Sonntag, 28. August 2016

Mehr Texte von Leo Kofler online!

Die Leo Kofler-Gesellschaft e.V. hat weitere Artikel von Leo Kofler hochgeladen und verkündet:

Leo Kofler
"Nach unserer erfolgreichen Etablierung auf Facebook haben wir nun auch wieder die Arbeit an unserer Gesellschafts-Homepage aufgenommen und insgesamt zehn neue Texte von Leo Kofler online gestellt. Weitere Texte von und zu Kofler sollen (in unregelmäßigen Abständen) folgen. Anregungen, Tipps und Kritiken zur besseren Gestaltung der Homepage oder zu Verbreitung der Arbeiten Leo Koflers sind uns willkommen. Besuchen Sie uns also einfach auf www.leo-kofler.de oder auf https://www.facebook.com/Leo-Kofler-218261621626134/ oder schreiben Sie uns: zentrale@leo-kofler.de."

Die Artikel von Leo Kofler finden sich hier. Es handelt sich um die folgenden Texte:


Das Copyright für alle Kofler-Texte liegt bei der Leo Kofler-Gesellschaft e. V.

Freitag, 26. August 2016

Luther - "ein deutscher Rebell"?

Im Deutschlandfunk konnte man heute vernehmen, dass Martin Luther (1483-1546) "ein deutscher Rebell" gewesen sei, ein "konservativer Revolutionär", ein Individualist und nicht zuletzt ein gewöhnlicher Mensch mit den Schwächen, die ein Mensch nunmal so habe - Völlerei, Trunksucht, Antisemitismus. Der da interviewte Autor der neuen Lutherbiographie, Willi Winkler, betreibt mit dieser Darstellung eine ungeheuerliche Geschichtsklitterung. Zwar war Luther in der Tat ein Antisemit, aber er war noch viel mehr ein Konterrevolutionär und Feind der Demokratie. Um das zu verstehen, muss man nicht einmal das Buch gelesen haben. Schon der Klappentext des Buches, das bei Rowohlt erscheint, ist anstößig:

"Er war der größte Rebell, den die deutsche Geschichte aufzuweisen hat – und wollte doch nichts weniger sein. Martin Luther hat mit den sagenhaften Hammerschlägen, mit denen er seine 95 Thesen an das Tor der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte, das Mittelalter beendet und ein neues Zeitalter begründet: das, in dem wir heute leben. Die von ihm angestoßene Reformation wirkte wie ein ungeheurer Modernisierungsschub, auf Kunst und Alltagsleben, Literatur, Wissenschaft und Publizistik; Luthers Bibelübersetzung ist der Grundtext für das heutige Deutsch. Vor allem aber gab der entlaufene Augustinermönch den Deutschen zum ersten Mal einen Begriff von der Individualität des Menschen: Du allein verfügst über dich, nicht der Kaiser, nicht der Papst, niemand außer Gott. Luther ist eine einzigartige Figur in der europäischen Geschichte. Ohne ihn wäre die Welt ärmer – auf jeden Fall eine andere.Willi Winkler geht es darum, den ganzen Luther in den Blick zu nehmen, ihn als den Mann zu zeigen, der seine Welt vom Kopf auf die Füße gestellt hat, vor dem Hintergrund des aufregenden 16. Jahrhunderts, in dem die Neuzeit beginnt. Rechtzeitig zum Reformationsjahr erscheint diese große Biographie, die alle Anlagen zum Klassiker hat."
Thomas Münzer, der protestantische Revolutionär
und Bauernführer

Luther mag Individualist und Anhänger eines entstehenden Kapitalismus gewesen sein. Er hat auch das Papsttum und den katholischen Seelenhandel herausgefordert. Aber ein Rebell und Revolutionär war er keinesfalls. Im Gegenteil! Luther war ein geistiger Brandstifter und Teilnehmer eines Kreuzzugs gegen echte Rebellen und Revolutionäre. Ausgerechnet ein Schüler und Anhänger von Luther entlarvte die reaktionäre Gesinnung des Reformators. Und ausgerechnet eine wirkliche Rebellion und Revolution zwang Luther, sich zu Mord und Totschlag an einfachen Menschen zu bekennen. 

Als der Pfarrer Thomas Münzer (1489-1525), der zunächst ein begeisterter Protestant im Sinne Luthers war, mit diesem brach, spiegelte das den größeren Bruch zwischen Bauern und städtischem Bürgertum wieder. Münzer hatte mit Luther gebrochen, weil Luther in Wirklichkeit weder demokratisch noch radikal war. Die damalige deutsche Gesellschaft brodelte. Adel und Klerus unterdrückten die demokratischen Neigungen der Bauernmassen, während das neu entstehende städtische Bürgertum sich bereits anschickte, eigene Interessen geltend zu machen. Die Bauern auf dem Land und die Kleinbürger in den Städten wollten mehr vom Kuchen abbekommen und sich geistig nicht mehr an die Mächtigen fesseln lassen. Es kam daher zum Klassenkampf: 

"Außer Fürsten und Pfaffen finden wir Adel und Bauern auf dem Land, Patrizier, Bürger und Plebejer in den Städten, lauter Stände, deren Interessen einander total fremd waren, wenn sie sich nicht durchkreuzten und zuwiderliefen. Über allen diesen komplizierten Interessen, obendrein, noch das des Kaisers und des Papstes. Wir haben gesehen, wie schwerfällig, unvollständig und je nach den Lokalitäten ungleichförmig diese verschiedenen Interessen sich schließlich in drei große Gruppen formierten; wie trotz dieser mühsamen Gruppierung jeder Stand gegen die der nationalen Entwicklung durch die Verhältnisse gegebene Richtung opponierte, seine Bewegung auf eigene Faust machte, dadurch nicht nur mit allen konservativen, sondern auch mit allen übrigen opponierenden Ständen in Kollision geriet und schließlich unterliegen mußte. So der Adel im Aufstand Sickingens, die Bauern im Bauernkrieg, die Bürger in ihrer gesamten zahmen Reformation. So kamen selbst Bauern und Plebejer in den meisten Gegenden Deutschlands nicht zur gemeinsamen Aktion und standen einander im Wege."

Luthers Reformation schien zunächst die passende Ideologie für diese revolutionäre Bewegung darzustellen. Aber sobald die Massen sich radikalisiert hatten, erkannte Luther, dass sie die gesamte Gesellschaft hätten sprengen müssen. So weit wollte er nicht gehen. Während Münzer die Bauernmassen Deutschlands tatsächlich vom Joch durch den katholischen Aberglauben und die Reichen befreien wollte, ruderte Luther also schnell zurück, sobald seine Lehre wirklich revolutionär wirkte. Daher musste sich der Prediger des evangelischen Gewissens entscheiden und er entschied sich dazu, ohne jegliche Gewissensbisse die Seite der Konterrevolution zu ergreifen und Münzer, den echten Revolutionär dieser Zeit, zu vernichten. Friedrich Engels beschrieb Münzer in seinem Werk über "Die deutschen Bauernkriege" so:

"Stellen wir nun dem bürgerlichen Reformator Luther den plebejischen Revolutionär Münzer gegenüber. Thomas Münzer war geboren zu Stolberg am Harz, um das Jahr 1498. Sein Vater soll, ein Opfer der Willkür der Stolbergschen Grafen, am Galgen gestorben sein. Schon in seinem fünfzehnten Jahre stiftete Münzer auf der Schule zu Halle einen geheimen Bund gegen den Erzbischof von Magdeburg und die römische Kirche überhaupt.Seine Gelehrsamkeit in der damaligen Theologie verschaffte ihm früh den Doktorgrad und eine Stelle als Kaplan in einem Nonnenkloster zu Halle. Hier behandelte er schon Dogmen und Ritus der Kirche mit der größten Verachtung, bei der Messe ließ er die Worte der Wandlung ganz aus und aß, wie Luther von ihm erzählt, die Herrgötter ungeweiht. Sein Hauptstudium waren die mittelalterlichen Mystiker, besonders die chiliastischen Schriften Joachims des Calabresen. Das Tausendjährige Reich, das Strafgericht über die entartete Kirche und die verderbte Welt, das dieser verkündete und ausmalte, schien Münzer mit der Reformation und der allgemeinen Aufregung der Zeit nahe herbeigekommen.Er predigte in der Umgegend mit großem Beifall. 1520 ging er als erster evangelischer Prediger nach Zwickau . Hier fand er eine jener schwärmerischen chiliastischen Sekten vor, die in vielen Gegenden im stillen fortexistierten, hinter deren momentaner Demut und Zurückgezogenheit sich die fortwuchernde Opposition der untersten Gesellschaftsschichten gegen die bestehenden Zustände verborgen hatte und die jetzt mit der wachsenden Agitation immer offener und beharrlicher ans Tageslicht hervortraten."

Münzer forderte nun also die katholische Kirche ebenso heraus wie Luthers Reformationsbewegung. Er ging aber noch weiter. Sein Christentum war plebejisch, demokratisch und irdisch. Erlösung war für ihn nichts, das nach dem Tod erst beginnt. Erlösung war für Münzer im Grunde die Befreiung der leidenden Massen von der feudalen Unterjochung. "Nach Müntzers theologischer Überzeugung forderte die Heilige Schrift die Freiheit des Menschen. Er wurde von den Fürsten misstrauisch beäugt und geriet immer wieder in Konflikt mit der Obrigkeit. Als 1524 der Deutsche Bauernkrieg ausbrach, schlug Müntzer sich auf die Seite der Landleute. Bald wurde er zu einer Leitfigur des Aufstands", so schreibt sogar das ZDF. Münzer war dank seiner demokratischen Ideologie zum Anführer der bäuerlich-demokratischen Bewegung geworden. Und die Bauern wollten sich nicht mit Luthers bescheidenen Reformen abspeisen lassen. Das musste zum Bürgerkrieg führen. Engels beschrieb Münzers Rolle im anstehenden Bauernkrieg:

"Nicht nur die damalige Bewegung, auch sein ganzes Jahrhundert war nicht reif für die Durchführung der Ideen, die er selbst erst dunkel zu ahnen begonnen hatte. Die Klasse, die er repräsentierte, weit entfernt, vollständig entwickelt und fähig zur Unterjochung und Umbildung der ganzen Gesellschaft zu sein, war eben erst im Entstehen begriffen. Der gesellschaftliche Umschwung, der seiner Phantasie vorschwebte, war noch so wenig in den vorliegenden materiellen Verhältnissen begründet, daß diese sogar eine Gesellschaftsordnung vorbereiteten, die das gerade Gegenteil seiner geträumten Gesellschaftsordnung war.Dabei aber blieb er an seine bisherigen Predigten von der christlichen Gleichheit und der evangelischen Gütergemeinschaft gebunden; er mußte wenigstens den Versuch ihrer Durchführung machen. Die Gemeinschaft aller Güter, die gleiche Verpflichtung aller zur Arbeit und die Abschaffung aller Obrigkeit wurde proklamiert. Aber in der Wirklichkeit blieb Mühlhausen eine republikanische Reichsstadt mit etwas demokratisierter Verfassung, mit einem aus allgemeiner Wahl hervorgegangenen Senat, der unter der Kontrolle des Forums stand, und mit einer eilig improvisierten Naturalverpflegung der Armen.Der Gesellschaftsumsturz, der den protestantischen bürgerlichen Zeitgenossen so entsetzlich vorkam, ging in der Tat nie hinaus über einen schwachen und unbewußten Versuch zur übereilten Herstellung der späteren bürgerlichen Gesellschaft.Münzer selbst scheint die weite Kluft zwischen seinen Theorien und der unmittelbar vorliegenden Wirklichkeit gefühlt zu haben, eine Kluft, die ihm um so weniger verborgen bleiben konnte, je verzerrter seine genialen Anschauungen sich in den rohen Köpfen der Masse seiner Anhänger widerspiegeln mußten. Er warf sich mit einem selbst bei ihm unerhörten Eifer auf die Ausbreitung und Organisation der Bewegung; er schrieb Briefe und sandte Boten und Emissäre nach allen Seiten aus. Seine Schreiben und Predigten atmen einen revolutionären Fanatismus, der selbst nach seinen früheren Schriften in Erstaunen setzt.Der naive jugendliche Humor der revolutionären Münzerschen Pamphlete ist ganz verschwunden; die ruhige, entwickelnde Sprache des Denkers, die ihm früher nicht fremd war, kommt nicht mehr vor. Münzer ist jetzt ganz Revolutionsprophet; er schürt unaufhörlich den Haß gegen die herrschenden Klassen, er stachelt die wildesten Leidenschaften auf und spricht nur noch in den gewaltsamen Wendungen, die das religiöse und nationale Delirium den alttestamentarischen Propheten in den Mund legte. Man sieht aus dem Stil, in den er sich jetzt hineinarbeiten mußte, auf welcher Bildungsstufe das Publikum stand, auf das er zu wirken hatte.Das Beispiel Mühlhausens und die Agitation Münzers wirkten rasch in die Ferne. In Thüringen, im Eichsfeld, im Harz, in den sächsischen Herzogtümern, in Hessen und Fulda, in Oberfranken und im Vogtland standen überall Bauern auf, zogen sich in Haufen zusammen und verbrannten Schlösser und Klöster. Münzer war mehr oder weniger als Führer der ganzen Bewegung anerkannt".

Während die Bauern Ländereien konfiszierten und sich gegen Adel und Klerus bewaffneten, forderte Luther den Bürgerkrieg gegen die Ärmsten der Gesellschaft:

"Daß Luther, als nunmehr erklärter Repräsentant der bürgerlichen Reform, den gesetzlichen Fortschritt predigte, hatte seine guten Gründe. Die Masse der Städte war der gemäßigten Reform zugefallen; der niedere Adel schloß sich ihr mehr und mehr an, ein Teil der Fürsten fiel zu, ein anderer schwankte. Ihr Erfolg war so gut wie gesichert, wenigstens in einem großen Teile von Deutschland. Bei fortgesetzter friedlicher Entwicklung konnten die übrigen Gegenden auf die Dauer dem Andrang der gemäßigten Opposition nicht widerstehn.Jede gewaltsame Erschütterung aber mußte die gemäßigte Partei in Konflikt bringen mit der extremen, plebejischen und Bauernpartei, mußte die Fürsten, den Adel und manche Städte der Bewegung entfremden und ließ nur die Chance entweder der Überflügelung der bürgerlichen Partei durch die Bauern und Plebejer oder der Unterdrückung sämtlicher Bewegungsparteien durch die katholische Restauration.Und wie die bürgerlichen Parteien, sobald sie die geringsten Siege erfochten haben, vermittelst des gesetzlichen Fortschritts zwischen der Scylla der Revolution und der Charybdis der Restauration durchzulavieren suchen, davon haben wir in der letzten Zeit Exempel genug gehabt. Wie unter den allgemein gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen der damaligen Zeit die Resultate jeder Veränderung notwendig den Fürsten zugute kommen und ihre Macht vermehren mußten, so mußte die bürgerliche Reform, je schärfer sie sich von den plebejischen und bäurischen Elementen schied, immer mehr unter die Kontrolle der reformierten Fürsten geraten.Luther selbst wurde mehr und mehr ihr Knecht, und das Volk wußte sehr gut, was es tat, wenn es sagte, er sei ein Fürstendiener geworden wie die andern, und wenn es ihn in Orlamünde mit Steinwürfen verfolgte. Als der Bauernkrieg losbrach, und zwar in Gegenden, wo Fürsten und Adel größtenteils katholisch waren, suchte Luther eine vermittelnde Stellung einzunehmen. Er griff die Regierungen entschieden an. Sie seien schuld am Aufstand durch ihre Bedrückungen; nicht die Bauern setzten sich wider sie, sondern Gott selbst. Der Aufstand sei freilich auch ungöttlich und wider das Evangelium, hieß es auf der andern Seite. Schließlich riet er beiden Parteien, nachzugeben und sich gütlich zu vertragen.Aber der Aufstand, trotz dieser wohlmeinenden Vermittlungsvorschläge, dehnte sich rasch aus, ergriff sogar protestantische, von lutherischen Fürsten, Herren und Städten beherrschte Gegenden und wuchs der bürgerlichen, "besonnenen" Reform rasch über den Kopf. In Luthers nächster Nähe, in Thüringen, schlug die entschiedenste Fraktion der Insurgenten unter Münzer ihr Hauptquartier auf. Noch ein paar Erfolge, und ganz Deutschland stand in Flammen, Luther war umzingelt, vielleicht als Verräter durch die Spieße gejagt, und die bürgerliche Reform weggeschwemmt von der Sturmflut der bäurisch-plebejischen Revolution.Da galt kein Besinnen mehr. Gegenüber der Revolution wurden alle alten Feindschaften vergessen; im Vergleich mit den Rotten der Bauern waren die Diener der römischen Sodoma unschuldige Lämmer, sanftmütige Kinder Gottes; und Bürger und Fürsten, Adel und Pfaffen, Luther und Papst verbanden sich 'wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern'."Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muß!" schrie Luther. 'Darum, liebe Herren, loset hie, rettet da, steche, schlage, würge sie, wer da kann, bleibst du darüber tot, wohl dir, seligeren Tod kannst du nimmermehr überkommen.'"

Die "lieben Herren" stachen, schlugen und würgten die Bauern in der Tat. Sie richteten furchtbare Massaker an ihren revoltierenden Knechten an und stellten die Lage vor dem Aufstand weitgehend wieder her. Engels fasste das Resultat der besiegten Bauernrevolution zusammen:

"Die Bauern waren überall wieder unter die Botmäßigkeit ihrer geistlichen, adligen oder patrizischen Herren gebracht; die Verträge, die hie und da mit ihnen abgeschlossen waren, wurden gebrochen, die bisherigen Lasten wurden vermehrt durch die enormen Brandschatzungen, die die Sieger den Besiegten auferlegten. Der großartigste Revolutionsversuch des deutschen Volks endigte mit schmählicher Niederlage".

Nicht Luther war der deutsche Rebell und Revolutionär, sondern sein abtrünniger Schüler und Konkurrent Thomas Münzer war der wirkliche Held der damaligen Zeit. Münzer bleibt auch heute noch ein glänzendes Beispiel für volkstümliche, linkspopulistische Politik, während Luther mehr den feigen Rechtspopulisten und korrupten Politikern von heute ähnelte.


Freitag, 12. August 2016

Mike Nagler: Stellungnahme

Mike Nagler
Mike Naglers Stellungnahme vom 13. Juli deckt sich inhaltlich völlig mit der hier vertretenen Auffassung, ist aber wesentlich klarer und schöner geschrieben. Daher im Folgenden die gesamte Stellungnahme von Mikes Blog gespiegelt:

Stellungnahme


Aufgrund aktueller Diskussionen um meine Person möchte ich zu gewissen Vorwürfen und kritischen Kommentaren, die meine politische Arbeit betreffen, Stellung nehmen.

Die Existenz von verschiedenen Blogeinträgen und Artikeln im Internet hat dazu geführt, dass meine Äußerungen, meine Aktionen und nicht zuletzt auch meine Intentionen von einigen Personen meiner Meinung nach fehleingeschätzt wurden und werden. Ich war bisher der Auffassung, dass sich solche Unklarheiten über meine politische Positionierung in persönlichen Gesprächen besser klären lassen als auf schriftlichem Weg, doch die Erfahrungen der letzten Wochen haben die Notwendigkeit einer solchen Stellungnahme verdeutlicht. Dies vor allem deshalb, da ich mittlerweile sehe, dass meine Person wie auch meine Arbeit weiterhin gezielt diffamiert werden und dies Spaltungen in einigen Netzwerken herbeiführt und wohl auch herbeiführen soll. Maßgeblich geht es hier um mein friedenspolitisches Engagement vor zwei Jahren, zu welchem aber auch heute noch diverse Artikel veröffentlicht werden, die mir u.a. „Querfrontbestrebungen“, „Rechtsoffenheit“, „Antisemitismus“, „Verschwörungstheorien“ und noch weiteres andichten. Ich hoffe, dass die Schreiber/innen und die Rezipienten ihre bisherigen Aussagen und Auffassungen überdenken und sie gegebenenfalls revidieren.

Ich bin seit knapp 16 Jahren in Leipzig politisch aktiv und setze mich lokal wie überregional für eine gerechtere Welt ein, indem ich mich für den Erhalt öffentlicher Daseinsvorsorge (u.a.), entwicklungspolitische Bildungsarbeit (u.a.), gegen die Ökonomisierung der Hochschulen, für Umverteilung von oben nach unten, für Regulierungen der Finanzmärkte (u.a.), Steuergerechtigkeit, Entmilitarisierung, Abrüstung und Frieden stark mache. Mein Engagement wendet sich immer auch gegen Nazis und Rechtspopulist/innen, gegen Chauvinismus, Rassismus, Antisemitismus, völkische Ideologien und sonstige Positionen der Ungleichwertigkeit oder gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.

Trotzdem wurde in der Vergangenheit der Vorwurf laut, dass ich eine sogenannte „Querfront“ unterstützen und damit „zur Verbreitung von Ideologien der Ungleichwertigkeit beitragen” würde. Menschen, mit denen ich politisch zusammenarbeite und die mich seit Jahren kennen, können diesen Vorwurf nicht nachvollziehen. So hat z.B. attac Leipzig deutlich gemacht, dass mit Blick auf meine Person „kein Zweifel an seiner klaren Abgrenzung zu rechtem, rechtsoffenem oder anderweitig antiemanzipatorischem oder menschenfeindlichem Gedankengut“ besteht.

Im Frühling 2014 haben sich einige Menschen in Leipzig wie auch in anderen Teilen des Landes aufgrund der Kriegshandlungen in der Ukraine auf die Straße begeben. Die berechtigte Sorge um das Aufflammen von Kriegshandlungen nach der Nichtunterzeichnung des Freihandelsabkommens mit der EU durch die ukrainische Regierung und die einseitige Darstellung in einer Vielzahl von großen Medien brachte viele Menschen dazu, für Frieden zu protestieren.

In einer Stellungnahme vom Mai 2015 von Leipziger Courage-Preisträger_innen zur Leipziger Friedensbewegung (LINK) geht es um deren Beteiligung (meine sehe ich hier eingeschlossen) an den Leipziger Montagsmahnwachen sowie am sogenannten Friedenswinter 2014/2015. (Der Vollständigkeit halber hier die spontane, in ähnlicher Sprache verfasste Reaktion von einigen Aktiven LINK, die ich heute aus sprachlichen, nicht aus inhaltlichen Gründen anders formulieren würde.)

An den Montagsmahnwachen haben tatsächlich auch Leute mit kruden Ansichten teilgenommen. Diese waren in Leipzig jedoch kaum sichtbar und spielten keine einflussreiche Rolle. Wegen Differenzen über die basisdemokratische Ausgestaltung und weil diese Leute ein Problem mit der klaren inhaltlichen Ausrichtung der Leipziger Montagsmahnwache hatten (“Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!”), kam es bald zur Abspaltung. Das genannte Motto war ab der dritten Mahnwache auf dem großen Frontbanner der Montagsmahnwachen zu lesen und wurde damals von mir zusammen mit anderen angefertigt und genau deswegen gut sichtbar mitgeführt und bei den Kundgebungen gezeigt, um Leute mit rechtem Gedankengut fernzuhalten. Dass auf der Leipziger Mahnwache kein Platz für Rassismus, Antisemitismus oder menschenfeindliche Positionen sein darf, ist immer Konsens in der Vorbereitungsgruppe gewesen und wurde auf jeder Mahnwache am Mikrofon betont.

Dennoch war die mediale Darstellung der Mahnwachen derart negativ, dass das friedenspolitische Engagement nicht nur unterging, sondern letztlich auch generell nachhaltig geschwächt wurde. Versuche einer differenzierten und sachlichen Auseinandersetzung wurden nicht gehört, sondern die berechtigte Kritik an einzelnen Akteuren wurde auf die gesamte Friedensbewegung angewendet. (Hier der Aufruf den wir damals geschrieben haben gegen die pauschale Verurteilung der Mahnwachen. LINK)

Ob meine Teilnahme an den Montagsmahnwachen in Leipzig und dem bundesweiten Friedenswinter ein taugliches Mittel gewesen ist, dem Thema Frieden und Entmilitarisierung zu der Aufmerksamkeit zu verhelfen, die es verdient und nötig hat, mag man unterschiedlich beurteilen. Aus meiner Sicht überwiegen die positiven Effekte durch die neu gewonnenen, sehr aktiven Personen. Dennoch muss auch gesagt werden, dass sich durch die Angriffe auf die Mahnwachen und die Verurteilung viele Menschen, die sich das erste Mal in ihrem Leben engagiert haben, in die politische Passivität zurückgezogen haben, was ich zutiefst bedauere. Ich denke, dass politische Arbeit und die Teilnahme an Protesten immer auch Bildungsarbeit ist, um möglichst viele Menschen und besonders jene, die politisch bisher nicht aktiv waren, für existierende Probleme zu sensibilisieren. Dass dazu auch Diskussionen mit Andersdenkenden gehören, liegt in der Natur der Sache und ist auch ihr Sinn. Denn eines ist klar: Wenn ich etwas verändern möchte in einer Gesellschaft, – und diesen Anspruch habe ich -, dann muss ich auch und gerade mit Menschen sprechen, die nicht meine Überzeugung in allen Punkten teilen. Daher habe ich die Mahnwachen immer auch als Bildungsprojekt gesehen, um möglichst viele für ein differenziertes und emanzipatorisches politisches Bewusstsein und Engagement zu gewinnen. Ich finde, man muss mit den Menschen offen und ehrlich reden, diskutieren und widersprechen. Das heißt gelebte Pluralität von Meinungen bei gleichzeitiger deutlicher Ablehnung jeglicher Form menschenfeindlicher Einstellungen.

Durch die frühen medialen Angriffe auf die Mahnwachen und die damit einhergehende Schwächung jeglichen friedenspolitischen Engagements wurde aus meiner Sicht eine der Grundlagen für das Entstehen von rassistischen Mobilisierungen wie Pegida gelegt. Beachtliche Teile fortschrittlicher, emanzipatorischer oder linker Kräfte waren nicht in der Lage, die Friedensmahnwachen ernst zu nehmen und inhaltlich zu begleiten. Von Vielen wurde stattdessen eine passive Rolle eingenommen, in der man seit anderthalb Jahren nur noch reagiert und sich bspw. beim (wichtigen) Engagement gegen Legida von rechts den Takt vorgeben lässt, ohne aber die Ursachen zu benennen und die soziale Frage zu stellen, geschweige denn in eine aktive Rolle zu kommen.

Bedauernswerte Folge der Mahnwachen und des Umgangs mit ihnen ist, dass ein vergiftetes Klima innerhalb von Bewegungen und Bündnissen entstand, das alle Beteiligten viel Kraft und Zeit gekostet hat und noch immer kostet – Kraft und Zeit, die in der wichtigen Aufklärungs- und Protestarbeit fehlt. Wenn ich auf die teils vorwurfsvollen und beleidigenden Anwürfe nicht immer sachlich und ruhig reagiert habe, dann bedauere ich das.

Ich werde mich aber entsprechend meiner Überzeugung auch weiterhin gegen neoliberale Denkstrukturen, Krieg und Rassismus engagieren. Gerade in einer Zeit, in der die Bundesregierung sich nicht zu schade ist, genau am 75. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion eine Pressemeldung mit Kanzlerinnenzitat herauszugeben, in der vor „der Bedrohung von außen“ gewarnt wird und in der ein beispielloses Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr angekündigt wird (LINK), – in einer Zeit, in der Geflüchtete, anstatt ihnen Schutz und Willkommen zu bieten, gezielt zur Projektionsfläche für soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten und Probleme gemacht werden, – in einer solchen Zeit ist es gerade notwendig, antirassistisches und friedenspolitisches Engagement zu verstärken. Mit einer starken Friedensbewegung wäre ein solches Aufrüstungsprogramm und die Aushöhlung der Asylgesetzgebung in dieser Form nicht möglich gewesen. Wenn man es ehrlich meint, dann reicht es eben nicht aus, gegen Pegida auf die Straße zu gehen und „Haut ab!“ zu skandieren. Die Frage nach den Verhältnissen, die dazu führen, dass Menschen für rassistische Parolen empfänglich werden, muss in den Mittelpunkt gerückt werden. Verhältnisse wie Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, wachsende soziale Ungleichheiten usw. sind eine entscheidende Ursache für die Verführbarkeit von Menschen mithilfe einfacher rassistischer Formeln. Das lehrt die Geschichte und das kann man heute wieder beobachten. Aber auch heute scheinen die Einen diese Debatte nicht zu wollen, weil sie fürchten, das könne als Entschuldigung für rassistische Gewalttaten betrachtet werden, während die Anderen diese Diskussion nicht wollen, weil sie mit gutem Grund fürchten, sie würde zu einer Kritik an den herrschenden politischen und ökonomischen Verhältnissen führen.(LINK)

Nun noch zu den Ereignissen in Verbindung mit dem Arbeitskreis Nahost der SDS Hochschulgruppe Leipzig im März 2015: Es gibt hierzu Falschaussagen im Netz, die mich als „Mitglied des AK Nahost“ bezeichnen. Ich bin kein Mitglied des AK und war als interessierter Gast auf den damaligen Veranstaltungen zur Buchmesse, und im Nachgang der beiden Veranstaltungen waren Fehldarstellungen der dortigen Ereignisse im Netz zu finden, auf die ich als anwesender Beobachter mit einem Kommentar reagiert habe. (LINK)

Einige Mitglieder des AK, die sich im Übrigen wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzen, kenne ich durch meine politische Arbeit schon seit längerem. Meines Erachtens werden dort bestimmte Aspekte der Israel/Palästina-Problematik differenziert aufgearbeitet. Antisemitismus – in welcher Form auch immer – ist meinen politischen Ansichten fern und in seiner Gefährlichkeit und seinen Ausprägungen wichtiger Teil meiner Aufklärungsarbeit. Das heißt für mich nicht, dass eine Kritik an der aktuellen Politik der israelischen Regierung in Bezug auf ihre konservative, neoliberale und teilweise militaristische Ausrichtung antiisraelisch oder gar antisemitisch wäre.

Abschließend möchte ich noch darauf verweisen, dass derartige Angriffe nicht neu sind, sondern auch eine Methode um Engagement zu diskreditieren und zu schwächen. So wurde in der Vergangenheit bspw. mehrfach versucht, Aktivitäten von Attac zu schwächen, indem man Organisationen und Personen gezielt versuchte, mit Kampfbegriffen wie bspw. „Querfront“, „verkürzte Kapitalismuskritik“, „Anschlussfähigkeit nach rechts“ usw. zu belasten.

Schaut man genauer hin, dann erkennt man, dass diejenigen, die diese Vorwürfe erheben, häufig erstaunlicherweise tatsächlich antisemitische Argumentationsmuster bedienen, indem sie berechtigte Kapitalismuskritik, – Kritik an Konzernen und Banken, Kritik an der Akkumulation von Kapital, an CETA und TTIP, Kritik an der NATO usw. – umcodieren als Kritik an einzelnen Personengruppen wie „Managern“, „Bankern“ oder auch Menschen jüdischen Glaubens. Das ist eine mehr als nur problematische Umdeutung, die letztendlich der Lösung der existierenden sozialen Probleme entgegensteht, sie verzerrt und einer potentiell schlagkräftigen Linken ins Genick schlägt. Wer sich hierfür mehr interessiert, dem empfehle ich u.a. das Buch „Rufmord – Die Antisemitismuskampagne gegen Links“ vom vergangenen Jahr. [LINK]

Ich hoffe, mit den Ausführungen meinen Standpunkt deutlich gemacht zu haben. Falls jemand hierzu noch Fragen oder Anmerkungen hat, so bitte ich um direkte Kontaktaufnahme mit mir.

Weil’s irgendwie dazu passt. ;)

Marx - Jeder Schritt wirklicher Bewegung