Mittwoch, 26. Februar 2014

Über den Klassenkampf der Arbeiter in der VR China

"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen" und die Geschichte der Volksrepublik China ist ein besonders spannender Abschnitt dieser Geschichte. Die VR China heute ist ein Land mit den schärfsten Klassenkämpfen und und dem größten revolutionären Potenzial. Allerdings hält sich die Staatsmacht trotz dieser Klassenkämpfe am Leben und die herrschenden Klassen Chinas haben das Ruder noch immer fest im Griff. Einige Anmerkungen dazu im Folgenden.

Beispiele für einprägsame Klassenkampf-Ereignisse


Tiananmen-Revolution, 1989


1989 kam es faktisch zu einer revolutionären Situation in China. Arbeiter und die kleinbürgerliche Intelligenzija - vor allem Studierende, aber auch Professoren - besetzten und umringten in Peking wochenlang den Platz des Himmlischen Friedens (tiananmen guanchang 天安门广场).

Allein bei Peking sollen an die 5 Millionen Demonstranten beteiligt gewesen sein. Aber es kam zu weiteren ähnlichen Aktionen in anderen Teilen des Landes. Die Demonstanten stellten nicht nur ökonomische, sondern auch weitgehende politische Forderungen, die sich immer weiter zuspitzten. Es wurde u.a. eine Demokratisierung des Landes und die Absetzung so mächtiger Einzelpersonen wie Deng Xiaoping und Li Peng gefordert. 300.000 Soldaten wurden um Peking herum zusammengezogen, um die Stadt zu sichern. Ca. 30.000 Soldaten wurden dann am 4. Juni zum Tiananmen abkommandiert, um den Platz gewaltsam zu räumen. Dabei wurde vor allem die Arbeiterschaft brutal niedergemetzelt, während die Studierenden eher wenige Tote zu verzeichnen hatten. Denn die Arbeiter waren die gefährlichere Kraft und zugleich für den Staat entbehrbarer. Allerdings wurden die Führer beider Gruppen oft für Jahre inhaftiert oder gleich ermordet. Auch der so genannte "Tank Man", der sich am nächsten Tag vor die einrollenden Panzer stellte, wurde entsorgt. Damit ist die fatale Niederschlagung der Revolution vom Tiananmen erfolgt.

Soldaten räumen den Platz des himmlischen Friedens unfriedlich

Wenn ein Staat, der von Militärs, Bürokraten und Kapitalisten geleitet wird Arbeiter und Studierende gewaltsam unterdrückt, die sich in Massen organisieren, um Demokratie und soziale Forderungen durchzusetzen, dann kann das kaum etwas anderes sein als eine Konterrevolution.

Nach dieser Konterrevolution folgte eine längere Phase der Demotivation. Vor allem wurden die Intellektuellen davon abgeschreckt, sich offen den Angriffen durch den Staat auszusetzen. Die ganze Kultur Chinas wurde davon betroffen. Es ist kein Wunder, dass die "Müll-Literatur", wie Professor Kubin sie nennt, seither einen Aufschwung aufwies. Denn große gesellschaftspolitische Themen waren zu brisant für die kleinbürgerliche Intelligenzija, die ihre neuen Privilegien in der Phase nach Mao nicht umsonst opfern wollten.

Aber auch um die Arbeiterklasse wurde es eine Weile lang still. Die Ruhe endete jedoch mit den Reformen des staatlichen Sektors. Denn es sollte die Hälfte der Arbeiterschaft in den Staats- und Kollektivbetrieben - im so genannten "sozialistischen Sektor" - wegrationalisiert werden.

Die staatlichen Arbeiter, die offiziell noch als "herrschende Klasse" gehandelt wurden, waren empört von dieser Behandlung. Ihre Privilegien wollten sie nicht verlieren. Massive Proteste nahmen in den Jahren rund um die Millenniumswende extrem zu. Eines der bedeutendsten Ereignisse war die Daqing-Rebellion 2002.





Daqing-Rebellion, 2002


2002 kam es zu einer massenhaften Rebellion, die revolutionäres Potenzial hatte. Es kam zur Entlassung von Ölfeld-Arbeitern beim berühmten Ölfeld von Daqing. Die Arbeiter protestierten zunächst gegen „unfaire“ Abfindungen nach massiven Entlassungen und die Unfähigkeit und Böswilligkeit der staatlichen Bürokraten der Ölförderung. Drei Wochen Straßenprotest von ca. 50.000 Arbeitern alarmierten die Herrschenden. Es kam wie in Peking 1989 zur Abriegelung der Stadt, auf die wiederum eine gewaltsame Niederschlagung der Rebellion folgte. Weitere Proteste im Gefolge dieser Rebellion in anderen Örtlichkeiten und Provinzen wurden ebenfalls unterdrückt. Aber das hinderte das Proletariat nicht daran, später erneut zu rebellieren, wie die Liaoyang-Unruhen von 2002 und 2003 zeigten.

Liaoyang-Unruhen, 2002-2003 


Lohnrückstände, Entlassungen, Renten-Streichungen, bekannte Fälle von Korruption durch die staatlichen Vertreter und Polizeigewalt verleiteten die Arbeiter von Liaoyang im Nordosten Chinas zu Protesten, die sich über ein Jahr lang hinzogen. In der Hochphase der Unruhen kamen bis zu 30.000 Arbeiter auf die Straßen der Stadt. Versprechungen und Einschüchterungen durch die KPCh-Bürokraten reichten zur Beendigung der Unruhen nicht aus, sodass es schließlich wieder zur gewalttätigen Repression durch die Staatsmacht kam. Auch hier kam es damit zur Niederlage der Bewegung. Zwei der Rädelsführer wurden für 7 und 4 Jahre inhaftiert. Der China Labour Bulletin verfolgte die ungerechte Klassenjustiz des chinesischen Staates aufmerksam. Aber auch diese staatliche Unterdrückung verhinderte weitere Proteste keineswegs. In der Streikwelle von 2010 zeigten die chinesischen Arbeiter erneut, was sie drauf haben.

Streikwelle, Mai-Juli 2010


Arbeitskräftemangel war ein relativ neues Problem im bevölkerungsreichen China. Im Süden des Landes gibt es aber seit Jahren tatsächlich eine wachsende Arbeitslosigkeit und andererseits einen Mangel an benötigten Arbeitern. Zugleich war der Umsatzzuwachs in der Automobilindustrie enorm, während die Mindestlöhne, die es in China formal gibt, nur minimal gestiegen oder faktisch sogar gesunken sind. Anfang 2010 kam es daher zu Protesten, die durch Auslagerungen, Kündigungen, versteckte Lohnkürzungen und eine Selbstmordwelle beim Apple-Zulieferer Foxconn ausgelöst wurden. Es kam zu einer enormen Ausbreitung der Streiks im Süden. Die Streiks waren hierbei auffällig offensive Lohnkämpfe, die ökonomische mit politischen Forderungen wie Demokratisierung der Betriebsstrukturen verbanden. Zudem war die Streikwelle äußerst erfolgreich, denn es kam zu Lohnzuwächsen von sagenhaften 30%! Es gibt wohl kein anderes Land der Welt, wo es solche erfolgreichen Lohnkämpfe gibt. Aber wieso war diese Streikwelle so erfolgreich? Die Arbeiter in der Automobilindustrie hatten seit einiger Zeit an Macht gewonnen, weil sie gut vernetzt waren und weil die Produktionsweise im Automobilsektor sich gewandelt hatte. Es gibt dort nämlich die für Arbeitsstops sehr anfällige Just-in-time-Produktion, die flexibel und spontan auf Aufträge reagiert. Das macht ermöglicht es den Arbeitern, ebenso flexibel die Just-in-time-Produktion just im rechten Augenblick zu verhindern, was enorme Kosten verursacht und den Kapitalisten besonders weh tut. Sie haben daher furchtbare Angst vor einem derartig flexiblen und selbstbewussten Proletariat.

Erklärung der Klassenkämpfe


Wie kann man diese Klassenkämpfe, ihre Ursachen, ihre Form, ihren Verlauf und ihre Wirkung erklären? Wieso laufen die Kämpfe so anders ab als z.B. in Deutschland?

Das Gemeinsame der Klassenkämpfe in China


Was sind nun die Gemeinsamkeiten dieser verschiedenen Beispiele? Es kommt immer wieder zu politischen Forderungen, die weit über die begrenzten Anliegen der Lohnerhöhnung etc. hinausgehen. Es kommt scheinbar spontan zur Organisation der Proteste. Oft gibt es ungewollte Auslöser durch die Staatsmacht oder die Kapitalseite, die dann spontan Empörung auslösen. Es kommt immer wieder auch zur Gründung autonomer Gewerkschaften oder Arbeiterräte, die eine flexible und demokratisch gewählte Führung der Arbeiterklasse darstellen, während die offizielle Staatsgewerkschaft ACFTU hauptsächlich ein staatlicher Apparat zur Kontrolle des Proletariats ist. Die auffälligen Tendenzen zur Ausbreitung der Aktionen sind ebenso bemerkenswert. Allerdings ist genauso wenig zu missachten, dass die staatliche Gewalt sich stets darum bemüht, die Ausbreitung der Proteste zu verhindern. Es ist ohnehin eines der bemerkenswertesten Charakteristiken der chinesischen Klassenkämpfe, dass der Staat sich ständig einmischt. Der chinesische Kapitalismus ist immerhin ein bürokratischer Staatskapitalismus, der sich seit Jahrzehnten rasant liberalisiert, aber die staatliche Bürokratie nicht aufzulösen beabsichtigt und dem Markt auch keineswegs völlige "Handlungsfreiheit" gewährt. Wie in anderen Ländern soll der Markt ja vor allem den herrschenden Klassen dienen. Ein freier Markt, in dem es zu autonomen Aushandlungen zwischen Kapital und Arbeit kommt, liegt nicht im Interesse der Kapitalseite. Der chinesische Staat ist nicht viel mehr als ein notwendiges Immunsystem oder ein Organ des Kapitals, damit es funktionieren kann. Ohne die Staatsmacht wäre das Kapital bald eine kränkliche Hülle, die von den Arbeitern ordentlich bearbeitet würde. Es wäre ein wehrloses Prügelopfer gegenüber der proletarischen Faust.

Wirtschaftsdaten


Die Urbanisierung erreichte in China erst in den letzten Jahren 50%-Quote. Die Hälfte der Chinesen gehört damit zur städtischen Bevölkerung. Zu Maos Zeiten war die Quote noch weitaus geringer. In einem so bevölkerungsreichen Land wie China heißt das: in den letzten paar Jahrzehnten kam es zur rasantesten Urbanisierung, die die Menschheit bisher erlebt hat. Hunderte von Millionen von rural lebenden Menschen sind urbane Bewohner geworden. Damit einher ging die Verwandlung von weit über 200 Millionen Bauern in Wanderarbeiter.

Die Wanderarbeiter markieren zudem die Industrialisierung Chinas, die ebenfalls einen einmaligen Prozess in der Geschichte darstellt. Industrie ersetzt immer mehr die primitive Kleinstproduktion in Handwerk und Landwirtschaft. Damit einher geht die Ersetzung des hunderte Millionen zählenden alten ruralen Kleinbürgertums in China durch das moderne Proletariat.

Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft ist ebenfalls ein Superlativ. Noch nie gab es in der Weltgeschichte eine so rasant verlaufende Vervielfachung eines nationalen Bruttoinlandsprodukts. Andere Staaten können davon nur träumen und tun es tatsächlich auch. Das chinesische Modell wird überall auf der Welt eifrig studiert, um es nachzuahmen, was allerdings nicht so einfach ist. In demokratischen Ländern müssen dafür zunächst die demokratischen Verhältnisse abgebaut werden und in anderen zurückgebliebenen Ländern müssen erst einmal die staatlichen und internationalen Handels- und Investitionsbedingungen geschaffen werden, die China so begünstigten. Nicht einmal Indien, ein vergleichbares Land, kann China nachahmen.

Allerdings sind die westlichen Staaten bereits eifrig dabei, die demokratischen Errungenschaften abzubauen, die in China die Kapitalakkumulation nicht behindern. Europa bricht auch deswegen auseinander. Denn ein Europa des reinen Kapitals ist unsolidarisch und muss in Chaos auseinanderfallen. Genau das ist der gegenwärtige Prozess. Entweder wird er durch eine soziale Union der europäischen Staaten zurückgenommen oder er wird in eine autoritäre, autokratische europäische Staatsmacht münden, die alle Proteste seiner Bevölkerung im Keim erstickt, so wie es auch in China versucht wird.

Die Lohnsteigerungen in China kamen trotz ihres Wachstum nicht im Geringsten dem Wachstum der Produktivität, der Warenproduktion, der Kapitalakkumulation und den Profiten der Kapitalisten nach. Die moralische Entrüstung der chinesischen Bevölkerung darf nicht verwundern. Die unglaublichen Reichtümer, die sich in China ansammeln, sind so gewaltig, dass man damit einen Großteil der Weltprobleme beseitigen könnte. Allerdings haben die Kapitalisten daran momentan kein Interesse. Es ist für sie günstiger, dreckig, asozial und antidemokratisch zu wirtschaften. Erst wenn die sozialpolitische und ökologische Krise in China solche Ausmaße angenommen hat, dass sie die Existenz des Kapitals an sich bedroht durch den Aufstand einer proletarischen Klasse für sich wird es zu einer radikalen Wandlung der kapitalistischen Produktionsweise in China kommen. Und die historischen Beispiele zeigen, dass dieser revolutionäre Ausbruch nicht allzu fern ist.

Entlassungen und Unterbeschäftigung sind ein Teil des Arbeitslosigkeitsproblems in China. Offiziell liegt sie bei unter 10%, in der Realität dürfte sie eher zwischen 20 und 30% liegen. 30% Arbeitslosigkeit in China sind über 200 Millionen Menschen, die kaum einer geregelten Arbeit nachgehen können. Natürlich sind das zumeist Wanderarbeiter, die gerade so überleben. Aber auch unter den städtischen Bewohnern mit städtischer Wohnerlaubnis und Anbindung ("hukou" 户口) gibt es prekarisierte Elemente, die sich als Tagelöhner, Bettler, "Müllmenschen", Prostituierte, Kleinkriminelle etc. durchschlagen müssen. Die elenden Verhältnisse dieser Menschen werfen ein schlechtes Licht auf den "Sozialismus mit chinesischen Merkmalen", der nie ein Sozialismus war, sondern immer schon ein bürokratischer Staatskapitalismus.

Klassenkampf-Superlative


In China gibt es lauter Klassenkampf-Superlative, die kaum zu schlagen sind. Es gibt die größten Klassen in diesem Land: die größte Arbeiterklasse, die größte Klasse an Wanderarbeitern und die größte Bauernklasse, sofern man die Wanderarbeiter dazuzählt. Es kam mit der den angeblich fünf Millionen Protestlern in der Tiananmen-Revolution zum größten streikartigen Vorfall in einer einzigen Stadt, in Peking. Es gibt in China die längsten Schichten, die längsten Wochenarbeitszeiten, die längsten Lohnrückstande, die über Jahr gehen können, die größten Lohnerkämpfungen von bis zu 30% und den rasantesten Anstieg kollektiver Aktionen und Petitionen.

Die Massenvorfälle zwischen 1993 und 2005 sind gemäß offiziellen Zahlen in 12 Jahren auf das Zehnfache angestiegen, tatsächlich sind sie vermutlich aber noch rasanter gestiegen. Zudem werden die staatlichen Statistiken zu solchen Zahlen nicht mehr öffentlich zugänglich gemacht.








 

Daten zur Arbeiterklasse


Wie sieht die Arbeiterklasse in China aus? Von 1,3 Mrd. Chinesen sind etwa 650 Mio. Städter (50%), 761 Mio. Beschäftigte (56%), 350-400 Mio. sind Arbeiter (-30%), 250 Mio. Wanderarbeiter meist im privaten Sektor (18%) und 65 Mio. Staatsarbeiter (5%). Die Zahlen sind nur ein ungefährer Richtwert. Es gibt scharfe Diskussionen über die Gültigkeit solcher Zahlen. Zudem muss man für eine ordentliche Klassenanalyse Chinas eigentlich eine leistungsstärkere Klassentheorie nutzen als sie bisher existiert. Die bisherigen Klassentheorien sind oft zu schematisch, zu analytisch oder zu diffus. Es fehlt ihnen an Dialektik, um es mal so auszudrücken. Aber dazu später mal mehr.

Politik in der Reform-Ära


Das Problem der Revolution durch die chinesische Arbeiterklasse ist wie in anderen Ländern vielschichtig, aber durchschaubar. Es gibt den Mechanismus der Verbürgerlichung der Arbeiter, aber ebenso auch die Spaltung, Fragmentierung und Isolierung der Arbeiter. Zudem kommt es zu verschiedensten Unterdrückungsmaßnahmen durch den Staat und andere Klassen und Klassenfraktionen.

Die hegemoniale Ideologie im neuen China ist von Konsum-Wahn, Individualismus, Sozialdarwinismus und Entpolitisierung geprägt. Die Arbeiter werden zunehmend aus der alten maoistischen Einbindung im Betrieb herausgelöst und ihrem Schicksal überlassen. Zugleich schaffen sie es meist nicht, sich von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich zu wandeln. Die bürgerliche Gesellschaft in China verhindert das weitgehend. Und sobald die Arbeiter zur Klasse für sich werden, zu selbstbewussten Mitgliedern einer sozialen Schicksalsgemeinschaft, die im Widerspruch zum Kapital steht, wird sie durch die Klassenfeinde bekämpft.

Die Politik wird von "Technokraten" geführt, die die chinesische Bevölkerung im Grunde als formbare Masse, als Instrument und Menschenmaterial betrachten, mit dem zwar nicht zu spaßen ist, das aber geschickt gelenkt werden kann. Die Biomasse der chinesischen Bevölkerung wird somit von einer "Biopolitik" der Technokraten den technokratischen Ansprüchen des chinesischen Kapitals entsprechend bearbeitet. Die chinesische Technokratie ist einerseits äußerst rückständig und andererseits ziemlich fortgeschritten. Auf den "eisernen Sesseln" in China sitzen die geschicktesten Politiker, die die Welt je gesehen hat. Allerdings sind sie noch gezwungen, die "eisernen Reisschalen" der chinesischen Bevölkerung mit plumpen Methoden zu zerschlagen. Sobald Chinas Gesellschaft den sozialen Standard des heutigen Westens aufgeholt hat, wird die chinesische Technokratie womöglich der eleganteste Herrschaftsapparat der Weltgeschichte sein. Aber vielleicht wird das auch von inneren oder äußeren Konflikten verhindert werden. Kommen wir zu den inneren Konflikten zurück.

Die zwei großen Protest-Regionen in China


In China gibt es zwei Regionen, die sich nicht nur sprachlich, sondern auch sozial, kulturell, politisch und ökonomisch auffällig unterscheiden. Die wunderbare Chinaforscherin Ching Kwan Lee hat den Unterschied der beiden Regionen in Bezug auf die Arbeiterklasse meisterlich nachgezeichnet. Ching Kwan Lee zufolge gibt es die Region des nordöstlichen "Rustbelt" einerseits und die südöstliche Region des "Sunbelt" andererseits.

Im Nordosten ist traditionell die staatliche Schwerindustrie mit ihren schwerfälligen Staatsbetrieben und den fest angestellten Arbeitern angesiedelt. Die Staatsarbeiter wurden lange Zeit als die "herrschende Klasse" in China stilisiert. Das hatte natürlich mit der Realität nur sehr wenig gemein, aber diente der Ruhighaltung dieser gefährlichen Fraktion der Arbeiterklasse. Die Abwicklung großer Teile der staatlichen Industrie war daher der Hauptgrund für die Arbeiterproteste im Nordosten. Die Staatsarbeiter im Norden argumentieren gerne mit ihrer traditionellen Bevorzugung als "herrschende Klasse" und als "Führer des Betriebs" im chinesischen "Sozialismus", um sozialen Kahlschlag zu verhindern. Dabei genießen sie oft die Sympathie aus der Bevölkerung.

Im Südosten ist die private Leichtindustrie chinesischer und ausländischer Konzerne beheimatet. Rasantes Wachstum der exportorientierten Privatwirtschaft sorgte für den ebenso rasanten Aufstieg der südöstlichen Arbeiterschaft, die zum großen Teil aus Wanderarbeitern vom Land besteht. In den letzten Jahren sind diese Arbeiter immer selbstbewusster geworden. Anders als die Staatsarbeiter argumentieren die Wanderarbeiter weniger mit Privilegien in der Mao-Zeit, die sie ja nicht hatten, zumal diese Klasse relativ jung ist. Sie argumentieren eher mit Rechtsstaatlichkeit und unerträglichen Zuständen. Anders als die Staatsarbeiter genießen die Wanderarbeiter, die im Grunde innerchinesische Migranten sind, nicht allzu viel Respekt vom Rest der Bevölkerung. Sie werden oft diffamiert, diskriminiert und wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Oft haben sie keine Erlaubnis, in den Städten dauerhaft zu verbleiben. Der "hukou", die rurale Anbindung dieser Menschen durch den Staat, ist eine Form der Apartheid gegenüber den Arbeitern vom Land. Damit wird die chinesische Bevölkerung auf diskriminierende Weise gespalten. Der Sozialchauvinismus oder -darwinismus der nunmehr unpolitischen und neoliberal gesinnten Chinesen tut sein Übriges.


China. Diagonal nordöstlich von Yinchuan, Zhengzhou und Nanjing ist der Nordosten Chinas. Diagonal südöstlich von Qufu, Wuhan und Kunming ist der Südosten Chinas. Diese beiden Linien markieren die zwei großen Protestregionen des Landes.























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