Dienstag, 29. April 2014

Ja, die Deutschen...

...sind schon ein eigenartiges Völkchen. Nicht Alles, aber Vieles läuft bei den Deutschen ein wenig anders als bei anderen Völkern.

*Zynismus an*

Z.B. ist schon das Wörtchen "Volk" in Deutschland teils von gänzlich anderer Bedeutung als bei jedem anderen beliebigen Volk. Wenn ein Deutscher "Volk" sagt, dann muss er sich einige Sekunden später zunächst einmal verängstigt umsehen, ob ihn nicht jemand scheel anstarrt. Denn während die Franzosen trotz vieler Enthauptungen bei ihrem Volk stets erhobenen Hauptes vom "peuple", die Russen mit ihrem Weltrekord an Nazi-Schlägern vom "narod" (народ), die Chinesen vom "renmin" (人民) und sämtliche englischsprachigen Menschen vom "people" und den "peoples" schwadronieren können, können, dürfen und sollen die Deutschen ganz besonders aufpassen, wenn sie an "Volk" und "Völker" auch nur denken! Denn das deutsche Volk ist ja gemäß einer sehr deutschen Erzählung das "Täter-Volk". Das "Täter-Volk" ist ein Volk, dass sich immer mal wieder von anderen Völkern so bedrängt fühlt, dass es ab und an Weltkriege beginnt, Zivilisten und Soldaten industriell ermordet und die Schuld dann auf die Russen schiebt. Denn: "Der Russe steht vor der Tür." 

Auch wenn "der Russe" höflich anklopft, so fühlt sich das deutsche Volk stets bedrängt und eingeengt. Irgendwie hat der russische народ es geschafft, ein ungeheuer weites Gebiet zu erobern und sich mehr "Lebensraum" zu sichern als für ein Volk nötig. Das deutsche Volk hingegen, das scheint immer mal wieder neidisch zu werden, neidisch nicht nur auf das russische Volk mit seinem "Lebensraum", sondern auch auf das britische Volk mit seinen großen Inseln, auf das französische Volk mit seinem Recht darauf, gesittet und ohne Angst vor Ertappung vom "peuple" zu parlieren, und schließlich auf alle Englisch sprechenden Menschen des Planeten, die problemlos über "people" und "peoples" diskutieren dürfen. Ja, der Völkerneid scheint ein besonderes Merkmal des deutschen Volkes zu sein. Andere Völker dürfen recht starke und gefährliche Nazis und ihre legalen Parteien aufweisen.


Das deutsche Volk dagegen kann es sich noch nicht leisten, wieder allzu ausufernden Nazi-Terror zu dulden. Immerhin durfte es mit dem NSU-Terror seinen Ausgleich für den RAF-Terror der 70er und 80er haben. Und der Staat des deutschen Volkes durfte auch schon artig zusehen, wie sich das Nazi-Netzwerk ausgebreitet hat. Auch durfte man die Schuld auf die Opfer schieben. Das gefällt einem "Täter-Volk" recht gut, die Schuld auf die Opfer zu schieben. Aber so richtig loslegen darf das deutsche Volk noch immer nicht. Die Franzosen, die Italiener, die Ungarn, die Griechen, die Russen und selbst die West-Ukrainer dürfen ordentliche Kameradschaften aufbauen, in denen man das "Täter-Volk" verherrlichen darf und für die das Verletzen wehrloser Menschen eine Tugend ist. Aber für das deutsche Volk ist es nie zu spät, denn schon immer war es etwas verspätet.

http://rsv.daten-web.de/
Die Verspätung ist eine weitere Tugend des deutschen Volkes. Verspätet wurde die deutsche Nation unter Bismarck mit dem Schwerte und der Kanone geschaffen. Wie üblich mussten einige Franzosen, Österreicher, Dänen und allgemein einige Zivilisten sterben. Aber für die Nationengründung des deutschen Volkes musste das ja wohl erlaubt gewesen sein. Aber auch mit dem Imperialismus und der Ausbeutung ferner Kolonien war das deutsche Volk spät dran. Also baute man eine starke Flotte auf, drohte den Chinesen mit einer rassistischen "Hunnen-Rede" und arbeitete fleißig auf den absehbaren Weltkrieg zu. Ach, natürlich musste man nebenbei über die Juden, die Russen und die Völker anderer Staaten herziehen. Aber auch mit den "Revolutionen von unten" war das deutsche Volk spät dran, weshalb dann die erste ordentliche Arbeiterrevolution in Deutschland umso kräftiger an den morschen Verhältnissen rütteln durfte. Arbeiter, Matrosen, Soldaten und Berufsrevolutionäre ohne Vaterland beendeten den Ersten Weltkrieg 1918 wieder, setzten den Kaiser des deutschen Volkes ab, der ja bekanntlich keine Parteien und nur noch das deutsche Volk kannte und bauten das demokratischste Staatswesen der deutschen Geschichte auf, die sozialistische Republik.


http://rsv.daten-web.de/

Aber da das deutsche Volk verspätet mit der Demokratie in Berührung kam, war sogar die "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (SPD) nicht sonderlich demokratisch gesinnt und verriet daher die demokratischste Bewegung der deutschen Geschichte, um eine jämmerliche Weimarer Republik zu errichten. Dafür musste die "SPD" zunächst die alten Genossen und Genossinnen loswerden, die im Spartakusbund, der USPD bzw. in der Kommunistischen Partei Deutschlands organisiert waren. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden daher auf Order von "Sozialdemokraten" mit Hilfe von faschistischen Freikorps ermordet. So verfährt nunmal ein "Täter-Volk" mit seinen Juden und Kommunisten. Was will man da machen außer die Obrigkeiten stürzen? Genau das versuchten die Kommunisten daher immer mal wieder, aber das deutsche Volk war noch nicht reif für Frieden und internationale Solidarität. Immerhin wurde es ja durch den Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg von den Siegervölkern geknechtet. Ein "Täter-Volk" ist aber ungerne Knecht und knechtet lieber andere Völker. Also kam der "Führer" des deutschen Volkes an die Macht, um sie alle zu knechten. 

Die Reichs...eh, Bundeskanzlerin
verführt das deutsche Volk
Da wären wir wieder beim Hobby des "Täter-Volkes", sich umzingelt zu fühlen, Weltkriege anzufangen, industriellen Massenmord zu begehen und die Schuld den Russen zuzuschieben. "Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt abwird Bombe mit Bombe vergolten! Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft!" Zurückgeschossen, genau, was sonst? Die Russen, meinetwegen auch die Slawen allgemein, sind immer Schuld. Die Russen sind Schuld, weil sie so viel "Lebensraum" haben und das deutsche Volk nicht. Welche Ungerechtigkeit! Pfui! Daher ruft ein deutsches Volk unter einem kaltschnauzigen Kanzler oder einer kaltschnauzigen Kanzlerin nunmal zum Krieg mit "dem Russen". 

"Der Russe" hat angefangen! "Der Russe" hat eine slawische Stirn! "Der Russe" ist so böse und diktatorisch, dass man ihm unter einer deutschen Diktatur Böses antun muss! "Der Russe" will es doch auch, den Krieg und die Unterwerfung! Egal. "Der Russe" ist an allem Schuld!

Das deutsche Volk?
Das sind keine Witzchen unter zwei guten Freunden, wie unter Gerhard Schröder und Wladimir Putin etwa, sondern blutiger Ernst. Wenn das deutsche Volk nach seiner Verspätung auch mal am Ort des Geschehens angekommen ist, dann knallt es aber richtig! Entsprechend legen diverse Journalien dieser Tage nahe, "der Russe" vor der Tür hätte mal wieder Lust, mit dem deutschen Volk Krieg zu spielen. Das Weltkrieg-Beginnen ist ja das große Hobby eines "Täter-Volkes". Entsprechend wünscht es sich den Krieg herbei und weint wie ein des Friedens überdrüssiges Volk, um seinen Krieg zu bekommen. "KriegkriegkriegkriegKrieg!" ist der Wunschtraum eines "Täter-Volkes". Die Bundeskanzlerin tritt entsprechend hinter das Volk zurück, um zu schauen, wann es dem Volk den großen Krieg schenken kann. Die kleinen Kriege in Afghanistan und Somalia reichen ja nicht. Zu wenig "Lebensraum" da. Aber die sibirische Steppe! Das wär doch mal was! Mit einem neuen Weltkrieg könnte man auch wieder Zivilisten ebenso wie Soldaten opfern. Diesmal eignet sich "der Jude" nicht so sehr als Zielscheibe. Dafür gibt es ja "den Hartzer", "den Extremisten" oder "den Islamisten". Und die Schuld kann das deutsche Volk ja auf "den Russen vor der Tür" schieben. Dann kann das deutsche Volk auch wieder erhobenen Hauptes vom "Volk" schwadronieren und seine eigenen mächtigen Kameradschaften aufbauen.

Ja, die Deutschen sind schon ein eigenartiges Völkchen. Nicht Alles, aber Vieles läuft bei den Deutschen ein wenig anders als bei anderen Völkern.

Die Patrioten von KIZ



*Zynismus aus*





Montag, 28. April 2014

Zwischen Dostojewskij und 2Pac

Zwischen Dostojewskij und 2Pac liegen Welten. Und dennoch ist der Abstand zwischen diesen beiden Menschen viel geringer als es scheint.

  • Dostojewskij war Schriftsteller, 2Pac war Rapper.
  • Dostojewskij war ein Mensch des 19. Jahrhunderts, 2Pac einer des 20. Jahrhunderts.
  • Dostojewskij war weißer Russe, 2Pac war schwarzer Amerikaner.
  • Dostojewskij war entschieden orthodoxer Christ und russischer Nationalist, 2Pac war mehr oder weniger Atheist und kam aus der Szene der Black Panthers.
  • Dostojewskij war adliger Abstammung und verarmte im Laufe der Zeit, 2Pac kam aus dem Ghetto und stieg als Parvenu zu Ruhm und Reichtum auf.

Die Gegensätze scheinen unüberbrückbar zu sein. Das stimmt aber nicht. Die Welten, die diese zwei Persönlichkeiten von einander trennen, können nicht verschleiern, dass es bedeutsame Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gibt. Dostojewskij und 2Pac einen viele Gemeinsamkeiten:

  • Dostojewskij und 2Pac machten erstaunliche Wandlungen durch. 
  • Beide waren zutiefst entwurzelte Menschen, die letztlich trotz aller Hindernisse Wurzeln schlagen konnten.
  • Beide saßen im Gefängnis und hatten ein feines Gespür für die Nöten und Leiden der unteren Schichten. 
  • Beide hassten ganz besonders die Ungerechtigkeiten in ihrem Land.
  • Beide verpackten ihre Messages in ihrer Sprachkunst.
  • Beide befragten ihre Klientel auf ihren Glauben und Glaubwürdigkeit 
  • Beide forderten die Menschenwürde für alle Menschen.

Vielleicht mag das an der Nase herbeigezogen klingen. Aber es gab zu allen Zeiten und überall auf der Welt Menschen, die sich gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt empörten und zum Sprachrohr der Armen, Elenden, Verdächtigten und Verachteten machten. Dostojewskij und 2Pac gehören zu den Ikonen dieser ausgeschlossenen Menschen. Denn sie konnten auf ihre Art mit den Unterdrückten dieser Welt mitleiden und mitfühlen. Und sie konnten dies Mitgefühl in Worte fassen, die auf ewig unsterblich sind. 

Aber wozu braucht es solch einer Analogie zwischen einem Romanautor und einem Rapper? Ganz einfach. Auch die größten Unterschiede können Menschen einen, wenn sie Menschlichkeit in Ehren halten. Staatsbürgerliche, ethnische, religiöse, sprachliche und politische Grenzen können angesichts eines echten Humanismus verblassen. Sofern nicht das Trennende betont wird, sondern das Einende, kann menschliche Einheit hergestellt werden. Das gilt auch für Klassengesellschaften, die ja immer von Klassengegensätzen durchzogen sind. Der Kapitalismus wird immer die Gesellschaft bleiben, in der das Kapital die Arbeit ausbeutet und unterdrückt. Aber über den Klassenkampf hinweg kann eine Form der Solidarität hergestellt werden, die auch den berechtigten Klassenhass überwindet. Es wäre naiv zu glauben, dass politische und ökonomische Grenzen unerheblich sind. Keineswegs. Die sind von größter Bedeutung und müssen es auch sein. Links ist nicht gleich rechts. Und Gleichgültigkeit ist nicht Leidenschaft. Nazis, Faschisten, Ultrarechte, Rassisten und Chauvinisten sind natürlich Feinde der menschlichen Einheit. Da kann es keine Diskussion drüber geben. Und Linke müssen selbstverständlich die Einheit der Arbeiterklasse anstreben und die erklärten Feinde von Sozialismus und Demokratie kritisieren, und - wenn nötig -bekämpfen. Dennoch muss es Ziel aller Menschen sein, die Einheit des Menschengeschlechts zu erreichen. Erst wenn die Menschheit von Menschlichkeit erfüllt ist, können wir davon sprechen, eine menschliche Gesellschaft erreicht zu haben. Bis dahin ist das, was wir Gesellschaft nennen, nur ein barbarisches und brutales Chaos, ein Kampf aller gegen alle, ein allgemeiner Kriegszustand zwischen den Einzelnen. 

Dostojewskij und 2Pac sahen das nicht anders. Aber was bringt uns diese Feststellung? Die Klassenkämpfe und Kriege wüten weiter. Die Kapitalisten bekämpfen weiterhin die Armen. Die Linken bekämpfen weiterhin das Kapital. Die Rassisten und Faschisten hetzen weiter. Die Sozialisten und Demokraten kritisieren weiterhin das System. Es gibt also überall Spaltungen und Spaltungstendenzen. Und die sind notwendig und unausweichlich. Also was bringt die Feststellung, dass Dostojewskij und 2Pac liebe Menschen waren, Friede, Freude und Schnaps forderten? 

Wir befinden uns heute, im Jahr 2014, in einer höchst gefährlichen Phase, in einer für die gesamte Menschheit höchst gefährlichen Phase, in einer Phase, die an die Zeit vor den großen Kriegen im 20. Jahrhundert erinnert. Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, dessen Ausmaße kaum ein Mensch erwartet hatte. Die Krieg führenden Parteien, ob Deutsche oder Franzosen, erwarteten einen schnellen Krieg. Statt dessen kam es zu vier Jahren der brutalsten Materialschlacht, in der die jungen Menschen wie Schießpulver verschossen wurden, in der sie zum reinsten Kanonenfutter wurden, in der sie wie Schlachtvieh reihenweise abgeschlachtet wurden. 2015, nächstes Jahr, jähren sich viele weitere Jubileen: Das Ende des Zweiten Weltkrieges, der Abwurf der ersten Atombombe auf einen Feind und die Aufdeckung der beispiellosen Verbrechen der Nazis an der europäischen Bevölkerung. Wir dürfen nie vergessen, was in den großen Kriegen angerichtet wurde. Ken Jebsen hat völlig Recht, wenn er Mark Twain darin zitiert, dass Krieg furchtbar einfach ist: Alte Männer, die sich persönlich kennen, schicken junge Männer (und Frauen) gegen ihre eigenen Interessen in den Kampf auf Leben und Tod gegen andere junge Frauen und Männer, um die Interessen von alten Männern (und Frauen) zu bedienen. Das ist Krieg. 

Heute, 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges, droht erneut ein Krieg in Europa. Auch diesmal drohen die alten Männer (und Frauen) in Deutschland den alten Männern (und Frauen) in Russland. Auch diesmal drohen die Herrschaften in Russland zurück. Was droht, wenn zwei Seiten sich gegenseitig bedrohen? Es droht eine Eskalation! Wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg sind die Folgen solch eines neuen Krieges in Europa nicht abzusehen. Naja, Albert Einstein, der geniale Denker und Sozialist, meinte zwar ganz klar: 

"Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen."

Aber was hat schon ein Sozialist und ein Genie noch dazu überhaupt zu melden? Die alten Idioten an den Schalthebeln der Macht bestimmen die Politik und nicht irgendwelche Ikonen der Weisheit oder Menschen mit Herz und Verstand. Nein, gewissenlose Menschen beherrschen uns heute, Menschen mit sehr beschränktem Horizont und sehr flexibler Moral. Es sind die Heuchler, die Lügner, die Mörder und Verbrecher, die uns beherrschen. Die Guten werden diffamiert, ausgegrenzt, inhaftiert und sogar ermordet. Es ist ja schon fast wie in einem Politthriller, wie in Staatsfeind Nr. 1, in Shooter oder Inside WikiLeaks. Aber diese Filme spiegeln einen guten Teil der Realität wieder. Man braucht nicht einmal eine Verschwörungstheorie. Jeder, der sich mit der hohen Politik näher beschäftigt hat, weiß, dass dort kaum hehre Ziele, sondern eher niedrige Instinkte antreiben. Wir werden von hungrigen und blutdurstigen Bestien beherrscht. Zugegeben: Sie tragen Anzüge oder Abendkleider. Sie können manchmal sogar nett lächeln (außer Merkel vielleicht). Manche wie Berlusconi können sogar tanzen (Obama ausgenommen) und andere können ebenso hart austeilen wie einstecken (wie Putin). Aber das macht diese Herrschaften nicht zu zivilisierten Menschen. Die Herrschenden sind Barbaren, die uns für unsere Empörung gegen sie Barbarei vorwerfen. Sie bringen die typischen Argumente aller herrschenden Klassen an: Der Mensch sei nunmal niedrig, böse und barbarisch. Daher brauche er eben eine Regierung, die seine schlechte Natur zügele und so weiter und so fort.


Dostojewskij und 2Pac betonen dagegen die Wandlungsfähigkeit der Menschen. Dinge können sich ändern! Dostojewskij forderte den "neuen Menschen", der in christlicher Nächstenliebe und Gottgefälligkeit alle Unterschiede der Herkunft und des Standes vergessen sollte. 2Pac betonte die Verwandlung des Menschen mit seinen Umstanden. Nicht umsonst heißt eins seiner besten Lieder "Changes" (zu Deutsch: Verwandlungen). 2Pac fragte in seinem Song "Who do u believe in?" auch nach dem Glauben und der Einheit der Menschen:

Who do you believe in?Is it Buddah, Jehovah, or Jah? Or Allah?Is it Jesus? Is it God? Or is just yourself?Definately not to be imposed, being a demonBecause this is the joy of believing!Men, to believe in yourselvesBut for sure, the higher powerResides only to ride in the heart of the trueFrom the soul, of the man; for truth never has an alibiIn the poetry, or in it's realmThat's what pulls all words togetherJust to understand, that every man, is his OWN manAnd only man can satisfy the manOnly the soul of the man, the feelings of the manThe for realness of the manYou can't shake the man when you feel the man you know the manAnd you gotta call yourself because you are that man

Wenn heute also wieder ein großer Konflikt der Nationen ansteht, der in einen großen Krieg ausufern könnte, dann sollte man vielleicht ausnahmsweise Mal nicht den Lügenmärchen der herrschenden Barbaren glauben. Vielleicht sollte man auf Einstein hören oder auf den eigenen Überlebensinstinkt. Denn die Herrschenden werden gewiss nicht selbst in den Krieg ziehen. Verbalradikal vielleicht, ja, klar. Da bekriegen sie sich in aller Konsequenz. Aber die Konsequenzen ihres Verbalradikalismus "kriegen" dann wir zu spüren. Die Herren und Damen "da oben" werden sich vielleicht sogar auf irgendwelchen entfernten Inseln in Freundschaft zum Bacardi-Cola oder zum Puschkin-Wodka treffen. Das war schon mit dem russischen Zaren und dem deutschen Kaiser so ähnlich, nur dass sie keine Cola tranken. Es war auch zwischen dem britischen Premier Churchill und Stalin nicht anders. Es war schon immer so, dass die Differenzen der Herrschenden untereinander beim Essen und Puschkin-Wodka am Abend verschwunden waren. Allerdings würden sie heute damit den Namen Puschkins in den Schmutz ziehen. 
Dostojewskij hielt 1880, auf dem Höhepunkt seines schriftstellerischen Schaffens, eine brillante Rede zu Ehren Puschkins und über die unversellen Ideale der Menschlichkeit. Er sagte:

"Einem echten Russen [ist] Europa ... ebenso teuer wie Rußland selbst, weil unser Schicksal eben Universalität ist, und nicht die mit dem Schwert erworbene, sondern die Kraft der Brüderlichkeit und unseres brüderlichen Strebens zur Wiedervereinigung der Menschen... Und späterhin werden wir, d.h. natürlich nicht wir, sondern die künftigen russischen Menschen, alle bis zum letzten begreifen, daß ein wahrer Russe werden eben dies heißt: danach streben, endgültig Versöhnung in die europäischen Widersprüche zu bringen, der europäischen Sehnsucht den Ausweg zu zeigen in der russischen Seele, der allmenschlichen und allvereinenden, in sie mit brüderlicher Liebe alle unsere Brüder aufzunehmen und letzten Endes, vielleicht, auch das endgültige Wort der großen allgemeinen Harmonie auszusprechen, der brüderlichen endgültigen Harmonie nach dem Gesetz des Evangeliums [der Nächstenliebe] Christi!"

Man muss kein Russe oder Christ sein, um nachzuempfinden, was Dostojewskij meinte. Man muss einfach ein wenig Verstand und Herz mitbringen. Die Rede von Dostojewskij hat sogar seinen persönlichen Feind, den Schriftsteller Turgenjew, dazu gebracht, Dostojewskij in Freundschaft zu küssen. Dostojewskijs Frau überlebte ihn übrigens um 38 Jahre. Ist es nicht ein komischer Zufall, dass sie kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, 1918, auf der Krim-Halbinsel starb, auf der nun der heutige Konflikt zwischen Deutschland und Russland eskaliert?

Im Grunde ist das, was Dostojewskij, 2Pac, Einstein und die anderen großen Geister aller Zeiten forderten, das eine große Ziel des Menschen: Die Einheit der Menschheit unter menschenwürdigen Bedingungen! 

Donnerstag, 24. April 2014

Zerrissen zwischen Yin und Yang - eine Filmkritik zu "Man of Tai Chi"

Man of Tai Chi (2014) ist endlich wieder ein innovativer Kampfkunst-Film mit bemerkenswerter Handlung und Besetzung.

Die Handlung


Die Handlung von Man of Tai Chi ist typisch für asiatische Kampfkunstfilme: der begabte, aber ungestüme Kampfkunst-Schüler hat einen weisen Meister, der dem Jüngling noch viel über das Leben und alles Gute beibringen muss. Der Bösewicht ist natürlich selbst ein Kampfkunst-Meister, der aber seine Kampfkunst für niedere Zwecke missbraucht. Das Gute und das Böse treffen im körperlichen und im mentalen Kampf auf einander und das Gute gewinnt. So weit so gut.

Tai Chi im Sog der modernen Gesellschaft


Aber Man of Tai Chi geht unendlich viel weiter über dieses typische Schema hinaus. Es bietet eine tiefere Einführung in die chinesische Philosophie ebenso wie in die modernsten Techniken des heutigen Action-Films. Es gibt eine höchst bemerkenswerte Moral von der Geschichte und eine ebenso erstaunliche filmische Umsetzung dieser Moral. 

Der talentierte Tiger Chen (Tiger Hu Chen) trainiert bei einem weisen Meister (Hai Yu) des Tai Chi. Abgesehen von seinen traditionellen Atemübungen zur Stärkung von Körper und Geist erprobt Tiger Chen sein Können auch in Kampfsport-Wettkämpfen. Auf diese Weise kommt er auch in Kontakt zum Bösewicht Donaka Mark (Keanu Reeves). Mark ist nicht nur ein extrem guter Kämpfer, sondern auch ein extrem böser Unternehmer. Als Kapitalist richtet er illegale Wettkämpfe aus, um durch die Schaulust der Konsumenten an brutalen Kämpfen möglichst viel Geld zu verdienen. Tiger Chen wird kurzerhand zum "Bewerbungsgespräch" beim Bösewicht eingeladen. Die finanziellen Probleme des Klosters, in dem er trainiert, sind der finale Anreiz für Tiger Chen, um sich auf die Kämpfe einzulassen. Denn wie in allen guten Filmen vermischen sich gute Motive mit schlechten Motiven. Tiger Chen will einerseits das Kloster seines Meisters mit den Kampfgewinnen retten. Andererseits will der ehrgeizige Kämpfer auch beweisen, dass sein Tai Chi mehr als Show ist.

Entsprechend begrüßt ihn ein Gegner mit den Worten: "Tai Chi ist nichts als Show". Tiger Chen beweist jedoch immer wieder, dass sein Tai Chi allen möglichen Kampfsportarten weit überlegen ist. Ob Judo, Ringen, Mixed Martial Arts oder hartes Kungfu - Tiger Chens Tai Chi erscheint immer überlegen. Was Tiger Chen nicht ahnt ist, dass die illegalen Kämpfe live übertragen werden, um auf ihm einen Star zu machen. "Und jetzt, Tiger, bist du ein Star!" sagt man ihm. "Ist es nicht das, wofür du gekämpft hast?", fragt ihn der Böse. 

Tiger Chens Erfolg führt ihn jedoch, wie in fast allen Filmen besseren Kampfkunstfilmen, auf den falschen Weg. Sein großes Talent wird so zum Mittel übler Tendenzen. Denn es wird deutlich, dass ihm der Erfolg zu Kopf steigt und er übermütig und überheblich wird. Er lässt sich immer mehr auf die zwielichtigen Machenschaften seines Kontrahenten Mark ein und wird dadurch zum Komplizen des Bösen. Gekämpft wird nun nicht mehr für die Rettung eines Klosters, sondern für Ruhm und Ehre. Tiger bleibt zwar gegenüber seinen ultrareichen "Fans" skeptisch, aber zugleich genießt er die Aufmerksamkeit der High Society.

Tiger gerät also in den Sog der modernen Gesellschaft. Der Kapitalismus verschlingt auch die größten Talente, um daraus letztlich Profit zu schlagen. Tiger und seine Fähigkeiten werden zur bloßen Ware degradiert, um zahlungskräftigen Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen. 

Die Deformierung von Tigers Persönlichkeit durch die Verführung "von oben" geht so weit, dass er seine Wurzeln vergisst. Der Schüler wendet sich, wie in so vielen Kampfkunstfilmen, gegen den Meister. Es kommt zum Kampf zwischen Altersweisheit und jugendlicher Explosivkraft. Tiger ist sogar versucht, seine Kontrahenten zu töten. Der gewissenlose Bösewicht Mark fragt ihn daher: "Hast du Angst davor, was du ihnen antun könntest? Das musst du nicht." Profit geht im Kapitalismus eben über Moral.

Natürlich wird Tiger Chen nicht einfach zum Bösewicht. Seine Begabung verhindert ein völliges Abdriften in die tiefsten Tiefen der menschlichen Moral. Es kommt, wie es kommen musste: die böse Seite des Schülers kämpft mit der guten Seite, indem es zum Kampf mit dem guten Meister und mit dem bösen Meister kommt. Genug gespoilert. Welche Moral steckt weiterhin im Film?

Extremitäten, Extreme und Exzentrik


Tai Chi bzw. Taiji (太极) bedeutet wörtlich übersetzt ungefähr "die höchsten Extreme", "die größten Gegensätze" oder "allerhöchste Polarität". Taijiquan (太极拳), die chinesische Kampfkunst, ist in der chinesischen Philosophie der Gegensätze im Grunde das körperliche und geistige Mittel des Menschen, um Harmonie zu erreichen. Harmonie wird durch das angemessene Verhältnis von körperlichen und geistigen Kräften erreicht. Die körperlichen Extreme, vor allem die "Extremitäten", d.h. die Gliedmaßen des Menschen, sind in diesem Sinne ebenso ein Teil der Harmonie wie die geistigen Extreme. Die geistigen Extreme, die Gefühle, Motive, Gedanken und unbewussten Prozesse im Körper sind der andere Teil der Harmonie. Taijiquan soll diese zwei sehr unterschiedlichen Seiten in Form von Meditation, Atemübung, Betätigung der Gliedmaßen und geistige Prozesse zusammenbringen. Die Harmonisierung der verschiedensten Kräfte ist das Ziel.

Im Film Man of Tai Chi geht es genau um das Thema der Harmonisierung der verschiedensten Kräfte, die im Gegensatz zu einander zu stehen scheinen. Körper und Geist, Gefühle und Intellekt, Ruhe und Bewegung, Moral und Interesse, Yin und Yang etc. sollen mit einander in Einklang gebracht werden - das lehrt der Meister von Tiger. Aber Tiger ist selbst noch kein Meister. Also begreift er diese tiefere Wahrheit des Tai Chi nicht und verstößt gegen die chinesische Philosophie.

Tiger lässt sich auf die westliche Ideologie, auf das Recht des Stärkeren, auf das Faustrecht und auf den Kapitalismus ein. Nicht die östliche Weisheit, sondern die westliche Arroganz treibt ihn an. Der Gegensatz von West und Ost spiegelt so auch den Gegensatz von jung und alt, von gut und böse wieder. Das Gute ist aus dieser Perspektive heraus aber nicht die Schwarz-Weiß-Sicht, die von den Predigern der "Achse des Guten" oder der "Achse des Bösen" gefeiert wird. Das Gute ist vielmehr die angemessene Behandlung der Gegensätze.

Die westliche Philosophie und Ideologie ist zum großen Teil analytisch, auf die Einzelheit, auf das Besondere und das Ego bezogen. Sie durchdringt die höchsten Ideen des Westens ebenso wie die Alltagsphilosophie der Menschen im Westen. Sie konzentriert sich auf Symptome, auf einzelne Krisenherde und Erscheinungen. Sie ist im Kern extremistisch und exzentrisch. Für alle Probleme der Welt scheint sie spezielle Wundermittel zu haben - ob für Krankheiten, Unglück oder gesellschaftliche Probleme.

Die östliche, namentlich die chinesische Philosophie ist im Gegensatz dazu tendenziell holistisch, auf die Gesamtheit, auf das Gemeinsame und gegen das Ego gerichtet. Sie durchdringt die höchsten Ideen des Ostens noch immer, während der Alltag der Menschen im Osten sich immer mehr dem des Westens annähert. Die chinesische Philosophie betont dennoch die Ursachen, die Zusammenhänge und Mechanismen von Mängeln, Krankheiten, Krisen und Erscheinungen.

Dieser Gegensatz von östlicher und westlicher Philosophie wird in wenigen Filmen so brillant dargestellt wie in Man of Tai Chi. Denn der Sog der modernen, kapitalistischen Konsumgesellschaft korrumpiert nicht nur in der Realität immer mehr das Denken in Zusammenhängen und die internationale Solidarität, sondern der Sog des Kapitalismus zerstört auch den Charakter, die Persönlichkeit und die Integrität des Einzelnen. Tiger Chen im Film Man of Tai Chi ist die individuelle Verkörperung dieses Verfallsprozesses, in dem der Kapitalismus auch den letzten Rest von Kultur seinem Gebot unterwirft.

Das Gebot der Stunde, das höchste Gebot des Kapitalismus ist der Kampf "jeder gegen jeden", der allgemeine Konkurrenzkampf, die kapitalistische Konkurrenz, die Akkumulation um der Akkumulation willen. Das Gebot des Taiji ist die Harmonie der Menschen untereinander, die allgemeine Liebe zu Mensch und Natur, die harmonische Gesellschaft, die "große Einheit" (大同).

"Die große Einheit" ist eine immer wiederkehrende Idee in der chinesischen Philosophie. So idealistisch und irrig sie sein mag, so viel besser ist sie im Vergleich zur katastrophalen neoliberalen Ideologie, die die gesamte Menschheit bedroht. Der Neoliberalismus ist unter Führung der westlichen, vor allem US-amerikanischen Hegemonie, zur mächtigsten und gefährlichsten Ideologie der Geschichte geworden. Der rücksichtslose Kampf der Nationen und Gesellschaften ist im Neoliberalismus zum Dogma erstarrt und verhindert nicht nur den Weltfrieden, sondern zerstört die Grundlage aller Harmonie auf dem Planeten. Insofern spiegelt der Film Man of Tai Chi viel mehr wieder als bloß den klischeehaften Kampf von Gut und Böse oder von West und Ost. Der epische Kampf des aufstrebenden chinesischen Tai Chi-Schülers gegen das niederträchtige amerikanische Kapitalistenschwein symbolisiert den Aufstieg Chinas im Verlauf des Abstiegs der USA im globalen Maßstab.

Allerdings sollte man den Westen auch nicht völlig einseitig schlecht reden. Die besten Ideen über die Einheit der Gegensätze kommen immerhin von Deutschen. Hegel, die Hegelianer, Marx und die Marxisten brachten "die Lehre von der Einheit der Gegensätze" auf das höchste Niveau. Auch die Einheit von Theorie und Praxis, von Körper und Geist und von Absicht und Tat wurden in dieser Tradition des Denken, im dialektischen Denken, aufs höchste Level gebracht. Hegel sagte nicht umsonst ganz im Sinne der Moral von Man of Tai Chi: Die Wahrheit einer Absicht ist die Tat.

Fazit


Man of Tai Chi vereint die typische trashige Story vom übermütigen Helden im Kampf mit dem weisen Meister und dem abgrundtief bösen Antihelden mit einer bemerkenswerten Moral und großartiger filmischer Umsetzung in Bild und Akkustik. Der Film ist also sehenswert und wird im Laufe der Jahre zweifellos immer wertvoller werden. Chinas globale Bedeutung steigt ebenso an wie die Aktualität der östlichen Philosophie in einer multipolaren Welt voller Konflikte.


Freitag, 18. April 2014

Thesen zur deutschen Innen- und Außenpolitik im neuen Ost-West-Konflikt

1. "Arabischer Frühling" und "europäischer Frühling" sind Teil eines weltweiten Frühlings "von unten".


Die Linke war weltweit vom "arabischen Frühling" beeindruckt. Viele waren überrascht, dass ausgerechnet in den arabischen bzw. muslimischen Ländern die größten Volksaufstände unserer Epoche geschahen. Die Aufstände können mit Recht Revolutionen genannt werden, wobei zugleich die verheerenden Folgen durch die Konterrevolution beachtet werden müssen. Libyen, Ägypten, Tunesien, Jemen und Syrien sind z.B. noch immer keine Vorzeigedemokratien nach europäischem Vorbild geworden. Nordafrika und Zentralasien sind noch immer nicht sonderlich demokratisiert oder liberalisiert worden. Es braucht wohl einen verlängerten "Frühling".

Der "arabische Frühling" wurde durch rückschrittliche Kräfte eingedämmt, aber in Europa kam es zu ähnlich bemerkenswerten Bewegungen. In Russland haben Zigtausende gegen Putins Autokratie protestiert. Erfolgreicher wurde gegen seinen ukrainischen Lakaien Janukowitsch vorgegangen. Sogar gegen die Mächtigen in Deutschland, Frankreich oder Tschechien kam es zu bedeutenden Protesten. In der Ukraine sprach man von einer "orangenen Revolution". Die Weiterführung dieser Bewegung führte zum Sturz von Janukowitsch und zum Aufstieg äußerst rechtsgerichteter Konterrevolutionäre, die nun die West-Ukraine kontrollieren. Die ganzen politischen Proteste in Europa zusammengenommen könnten "europäischer Frühling" genannt werden.

Der "Frühling" im nordafrikanischen und europäischen Raum kann als Teil einer größeren Widerstandsbewegung im globalen Maßstab begriffen werden. Zwar sind die Proteste nicht sonderlich koordiniert, geplant oder zentral angeführt, außer in der Ukraine, in welcher EU- und US-Agenten die Bewegung gezielt finanziert und nach rechts gedrängt haben. Allerdings haben sie den selben politökonomischen Gehalt: Widerstand gegen die Politik und Wirtschaft der Reichen und Mächtigen dieser Welt. Oder in marxistischen Worten: Was zurzeit passiert ist die unausweichliche Aufbäumung der Produktivkräfte gegen die Produktionsverhältnisse im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes.

2.. Der neoliberale Spätherbst seit den 70ern ist eine präventive Konterrevolution "von oben".


Nun ist die Konterrevolution nicht bloß eine Reaktion auf den globalen "Frühling". Die Konterrevolution wurde schon in den 70er Jahren ziemlich bewusst und bemerkenswert synchron von den Eliten der Staaten und Kapitalien begonnen. Die neoliberale Wende von damals ist als Prävention "von oben" gegen die erwartete Macht "von unten" begreifbar. Sie war zugleich eine Reaktion der Herrschenden in den verschiedensten Ländern auf die Krise des Weltmarktes und der kapitalistischen Staatsmacht. Die Macht der arbeitenden Massen wurde geschwächt und die Macht der Herrschenden wurde restauriert, wie David Harvey betont.

Dieser neoliberale Rollback verwandelte sich spätestens nach der Abwahl von US-Präsident Clinton in den Aufstieg der Neokonservativen. Die "Neocons" setzten ihre kranken Ideen von einer permanenten konservativen "Revolution" in aller Welt um. Diese "Revolution" der durchgeknallten Konservativen war aber nichts Anderes als ein neues Projekt zur kolonialen, imperialistischen und chauvinistischen Unterwerfung politökonomischer Widersacher.

3. Der Ukraine-Konflikt ist Ausdruck von Fraktionskämpfen zwischen westlichem und östlichem Kapital.


China und Russland sind momentan die größten politökonomischen und geopolitischen Widersacher von EU und USA. Die US- und EU-Strategen reagieren schlicht auf die Konkurrenz durch diese zwei Herausforderer. Kurzfristig wären zwar völlig friedliche und harmonisch erscheinende zwischenstaatliche Beziehungen möglich. Allerdings planen die Geostrategen langfristiger. Kurzfristige Machterweiterungen durch Russland oder China können langfristig enorme Folgen haben.

Der Ukraine-Konflikt ist die Folge solcher Geostrategie. Unter Präsident Juschtschenko war die Ukraine EU-freundlich und sie tendierte sie zum Westen. Unter seinem Nachfolger Präsident Janukowitsch wurde sie in den Augen der westlichen Geostrategen zum Vasallenstaat Russlands. Unter Turtschinow und co. tendiert zumindest die West-Ukraine zum Westen, während ein größer werdender Teil der Ost-Ukraine sich lieber Russland anzuschließen scheint. 

Russland betreibt auch im Ukraine-Konflikt wie EU und USA ordinäre Geopolitik im eigenen Interesse. Beide Seiten des Konflikts sind vor allem Ausdruck von Fraktionskämpfen des Kapitals. Die Kapitalisten des Westens profitieren vor allem von der EU-Politik, während die östlichen Kapitalisten eher von der erstarkten Hegemonie Russlands profitieren dürften. Die chinesischen Geopolitiker wiederum haben eher ein Interesse an einem starken Russland als an einer überstarken EU unter der Hegemonie der USA. Daher gibt es ein pragmatisches Bündnis Chinas und Russlands in Fragen der russischen Außenpolitik. Aber Chinas "Solidarität" ist ebenso von eigenen Interessen bestimmt und kann schnell ein Ende finden, wie man immer wieder feststellen wird.

Es ist absehbar, dass die ukrainische Bevölkerung, vor allem die der östlichen Landesteile, unter russländischer Hegemonie besser wegkommt als unter dem Spardiktat der EU. Die westlich orientierten Ultraliberalen, Ultrarechten und Faschisten in der West-Ukraine werden die Probleme des Landes nicht lösen können. Die Lösung der sozialen Probleme ist auch gar nicht das Ziel russischer, ukrainischer oder westlicher Geopolitik. Es geht um Zugriff auf Ressourcen, Bevölkerungen und Landstriche. Bei einem Anschluss an die EU wird die arme Bevölkerung des Westens eher noch ärmer werden und die liberalen Reichen und rechten Neureichen noch reicher werden. 

4. Der Ukraine-Konflikt ist Ausdruck von Klassenkämpfen zwischen der Revolution "von unten" und der Konterrevolution "von oben".


Der Ukraine-Konflikt ist aber auch ein Ausdruck von Kämpfen zwischen "oben" und "unten". In Russland, der Ukraine und in der EU kam es seit dem Zerfall des Ostblocks zu einer Verschärfung der Verarmungspolitik. Russland und andere Ostblock-Staaten verwandelten sich in den 90ern zu großen Teilen in Länder der dritten Welt. Die Erfahrung der 90er prägt noch immer die Politik dieser Staaten im Osten. In den zentral-, west- und südeuropäischen Ländern sah es aber auch nicht gut aus. Auch dort wurden hart erkämpfte Sozialstandards in einer erneuten Offensive der Reichen und Mächtigen eingestampft. 

Die Bevölkerungen Europas wehrten sich jedoch. Es kam zu globalisierungskritischen, finanzmarktfeindlichen und neuen sozialen Bewegungen. Auch die Gründung neuer Linksparteien ist Teil dieser Bewegung "von unten". In Westeuropa sind diese linken Bewegungen teilweise wirklich prominent und bedeutsam geworden. Die neoliberal gewordenen "sozialdemokratischen" Parteien unter Führung der britischen Labour Party und der deutschen SPD haben an Anhängern verloren und werden sie voraussichtlich auch kaum wieder gewinnen. Die Linksparteien wiederum müssen entweder kluge Oppositionspolitik "von unten" betreiben oder sich in Koalitionen mit den neoliberalen Fraktionen "von oben" schlucken lassen. 

Die Ukraine ist genauso entlang von Klassenlinien gespalten. Die Reichen und Mächtigen, Politik- und Wirtschaftseliten, beuten die mittleren und unteren Klassen aus. Ob Janukowitsch, Juschtschenko oder Turtschinow - sie alle vertreten und bedienen die Interessen der europäischen, russischen und ukrainischen Ausbeuter. Sowohl die "orangene Revolution" gegen Janukowitsch als auch die heutige "Maidan-Bewegung" sind vor allem soziale Proteste gewesen. Auch einfache Menschen protestierten gegen die Politik der Ausbeuter. Aber sowohl die "orangene" wie auch die Maidan-"Revolution" wurden von neoliberalen, neokonservativen oder neofaschistischen Cliquen dominiert. Die Proteste der Maidan-Bewegung waren zunächst zwar bunt und breit gefächert. Allerdings übernahmen bald die rechten Sektoren die Führung der Bewegung. Namentlich der "Rechte Sektor" und "Swoboda" stiegen als Führer des Maidan-Platzes auf und eroberten die Regierungsmacht. Aber sie sind keine soziale Alternative zur Politik der neoliberalen Ausbeuter, sondern nur die Verschärfung dieser Politik. Die Ukraine-Krise wird daher weitergehen.

5. Innerdeutsche Diskurse hängen mit der Konterrevolution zusammen.


Die Geopolitik eines Staates kann zunächst ganz außenpolitische Ziele haben, aber man darf davon ausgehen, dass Außenpolitik immer auch mit der Innenpolitik eines Staates zusammenhängt. Die deutsche Außenpolitik hängt mit der deutschen Innenpolitik zusammen. Die BRD führt die EU an und ist im Ukraine-Konflikt der größte Widersacher Russlands. Der Konflikt mit Russland um die Ukraine hat in Deutschland eine ideologische Offensive "von oben" notwendig gemacht. Die deutsche Geopolitik muss ja nach innen und außen gerechtfertigt werden, weil die ohnehin schon gereizten Bevölkerungen nicht nur hellhörig geworden sind, was Kriegsgründe angeht, sondern auch völlig entnervt sind von der Heuchelei der Ausbeuter. Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien erscheinen als Beispiele für die bankrotte Geopolitik der "konservativen Revolution" außerhalb Europas. Die Kriegsgründe überzeugen zumindest im Nachhinein kaum noch.

Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, Zypern und die Ukraine erscheinen als Beispiele für die bankrotte Geopolitik der "konservativen Revolution" innerhalb Europas. Die Spardiktate, Drohungen und Verleumdungen durch die Herrschenden sind nicht gern gesehen bei den Ärmeren. Aber die rechte Hetze "von oben" schafft es dennoch, beachtliche Teile der Bevölkerungen Europas entlang fiktiver Linien zu spalten. Die medialen Diskurse über die Innenpolitik in Europa sind auch Reaktionen auf die Geopolitik Europas.

6. Die Hetze gegen Linke und Friedensaktivisten in Sammelbewegungen ist auch ein Mittel der Konterrevolution.


Nur radikaldemokratische, konsequent linke und friedenspolitische Bewegungen können effektiv eine politische Wende in Europa anstreben. Das ist den bewussteren Vertretern der "höheren" Gesellschaft natürlich klar. Daher ist die Spaltung dieser Bewegungen und Sammelbewegungen mit Potenzial von aller größter Bedeutung für das Aufgehen der europäischen Geostrategien. 

Auch im Konflikt mit dem Osten sind mediale Diskurse über die Innenpolitik westlicher Staaten von großer Bedeutung. Denn tausendfach gespaltene Bevölkerungen, die die Politik der Heuchler und Egozentriker "da oben" nicht mehr ertragen, können keinen effektiven Widerstand leisten. "Teile und herrsche" ist wie immer die beste und sicherste Strategie der Herrschaften. 

Die Innenpolitik Deutschlands ist von ganz besonderer Wichtigkeit für die ganze europäische Politik. Ohne starke deutsche Friedensbewegung, ohne starke deutsche Sozialproteste und ohne eine starke Linke können die deutschen Ausbeuter weiterhin eine Politik der eisernen Hand gegenüber Ost und West durchsetzen. Die Proteste in Griechenland, Spanien, Portugal etc. sind zwar bedeutsam, aber aufgrund ihrer peripheren Stellung in der europäischen Staatlichkeit haben sie kaum eine Gewalt über die Richtung der EU-Geopolitik. Größere deutsche Bewegungen dagegen, die internationale Solidarität mit den Bevölkerungen anderer Staaten und mit den Armen und Schwachen dieser Welt beweisen, sind von aller größter Bedeutung. Antikapitalismus in Deutschland ist unendlich viel entscheidender für die Möglichkeit einer neoliberalen und neokonservativen Politik als sonstige Proteste in Europa. 

Aber ausgerechnet in Deutschland gibt es kaum Streiks, keine gewaltige antikapitalistische Bewegung und noch dazu eine auffällig verwirrte Linke. Die Linke in Deutschland zerfetzt sich mit Vorliebe, sodass die deutschen Ausbeuter ganz wunderbar auf die Alternativlosigkeit der deutschen Politik hinweisen können. Der Mangel an glaubwürdigen und greifbaren Alternativen ist der letzte Grund für die Ohnmacht der Unterdrückten und Ausgebeuteten in Deutschland. Die Linke müsste über die einzige soziale Alternative zur heutigen Katastrophenpolitik aufklären, d.h. glaubwürdig für den Sozialismus agitieren. 

Doch wie es der Zufall so will gibt es im innerdeutschen Diskurs bestimmte Themen, die eine glaubwürdige Agitation für die soziale Alternative immer wieder zunichte machen. Der Nahost-Konflikt, der Zweite Weltkrieg, innerdeutsche Probleme mit rechten Gruppierungen, rechte Tendenzen in allen möglichen politischen Lagern usw. sind vorzüglich dazu geeignet, die deutsche radikale Demokratie, Friedensbewegung und die sozialistische Bewegung zu schwächen.

Gerade aus der Unglaubwürdigkeit etablierter Gruppierungen am linken Rand heraus entstand eine sich weder als links noch rechts verstehende kapitalismuskritische Bewegung. Sogenannte "Montagsdemos" für den Frieden, die Internet-Plattform "KenFM" und diverse Individuen sind Teil davon. Der ideologische Kopf von KenFM, Ken Jebsen, gibt immer wieder zu erkennen, dass er ideologisch weit links steht und einen Großteil der klassischen linken Ideen und Forderungen teilt. Allerdings nennt er sich eher nicht explizit "links" und lehnt auch linke Parteien pauschal ab, wie es scheint. Er agitiert vielmehr für eine individualistische und anarchische Bewegung der Empörten. 

Nun haben aber diverse Kritiker aus dem linken Lager angefangen, ausgerechnet vor dieser anarchischen Bewegung zu warnen. Rechte Elemente und Führer nutzen demnach die Bewegung aus. Ken Jebsen wird einfach so, ohne allzu stichhaltige Belege, mit Leuten wie Jürgen Elsässer gleichgesetzt, obwohl ihre Ansichten überaus unterschiedlich sind. Dann gibt es noch die Gleichsetzung dieser beiden mit dem Namen Mährholz, der wohl Kontakte zu faschistischen Organisationen hat. Mährholz rief in einem sonderbaren Flugblatt zu den Montagsdemos auf. Ken Jebsen spricht regelmäßig auf diesen Demos, die von Anarcho-Wutbürgern dominiert sind.

Jedenfalls wurde aus dem linken Lager unterstellt, alle diese Individuen seien nicht nur Teil einer Bewegung, in der auch rechte Elemente herumschwimmen, sondern sie seien selbst alle "neurechts", hätten zumindest rechte Tendenzen oder seien einfach passive Opfer rechter Rattenfänger. Von Jutta Ditfurth, Attac, den Nachdenkseiten und weiteren wurde nicht nur gewarnt, sondern zum Teil die ganze Sammelbewegung als rechts verleumdet. Dass in der Bewegung auch überzeugte Linke sein mögen, ist diesen Angreifern offenbar gleichgültig. Es geht offenbar nicht um die Gewinnung kapitalismuskritischer Menschen, die sich von größeren Organisationen nicht vereinnahmen lassen wollen, sondern um die Abschreckung von unkontrollierbaren Protesten, die sich den linken Organisationen nicht unterordnen.

Zudem wird sehr unplausibel und irrational argumentiert. Allen offenbar linken Bekundungen und Kritiken rechter Ansichten durch Ken Jebsen zum Trotz wurde der selbe durchweg als rechts verunglimpft. Außerdem wird die Sammelbewegung der unorganisierten Menschen, die für Frieden, Demokratie und Transparenz protestieren, damit als "neurechts" abgestempelt, dass es in ihr einzelne rechte Ideologen gibt, die zum Teil auch klar in rechten Organisationen organisiert sind. 

Aber bisher wurde nicht beantwortet, wieso die SPD dann keine Nazi-Partei ist. Immerhin wurde Thilo Sarazzin, der extreme Rassist, Antisemit, Antidemokrat und Ideologe der oberen Zehntausend, nicht aus der "sozialdemokratischen" Partei ausgeschlossen. Außerdem macht die SPD seit genau 100 Jahren immer wieder gerne bei den deutschen Angriffskriegen mit. Ist die zugegeben jämmerliche SPD daher eine Nazi-Partei? Was ist mit der FDP, die sehr lange Zeit einige Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg als Mitglieder hatte und vielleicht noch hat? Was ist mit der CDU, deren rassistische und menschenfeindliche Rhetorik der offen faschistischer und rechtspopulistischer Parteien oft in nichts nachsteht? Auch in den Unionsparteien gab und gibt es äußerst rechte Mitglieder. Sind die Unionsparteien also keine Nazi-Parteien? Was ist mit den Grünen, die immerhin äußerst viele Ex-Maoisten, 68er oder Hippies beinhalten? Ist Bündnis 90 also eine maoistische K-Gruppe oder doch eher ein Kiffer-Verein? 

Nein, die teils kruden und rechten Ideen in einigen Köpfen einer breiten, bunten und pluralen Sammelbewegung, die ansonsten klar links dominiert ist, ist kein Beleg dafür, dass diese Bewegung rechts ist. Wenn gegen solch eine Bewegung von links geschossen wird, dann sollte es auch eine linke Kritik sein. Es sollte aber auf gar keinen Fall eine "Kritik" sein, die zu Diffamierung, Verschwörungstheorie, Irrationalismus, Heuchelei, Doppelstandards und nach maoistisch wirkender Gesinnungsdiktatur greifen muss. Solch eine "Kritik" und "Selbstkritik" führt nur zur Unterstützung der Konterrevolution "von oben" und zur Schwächung der revolutionären Kräfte "von unten". Linke Kritik an breiten Sammelbewegungen sollte es anpeilen, rational, plausibel, sauber recherchiert, wissenschaftlich und solidarisch zu sein. Das führt zur siebten These.



7. Der Slogan und die Praxis der Linken muss lauten: Hoch die (internationale) Solidarität! Punkt.



Montag, 14. April 2014

KenFM, die kritische Kritik und die deutsche Ideologie

KenFM liefert einerseits äußerst informativen und "kritischen" Journalismus. Andererseits wird KenFM äußerst "kritisch" als populistisch oder gar antisemitisch verdammt. Linksradikale, Linksliberale, Konservative, Rechtskonservative, Kabarettisten und Prominente aus verschiedenen Lagern und Traditionen haben mit KenFM bereits zusammen gearbeitet oder der Plattform zumindest hochkarätige Interviews gewährt. Zugleich wird KenFM sowohl von links wie auch von rechts zum Teil scharf verurteilt. Wie kommt es zu solch widersprüchlicher Einschätzung dieser kontroversen Informationsplattform über politische Grenzlinien und Organisationsformen hinweg? Das ist Thema dieses Artikels.

FOTO: RBB

KenFM im Rahmen der politischen Landschaft und Medienlandschaft in der BRD


Ursprünglich war die BRD eine stabile bürgerliche Demokratie mit bemerkenswerten Besonderheiten: sie war ein sozialer, rechtsstaatlicher, antitotalitärer, pluralistischer Bundesstaat, dem obendrein eine Armee untersagt war. Diese Zeiten sind vorbei. Zunächst wurde die Bundeswehr wieder eingeführt. Dann wurde der Rechtsstaat für politische Gegner wie die KPD und die radikale Linke abgeschafft, sodass es mit der BILD-"Zeitungs"-Hetze zu Übergriffen auf linke Aktivisten und sogar zur Ermordung Benno Ohnesorgs kam, zu Berufsverboten aufgrund eines "Radikalenerlasses", ungeheuerlichen Attacken auf abweichende Meinungen usw. 

Jede Staatsmacht basiert prinzipiell auf Unterdrückung und Normierung. Abweichendes Verhalten wird bestraft, wenn es die Staatsraison verletzt. Das ist in der BRD heute das selbe Prinzip wie seit jeher in den USA, in der stalinistischen Sowjetunion, im postsowjetischen Russland, im heutigen Fascho-Ungarn oder in der faschisierten Westukraine. Der Staat unterdrückt. Das ist sein Wesen. Natürlich können die Bürger der Bundesrepublik überaus froh sein, dass ihr Staat noch relativ nett zu ihnen ist. Allerdings ist die Grundlage von Staatlichkeit immer die selbe: eine Gruppe von Menschen, die einen Staat repräsentieren, unterwirft andere Gruppen von Menschen der Staatsraison. Wie hart die Unterwerfung ist und was die Staatsraison beinhaltet, das unterscheidet die Staaten vor allem.

Die heutige BRD ist nicht mehr die westliche Vorzeigedemokratie, die sie einmal war. Heute ist die BRD eine nur scheinbar stabile bürgerliche Demokratie. Sie ist nicht mehr ein sozialer, rechtsstaatlicher, antitotalitärer, pluralistischer Staat ohne Armee. Die BRD offenbart immer mehr, dass sie eine postdemokratische bürgerliche Klassendiktatur ist, in der Sozial-, Rechts- und Verfassungsstaat, der parteipolitische und mediale Pluralismus, die Wehrdemokratie und der international verordnete Pazifismus der 50er Jahre nach und nach abgebaut werden. Die BRD ist heute eine Postdemokratie mit Trend nach rechts.

Postdemokratisch ist die heutige BRD deswegen, weil sie die Formen der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie aufrecht erhält, aber immer weiter aushöhlt, entleert oder zersetzt. Faktisch wird eine gefährliche Entdemokratisierung des Staates vorangetrieben. Immer deutlicher wird, dass eine winzige Elite von Reichen und Mächtigen den Staat zum Instrument politökonomischer Klasseninteressen macht. Präsident Gauck warnt vor direkter Demokratie und zu selbstbewussten Bürgern. Kanzlerin Merkel fordert eine marktkonforme Demokratie. Ex-Präsident Köhler sprach offen aus, dass es bei den neuen Kriegen der BRD um wirtschaftliche Interessen geht. Propagandisten der Staatsraison wie Markus Lanz verraten die qualitativen Mindeststandards des Journalismus, nur um politische Opponenten wie Vertreter der Linkspartei zu attackieren. Israelkritische Positionen werden ganz schnell als Antisemitismus diffamiert, vor allem, wenn es um die Frage von Krieg und Frieden geht. Die Gewerkschaften trauen sich schon lange nicht mehr, den Standortnationalismus der SPD zu attackieren und die Werte der Arbeiterbewegung umzusetzen. Zudem wird immer offensichtlicher, dass es Teil deutscher Staatsraison ist, sich mit dem Euro und der EU-Politik andere Staaten und Bevölkerungen zu unterwerfen. Die Griechen, Spanier, Portugiesen, Ukrainer usw. können ein Lied davon singen. Der Umbau der BRD in eine antidemokratische Republik der Kapitalisten und Mächtigen ist fast komplett. 

Dennoch gibt es Widerstand. Der Umbau des Sozialstaats erfuhr Kritik und Protest seitens der Arbeitslosen, Schüler, Studenten, Arbeiter und explizit Linken. Auch die Spardiktate und Entdemokratisierungsprozesse in der EU durch deutsche Politik wurden scharf attackiert. Bildungsstreik, Hartz4-Proteste, Occupy, Blockupy, G8-Proteste, Streiks und sonstige politische Aktionen zeigten in den letzten Jahren, dass die Bevölkerung keine formlose, passive Masse ist. Aus der Bevölkerung formen sich immer wieder mehr oder weniger organisierte Proteste gegen diese Politik. Der Entpolitisierung im Rahmen der Postdemokratie wird so ein Gegentrend entgegengesetzt. 

KenFM repräsentiert eine konkrete Form dieses Gegentrends. KenFM ist im engeren Sinne eine Gruppe von bestimmten Menschen um den Ex-ZDF-Journalisten Ken Jebsen, die sich das Ziel gesetzt hat, die entpolitisierten, müden, passiven Opfer der postdemokratischen Politik wachzurütteln, zu politisieren und zu mobilisieren. Das geschieht im Internet und auf politischen Veranstaltungen und Demos. KenFM ist in diesem Sinne eine Arbeitsgruppe im Rahmen der alternativen Medien im deutschsprachigen Raum. Daher kommt es durch KenFM zu annähernd tagespolitischen Berichten, oft erstklassigen Interviews und anderen Formen der Gegeninformation. 

KenFM ist aber im breiteren Sinne eine relativ unorganisierte Bewegung von Menschen, die sich an der Arbeitsgruppe um Ken Jebsen formiert hat. Innerhalb dieser Bewegung gibt es schon lange politisierte Menschen genauso wie Menschen, die gerade erst politisiert wurden. Sie alle eint, dass sie sich gegen die postdemokratischen Zustände in der Welt empören und es satt haben, passiv zuzusehen. Unter diesen Empörten gibt es gestandene Linke, die verschiedensten Traditionen angehören, ebenso wie krude, rechtsgerichtete und verwirrte Verschwörungstheoretiker...

Die Verschwörungstheoretiker schwadronieren ab und an über solche Gefahren wie die amerikanische Federal Reserve Bank (FED), den Yellowstone-Nationalpark, Aliens im Sinne von Ausländern oder Außerirdischen usw. Die Verschwörungstheorien dieser mehr oder weniger verwirrten Menschen gehen so weit, dass sie eine virulente Zersetzung kritischen Denkens auch und gerade bei den Linkeren erkennen. Demnach sind auch die linken Aktivisten im Grunde nur Erscheinungen eines einheitlichen staatlichen Komplotts. Daher dürfe man Niemanden, auch und vor allem den schärfsten linken Kritikern des Systems, nicht vertrauen...

KenFM und Ken Jebsen dienen als Orientierungspunkte oder Köpfe dieser Bewegung. Da viele in der KenFM-Bewegung kaum kritisch und wissenschaftlich denken können, fällt es ihnen auch schwer, Ken Jebsen nicht zu ihrem ideologischen Kopf zu machen. Ken Jebsen kritisiert genau diesen Personenkult immer wieder und lehnt es ab, die politische Verantwortung und Organisation des Widerstands in der postdemokratischen Republik zu übernehmen. Dennoch wird ein Kult um Ken Jebsen gemacht. Es erinnert an die Story des Spielfilms Fight Club. Jebsen kritisiert also diesen unkritischen Trend in der Bewegung, aber er ist natürlich auch dafür verantwortlich zu machen. Handlung impliziert immer Verantwortung. Immer. Das gilt auch für Ken Jebsen. Jebsen lehnt die klare Einordnung in politische Spektren und unter politische Organisationen ab mit Verweis auf den aufklärerischen und emanzipatorischen Imperativ: "Wage, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"

KenFM ist also eine äußerst widersprüchliche Erscheinung in der postdemokratischen Medienlandschaft Deutschlands. Linke wie Rechte und Menschen, die sich als "unideologisch", "ideologiefrei", "weder links noch rechts", einfach "menschlich" oder was auch immer verstehen versammeln sich hier. Aufklärungsphilosophie und okkulte Theorien verbotenen Wissens treffen hier aufeinander und mischen sich teilweise. Solch ein Pluralismus ist das Kennzeichen jeder landesweiten Bewegung. Sonst wäre es eine rein verschwörerische Truppe einer Sektenführung. Völlige Einheitlichkeit erreichen nicht einmal die Gewerkschaften, die Kirchen oder die Linkspartei. Eine völlig offene Bewegung ohne Statuten und klare Grundsätze ist natürlich noch viel pluraler. 

Für Linke muss es aber stets darum gehen, solch eine Bewegung fortschrittlicher zu machen oder sie zu bekämpfen, sofern sie offensichtlich von rechts vereinnahmt wird. Die Frage ist nun, ob KenFM nach rechts oder nach links driftet. Entsprechend ließen sich linke Gemüter in letzter Zeit anhand dieser Frage spalten.

Kritik an KenFM


Ken Jebsen, der Frontmann von KenFM, ist wie jeder bekanntere Antikapitalist eine umstrittene Figur. In der halb-demokratischen und halb-populistischen Informationsquelle Wikipedia kann man lesen, wieso Jebsen unter anderem so kontrovers gemacht wurde:


"Deutschlandweit bekannt wurde Jebsen 2011 durch seine Entlassung beim RBB, nachdem er verschwörungstheoretische Positionen vertreten hatte und der Vorwurf des Antisemitismus gegen ihn erhoben worden war."

"Antisemit!" Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument


Verschwörungstheoretische Positionen und Antisemitismus? Das ist ein äußerst übler Vorwurf, in Deutschland sogar der übelste Vorwurf, den man einem Kapitalismuskritiker und Demokraten machen kann. Nichts diffamiert einen Menschen im gegenwärtigen Deutschland mehr als solch ein Vorwurf, außer vielleicht der Vorwurf der Kinderschänderei, der von der radikalen Linken über die "Mitte" bis hin zur faschistischen Rechten einhellig Empörung hervorrufen dürfte, außer vielleicht bei Teilen der Grünen... Immerhin ist verschwörungstheoretischer Antisemitismus oder Hitlerismus der schwerste politische Vorwurf, den man einem politisch Engagierten in Deutschland machen kann. Menschen können und sollen auf diese oft niederträchtige Weise mundtot gemacht werden. Nazis, Faschisten, Ultrarechte etc. trifft solch ein Vorwurf nicht selten zurecht. Aber gerade bei redlichen Kapitalismuskritikern ist es oft kein berechtigter Vorwurf, sondern schlicht und einfach Rufmord, Diffamierung.

Seitens der gehobenen Gesellschaft Deutschlands wird diese Methode mit Bedacht gewählt. Seitens der minderbemittelten "guten" Gesellschaft - dem konservativen, (links-)liberalen und linkischen Bildungsbürgertum - wird diese verbale Waffe weitaus häufiger und weitaus weniger bedacht angewandt. Sie ist ein steter Trumpf im Ärmel, eine altbekannte Geheimwaffe, eine Art Splitterbombe, die vor allem Unschuldige zerfetzt. Mit der Nutzung dieser verheerenden Waffe blamiert sich das "Bildungsbürgertum" oft genug als ein BILD-"Zeitungs"-Bürgertum, selbst wenn es die BILD-"Zeitung" gar nicht liest. Die Ideen und Motive sind sich ähnlich. Solch ein Bürgertum ist mehr in der abstoßenden Ideologie der Springerpresse zuhause als in der eigenen Bibliothek.

Der industrielle Massenmord an den europäischen Juden, der Holocaust bzw. die Shoa, ragt unter den Verbrechen der Herrschenden in Nazi-Deutschland besonders heraus, denn er war bisher von einmaliger Qualität: ausgerechnet Deutschland, damals eines der zivilisiertesten Länder der Welt, hat die barbarischste Tat der Weltgeschichte, das barbarischste Komplott, den barbarischsten Mord der Weltgeschichte geplant und beinahe bis zum Ende durchgeführt. Das so genannte "Land der Dichter und Denker", hat sich entpuppt als das Land der Hitler, Heckler & Koch.

Im Zuge des Zweiten Weltkrieges verwandelte sich der hitleristische Staat, der ohnehin schon äußerst antidemokratisch, antiproletarisch und antisemitisch war, in einen staatlichen Apparat der Massenvernichtung ohne Gleichen. Zwar haben andere staatliche Apparate, wie etwa der stalinistische, der maoistische oder der US-amerikanische insgesamt weit mehr Leben "auf dem Gewissen", aber die hitleristische Staatsmaschinerie war bisher offenbar die konsequenteste und entschiedenste Tötungsmaschinerie auf diesem Planeten. In kürzester Zeit mehrere Millionen Menschen umzubringen haben auch andere herrschende Klassen und ihre hassenswerten Lakaien geschafft. Aber industriekapitalistisch die gezielte millionenfache Verleumdung, Verfrachtung und Vernichtung in Konzentrationslagern, um ein ganzes Volk mit äußerster Konsequenz auszulöschen, konnte nur von den staatskapitalistischen Konzernen und Bürokraten des NS-Staates ersonnen und erledigt werden. Denn in Deutschland war der Antisemitismus Anfang des 20. Jahrhunderts von besonders kranker und konsequenter Natur.

Zwar war auch der russische Zarismus zutiefst antisemitisch, so antisemitisch sogar, dass zaristische Beamte die Verschwörungstheorie von der "jüdischen Weltverschwörung" samt den "Protokollen von Zion" erfanden, aber auch der christlich-orthodoxe Antisemitismus im Zarenreich musste im Vergleich zum deutschen Rassenantisemitismus harmlos wirken. Der christliche Antisemitismus erlaubte konvertierten Juden zumindest eine gewisse Integration in die Glaubensgemeinschaft und in die "höhere" Gesellschaft.

Der deutsche Rassenantisemitismus erlaubte dagegen prinzipiell keine Integration der Juden in die deutsche Gemeinschaft, denn aus diesem Standpunkt heraus waren die Juden keine religiöse oder nationale Gemeinschaft, sondern eine biologische "Rasse", die ein ewiges "jüdisches" Prinzip verkörpere, das dem "Geist" der Deutschen völlig widerspreche. Daher war für deutsche Antisemiten und Nazis die Integration der Juden unmöglich. Einzig Ausweisung oder Auslöschung der Juden erschienen ihnen als mögliche Lösungen für die so genannte "Judenfrage".

Der Antisemitismus der deutschen Faschisten, der Nazis, ging aber darüber hinaus. Er war ebenso verschwörungstheoretisch wie der zaristische, aber wandte sich mit noch mehr Hass gegen Demokraten, Sozialisten und Kommunisten als es der Zarismus tat. Für die Nazis waren Juden, Judentum, Sozialdemokratie, Kommunismus und Finanzaristokratie identische Übel. Sie verkörperten den Nazis zufolge das selbe Prinzip, mit dem es keinen Kompromiss geben konnte. Tatsächlich sagte das weniger über die Gemeinsamkeit dieser verschiedenen Phänomene als über die verschwörungstheoretischen Feindbilder der Nazis aus. Für die Nazis waren Gruppen, die ihnen fremd waren, die sie nicht begreifen konnten und die ihren Volkswahn nicht teilten Ein und das Selbe.

Das Hitler-Regime, der Zweite Weltkrieg und die Massenmorde an mehreren Millionen Menschen unter dem Hitlerismus prägen die soziale und mediale Ordnung Deutschlands noch immer. Das Erbe des Hitlerismus in der BRD ist eine schwere Bürde, die noch immer nicht bewältigt ist. Denn wie Horkheimer in seinen besseren Jahren sagte:

"Wer vom Faschismus spricht, aber nicht vom Kapitalismus, der sollte besser schweigen".

Und noch immer wird der enge Zusammenhang von kapitalistischer Krise und Aufstieg des Faschismus vernachlässigt, womit sowohl der Faschismus als auch der Kapitalismus verharmlost werden. Nicht die bürgerliche Gesellschaft und die bürgerliche Herrschaft und ihre negative Auswirkungen werden als Ursachen für den Hitlerismus benannt. Kapitalismuskritikern wird umgekehrt sogar reflexartig Antisemitismus vorgeworfen, sobald sie massenwirksame oder konkrete Kritik am Kapitalismus bringen!

Sogar ansonsten ziemlich radikale Kapitalismuskritiker wie Jutta Ditfurth, die für ihre großartige Kritik an den Grünen bekannt ist, brachten auf diese Weise unter dem Schleier einer Lektion linker Grundbegriffe eine äußerst destruktive Kritik an der Kapitalismuskritik und der politischen Praxis von KenFM:

"LINKS ODER RECHTS? Lektion 1

Einige scheinen den Unterschied nicht zu kennen oder sie tun so. Ich will es Euch ganz einfach erklären: Links sein heisst auf der Seite der Ausgebeuteten, Gedemütigten und Versklavten zu stehen und Werte wie soziale Gleichheit als Grundlage wirklicher Freiheit zu verteidigen. Diese Position radikaler Humanität schließt jede Form der Entwertung von Menschen aus.

Rechts zu sein, bedeutet sich auf die Seite der Inhumanität zu stellen, und z.B. Hierarchien und Herrschaftssysteme nur anzugreifen, um sie durch solche zu ersetzen, von denen man selbst einen Vorteil hat. Rechts zu sein, bedeutet Menschen und Menschengruppen zu entwerten (Rassismus, Antisemitismus, Sexismus usw.).

Wer behauptet, wie das die Neue Rechte tut, es gebe werde links noch rechts, verschleiert nur dass er rechts steht! Manche wissen genau was sie damit tun. Manche ihrer Anhänger_innen aber sind politisch (noch) zu ungebildet, um den Unterschied zu kennen. Sie sollten anfangen zu lernen, damit die rechten Rattenfänger sie nicht missbrauchen können.

Klar ist, dass es innerhalb der so definierten Linken und der so definierten Rechten z.T. große Unterschiede gibt."

Moshe Zuckermann, der großartige Israel- und Deutschlandexperte und kritische Historiker und Soziologe, der in beiden Ländern beheimatet ist und in beiden Ländern am äußersten linken Rand anzusiedeln ist, hat es zu bemerkenswerten Einsichten über den niederträchtigen Vorwurf des Antisemitismus gegenüber Gesellschaftskritikern gebracht. In seinem Buch "Antisemit!" Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument konzentriert er sich auf diese Frage und stellt fest, dass der Antisemitismusvorwurf meist weniger von der Sorge an realen Menschen, an realen Juden oder realen Opfern von Antisemitismus motiviert ist als es scheint. Vielmehr sei es ein pragmatisches und zugleich zutiefst ideologisches Werkzeug, um unangenehme Gesellschaftskritik zu verleumden und zugleich die eigenen bornierten Interessen zu bedienen.

In diesem Sinne können die Vorwürfe seitens der Grünen, der Sozialdemokraten, gewissen "Feministen" und Postmodernisten in Deutschland und der zionistischen "Linken" und "Liberalen", der offen rassistischen Nationalisten und völkischen Fanatiker in Israel begriffen werden. Es geht ihnen bei solchen Vorwürfen vor allem darum, die eigenen Interessen zu stärken und politische Konkurrenten zu schwächen. Denn ginge es ihnen um Menschenrechte, würden sie in anderen Fragen auch konsequent für die Einhaltung der Menschenrechte streiten und kämpfen. Das tun aber ausgerechnet diese Leute selten. Weder sind Cem Özdemir, noch Herr Steinmeier, Alice Schwarzer, Jürgen Habermas oder Israels Netanjahu große Vorkämpfer für Menschenrecht, Antifaschismus und Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung. Sie sind knallharte Ideologen der bürgerlichen Herrschaft. Ihre "Solidarität" gilt entsprechend nicht den Unterdrückten, sondern sich selbst. Insofern ist solch eine "linke" Kritik an den Diffamierten oft keine linke Kritik, sondern schlicht Diffamierung.

Nun könnte es ja sein, dass die Arbeitsgruppe von KenFM antisemitische und verschwörungstheoretische Propaganda betreibt, wie von einigen Seiten unterstellt. Auch nach längerem Suchen im Internet, in den Beiträgen und Interviews von KenFM fällt es einem durchschnittlich intelligenten Menschen jedoch äußerst schwer, solche Propaganda eindeutig zu finden. "Linke" Kritik an KenFM greift daher nicht ganz selten selbst zu verschwörungstheoretischen Thesen, um dennoch irgendwo eine Art von Antisemitismus und Verschwörungstheorie zu finden, selbst da, wo Interviews mit Nationalisten wie Jürgen Elsässer geführt werden.

Da wirkt im Übrigen die postmoderne Argumentationslogik Wunder. Rationale, intersubjektiv nachvollziehbare und objektivierbare Theoriebildung war noch nie die Stärke der Postmodernisten, selbst nicht der linkeren unter ihnen. Der Antisemitismusvorwurf gegen Menschen, die gar keine Antisemiten sind, kann dank wenig rationaler Argumentationsfiguren auch aus der postmodernen Tradition heraus immerhin auch in die Kreise des Bildungsbürgertums erhoben werden und Akzeptanz finden.

So kann schon mal der ein oder andere Satz seitens KenFM aus dem Zusammenhang gerissen und total entstellt werden. Es kann auch passieren, dass zugegebenermaßen unkluge Vergleiche seitens KenFM als "Beleg" für antisemitische Verharmlosung des Holocaust verwendet werden. Ferner kann die scharfe Kritik von KenFM an der israelischen, deutschen oder amerikanischen Staatsraison als im Kern antisemitisch unterstellt werden. Zudem kann auch eine angebliche Fokussierung auf den Nahostkonflikt, oder auf Pazifismus, Völkerrecht und Menschenrecht als antisemitisches Ressentiment dämonisiert werden. So kann linke Gesellschaftskritik und Einsatz für Menschenrechte durch die verschwörungstheoretische Brille mit einem Mal zu rechter Blut-und-Boden-Ideologie, Rassenwahn, Antisemitismus, Verherrlichung diktatorischer Regimes oder dergleichen umlackiert werden. Dass solch eine Uminterpretation fortschrittlicher Tätigkeiten der globalen Linken nicht gerade hilft, sollte evident sein. Ist es aber scheinbar nicht.

Die bürgerliche Ideologie


Bei dem sowohl linksradikalen wie auch postmodernen Philosophen und Witze-Erzähler Slavoj Zizek wird deutlich, wieso die Linke wie auch sonstige Bürger der bürgerlichen Gesellschaft nicht davor gefeit sind, merkwürdige Dinge zu fühlen, zu denken, zu sagen und zu tun. Allerdings ist Zizek eben keiner der Postmodernisten, die derartig verschwörungstheoretische Argumente vorbringen wie oben genannt. Zizek hat krude Theorien, aber sie sind von großer analytischer Gewalt, die das Handeln der Menschen beleuchten.

Die bürgerliche Gesellschaft spiegelt sich wider in der bürgerlichen Ideologie. Diese Ideologie besteht nicht bloß aus einfachen Lehrsätzen, offensichtlichen Dogmen und offen ausgesprochenen Verboten. Ideologie ist darüber hinaus, so verdeutlicht Zizek immer wieder, eine gesellschaftliche Tätigkeit, die vor allem mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zusammenhängt. Ein häufig von Zizek ausgedrückter Gedanke ist: Ideologie ist es, wenn Leute etwas Bestimmtes tun, obwohl sie es besser wissen. 

Linke wissen oft genau, was sie gerade tun und dass es ihnen und ihren Zielen schaden dürfte, aber sie tun es oft dennoch. Sie spalten sich, zerstreiten sich, beleidigen sich, bekämpfen sich, liquidieren sich gegenseitig - mit dem Resultat, dass die nicht-linke "höhere" Gesellschaft wie gehabt weitermachen kann und auch noch spöttisch auf die so zerrissene Linke mit dem Zeigefinger zeigen kann. Linke wissen genau, dass diese scheinbar ewige Wiederkehr der linken Selbstzerfleischung für die Einheit der Linken schädlich ist. Aber sie tun es anhand ideologischer Linien trotzdem. Auch sie sind von der bürgerlichen Ideologie erfasst, die ihnen nicht nur Konkurrenz, Erfolgsstreben und Konsumrausch vermittelt, sondern auch ein negatives und pessimistisches Menschenbild.

Dieses pessimistische Menschen- und Weltbild kommt nicht von ungefähr. Es ist ein notwendiges Resultat der bürgerlichen Gesellschaft in ihrem offenkundigen Verfallsprozess. Es ist für praktisch alle erwachsenen Menschen dieser Welt absolut offenkundig, dass diese Welt verkehrt läuft, dass etwas mit ihr nicht stimmt, dass es anders besser wäre. Zugleich ist für die meisten keine greifbare, realistische und glaubwürdige Alternative erlebbar. Das Erleben der meisten Menschen dieser Welt ist sogar im Gegenteil von Elend, Schmutz, Heuchelei und Bosheit geprägt. Natürlich erleben die meisten auch das Gute dieser Welt. Aber es erscheint in einer insgesamt "falschen" Welt wie eine kleine Insel oder wie eine Inselgruppe in einem Meer aus Blut und Schmutz. Margaret Thatcher, die widerliche "Eiserne Lady" hat dieser Ideologie einen Slogan gegeben: T.I.N.A. = there is no alternative. Die scheinbare Alternativlosigkeit des Kapitalismus ist der letzte Grund für die bürgerliche Ideologie, deren Kern es ist, die bürgerliche Gesellschaft als Ende der Geschichte zu betrachten. Es ist kein Zufall, dass der Ideologe des amerikanischen Großbürgertums Francis Fukuyama nach dem Zerfall des scheinbar nicht-kapitalistischen Ostblocks das "Ende der Geschichte" ausrief. Die letzte große Herausforderung der bürgerlichen Gesellschaft schien besiegt worden zu sein. Fukuyama hat sich gewaltig getäuscht. Denn auch er ist ein Opfer der bürgerlichen Ideologie.

KenFM und die deutsche Ideologie


Viele Zuschauer oder Zuhörer von KenFM halten Ken Jebsen und seine Informationsplattform für das, als was andere Gesellschaftskritiker nur erscheinen wollen: kritisch, unabhängig und unideologisch. In der Tat lehnt Ken Jebsen es ab, in die Kategorien von links und rechts eingeordnet zu werden. Jebsen begründet das üblicherweise damit, sich der Unterwerfung unter "linke" oder "rechte" Autoritäten verweigern zu wollen. Das erscheint vielen Wutbürgern und Wutbürgerinnen, Proletariern und Proletarierinnen plausibel. Und die Unterstützerschaft von KenFM verweigert sich teils ebenso wie Ken Jebsen einer Einordnung in ideologische Schubladen. Das liegt vor allem daran, dass sich in Deutschland fast alle politischen Parteien von Relevanz und ihre Ideologen auf die ein oder andere Weise für viele Menschen unglaubwürdig gemacht haben. Die Ursache und die Folge dieser politischen Misere ist zum einen die bundesrepublikanische Postdemokratie und zum anderen die deutsche Ideologie von der Alternativlosigkeit des Status Quo in Deutschland.

Auch linke Parteien und Organisationen haben nicht selten Autoritäten an ihrer Spitze gehabt, die mit Anderen um Macht ringen und teils krassen Autoritarismus bewiesen. Selbst die Linkspartei ist nicht frei davon, zumal es dort stets Machtkämpfe um die richtige "linke" Politik gibt. Ein großer Teil der Parteimitglieder will eine konsequente Friedens- und Sozialstaatspartei haben, während ein Teil intensiv auf eine künftige "Regierungsfähigkeit" der Linkspartei hinarbeitet und sinnvolle "rote Haltelinien" der Partei aufweicht. Auch in der Linkspartei gibt es also Machtkämpfe zwischen Autoritäten, die an die Machtkämpfe im Staatsapparat insgesamt erinnern können.

Ähnliches trifft auf andere linke Organisationen zu. Es gibt sogar dezidiert rechte "Genossen" in linken Gruppen. Im nicht gerade linken Bundesarbeitskreis Shalom der Linksjugend solid z.B. sammeln sich teils Nationalisten, Rassisten und Verschwörungstheoretiker, deren Hauptaufgabe es zu sein scheint, Linke zu schwächen, zu verwirren und zu diffamieren. Und dann gibt es den sogenannten Reformerflügel in der Linkspartei, der auch Leute einschließt, die die Linkspartei "regierungsfähig" (in neoliberalen Regierungen), "einsatzfähig" (in imperialistischen Kriegen) und "verantwortungsbewusst" (im Sinne der Verantwortung für Krieg und Sozialabbau) machen wollen.

Wenn sogar DIE LINKE einen korrumpierten Eindruck machen kann, dann sollte es nicht verwundern, wenn es zu einer vorgeblich antiautoritären Bewegung kommt, die sich weder als links noch rechts versteht. Das heißt nicht, dass Ken Jebsen sich als Feind der Linken versteht. Er sagt z.B. über sich und die meist schwachen Argumente einiger Linker gegen KenFM und seine Unterstützer:

"Die können gar nicht anders. Ja. Das ist ein Reflex. Wenn jemand eine Idee hat, die ich auch schon hatte, und der setzt die besser um, dann ist das ein Konkurrent. Ich bin aber gar kein Konkurrent."

Die Angst einiger Linker vor KenFM, die ihn für einen bösen Sith-Lord oder Antisemiten oder Nazi oder dergleichen halten, die sollten mal ihr analytisches Talent und ihren eigenen Verstand nutzen, anstatt die alte staatstragende Propaganda gegen rebellierende Massen zu kopieren. Ken Jebsen selbst sieht sich offenbar keineswegs als Rechten oder völlig unpolitischen "Rattenfänger", wie einige Ressentiment geladene Linke ihn beschimpfen. Jebsen sieht sich offenbar viel eher als Linken, wenn er z.B. sagt:

"Also wenn ich die linke Presse suche, muss ich nach rechts schauen."

KenFM scheint daher eine antiautoritäre, kapitalismuskritische, unabhängige und relativ unideologische Alternative zu sein. Das ist der Hauptgrund für den Erfolg von Ken Jebsen. Er wendet sich gegen die bürgerliche Ideologie von der Alternativlosigkeit des heutigen Kapitalismus und gegen unglaubwürdig gewordene Autoritäten. Unglaubwürdig ist die Politik in Deutschland vor allem auch aufgrund der praktischen Alternativlosigkeit im parlamentarischen System Deutschlands. Denn wenn im Grunde nur neoliberale Regierungen machbar sind, weil SPD und Grüne sich nicht auf eine soziale und friedliche Koalition mit der Linkspartei einlassen, sondern sie nur stiefmütterlich als Mehrheitsbeschaffer akzeptieren, dann darf es doch Niemanden mit eigenem Verstand wundern, wenn postdemokratische Zustände zur Normalität werden. Postdemokratische Zustände sind solche, in denen die formalen Institutionen und die äußere Hülle der Demokratie bewahrt werden, aber zunehmend von nicht-demokratischen Einflüssen überwältigt werden. Wir leben heute in einer Postdemokratie. Und immer größer werdende Teile der Bevölkerung haben es satt, keine Alternativen wählen zu können. Einige werden Protestwähler. Andere werden Nicht-Wähler. Wieder andere werden "unideologische" und "kopflose" Unterstützer von KenFM.

Abgesehen davon betreibt KenFM hochwertige und überzeugende journalistische Arbeit, die zudem fast tagesaktuell informiert. Der großartige Moshe Zuckermann, ein herausragender linker Historiker, Soziologe und Israelkritiker, gab KenFM ein professionelles Interview. Auch Menschen wie der Kabarettist Serdar Somuncu, der CDU-Politiker Willy Wimmer, die Gründerin der deutschen Abteilung der "Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost" Evelyn Hecht-Galinski, die Medienkritikerin Sabine Schiffer und der Öko-Aktivist Kazuhiko Kobayashi haben KenFM hervorragende Interviews gewährt. Die Interviews bei KenFM gehören zu den besten, die es im Lande gibt.

Selbst die erfahrensten Interviewer können sich von Ken Jebsens Gesprächs- und Fragekultur ein gutes Stück abschneiden. Denn der deutsche Journalismus ist bodenlos tief gesunken. Auch die staatlichen Sender machen zum Teil äußerst unkritische, unglaubwürdige und schlecht recherchierte Propaganda, die wenig mit ihrem angeblich neutralen Informationsauftrag zu tun hat. Die skandalöse Behandlung von Sahra Wagenknecht durch Markus Lanz ist nur ein Beispiel unter unzähligen. Wenn also sowohl die etablierten Parteien wie auch die Medien in Deutschland mittlerweile äußerst unglaubwürdig erscheinen - wem kann man dann noch trauen? Ken Jebsen sagt: Niemandem! Seid Euer eigener Herr! Und bleibt immer Euer eigenes Licht! In seinen eigenen Worten:

"Wir sind umstellt von Flachbildschirmen, wir sind umstellt von Werbetafeln, die uns auffordern, nämlich, Dinge zu tun: 'Kauf das! Geh dahin! Mach das! Sag das, was die Anderen sagen! Komm nicht auf eigene Ideen!' Das ist das Ding. Deswegen ist mein Appell an Euch: Es gibt einen wesentlichen Unterschied, ob wir ein Interview machen und das ins Internet stellen oder ob man das im Fernsehen sieht. Fernsehen ist ein passives Medium. Ich weiß das. Ich habe lange Fernsehen geschaut, ich habe auch lange Fernsehen gemacht bis ich festgestellt habe, was ich dort eigentlich mache. Ich erreiche dort gar keinen. Fernsehen bedeutet immer noch: Kiste an, Füße hoch. Geist aus. Geist aus. Ja, und im Internet ist das anders."

Das klingt nun vielleicht wie die Ideologie der Piraten-Partei oder die Ideologie politisierter Nerds. Aber es ist viel Wahres an diesem Zitat. Zwar kann auch das Internet Menschen verblöden. Aber die Verblödung ist weniger zwangsläufig, eben weil es ein wesentlich individuelleres und weniger von außen gesteuertes Suchen nach Informationen ermöglicht. Wer sich bilden will, hat mit dem Internet unfassbare Möglichkeiten, die es im Fernsehen nicht gibt. Das Internet kann sogar gedruckte Bücher und Zeitungen ersetzen.

Ken Jebsen predigt nun aber nicht bloß die Internet-Freiheiten oder die virtuelle Freiheit, sondern geht wirklich tief in die Materie hinein. Seine Forderungen decken einen Großteil der klassischen linken Forderungen ab. Allerdings kritisiert er die Linken, die reflexartig von den proletarischen Massen auf den Straßen abgestoßen sind. Proletarische Sozialisten müssten noch so "unideologischen" Protest von Proletariern, die sich gegen Krieg, rassistische Hetze, Imperialismus, staatliche Unterdrückung und Ausbeutung wenden, wohlheißen.

Die antiproletarische Linke, die bürgerlichen Schichten angehört, hetzt aber gegen größeren Protest, der nicht vom sozialliberalen Bürgertum angeführt wird. Bürgerliche "Sozialisten" haben vor proletarischen Demonstranten große Angst, weil das Bürgertum im Allgemeinen vor dem Proletariat im Besonderen große Angst hat. Proletarischer Protest muss vom Bürgertum geführt werden, sonst wird er vom Bürgertum eben verunglimpft. Das war und wird immer so bleiben, wie es scheint. Ken Jebsen kritisiert dieses massenfeindliche Ressentiment innerhalb der deutschen Linken mit solchen Worten:

"Lasst euch nicht aufhetzen! Und lasst euch nicht durch Linke, Rechte oder was auch immer erklären, wie es gemacht wird. Was wir bei den Linken im Moment wirklich feststellen können ist wirklich traurig und bitter: Der Neid zu erkennen, dass man alles geschrieben hat, diskutiert hat, aber schafft es nicht, die Leute auf die Straße zu bringen. Und wenn es jemand schafft, dann muss der rechts sein. Das ist doch absurd! Aber es hat überhaupt keinen Sinn und ich rate davon ab, jetzt auf diese Foren zu gehen und sich mit diesen Menschen auseinanderzusetzen. Das ist ein Trick. Das ist ein Trick. Da wärt ihr ja genauso. Ihr müsst diese Menschen in den Arm nehmen, weil alles Andere ist wie gesagt unterlassene Hilfeleistung. Die können gar nicht anders. Ja. Das ist ein Reflex. Wenn jemand eine Idee hat, die ich auch schon hatte, und der setzt die besser um, dann ist das ein Konkurrent. Ich bin aber gar kein Konkurrent."

Jebsen sieht sich nicht als Konkurrenten der Linken. Er kenne keine Konkurrenz mit Anderen, sagt er sogar. Daher, so können Kritiker sagen, ist er ja auch ein "Querfrontler", einer also, der Linke und Rechte in einer Volksgemeinschaft zusammenzubringen will, um dann Juden aufzuhängen oder dergleichen. Ja, das sind tatsächlich die Argumente und Befürchtungen einiger bürgerlicher Linker, die vor dem proletarischen Mob die größte Angst haben. Das Proletariat ist für diese Menschen ein unkontrollierbares Nazi-Pack, sofern es nicht eindeutig von bürgerlichen Sozialisten geführt wird. Schade, dass ansonsten intelligente Menschen ihren Verstand abschalten, wenn es um ihre profanen Interessen geht. Sehr aufgeklärt ist solch eine ideologische Praxis nicht. Aber es stimmt ja auch nicht, dass das Proletariat zum Hitlerismus neigt. Sogar bürgerliche Historiker haben eindeutig nachgewiesen, dass Mitglieder bürgerlicher Klassen den Kern der Anhängerschaft Hitlers ausmachten: Bauern, Handwerksmeister, Händler, verarmte und verelendete Kleinbürger, Studenten, Professoren, Beamte, Freikorps-Söldner, der ultrarechte Adel und die Großkapitalisten. Ohne die bürgerliche Basis des deutschen Faschismus ist weder ein NS-Staat, noch ein 2. Weltkrieg oder Holocaust denkbar. Das deutsche Bürgertum machte sich selbst zum Podest Hitlers. Die Arbeiterschaft hingegen war äußerst resistent gegenüber der bürgerlichen Ideologie der Hitleristen. Wenn das heutige Bürgertum also Angst vor dem (proletarischen) Mob hat, dann projiziert es im Kern die eigenen reaktionären Tendenzen auf die revolutionären Tendenzen der Arbeiterklasse.

Ken Jebsen jedenfalls argumentiert bislang nicht derart verschwörungstheoretisch und plump, sondern meist sehr rational, intersubjektiv nachprüfbar und überzeugend. Jebsen verheimlicht seine Ziele auch gar nicht. Er sagt klar: "Mein Name ist Ken Jebsen. Meine Zielgruppe bleibt der Mensch." Abgesehen von dieser Phrase konkretisiert Jebsen seine Ziele ziemlich deutlich. Dazu gehört die klare Absage an jegliche Form des Krieges. So, wenn er erklärt:

"Krieg ist so simpel: Krieg ist, wenn ganz wenige Männer, alte Männer, ganz viele junge Männer dazu bringen, sich gegenseitig umzubringen!"

Auch weniger populär erscheinende Themen wie Egalitarismus, Gender und Sexualität, die in der Linken wichtige Themen sind, verteidigt er wörtlich so:

"Wir sind eigentlich gar nicht so unterschiedlich. Wir kommunizieren über die selben Netze. Wir kommunizieren mit ähnlichen Tools. Wir hören ähnliche Musik oder andere Musik. Aber wir mögen Musik. Wir tanzen mit einander. Wir mögen die selben Frauen oder die selben Männer oder wir wissen, dass es außer Frauen und Männern auch noch andere geschlechtliche Modelle gibt. Wenn wir das alles mal akzeptieren würden, dann könnten wir feststellen: Uns trennt eigentlich nichts. Das einzige, was uns trennt, ist auf die andere Straße derer zu gehen, die nichts anderes gewohnt sind als über andere Menschen zu herrschen. Auch sie sind in dieser Kaste gefangen, auch die Reichen sind in dieser Kaste gefangen. [...] Es bringt überhaupt gar keinem was, so zu leben. [...] Wir müssen teilen. Wie erreichen wir diese alten Männer oder diese alte Frauen, die es ja auch gibt?"

Jebsen zitiert und erwähnt immer wieder auch Rudi Dutschke, den Christen, Sozialisten und Anführer der 68er Bewegung. Natürlich kann ein rechter Verschwörungstheoretiker auch linke Figuren zu vereinnahmen versuchen. Aber dann sollte man Menschen, die man als Antisemiten, Verschwörungstheoretiker und rechte Querfrontler verunglimpft, auch nachweisen können, dass sie es sind. Wenn man als "Linker" nur selbst zu Diffamierung, Verschwörungstheorien und überhaupt nicht nachvollziehbaren Konstruktionen greifen kann, ist das ein intellektuelles und moralisches Armutszeugnis. Beweise müssen geliefert werden, weshalb jemand, der sich explizit gegen Krieg, Rassismus, Sexismus, Imperialismus, Ausbeutung, Unterdrückung, Spaltungsversuche und irrationale Ressentiments ausspricht ein Rechter sein soll. Es kommt hierbei von linker Seite meist sehr wenig an stichhaltigen Argumenten. Sie blamieren sich und treiben die unzufriedenen Massen dadurch nur noch mehr ins Lager der "unideologischen" und organisationsfernen Demonstranten. KenFM gewinnt damit ebenfalls an Glaubwürdigkeit und Sympathie. Für den gewöhnlichen Wutbürger sympathisch machen ihn vor allem solche Bekenntnisse:

"Ich bin nur ein Mensch, dem es immer schwerer fällt, mit einem Haufen von Mitläufern und Mittätern auf diesem Planeten zu leben."

Jutta Ditfurth, die für ihre besonnene und kapitalismuskritische Argumentation bekannt geworden ist, hat sich zur Fürsprecherin der bürgerlichen Sozialisten gemacht, die sich vor allem vor KenFM fürchten. Zunächst argumentiert die Ditfurth ja durchaus gut und links, wenn sie feststellt:

"Kurz und gut: Ich werfe auch weiterhin Nazis, Völkische, Antisemiten, Homophobe usw. raus! Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen und die Wege dahin bedeckt brauner Schlamm. Man trägt nur durch offene Auseinandersetzung zur Aufklärung bei. Ich führe keinen 'Diskurs' mit Shitstürmer_innen, sondern mit Menschen, die tatsächlich an einer menschlicheren Welt, an Aufklärung und Emanzipation interessiert sind. Um die geht’s mir."

Allerdings geht die bekannteste und schärfste Kritikerin der grünen Heuchelei einige Schritte weiter. Sie weiß nicht nur, was mit Rechten zu machen ist. Sie unterstellt auch zu wissen, dass KenFM und Ken Jebsen rechts seien. Und zumindest in Bezug auf die sogenannten "Montagsdemos" um die KenFM-Bewegung argumentiert sie nicht schlecht:

"Die neurechten 'Friedens'demos sind eine Kriegserklärung gegen jüdische Menschen, Aufklärung und Humanismus 
Viele schäumen vor Wut, schicken Morddrohungen, sexistische Schmähungen usw., weil ich in einigen Beiträgen erklärt habe (mit Quellen), warum hinter denen, die zu sog. "Friedensdemos" aufrufen, in Wirklichkeit neurechte Verschwörungstheoretiker und Antisemiten stehen.Ich mach nochmal einen letzten Versuch für diejenigen, die sich selbst als "Linke" verstehen, aber sagen, sie teilen die "Argumente" der neurechten Demos für den Frieden, denn das sei doch nichts Rechtes.
Das zentrale Argument des Organisators der sog. Friedensdemos ist ein absolut hasserfülltes: dass in den letzten 100 Jahren an allen großen Problemen und ausdrücklich an ALLEN Kriegen auf der Welt die Federal Reserve Bank der USA schuld gewesen ist. (Originalzitate von Lars Mährholz usw. waren ja auf meine fb-Seite). Diese ungeheuerliche Aussage entlastet Nazi-Deutschland vom Zweiten Weltkrieg und auch für die Vernichtung der deutschen und europäischen Juden sind die USA bzw eine US-Bank verantwortlich. Nazi-Deutschland wird entlastet.Das ist Geschichtsrevisionismus und eine unglaublich brutale Verharmlosung der Shoa.
Von wegen 'Frieden'! Eine Kriegserklärung gegen jüdische Menschen, gegen alle Aufklärung, gegen Humanismus."

Es ist eine grobe und verschwörungstheoretische Reduzierung der Kriegsverantwortung, wenn man alle Schuld auf eine Bank schiebt. Das ist schlicht Unsinn und gehört scharf kritisiert. Auch die scheinbare Verbindung des angesprochenen Mährholz mit Nazis sollte klar aufgedeckt werden. Vielleicht haben Leute wie Mährholz tatsächlich Böses vor. Vielleicht sind es völkische Nationalisten, die den Frieden als neues Thema der neuen Rechten uminterpretieren wollen. Bei rechten Verschwörungstheoretikern ist kaum eine Idee ausgeschlossen. Die müssen zurückgedrängt werden.

Alledings gingen die Kritiker von KenFM weiter als die rechten Tendenzen zu kritisieren. Wie zuvor gezeigt proklamiert die Arbeitsgruppe um KenFM praktisch nur anarchistische Losungen gegen jede Autorität. Zudem wird der Kantsche Imperativ von der mutigen Nutzung des eigenen Verstandes stets betont. Dass es daher Linke gibt, die die Bewegung unterstützen oder zumindest neugierig beobachten ist natürlich. Ditfurth und andere Kritiker von KenFM haben aber zur antiaufklärerischen, verschwörungstheoretischen und unlauteren Methode der Diffamierung einer Sammelbewegung gegriffen. Diffamierung sollte keine Methode von Sozialisten sein. Unsere Methode sollte nachvollziehbare Kapitalismuskritik sein. Die verschreckten bürgerlichen Sozialisten aber verleumden und verallgemeinern unzulässig. Ebenso wie sie Attac, Occupy, Israelkritiker oder beliebige andere Gesellschaftskritiker rechter Tendenzen bezichtigen und damit pluralistische Menschenansammlungen diffamieren, diffamieren sie damit auch ihre Genossen an dieser Stelle. Anstatt vor rechten Tendenzen bei KenFM zu warnen, warnen sie davor, in einer kapitalismuskritischen Bewegung um die Hegemonie zu kämpfen. Das ist nicht links. Das ist sektiererisch. Eine Genossin aus der Linkspartei verlautbarte entsprechend empört:

"In meinem unten stehenden Kommentar habe ich nicht, wie Jutta Ditfurth behauptet, für irgendwelche Demonstrationen geworben, sondern lediglich dazu angeregt, miteinander zu reden. Ich finde es nicht gut und kontraproduktiv, einem unbekannte Menschen, die ja erstmal Frieden wollen, pauschal platt zu machen, ohne sie persönlich befragt, mit ihnen diskutiert zu haben. Selbstverständlich bin ich weder "neurechts" (was immer damit gemeint ist), antisemitisch, rassistisch, oder sonstwas in der Richtung. Daher empfinde ich das, was Frau Ditfurth behauptet, als Rufmord nicht nur gegen mich, sondern gegen jeden meiner Kollegen bei der Zeitung junge Welt. Ich möchte hier auch betonen, dass ich für diverse Verlinkungen keinerlei Verantwortung trage. Gerne kann den Text jeder teilen und darüber diskutieren; ich lasse ihn jetzt auch öffentlich. Dass allerdings eine diverse "Anonymus"-Seite das Statement mit "Gastbeitrag von Susan Bonath" überschrieben hat, wie mir jetzt bekannt wurde, finde ich nicht okay, denn eine Erlaubnis hatten die Macher dieser Seite nicht - es ist kein "Gastbeitrag", und zwar für niemanden.
Ich habe darauf einige sehr böse Angriffe, Beleidigungen, Beschimpfungen und sogar massive Bedrohungen erhalten. Ich kann nicht genau sagen, woher diese tatsächlich kamen. Ich möchte auch nicht, dass Linke oder Anfifas pauschal verunglimpft werden. Vor faschistischem Gedankengut, vor ausgrenzendem, menschenfeindlichem, rassistischem, antisemitischem Handeln oder Werben zu warnen, ist grundsätzlich gut und wichtig. Ebenso wichtig ist es, Menschen die Geschichte nahe zu bringen. Für schädlich halte ich es aber, Menschen mit Begriffen und Totschlagvorwürfen zu verunglimpfen, und dabei lediglich eigene Interpretationen - teils wirklich krude Interpretationen - als "Beweis" vorzulegen. Dass hier Menschen angegangen werden, nur weil sie bestimmte Fakten selbst prüfen wollen oder nicht in den allgemeinen Hetztenor einstimmen wollen, halte ich gar für gefährlich. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der ich von einer Gesinnungspolizei überwacht werde.
Ebenso habe ich viele - noch mehr - gute Reaktionen erhalten. Dazu zähle ich auch konstruktive Kritik - vielen Dank dafür. Ich würde mich nie dazu erheben, irgendeine Deutungshoheit zu beanspruchen. Ich kann ebenso falsch liegen, wie alle anderen, denn auch ich habe nicht den Stein der Weisen gefunden.
Ich wünsche mir nichts mehr, als dass wir auf diesem Planeten friedlich ohne Ausbeutung, Hunger, Unterdrückung, Krieg, Leid, Elend und Zerstörung zusammenleben können. Es ist mir egal, welche Religion irgendjemand hat oder woher er kommt. Wir sind alle Menschen. Ich bin überzeugt, dass die Probleme von diesem Wirtschaftssystem verursacht werden, in dem wir alle gefangen sind. Deshalb halte ich es für unumgänglich, miteinander zu reden. Hass kann uns nicht weiterbringen.
Danke."

Ken Jebsen ist also trotz seiner antiautoritären und kapitalismuskritischen Bekundungen auch im antiautoritären, kapitalismuskritischen, linken Spektrum eine sehr umstrittene Person. Und er wird scharf kritisiert. Kein Wunder. Er arbeitet teils mit dem nationalistischen Kriegskritiker Jürgen Elsässer zusammen, mit dem KenFM bereits einige Interviews geführt hat. Er hat zudem eine scharfe Israelkritik. Und er weigert sich, sich den linken Vorgaben unterzuordnen. Das macht ihn für Linke natürlich suspekt.

Aber man könnte eine gewagte These aufstellen: Ken Jebsen ist zum Teil wesentlich linker als gewisse Genossen und Genossinnen, wie etwa die Herren Liebich und Bartsch in der Linkspartei. Wenn man jemanden mit unklarer, populistischer und hochstens halb-linker Gesinnung attackieren will, dann erst einmal solche Opportunisten, die die wertvolleste linke Organisation in Deutschland, die Linkspartei, offenbar zerschlagen wollen. Denn ihre Politik der Annäherung an die heutige Politik von SPD, CDU, Grünen, FDP und AfD ist für die deutsche Linke vorhersehbar vernichtend. Eine Linkspartei, die neoliberale und kriegerische Politik betreibt, hat keinerlei Existenzberechtigung und muss notwendig jede Glaubwürdigkeit verlieren. Sie kann dann mit dem neoliberalen Block fusionieren oder sich gleich auflösen.

KenFM ist eine organisatorische und ideologische Antwort auf diese Situation, in der sogar linke Organisationen Gefahr laufen, mit dem Block der "Volksparteien" zu intrigieren. Die Anhänger und Unterstützer von KenFM sind sich dessen mehr oder weniger bewusst. Sie sind im Grunde enttäuschte Wutbürger. Sie stellen prinzipiell das selbe amorphe Milieu dar wie die Aktivisten um Stuttgart21, Occupy, Blockupy, Umverteilen, Recht auf Stadt oder Alle für Kalle. Sie sind wie Ken Jebsen selbst Anarcho-Wutbürger. Wie er lehnen sie, desillusioniert und wütend, die Parteien und Parteipolitik ab, aber zum großen Teil auch Autoritarismus, Krieg und nationalistische Hetze. Es sind ansonsten eher nicht organisierte Menschen, die sich wehren wollen gegen die gefühlte und offensichtliche Ohnmacht und Beherrschung durch die Mächtigen.


Ein aufmerksamer Beobachter der für die deutsche Linke typischen Debatte um KenFM kommentierte sehr treffend:

"Warum diese Panik und Aufregung im linken Spektrum über diese Montagsdemos von Ken Jebsen und Co? Ganz einfach. Die Linke (als Sammelbegriff incl Friedensbewegung) hat gepennt und jetzt will man diese neue Bewegung zerschlagen. Man kommt nicht mehr gegen diese Internetkultur an, bei der viele Verschwörungstheorien kursieren und so auch jetzt auf der Strasse ihre Zuhörer finden. Das mag auch erschrecken, denn viele krude Verschwörungstheorien sind wirklich blanker rechter Unsinn, aber auf der anderen Seite sehe ich seit Jahren auch den Fehler bei der Linken selbst. Die Linke hat Angst vor den normalen Menschen. Vor den normalen Menschen mit all ihren kleinen Fehlern die nicht perfekt sind und zu 100 % so links denken wie sie sollten. Da hilft es erst recht nicht, wenn die Linke jetzt mit Brachialgewalt versucht den Menschen zu erzählen was sie zu denken haben. Das führt zum genauen Gegenteil. Denn so wird den Menschen vermittelt: Du bist nicht links denkend. Dann heisst das also im Umkehrschluss: Du bist eigentlich ein verkappter Nazi. Und das ist das gefährlichste überhaupt was passieren kann. Denn so drängst man die Menschen automatisch zu denen, wo man sie ja gerade nicht haben will. Das ist das dümmste was die Linke (als gesellschaftliche politische Richtung) tun kann."

Das erneute Versagen der deutschen Linken wird also kompensiert durch moralische Empörung und Moralismus gegenüber politischen Nebenbuhlern, die es besser machen wollen. Ein anderes Mitglied der Linkspartei kommentierte diese Heuchelei so:

"Moin Leute,
was einige Menschen, selbstredend Linke, derzeit hier lostreten, erschüttert mich zutiefst. Menschen, die den ganzen Tag von Demokratie, Toleranz, Sozialismus, Integration, gemeinsamen Perspektiven usw. sprechen, beschimpfen und beleidigen andere Menschen, mit denen sie noch nie geredet haben, die sie nicht kennen. Sie drehen ihnen die Worte im Munde um, verunglimpfen sie pauschal und allgemein, interpretieren ihr eigenes Credo in jede Silbe, spielen geradezu Gesinnungspolizei.
Ja, es geht um diese ominösen Friedensdemonstrationen. Vorab: Ich kenne diese Leute selbst nicht, die diese Veranstaltungen organisieren. Was in einigen (!) Köpfen vorgehen mag, kann ich, wie die allermeisten, nur aus deren Postings im Internet erraten. Ich habe durchaus gelesen, dass auf diesen Seiten der eine oder andere fragwürdige Thesen verbreitet. Keine Frage: Sollte dies in Hetze ausarten, darf das nicht sein, schon allein deshalb, weil wir mit Hass keinen Frieden haben werden.
Was ich aber auch gelesen habe, ist, dass eine übergroße Mehrheit – auf diesen Seiten – immer wieder betont, dass wir systemische Veränderungen brauchen, um die Welt von Kriegen, Hunger, oft von außen produzierter Feindschaft und von Elend zu befreien, und dass dies nur gemeinsam geht – grob zusammen gefasst. Und das sehe ich ähnlich. Auf diesem Planeten leben etwa sieben Milliarden Menschen. Das bedeutet: sieben Milliarden unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt, sieben Milliarden eigene Gedankenmuster, sieben Milliarden Geschöpfe, die Fehler machen, aber ebenso kraft menschlichen Verstandes in der Lage sind, diese zu korrigieren, Erkenntnisse zu sammeln. Niemand hat einen wirklichen Plan, wie wir aus dem komplexen kapitalistischen Schlamassel herausfinden können; der erste Schritt aber ist, Fragen zu stellen. Um Antworten zu finden, muss man Fragen stellen dürfen.
Doch ich erlebe hier, das einige Linke jegliche Fragensteller pauschal platt machen. Vor allem die Totschlagvorwürfe „Verschwörungstheoretiker“ und „Antisemit“ haben Hochkonjunktur. Aber auch Rassismus wurde den ominösen Verstaltern vorgeworfen. Doch die Argumente der „Kritiker“ stehen auf wackeligen Füßen. Da heißt es, ein gewisser Demoredner verbreite rassistische und antisemitische Hetze. Ich habe das nachgeprüft und beim besten Willen nichts gefunden. Okay, ich weiß, worauf es letzteres basiert. Da meint also besagter Redner, das durch private „Dirigenten“ gesteuerte US-Bankensystem unter Federal Reserve (kurz: die FED), welches die Leitwährung, den Dollar, herausgibt, sorge mit seiner Geldpolitik für viel Unheil, indem es etwa die Interessen der Mächtigen radikal und ohne Rücksicht auf Verluste durchsetze. Weiter erklärt der Redner, dass die ökonomischen Machtstrukturen von sehr wenigen, verdammt reichen Familienclans gesteuert würden. Wer kann das widerlegen? Ich habe den Namen Rothschild auch beim dritten Mal anhören nicht vernommen. Einige aber hörten ihn offensichtlich schon fallen, vermutlich „zwischen den Zeilen“. Und sie schreien: Alles Antisemiten, Verschwörungstheoretiker. Da frage ich mich – sorry: Hackt es?
Weiterhin las ich auf einigen Seiten Unterhaltungen über Israels Politik, über dortige radikale Siedler, also sehr kritische Unterhaltungen mit – zugegeben – manchmal weitreichenden, teils seltsamen Thesen. Was ich aber nicht las, waren Worte über „jüdische Verschwörungen“, die dort hineininterpretiert wurden. Immer wieder wurde klar getrennt zwischen jüdischer Glaubensgemeinschaft und jenen in hochrangigen Führungskadern, die sich selbst (!) als Zionisten bezeichnen, und eine Politik vorantreiben, die durchaus fragwürdig und nicht sehr menschenfreundlich ist. Alles Verschwörer, alles Antisemiten? Wo der angebliche Rassismus hervorgekramt wird, erschließt sich mir gar nicht. Ich habe nicht ein einziges rassistisches Wort gehört oder gelesen! Im Gegenteil wurde und wird immer wieder die Gleichheit aller Menschen betont, die sich durch nichts spalten lassen dürften. Es ist die Sprache von Toleranz und miteinander reden.
Und selbst, wenn der eine oder andere dort von Ungereimtheiten um 9/11 – die nun mal nicht von der Hand zu weisen sind –, oder gar von Chemtrails oder diversen vermuteten Plänen, meinetwegen auch Ufos usw. philosphiert: Dies hat im Grunde mit Nazis so wenig zu tun, wie ein Schwein mit einem Uhrwerk. Das Neofaschisten sich bestimmter Themen gerne bedienen, macht diese Themen an sich noch lange nicht zu faschistischen Themen. Wer der Meinung ist, dies sei alles nur Verschwörungskram, warum widerlegt er diese Thesen, die einige aufstellen, nicht einfach anhand stichhaltiger Fakten?
Diesen Begriff „Verschwörungstheoretiker“ wenden hier derzeit einige für alles an, was ihrer eigenen Weltanschauung widerspricht. Ja, haben jene denn den Topf der Weisheit gefunden und wissen komplett, wie alles funktioniert und wie es gehen soll? Warum geht es dann nicht so? Warum haben wir noch keine bessere Welt? Warum verhungern weiterhin Kinder, werden weiterhin Kriege geführt, verrecken weiterhin Menschen im Elend, haben wir immer noch Hartz IV in der BRD? Warum fangen diese „Pauschalkritiker“ nicht damit an, ihre Weisheiten globusumfassend anzuwenden? Weil es vielleicht doch nicht so einfach ist? Oder weil sie nicht jedem ihren Denkduktus eintrichtern können? Wer anderen vorwirft keinen Plan zu haben; tja, sollte derjenige nicht erst mal selbst einen Plan vorlegen? Wo finde ich diesen?
Die Sache ist: Niemand hat den Plan, aber es geht nur zusammen. Und die Antwort kann nicht erneut heißen, dass eine kleine Gruppe ganz vielen ihren Duktus mit Gewalt einzutrichtern versucht. Wollen wir alle, bei denen das nicht gelingt, in sibirische Bergwerke schicken und dort verrecken lassen für eine bessere Welt? Wäre diese Welt besser?"

Die absolute Kritik im deutschen Kapitalismus


In einer echt liberalen Gesellschaft ist Nichts und Niemand vor Kritik sicher - kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun. Kein Ken Jebsen. Keine Jutta Ditfurth. Die Kritik ist im Liberalismus über Alles und Jeden erhaben. Die Kritik und Kritikfähigkeit verwandelt sich im Liberalismus zur absoluten Kritik. Solch eine Kritik und Kritikfähigkeit scheint zunächst einmal aus freiheitsliebender Sicht ganz große Klasse zu sein. Tatsächlich ist sie jedoch in der Tat an Klassen, Klassenverhältnisse und die heutige kapitalistische Klassengesellschaft gebunden. Die Absolutheit der "absoluten Kritik" ist also gar nicht so absolut, sondern ziemlich relativ. Der Absolutismus solcher Kritik dient wie jeder Absolutismus bestimmten gesellschaftlichen Interessen, die unter Anderem Klasseninteressen sind.

Wenn z.B. von ach so "liberalen" Anhängern eines westlichen Imperiums das unbedingte Recht gefordert wird, Mohammed-Karikaturen in seriösen Journalien massenwirksam veröffentlichen zu können, dann ist solch rigoroser Absolutismus gewiss nicht losgelöst von sozialen Interessen. Die Karikatur Mohammeds, die den Propheten der Muslime schlicht als Propheten des Terrors darstellt, ist ein Mittel, um Ressentiments zu schüren. Einerseits sollen so Muslime im Allgemeinen des Terrorismus verdächtigt werden. Andererseits sollen damit die Muslime wütend gemacht werden, um die orientalistischen Klischees ihnen gegenüber besser bestätigen zu können. Empörte Menschenmassen, die westliche Fahnen verbrennen, "Gott ist groß" auf Arabisch gröhlen und mit Maschinengewehren in die Luft schießen sind die gewollten und gezielt ausgestrahlten Bilder in den westlichen Medien. Das Ziel, die Spaltung der Menschenmassen, ist erreicht.

Ähnliche Methoden werden bei anderen Gegnern und Konkurrenten angewandt. Der Ukraine-Konflikt gab den westlichen Medien einen Anlass, ähnliche Ressentiments durch ähnlich "absolute" Kritik an Russland, der russischen Bevölkerung und dem russischen Präsidenten Putin zu schüren. Zuvor gab es ja bereits den Skandal um die Inhaftierung der Pussy Riot-Mitglieder durch den russischen Staat. Pussy Riot trat in einer orthodoxen Kirche als Sprachrohr der "absoluten" Kritik auf und wurde vom russischen Absolutismus sogleich dafür abgestraft. Das führte zu großer Empörung in den westlichen Medien. Putin erschien also wieder Mal wie ein großer Diktator und Feind der Freiheit. "Ein Mann sie zu knechten, ein Mann sie zu finden, ein Mann sie ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden", wie es bereits in einem anderen Artikel hieß. Nun ist Putin aber selbst ein Neoliberaler, der die "absolute" Kritik und Freiheit des Marktes sehr schätzt. Auch Putins Absolutismus nutzt die "absolute" Kritik, um soziale Interessen zu bedienen. Daher sollte es auch nicht verwundern, wenn Putin dem Westen einen Spiegel hinhält und dessen Heuchelei in Fragen des Völker- und Menschenrechts mit Bravour entlarvt, um die eigene Herrschaft zu stabilisieren.

Viele ähnliche Fälle gab es bei Konflikten mit China, Libyen, Syrien, Ägypten und so weiter und so fort. Nichts ist gewöhnlicher im liberalen und nicht ganz so liberalen Kapitalismus als sich auf einen nicht klar definierten Absolutheitsanspruch der "absoluten" Kritik zu beziehen, um Widersacher zu kritisieren.

Schon im 19. Jahrhundert wurde diese feige und unlautere Methode von Marx und Engels entlarvt. In ihrer Schrift Die heilige Familie, oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer & Consorten haben die beiden Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus den unwissenschaftlichen und unernsten Charakter der "absoluten Kritik" herausgearbeitet. Unwissenschaftlich und unaufrichtig ist solche Kritik, weil sie keinen allgemein gültigen Maßstab auf alle kritisierten Erscheinungen anwendet, sondern je nach Lust und Laune einen gerade nützlichen Maßstab der Kritik nutzt und weil sie im Grunde eine völlig unpraktische und unnütze Befreiungsideologie predigen kann ohne praktisch überprüfbar zu sein. "Absolute" Kritik ist also einfach eine Rechtfertigungsideologie, die den Status Quo eines kritisierten Objekts oder die Tätigkeiten eines bestimmten Subjekts rechtfertigt. Sie ist damit in Wirklichkeit weniger eine Kritik als eine Apologetik oder Dogmatik mit kritischem Gestus. In der unverdauchlichen Sprache von Marx wird das auch so ausgedrückt:

"Die absolute Kritik beweist daher einerseits alles, was sich von selbst versteht, und außerdem viele Dinge, die das Glück haben, unverständig zu sein, sich also niemals von selbst verstehen werden. Andrerseits versteht sich ihr alles das von selbst, was einer Entwickelung bedarf. Warum? Weil es sich bei wirklichen Aufgaben von selber versteht, daß sie sich nicht von selber verstehn."

Selbstverständlichkeiten und Unverständlichkeit gehören bei der "absoluten" Kritik zusammen. Während für Marx und Engels die Lösung gesellschaftlicher Probleme nur durch gesellschaftliche Tätigkeit, gar durch "revolutionäre Praxis", möglich schien, war und ist das bei den Anhängern der "absoluten" Kritik anders. Sie geben sich mit Selbstverständlichkeiten und Unverständlichkeiten zufrieden oder auch unzufrieden. Jedenfalls kommen sie nicht dahin, die Kritik praktisch umzusetzen in kritische Praxis. Es wird im Grunde nur kritisiert, genörgelt, gejammert, geheuchelt und auf einander eingehämmert. Gelöst werden aber keine der großen gesellschaftlichen Probleme. Wozu auch? Der Absolutismus der liberalen Kritik dient ja nicht der Befreiung der proletarischen Massen, sondern der Rechtfertigung bürgerlicher Eliten.

Wenn wörtliche Hetze gegen Juden oder das Judentum nicht nachgewiesen werden können, was bei linken Kapitalismuskritikern äußerst selten der Fall ist, werden eben Argumente "logisch" abgeleitet oder frei erfunden. So werden Begriffe wie "struktureller" oder "sekundärer" Antisemitismus missbraucht, um aus der seriösen Antisemitismusforschung eine bloße politische Waffe gegen Widersacher zu machen. Es ist wie mit dem "Extremismus-" und "Totalitarismus"-Begriff: ursprünglich sinnvolle Begriffe werden zu politischen Kampfbegriffen gegen Alles, was zu radikal und revolutionär wirkt. Die Hauptsache dabei ist, dass der politisch Andersdenkende möglichst schmerzlich und dauerhaft diffamiert wird. Es geht eben nicht um wissenschaftliche, politisch seriöse oder emanzipatorische Kritik an politischen Konzepten. Es geht um Statuserhalt sozialer Milieus in der bürgerlichen Gesellschaft.

Die "absolute" Kritik ist aber nur eine Seite der liberalen Kritik. Die andere Seite ist die "kritische Kritik".

KenFM und die kritische Kritik


Die "kritische" Kritik heißt so, weil sie so dermaßen kritisch ist, dass sie doppelt kritisch ist. "Kritik" allein wäre nicht genug, um sie zu charakterisieren. Daher muss noch ein Attribut wie "kritisch" hinzukommen. Es ist das selbe "kritisch" wie bei der "Kritischen Theorie" à la Horkheimer, Grigat und Postone. Deren Theorien sind so dermaßen kritisch, dass sie schon nicht mehr kritisch sind. Bei der "kritischen" "Kritik" kommt es also zur doppelten Verneinung.

Marx und Engels polemisierten mit dem Begriff der "kritischen Kritik" gegen ihre ideologischen Widersacher um Bruno Bauer. Wie Marx und Engels waren diese Theoretiker Schüler Hegels, aber anders als Marx und Engels waren es keine Materialisten, sondern Idealisten. Idealisten sind Theoretiker, die nicht die lebendige Wirklichkeit in all ihren Facetten und Widersprüchen begreifen, sondern irgendwelche abstrakten und realitätsfernen Ideen im Kopf haben, woraus sie dann philosophische Systeme konstruieren. Solche idealistischen Systeme sind hochtrabende Entwürfe darüber, wie die Welt funktioniert und wie sie zu funktionieren habe. Aber eine nützliche Handlungsanleitung bieten sie selten. Meistens bleiben sie bei ihren Phrasen stehen. Diese "Philosophen" gefallen sich oft in ihrer abstrakten Philosophie, denn mit ihren weltfremden Begriffen heben sie sich über die Massen ab, was ihnen das Gefühl der Erhabenheit bietet. In Wirklichkeit sind sie schlicht überheblich, arrogant, ignorant. Und zwar mit System. Mit philosophischem System. "Kritische Kritik" ist Phrasendrescherei, um sich durch gedankliche Abgrenzung von den verachteten Massen wohler zu fühlen. Es geht dabei darum, sich selbst als besser zu interpretieren. Es geht darum, die Welt zu interpretieren, nicht sie zu verändern. Marx formulierte seine Kritik daran in dem berühmten Spruch:

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt darauf an, sie zu verändern."

"Kritische Kritik" oder abstrakte Philosophasterei kommt auch bei Marxisten vor. Sie ist im Grunde unvermeidlich. Denn keiner kann die Realität völlig realistisch, wissenschaftlich und praktisch wirksam begreifen. Man kann sich diesem Ideal nur schrittweise annähern. Dennoch gibt es eine "Kritik", die weit über das notwendige Maß an Unwissenheit hinaus geht. Diese "kritische" Kritik ist ein grober Idealismus und ebenso grober Materialismus, der die eigene bürgerlich-elitäre Position idealisiert und die Position des proletarischen Ideologen als vulgäre Rattenfängerei uminterpretiert. Marx schrieb:

"Der grobe Materialismus der Ökonomen [...] ist ein ebenso grober Idealismus, ja Fetischismus, der den Dingen gesellschaftliche Beziehungen aus ihnen immanente Bestimmungen zuschreibt und sie so mystifiziert."

Thomas Seibert erklärt die "kritische Kritik" folgendermaßen:

"Die kritische Kritik ist das Vehikel, das Linken den Weg in den Zynismus ebnet. Der Zynismus ist die Zerrüttung dessen, was ein Subjekt zum freien Subjekt macht, sein Verrat an sich selbst. In Form der diffus-zynischen Vernunft ist der Zynismus die hegemoniale Ideologie einer Epoche, die auf das 'Ende der Ideologie' stolz ist, darin aber nur die Abwesenheit eines revolutionären Projekts feiert. Kritische Kritik ist dann aber, so lässt sich schließen, das Vehikel der Integration von Linken in eben diese diffus-zynische Vernunft. Sie gibt vor, von aller Ideologie frei und deshalb die eigentliche Kritik der Epoche zu sein. Dabei beweist das eine das andere und andersherum: ein Teufelskreis, in dem die Ideologie immer bei den Anderen liegt. So wäre knapp auf den Punkt zu bringen, warum die 'Kritik der kritischen Kritik' (Marx/Engels) nach wie vor eine Hauptaufgabe linker Selbstkritik ist."

Die "kritische Kritik" kann überall dort gefunden werden, wo sich Kritiker gegenüber vermeintlich "beschmutzter" Praxis über jede Kritik und Praxis erhaben wähnen. Diese Form des psychologischen Selbstschutzes und der politischen Kritik ist sowohl bei Jutta Ditfurths Anhängern wie bei Anhängern von Ken Jebsen zu finden. Allerdings ist sie ein typisches Phänomen einer Gesellschaft, die Demokraten verleumdet und Faschisten schützt, die den Sozialstaat abbaut und den autoritären Nachtwächterstaat aufbaut, die nichtssagende Talkshows über hochwertige Interviews stellt, die spekulierende Intellektuelle über protestierende Massen stellt und die revolutionäre Praxis barbarisch unterdrückt und sich zugleich liberal und zivilisiert gibt.