Samstag, 21. November 2015

Kaveh Ahangar: Der barbarische „IS“ Vs. fortschrittliche Selbstverteidigungskräfte im syrischen Rojava

Auf der facebook-Seite von Kaveh Ahangar findet man eine schöne Analyse des Kampfes zwischen "IS" und den progresssiven Kämpfern und Kämpferinnen in Rojava. Seine Analyse ist intelligenter als die meisten Gedankenflüge der üblichen Verdächtigen in den Massenmedien zum Thema, aber auch der deutschen Linken und der "anti"deutschen Ideologen. Man beachte, dass Kaveh Rapper ist. Es gibt also Menschen, die hinter hartem Sprechgesang solidere Analysen abliefern als hauptsächlich mit Ideologie beschäftigte "Wissenschaftler", "Journalisten", "Politiker" und "Theoretiker". Der ursprüngliche post findet sich hier.

Der barbarische „IS“ Vs. fortschrittliche Selbstverteidigungskräfte im syrischen Rojava


von Kaveh

Der „Islamische Staat“ und Rojava repräsentieren zwei völlig entgegengesetzte Gesellschaftsmodelle. Aber sowohl „Daesh“ als auch die Selbstverteidigungskräfte in Nordsyrien ziehen Kämpfer*innen aus aller Welt an. Um es stark vereinfacht auszudrücken: Wenn radikalisierte Sunniten zu militanten Islamisten werden schließen sie sich häufig dem „IS“ an, während Rojava vor allem radikale Linke anzieht, die den Befreiungskampf der Kurd*innen, den Schutz unterschiedlicher religiöser und ethnischer Gruppen, Frauenrechte und die Schaffung rätedemokratische Strukturen unterstützen.

Die Ursachen für den Militanten Islamismus


Natürlich trägt jeder Mensch Verantwortung für seine Taten und muss dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden. Um die menschenverachtenden Praktiken von Individuen, Gruppen oder Staaten verstehen zu können, sollte man sich nicht nur mit äußeren Faktoren zufrieden geben. Eigenschuld, interne politische und sozio-ökonomische Strukturen und zufällige Gegebenheiten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Dennoch: die Tatsache, dass Menschen im „Nahen- und Mittleren Osten“ zu militanten Islamisten überlaufen hängt insbesondere auch mit Bedingungen und Umständen zusammen, die außerhalb der Einflussmöglichkeiten von Muslim*innen liegen. Nach Angaben des Verfassungsschutzes sind mehr als 730 Salafisten von Deutschland aus in den Irak und die syrischen Kampfgebiete ausgereist – über 200 davon kehrten bereits zurück. Was macht aber den militanten Islamismus so attraktiv? Der „IS“ ist mittlerweile die reichste Terrorgruppe der Welt. Er kontrolliert eine Fläche, die so groß ist wie Großbritannien sowie einen Großteil der Ölfelder im Irak und Syrien. Er finanziert sich nicht nur durch Öleinnahmen, sondern auch durch Konfiszierungen, Raubzügen und Steuererhebungen.

Welche Rolle spielt dabei der Westen? Kritische Geister behaupten, dass, je nach Kräfteverhältnis, die USA entweder die eine Seite (z.B. Assad) oder die andere Seite (z.B. gewaltbereite Islamisten) unterstützen, damit kein Lager zu stark wird und die Kontrolle der Region, ihrer Märkte und wertvollen Ressourcen leichter zu gewährleisten sind. „Divide(nde) et Impera“ im Namen wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen von Staat und transnationalen Konzernen wie dem Militärisch-Industriellen Komplex bis es schließlich nur noch Satellitenstaaten gibt, die nach ihrer Pfeife tanzen? Nach neuen Schätzungen hat die Obama-Administration mehr Waffen verkauft als jeder andere US-Präsident seit dem 2. Weltkrieg. Obamas Deregulierung des Waffenexports hat dazu geführt, dass in den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit Kriegsgerät im Wert von 169 Milliarden Dollar verschachert wurde. Obamas Regierung hat also nicht nur sechs Mal mehr Menschen (ca. 2500) durch Drohnenangriffe getötet als Bush, sondern auch etwa 30 Milliarden Dollar mehr Einnahmen durch Waffenverkäufe erzielt. 60% der Waffen gingen an den „Nahen-und Mittleren Osten“. An der Spitze liegt einer der wichtigsten US-Verbündeten in der Region: Saudi Arabien mit 46 Milliarden Dollar. Ausgerechnet der Staat mit den schlimmsten Menschenrechtverletzungen weltweit hat also mit US-Waffen erst die Demonstranten in Bahrain blutig niedergeschlagen und nun tötet er Houthi-Rebellen und unschuldige Zivilsten im Jemen. Jetzt darf Saudi-Arabien - von wo aus militante Islamisten wie der „IS“ seit Jahren durch private Geldgeber unterstützt werden - für ihre Luftwaffe auch noch mehr als 19.000 Bomben im Wert von 1,29 Milliarden Dollar von den USA kaufen. Verfolgt das US-Imperium eine ethnische „Neuordnung“ des sog. „Nahen- und Mittleren Ostens“? Sollen durch die Auflösung von Nationalstaaten wie Irak und Syrien neue Grenzen entstehen, die nach Stammes- und Religionszugehörigkeit gebildet werden? Seit 2006 scheint dies die vorherrschende Strategie der Neokonservativen in den USA zu sein. Auch die deutsche Waffenindustrie profitiert prächtig vom Krieg und den Folgen des „konstruktiven Chaos“ (Condoleezza Rice).

Diese Entwicklungen, in Verbindung mit der uneingeschränkten westlichen Solidarität mit Israel, den ethnischen Säuberungen in Gaza, den ungeahndeten Massakern an Muslim*innen durch Drohnenangriffe und privaten Söldnerfirmen schüren bei den Betroffenen wiederum starke Ressentiments gegenüber dem Westen und erhöhen die Bereitschaft sich radikalen Gruppen anzuschließen. Letzteres betrifft auch die im Westen lebenden Menschen mit muslimischem Hintergrund oder westliche Konvertiten, die entweder familiär vom Krieg betroffen sind oder politische, kulturelle und religiöse Motive haben. Da islamistische Organisationen aufgrund der jahrelangen Unterstützung durch den Westen, die Golfstaaten oder Iran besser finanziert, ausgerüstet und vernetzt sind als z.B. linke und in vielen Ländern sogar liberale Organisationen, liegt es nahe, dass islamistische Gruppen mühelos vernachlässigte, diskriminierte, verarmte und arbeitslose oder von Krieg und der Ermordung von Angehörigen betroffene Menschen rekrutieren können. Sie geben ihnen körperliche und geistige Nahrung, eine Ausbildung, Arbeit und oftmals auch Waffen und Kriegsbeute. Sie bieten die Möglichkeit die aufgestaute Wut gegen diese Ungerechtigkeiten tatkräftig zu kanalisieren. Sie wollen sich beim US-Imperium und ihren Verbündeten für die seit Jahrzehnten stattfindende Demütigung und Dehumanisierung rächen. Das kann man an den Aussagen von „Jihadisten“ aus aller Welt beobachten. Einer der Attentäter von Charlie Hebdo z.B. wurde erst durch Bushs Irak-Krieg und die US-Folter im Abu Ghraib-Gefängnis radikalisiert. Mohamad Emwazi aka „Jihadi John“ scheint sich erst durch die Befragungen und die Überwachung des britischen Geheimdienstes MI5 radikalisiert zu haben. Einer der Attentäter von Boston kritzelte folgendes an die Wand des Bootes, in dem er sich versteckt hielt als die Polizei ihn jagte: "Die Regierung der Vereinigten Staaten tötet unschuldige Zivilisten. Wir Muslime sind eins, wenn man einen verletzt, verletzt man alle." In einem Verhör kritisiert er nach Angaben des FBI die Angriffe des US-Militärs auf Muslime im Irak und in Afghanistan. Wäre Saddam Hossein damals nicht unter falschen Vorwänden beseitigt worden, dann hätten wir heute wohl kaum den seit fast 10 Jahren anhaltenden Bürgerkrieg zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden, die durch amerikanische „teile-und herrsche“ Politik und regelmäßigen Militärschlägen angeheizt werden, die gesamte Region destabilisieren, über 1.3 Millionen Menschen das Leben kosteten und Hundertausende Menschen in die Arme militanter Islamisten treiben. Die Hauptursachen für das Erstarken des militanten Islamismus sind also der US-Imperialismus, vor allem die Nato-Kriege in Afghanistan, Pakistan, Irak, Mali, Libyen und Syrien sowie die US-Finanzierung militanter islamistischer Gruppen – von den Mujaheddin bis zum „IS“ – das bis in die 1980er zurückreicht. Ein geheimes Pentagon-Dokument aus dem Jahr 2012, das Ende Mai in Teilen veröffentlicht wurde, hat zudem offiziell bestätigt, was Experten schon seit Jahren wissen: Dass vor allem die Unterstützung der USA, aber auch diejenige der Türkei und der Golfstaaten eine entscheidende Rolle in der Entstehung des „IS“ gespielt haben. Ein „Islamischer Staat“ sei wortwörtlich eine „strategische Chance“ für den Sturz der Assad-Regierung in Syrien und ein Mittel, um die schiitische Expansion im Irak durch Iran einzudämmen. Aber auch 2) strukturelle Diskriminierung und anti-muslimischer Rassismus in Staat und Gesellschaft – vor allem auf dem Arbeits-, Bildungs,- und Unterhaltungsmarkt – bieten dem militanten Islamismus im Westen einen fruchtbaren Nährboden. Im Alltag von der Mehrheitsgesellschaft zunehmend als das „Andere“ dämonisiert, für „kulturell andersartig“, „zivilisatorisch unterlegen“ oder als „minderwertig“ und „böser Moslem“ abgestempelt, sind viele traumatisiert und es wird ihnen immer mehr das Gefühl gegeben nicht zur Mehrheitsgesellschaft dazu zu gehören. Regelmäßige rechtsradikale Angriffe auf muslimische Kinder, Frauen und Männer spiegeln den rasanten Zustrom anti-muslimischer Rassisten wie PEGIDA und AfD wieder. Laut einer jüngsten Umfrage der Bertelsmann Stiftung sehen 57 Prozent der nicht-muslimischen Bürger der Bundesrepublik den Islam als Bedrohung und 61 Prozent sind der Meinung, der Islam “passe nicht in die westliche Welt”. Diese Befragung fand noch vor den Anschlägen in Paris statt und würde heute wohl noch krasser ausfallen. Menschen mit muslimischem Hintergrund sind häufig überproportional von Diskriminierung, Armut, Verdrängung, Arbeitslosigkeit und Bildungsdefiziten betroffen, was wiederum die Gewaltbereitschaft erhöht. Diskriminierungserfahrungen werden außerdem dadurch gesteigert, dass nicht-weiße Menschen häufiger von staatlicher Gewalt, Polizeiwillkür (z.B. „racial profiling“) und Polizeigewalt betroffen sind. Hinzu kommt der seit 9/11 zunehmende anti-muslimische Rassismus auf institutioneller Ebene, die Verschärfung rassistischer Gesetze und der Generalverdacht, der oftmals auf Muslim*innen lastet.

Der Umgang von Staat, Justiz und Gesellschaft mit den Angehörigen der NSU-Opfer oder auch Phänomene wie die Gefangenenlager Guantánamo, Bagram usw. in denen auch aus Deutschland stammende Muslime, mit der Mitwisserschaft der deutschen Regierung, zu Unrecht gefangen gehalten und gefoltert wurden (z.B. Murat Kurnaz), sind dabei nur der Gipfel des anti-muslimischen Rassismus. Hinzu kommen 3) Die zerstörerischen Ausmaße des Neoliberalismus und Kapitalismus, die immer extremere Ausgrenzung, Entfremdung und Ungleichheit produzieren. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die in Großbritannien und den USA in den 70er und 80er Jahre ihren Anfang nahm und sich in Deutschland seit den letzten 15 Jahren immer stärker verbreitet, hat zu einem enormen Anstieg der Armut, einer nie dagewesenen Schere zwischen Arm und Reich, zunehmender Privatisierung von Industrie, Dienstleistungssektor und öffentlicher Güter, einer massiven Umverteilung von unten nach oben, einer globalen Finanzkrise und der Kürzung von Mitteln für Bildungs,- Kultur- und Jugendeinrichtungen geführt. TTIP bildet dabei nur den Zenit des global um sich greifenden Diktats des Freihandelsregimes. Weil es immer weniger Jugendfreizeitzentren gibt, fangen vor allem Neonazis oder religiöse Institutionen die Jugendlichen auf. Diese bieten ihnen kostenlose Freizeitangebote wie Sport usw. an. Da ist es wohl kaum verwunderlich, dass sich so mancher Jugendlicher radikalisiert. Vor allem diejenigen, die regelmäßig mit Rechtsradikalen in Verbindung stehen oder Moscheen besuchen, die von extremistischem Gedankengut durchdrungen sind. Der Kern des Problems liegt aber nicht im heute vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell, sondern im kapitalistischen System an sich. Kapitalismus meint diesbezüglich die spezifische Form der Ausbeutung, Entfremdung, Unterdrückung und Vereinzelung, der ungleiche Tausch wohlhabender und wirtschaftlich schwacher Nationalstaaten, der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, die Kommodifizierung von Natur und den gesellschaftlichen Verhältnissen, der ständige Zwang zum Konkurrenzkampf und zur Reinvestition des Profits, der Konsumwahn, die Zerstörung der Umwelt, die zunehmende Industrialisierung, Mechanisierung und Informatisierung, kurz: die kapitalistischen Eigentums,- Herrschafts,- Konsum,- Tausch,- Verteilungs,- und v.a. Produktionsverhältnisse. Diese haben dazu geführt, dass viele Menschen den inneren Drang verspüren der Sinnleere des kapitalistischen Daseins zu entkommen, indem sie sich etwas suchen, das ihrem Leben wieder Bedeutung, Halt, Glück, Stolz und Ehre verleiht. Die einen versuchen sich künstlerisch zu betätigen, manche werden religiös oder spirituell und andere wiederum schließen sich politischen Gruppen an. Schlimmstenfalls sind das Rechtsextremisten oder militante Islamisten, die unter dem Deckmantel einer bestimmten Religion oder Ideologie, nach Macht und Kapital lechzen. Letztendlich sind die Rekruten religiöser Extremisten und Faschisten sowohl Täter als auch Opfer des Kapitalismus sowie den damit verbundenen imperialen,- gesellschaftlichen- und innerstaatlichen Machtstrukturen. Die von der Sehnsucht nach einem Leben in Würde, Freiheit und Gerechtigkeit getriebenen „Gotteskrieger“ und Neonazis werden aus Verzweiflung oder religiöser und ideologischer Verblendung von fanatischen und machtbesessenen Gestalten rekrutiert und für ihre Zwecke missbraucht. Aber die Widersprüche des Kapitalismus stärken auch fortschrittliche und emanzipatorische Kräfte wie man in Rojava beobachten kann.

Der Befreiungskampf in Rojava


Das Machtvakuum, welches durch den Bürgerkrieg in Syrien 2011 entstand, hat es den Menschen in Rojava ermöglicht selbstverwaltete Strukturen unter dem Banner des „demokratischen Konföderalismus“ aufzubauen. Dies wurde ironischerweise nicht von Unten, sondern von Oben inspiriert, und zwar durch den PKK-Führer Abdullah Öcalan, der mittlerweile seit 16 Jahren in der Türkei im Gefängnis sitzt und sich dort unter dem Einfluss der Schriften des libertären Sozialisten und öko-Anarchisten Murray Bookchin allmählich von einem Stalinisten zu einem radikalen Demokraten entwickelt zu haben scheint.

Rojava befindet sich weiterhin im Krieg gegen militante Islamisten wie den „IS“. Dem türkischen Staat wird vorgeworfen, dass er mithilfe von Al-Nusra und Ahrar al-Scham syrische Gebiete unter seine Einflusssphäre bringen und dort eine Pufferzone errichten wolle. Darüber hinaus gibt es einige Indizien dafür, dass der „IS“ von der türkischen Regierung unterstützt wird. Rojava unterliegt einem Embargo durch die Türkei und auch durch Barzanis Peshmerga in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Kurdische Stellungen in Nordsyrien und der Türkei werden zudem massiv vom türkischen Militär angegriffen und bombardiert. Diese Politik wird in Teilen auch von den USA und von Saudi-Arabien unterstützt. Während die USA den Kurd*innen mit Luftschlägen gegen den „IS“ den Rücken freihält, werden gleichzeitig die Bombardierungen Rojavas durch die Türkei gebilligt. Die syrische Regierung wiederum ist damit beschäftigt, keine weiteren Gebietsverluste zu erleiden und die alevitischen Gebiete zu schützen.

Während der „IS“ Schiiten, Christen, Eziden und Atheisten massakriert, Andersdenkende Sunniten kaltblütig ermordet und die Frauen unterdrückt, wird der Kampf in Rojava gleichberechtigt von Männer und Frauen unterschiedlicher Nationen und Religionen geführt. Es sind hauptsächlich Kurd*innen, aber auch Araber*innen, Aramäer*innen, Assyrer*innen, Armenier*innen, Türk*innen, Turkmen*innen und Iraner*innen. Es kämpfen Muslim*innen, Zoroastrier*innen, Christ*innen und Atheist*innen. Nicht nur die Truppen des „IS“ bekommen aus dem Westen Verstärkung. Auch in Rojava kämpfen Europäer*innen wie der britische Hollywoodstar Michael Enright oder die im März in Rojava von IS-Truppen getötete Deutsch-Togolesin Ivana Hoffman.

Die nationalen und internationalen Kämpfer*innen in Rojava sind trotz Krieg gegen militante Islamisten, gerade bemüht in Nordsyrien die fortschrittlichste Gesellschaftsordnung ganz Asiens aufzubauen. Neben der Naxalitenbewegung in Indien bildet es eines der wenigen emanzipatorischen Lichtblicke auf dem asiatischen Kontinent. Die kurdischen Selbstverteidigungskräfte, die zu 30% aus Frauen bestehen, haben in der Region bisher die erfolgreichste Bodenabwehr im Kampf gegen den „IS“ geleistet. Sowohl in Südkurdistan (Sengal) als auch in Nordsyrien (Al Hawl) wurden „IS“-Truppen von den Selbstverteidigungskräften zurückgedrängt. Wichtige Verbindungsstraßen zwischen Mossul und Raqqa wurden bereits von der YPG und den Peschmerga eingenommen. Rojava wird basisdemokratisch regiert und der Gesellschaftsvertrag garantiert die Gleichheit von Religionen, Sprachen, des Glaubens und der Geschlechter. Laut dem Gesellschaftsvertrag für Rojava haben Frauen „das Recht zur Selbstverteidigung und das Recht, jegliche Geschlechterdiskriminierung aufzuheben und sich ihr zu widersetzen.“ Folter, Kinderarbeit und die Todesstrafe sind verboten und die Verwaltungen „akzeptieren weder ein nationalstaatliches, militaristisches und religiöses Staatsverständnis, noch akzeptieren sie die Zentralverwaltung oder Zentralmacht.“ Gefängnisse sollen Bildungs- und Rehabilitationszentrum sein. Der Anteil von Frauen „darf in allen Institutionen, Vorsitzen und Ausschüssen nicht weniger als 40% betragen. Jede/r hat das Recht auf politisches Asyl. Keine/r, die/der Asyl beantragt, darf gegen ihren/seinen Willen abgeschoben werden.“ Umweltschutz und Behindertenrechte wurden eingeführt. Es gibt ein „Recht auf Bildung (gebührenfrei und verpflichtend); das Recht auf Arbeit, Unterkunft, Gesundheits- und Sozialversicherung.“ Jeglicher Grundbesitz und Boden sollen der Bevölkerung gehören und nationale Produktionsmittel sollen geschaffen werden usw. Natürlich geht in Rojava einiges nicht weit genug, nicht alles wird eingehalten und es wird auch von Menschenrechtsverletzungen berichtet. Aber es ist trotzdem erstaunlich, was für einen bewundernswerten Mut und Kampfwillen die Kurd*innen und ihre nationalen und internationalen Unterstützer*innen in Nordsyrien aufbringen und dass sie mit ihrem Blut für einen Gesellschaftsvertrag eintreten, der in wichtigen Teilen fortschrittlicher ist als die deutsche und andere westliche Verfassungen.

Fazit


Was wir jetzt nach den jüngsten Anschlägen in Paris beobachten können, sind eine zunehmende Beschränkung der Bürgerrechte, mehr Überwachung, stärkere Grenzkontrollen, mehr Aufrüstung, mehr Anschläge und Angriffe auf Muslime, die nicht erst jetzt unter Generalverdacht stehen sowie die zunehmende Kriminalisierung von Geflüchteten. Und wer profitiert davon? Die NATO-Staaten nutzen die Anschläge als Vorwand, um noch aggressiver militärisch in der Region vorzugehen, der Militär-Industrielle-Komplex steigert seine Verkäufe und rechte Kräfte wie die Front National und AfD bekommen noch mehr Zustimmung. Der „IS“ hätte somit sein Ziel erreicht. Denn „Daesh“ will genauso wie Huntington, Bush & Co. einen Kampf der Kulturen heraufbeschwören. Nur wenn die Muslime im Westen noch weiter marginalisiert werden und die Perspektivlosigkeit im Orient durch die Bombardierungen wächst, gibt es auch weiterhin einen Nährboden für Terror. Die Unterstützung der stark unterfinanzierten Selbstverteidigungskräfte in Rojava bietet eine emanzipatorische, humanistische und säkulare Alternative zu den fanatischen Barbaren des „IS“. Um sie jedoch nachhaltig zu stärken, müsste die Kriminalisierung der PKK und kurdischer Politiker*innen im Westen beendet und die Türkei und Golfmonarchien unter Druck gesetzt werden, anstatt ihnen immer neue Waffenlieferungen zu gewähren. Vor allem das türkische Embargo gegenüber Rojava ist äußerst destruktiv und schwächt genau diejenigen Kräfte, die in den letzten Jahren die erfolgreichsten Bodenoffensiven gegen den „IS“ durchgeführt haben.

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