Hollywood und Klassenkampf
Hollywood ist ein Produkt des Klassenkampfs. Schon in den Anfängen des amerikanischen Großkinos am Vorabend des ersten Weltkriegs wollte die Filmindustrie nicht bloß Tickets verkaufen. Die Hollywood-Filme sollten die Konsumenten aller Klassen auch ideologisch beeindrucken. Sie hatten deswegen schon immer sowohl propagandistische wie auch aufklärende Wirkung auf die Filmkonsumenten. Dieser Widerspruch in der Filmindustrie wird auch heute noch im Rahmen des allgemeinen Klassenkampfes ausgetragen.
So wie sich heute im echten Leben die sozialen Konflikte zuspitzen, verändert sich im Hollywood-Film die Darstellung futuristischer Klassenunterdrückung. "Equilibrium", "Repo Men" und "In Time" gehören zu den bekannteren Beispielen düsterer Zukunftsbilder. Der Actionfilm "Elysium" hat Dietmar Dath dazu verleitet, wohlwollend darüber zu schreiben, er sei "Science-Fiction für Leute, die nicht wissen, dass sie in einer Dystopie leben, die man nicht 2154 nennt, sondern 2013."
Die Dystopie von "Elysium"
Im Jahr 2154 genießen die Megareichen die Früchte der menschlichen Arbeit auf der paradiesischen Raumstation Elysium, während für die armen Teufel die Hölle auf Erden herrscht. Wer nun einen Aufstand der Armen erwartet, wird leider enttäuscht. Es kommt statt dessen zu einem utopischen Ego-Shooter.
Die ganze Action des Films wird dadurch ausgelöst, dass der Held Max (Matt Damon) zum Alleingang gegen "die da oben" gezwungen wird, weil sein Arbeiter-Dasein in einer Roboterfabrik ihm eine radioaktive Verstrahlung einbringt, die ihm nur noch wenige Tage zu leben lässt. Heilung kann er sich nur auf Elysium erhoffen, wo allen Bürgern eine High-Tech-Wundermedizin zur Verfügung steht, die alle Krankheiten und Verletzungen kurieren kann. Die Erdbewohner sind aber meist keine Bürger, sondern Proleten, Arbeiter oder Arbeitslose. Ihnen steht die Medizin nicht zur Verfügung.
Max muss sich also auf illegale Weise eine gefälschte Staatsbürgerschaft besorgen, um sich auf Elysium heilen zu können. Ergänzt wird dieses Ausgangsszenario durch die unmögliche Liebesgeschichte zwischen Max und einer herzensguten Krankenschwester. Die hat ein bitteres Leben, denn ihre kleine Tochter ist ebenfalls sterbenskrank. Natürlich soll Max auch das kranke Mädchen retten. Der Film wird durch diese zusätzliche Dramaturgie etwas übersüßt. Aus dem bloßen Ego-Trip von Max wird so zunehmend eine Heldentat.
Klassenkonflikte der Zukunft
Der direkten Aktion des Helden, wie sie für den moralgetriebenen Hollywood-Individualisten typisch ist, steht eine ebenso vereinzelte wie unmoralische Verschwörung im Staatsapparat auf Elysium entgegen. Eine Sicherheitspolitikerin (Jodie Foster) plant einen Putsch gegen die anderen Herrschenden auf der Raumstation.
Die Boshaftigkeit der Putschistin wird veranschaulicht, als sie die Ermordung von Flüchtlingen, die von der Erde nach Elysium fliehen wollen, durch einen faschistoiden Söldner anordnet. Gegenüber den empörten Bonzen der Elite rechtfertigt sie sich anschließend mit dem heraufbeschworenen Bild einer unkontrollierbaren Immigration nach Elysium, was an die rassistische Politik und Argumentation heutiger Politiker erinnert.
Die Fluchtversuche aus dem Erd-Ghetto leuchten ein. Kinder laufen dort in schmutzigen Lumpen durch verwüstete Städte. Die Erwachsenen sehen auch nicht besser aus. Die meisten dürften deklassierte Lohnabhängige ohne geregelte Arbeit sein. Von Elysium wissen sie, dass es eine Art Paradies sein soll. Wie die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten heute sehnen sich die Erdbewohner im Film, die sich im Kampf aller gegen alle befinden, nach Wohlstand und Frieden.
Aber die elegant gekleideten und französisch parlierenden Ausbeuter auf Eylsium gönnen es den arbeitenden Klassen nicht, im Paradies zu leben. Wer würde dann noch arbeiten? Im Film geht es somit nicht bloß um Arm und Reich, sondern um den Konflikt von Klassen, den Bertolt Brecht so ausdrückte:
Reicher Mann und armer Mann standen da und sah'n sich an. Da sagt der Arme bleich: "Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich."
Zwischen den ganz Armen und den ganz Reichen bilden Zwischenschichten eine konfliktreiche Klassenstruktur. Max produziert ausgerechnet die sadistischen Roboter-Polizisten, von denen er bei einer "Routine-Kontrolle" grundlos krankenhausreif geprügelt wird. Es kommt noch schlimmer für ihn. Kurz nach der Abreibung durch die Robocops wird er von seinem zynischen Vorarbeiter vor die Wahl gestellt, seine Gesundheit mit Radioaktivität zu ruinieren oder seinen Job zu verlieren. Er geht das Risiko ein und wird verstahlt.
Sein Boss, ein stocksteifer Manager, der sich vor seinen Untergebenen ekelt, beschwert sich auch noch über die Kosten, die der verstrahlte Max der Firma verursachen könnte. Nicht einmal die Krankenliege soll er beschmutzen. Also wird unserem proletarischen Opfer kurzerhand Medizin für seine letzten Tage gegeben und er wird erbarmungslos rausgeworfen. Der Manager, dieser seelenlose Bürokrat, ist wahrscheinlich der unsympathischste Charakter des Films. Kein Wunder, ist er doch der reinste Parasit, der sich über den arbeitenden Massen durch elitäres Gehabe abhebt. Man wünscht ihm geradezu eine verdiente Strafe, die er im Film dann auch bekommt. Es ist fast wie mit dem Gesocks von der FDP, das in der Bundestagswahl auch mal ordentlich abgestraft wurde für die Politik der sozialen Kälte.
Die herzensgute Krankenschwester kann dem verstrahlten Max auch nicht helfen, da es die Wundermedizin nur auf Elysium gibt. Max muss sich seine gefälschte Staatsbürgerschaft also durch illegale Tätigkeiten für einen Gangster-Hacker verdienen.
Faschistoides Kleinbürgertum und konservative Elite
Die herzensgute Krankenschwester kann dem verstrahlten Max auch nicht helfen, da es die Wundermedizin nur auf Elysium gibt. Max muss sich seine gefälschte Staatsbürgerschaft also durch illegale Tätigkeiten für einen Gangster-Hacker verdienen.
Der Gangster wird zunächst von seinen kleinbürgerlichen Interessen angetrieben, hilft dem Helden aber schließlich bei seiner Mission. Bei seinem Auftrag für ihn gelangt Max nämlich an Informationen, die ausreichen, um "ihr ganzes System zu überschreiben". Der mit unserem Helden zusammen radikal gewordene Internet-Kleinbürger ruft begeistert aus: "Wir können den Lauf der verdammten Geschichte ändern!" Max macht sich mit diesen Informationen auf nach Elysium.
Aber der wild gewordene Söldner, der schon zuvor die Flüchtlinge ermordet hat, will seine eigene faschistoide Diktatur aufbauen und setzt sich gegenüber den konservativen Eliten und der Putschistin durch. Nur Max, unser heldenhafter Arbeiter, kann ihn aufhalten. Wie in einem Ego-Shooter ballert sich Max daher den Weg zum Ziel frei, um die Menschen vor dem Möchtegern-Hitler zu retten. Als Nebenprodukt seiner Selbstbefreiung macht sich Max damit auf, die ganze Menschheit vor der Klassenunterdrückung zu befreien.
Fazit
Der proletarische Held des Films muss nicht nur gegen das harte Arbeiterdasein, den Polizeistaat, Söldner, konservative Eliten und Cyber-Faschos ankämpfen. Er muss auch noch die ganze Menschheit retten vor der Unterdrückung durch die ausbeutende Klasse, indem er sich selbst rettet.
Die Rolle des individualistischen Revolutionärs ist scheint wie maßgeschneidert zu sein für Matt Damon, der sich zu den radikalen Ansichten seines verstorbenen Freundes Howard Zinn bekennt. Er schauspielert entsprechend glaubwürdig. Die packende Dramatik des insgesamt gelungenen Films wird durch epische Hintergrundmusik und futuristische Bilder noch gesteigert. Trotz übertriebener Sentimentalität und seines Hollywood-Individualismus ist "Elysium" einer der radikalsten Hollywood-Streifen der letzten Jahre.
Denn die Analogien im Film erinnern nicht umsonst an die Marxsche Theorie. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass der Name des Protagonisten auf Chinesisch (马克思 makesi) ebenso geschrieben wird wie Marx? Es ist sicher auch kein Zufall, dass man sich an die jetzige Welt erinnert bei der Handlung des Films. Dietmar Dath hat Recht, denn die Konflikte der Zukunft gibt es bereits im Hier und Jetzt. Und Hollywood hat sie seit seinem Bestehen selten klarer dargestellt als in "Elysium".
Infos
Die Rezension von Dietmar Dath findet man hier.
Sadoul, Georges: Geschichte der Filmkunst. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1982.
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