellen Lebensrealitäten vieler Menschen. In Deutschland trägt er in keinster Weise zu einem besseren Zusammenleben bei. Ich denke daher, dass das nationalstaatliche Denken der Vergangenheit angehören sollte. Ein internationalistisch/kosmopolitisches Denken ist meiner Meinung nach die einzige Alternative, weil sie ein menschlicheres Miteinander ermöglicht und durch ihre offenen und beweglichen Identitätsmuster auch dazu in der Lage ist von den unterschiedlichen Einflüssen zu lernen. Natürlich hat Multikulturalität aber auch seine Grenzen, und zwar wenn die universellen Menschenrechte verletzt werden.

Die Freiheitsliebe: Ich danke dir für das Interview.

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