Donnerstag, 21. November 2013

"Man muss stark sein" - eine Rezension zu "Captain Phillips"

Das moralische US-Bürgertum


"Captain Phillips" handelt nicht von Captain Phillips. Der Titel trügt. Der Film beginnt zwar so als wäre der Captain der Held des Films und in der ersten halben Stunde wirkt es noch immer so. Aber das ändert sich bald und es wird klar, dass der Captain in der Handlung des Films nur eine Nebenfigur ist. Der eigentliche Held des Films ist das US-Bürgertum.

Was ist die Handlung des Films? Richard Phillips, ein irischstämmiger Amerikaner und braver Kapitän, muss einen Frachter mit Rohstoffen und weiteren Produkten nach Somalia bringen. Es kommt, wie es kommen musste. Eine Gruppe somalischer Piraten versucht, das Schiff zu kapern, um damit für sich und ihre ominösen Bosse den Lebensunterhalt zu verdienen. Aber die Piraten stoßen auf den entschiedenen Widerstand der Schiffscrew von Captain Phillips und auf die überlegene staatliche Gewalt der weisen USA.

Gleich am Anfang des Films wird die Moral des braven US-Bürgers von Captain Phillips ausgesprochen, während er sich mit seiner Frau über die Zukunft ihrer Kinder in der heutigen globalisierten Welt unterhält:

"Für unsere Kinder wird es nicht leicht. Die werden in einer anderen Welt leben als wir in ihrem Alter. Die beiden entwickeln sich super, aber es beunruhigt mich, dass Danny die Schule nicht ernst genug nimmt. Ich meine, wenn er den Unterricht schwänzt könnte ihm das, es könnte ihm doch noch schaden, wenn er einen Job sucht. Weißt du? Bei der Konkurrenz! Als ich angefangen habe, konnte man es zum Kapitän schaffen, wenn man einfach fleißig seine Arbeit machte. Aber für die Jungs, die jetzt anfangen: Die Firmen wollen alles immer schneller und billiger. Fünfzig Typen streiten sich um jeden Job. Es ist nicht mehr wie früher. Es gibt einfach keinen Stillstand. Man muss stark sein, um da draußen zu überleben."

Die ganze Sprechweise von Phillips erscheint wie die eines schüchternen, ruhigen Bürgers, der seine Disziplin beherrscht, aber von der globalisierten Welt von heute ein wenig überfordert wird. Als er durch den Piratenangriff in die Rolle des Verteidigers seiner Crew gezwungen wird, zeigt sich, dass er durchaus ein "starker" Mann ist. Während er in Gefangenschaft gerät, hilft er seiner Crew mit allen gewaltfreien Mitteln, der Gewalt der Kriminellen zu entkommen. Letztlich wird er aber überwältigt und kann nur noch von der Streitmacht der USA gerettet werden. Der kleine Held wird damit zur Nebenfigur, die gegenüber dem amerikanischen Staat in den Hintergrund tritt. Sie repräsentiert die ganze Moral des Films und steht selten so erhaben da in einem Hollywood-Film. Ihre Widersacher, die kriminellen Globalisierungsverlierer, wirken hingegen wie ohne jede Moral.

Die kriminellen Globalisierungsverlierer


Die somalischen Piraten bleiben während der zweistündigen Handlung merkwürdig anonym. Sie werden zwar mit Namen genannt und aus der Nähe gezeigt. Aber der Zuschauer wird mit ihnen nie wirklich warm. Man erfährt nicht allzu viel über ihre Motive oder ihren Hintergrund. Allerdings gibt es einige Schlüsselszenen, in denen sie dem Zuschauer näher gebracht werden. An einer Stelle unterhält sich Captain Phillips mit einem der Entführer. Er versucht gar nicht, die Piraten zu verstehen, sondern stellt bloß die eigene Position dar:

"Wir hatten Nahrungsmittel für hungernde Afrikaner dabei. Auch für Somalia."
Sein Entführer wehrt sich mit einer Dritte-Welt-Kritik an der Globalisierung:

"Ja sicher. Reiche Länder helfen gern Somalia. Große Schiffe kommen in unser Meer. Nehmen alle Fische mit. Was sollen wir noch fangen?"

Offenbar waren die Piraten früher somalische Fischer. Der Fischgrund vor Somalia wurde von der westlichen Großfischerei ausgebeutet, womit den Fischern der Lebensunterhalt genommen war. Was ihnen übrig geblieben ist, ist offenbar die Piraterie. Die ungerechte Globalisierung produziert also das Übel der kriminell gewordenen Globalisierungsverlierer. Das wird im Film ganz deutlich. Die Piraterie ist der verzweifelte Protest der Dritten Welt.

Aber diese bietet den Piraten offenbar auch keinen Ausweg aus ihrer elenden Lage. Denn obwohl sie wöchentlich ein Schiff kapern und teilweise Millionen Dollar ergattern, kriegen sie davon offenbar so gut wie nichts. Das Beutegut muss an irgendwelche Bosse weitergeleitet werden, die nur an zwei oder drei Stellen kurz erwähnt werden. Die Bosse werden gewiss reich, während die Piraten selbst arme Teufel bleiben, die sich ausgerechnet mit einer Supermacht anlegen müssen.

Captain Phillips schlägt den Piraten mehrfach vor, eine Beute von 30.000 Dollar ohne weitere Konsequenzen mitzunehmen. Für somalische Verhältnisse ist das ein gewaltiges Vermögen. Aber die Piraten lehnen das mehrfach ab mit Verweis auf die zu kleine Summe und die Anforderungen ihrer Bosse.

Der Konflikt der altersweisen Supermacht mit den missgünstigen Globalisierungsverlierern


Natürlich werden sie dafür, dass sie das großzügige Angebot unseres braven Kapitäns ausschlagen von einer noch großzügigeren und größeren Gewalt konfrontiert. Die See-Streitkräfte der USA sollen den Konflikt lösen. Und wie sie ihn lösen!

Ganz anders als man die US-amerikanische Gewalt in Konflikten mit Vietnam, Afghanistan, Irak, Iran, Yugoslawien, Libyen, Syrien usw. kennt, tritt sie in diesem Film auf. In den genannten Konflikten ballern die US-Streitmächte wie wildgewordene Cowboys auf alles, was sich bewegt und massakrieren damit stets Unmengen an Zivilisten. Noch dazu foltern und misshandeln sie die Gegner. Die USA sind historisch gesehen wohl der aggressivste, brutalste und unmoralischste Staat der Weltgeschichte. Sie heucheln ein großes Interesse an Freiheit und Demokratie vor, während sie diese zwei Ideen sogar im eigenen Land den Bordstein beißen lassen.

In "Captain Phillips" erscheint die wild gewordene Supermacht jedoch wie der altersweise Sheriff der globalisierten Welt. Den Piraten wird mit großer Geduld und sehr verständnisvoll eine friedliche Lösung nach der anderen angeboten. Die Offiziere und Soldaten der Supermacht wirken durchgehend wie disziplinierte Diener ihres Staates und der ganzen Welt. Sie sind Verkörperungen eines höheren Prinzips, einer höheren Moral, die sich ihrer völligen Überlegenheit völlig bewusst ist. Die schlecht bewaffneten und durchaus unmoralischen Piraten der Dritten Welt treffen hier auf eine haushoch überlegene Militärmacht, die mit allen Mitteln für globales Recht und Ordnung eintritt. Dass die Piraten dabei nicht allzu gut wegkommen, sollte den Zuschauer nicht wundern.

Das wird dann auch von Captain Phillips, dem Vertreter des braven US-Bürgertums, am Ende des Films moralisch gerechtfertigt. Denn obwohl die Motivation und die naive Hoffnung der Piraten auf einen Ausweg aus ihrem Elend erwähnt werden, sind sie im Film letztlich doch nur Kriminelle, die es dem Rest der Welt nicht gönnen, von der Globalisierung profitiert zu haben. Gegen die zu Verbrechern gewordenen Fischer ruft der Captain protestierend aus: "Ihr seid keine einfachen Fischer!" Deren Schicksal ist damit besiegelt. Die weise Supermacht USA siegt daher natürlich. Sie setzt in der Handlung durch, was als Moral des Films und des US-Bürgertums gelten darf: "Man muss stark sein".

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