Sonntag, 22. März 2015

Der halbe Präsident eines halben Landes (von Alexej Albu)

Auf http://liva.com.ua gibt es bemerkenswerte Artikel ukrainischer Linker. Alexej Albus (ukr. Олексiй Албу) Artikel "Der halbe Präsident eines halben Landes" (Полупрезидент полустраны) gehört dazu. Hier liegt er mit reichlicher Verspätung, ohne jedoch seine Bedeutung im März 2015 verloren zu haben, leicht gekürzt auf Deutsch vor.

von Alexej Albu

Der halbe Präsident eines halben Landes


Im Land geht ein Bürgerkrieg in großem Stil vonstatten. Er kostet jeden Tag Männern, Frauen, Kindern und Alten das Leben. In Gebrauch sind Flugzeuge wie Panzer. Die Städte werden von Artilleriesalven beschossen. Aber es scheint so als würde das niemanden in den Regierungsräumlichkeiten in Kiew interessieren. Der Leiter der zentralen Wahlkommission Ochendowskij erklärte selbstsicher, dass "die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine juristisch absolut unanfechtbar sein werden". Mag sein. Immerhin ist es unter dem neuen Wahlgesetz möglich, dass die Wahlen bei einer beliebigen Anzahl an Wahlteilnehmern für gültig erklärt werden. Das heißt, dass wenn nur Poroschenko, Timoschenko, Tjagnibok und Ljaschko kandidiert hätten, ihre Kandidaturen gültig gewesen wären.

Es muss zudem gesagt werden, dass dies die Elite der herrschenden Klasse der Ukraine zufriedenstellt, die die Amtseinführung des Präsidenten frenetisch feierte. Das bezeichnende Foto vom Kapitalisten Rinat Achmetow, auf dem er sich beim Präsidentenbankett freundschaftlich mit dem leidenschaftlichen Sprecher der Donezker Oligarchen und Maidan-Redner, Jurij Luzenko, unterhält, zeigt deutlich, in wessen Interessen diese Imitation einer Willensäußerung des Volkes organisiert wurde.

Es interessiert sie nicht, dass die Hälfte des Landes Poroschenko nicht unterstützt, dass die Wahlen unter der Bedingung eines Bürgerkrieges stattfanden, unter ständigen Attacken auf Aktivisten und Agitatoren, die mit dem "einzig möglichen" Kandidaten nicht einverstanden waren, was verdächtig selten gezeigt wurde. Um es klar zu sagen: Die Frage der Legitimation Poroschenkos wurde schon Ende Februar entschieden als die USA und die EU sich für den Schokoladen-Oligarchen entschieden und die ukrainische Bourgeoisie hörig die Entscheidung ihrer Meister im Namen der Rettung von Kapitalien und Privilegien akzeptierte.

Die Regionen in Opposition zum einzigen Kandidaten der Oligarchie waren bei den Wahlen überhaupt nicht vertreten. Um es klar zu sagen: Man ließ das Land zwischen dem Maidan und dem Maidan wählen. Das erinnert an die alte politische Anekdote über die Wahl eines lateinamerikanischen Diktators, bei denen auf den Anweisungen für die Wähler nur zwei Varianten angegeben sind:
-Ja, bin nicht dagegen!
-Nein, bin nicht dagegen!

Es lohnt sich, die offizielle Positionierung Moskaus zu beachten, die es rechtzeitig zur Amtseinführung des Präsidenten schaffte, ihren zuvor zurückgerufenen Botschafter zu entsenden, der eine äußerst ernste Anspielung in Richtung des Kiewer Regimes in Bezug auf das neue Staatsoberhaupt machte, das im Kreml aufmerksam beäugt wird. Es gibt keine Zweifel, dass der Schokoladen-Milliardär die Vertreter der russischen Eliten eher zufriedenstellt als die Rebellen im proletarischen Donbass, die gegen diese Handlungen Russlands protestierten. Aber ungeachtet der so freundschaftlichen Unterstützung seitens der ukrainischen Eliten und der Hauptakteure im großen Spiel zwischen den Imperialisten wird der Status des Oligarchen-Präsidenten stets politisch makelhaft und illegitim bleiben. Er ist und bleibt eine Übergangslösung, die von den Protestwellen hinweggeschwemmt wird, die aufgrund der sozioökonomischen Krise auf uns zukommen werden. Und das Foto von der Amtseinführung Petro Poroschenkos mit den feiernden Oligarchen und mit korrumpierten nationalistischen Politikern wird in späteren Geschichtslehrbüchern auf der selben Seite zu finden sein wie die Fotos von der sterbenden Frau aus Lugansk ohne Beine und die Fotos von getöteten Kindern beim Beschuss von Slawjansk.

Man wird sich an ihn als eines halben Präsidenten eines halben Landes erinnern, ganz wie in den Gedichten Puschkins, dessen Andenken man einige Tage vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten so schändlich entweihte:
Halb-Lord, Halb-Wucher,
Halb-Weiser, Halb-Ignorant,
Halb-Bösewicht, doch es gibt Hoffnung,
Dass er letztlich einem Ganzen weiche.

Alexej Albu

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