Donnerstag, 17. Dezember 2015

Gedanken zum neokonservativen "Gesetz der Rache"

Der Film "Gesetz der Rache" (Law abiding citizen) war einer dieser coolen Rachefilme aus Hollywood. Vordergründig geht es um die Rache eines Familienvaters an den Mörder seiner Frau und Tochter und an den korrupten und selbstherrlichen Rechtsverdrehern, die den Mördern die gerechte Strafe nicht zuteil ließen.

Der historische Kontext


Tatsächlich geht es in dem Film um weit mehr. Der Film ist von 2009. Nach 9/11 hat der US-amerikanische Staat Recht und Gesetz verbogen, um seine Interessen durchzusetzen. Nach außen wurden UN-Sicherheitsrat und Proteste aus anderen Staaten ignoriert, als die US-Regierung Kriege mit der Bevölkerung in Afghanistan und Irak begonnen hat. Nach innen wurden - seit mit dem U.S.A. P.A.T.R.I.O.T. Act ("Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act of 2001") - immer wieder Bürgerrechte und allgemein die Menschenrechte in den USA ausgehebelt. Guantanamo wurde nicht geschlossen und es wurden unter Mithilfe der US-Regierung weiterhin Länder mit Krieg und Bürgerkrieg überzogen. Mittlerweile ist die Polizei zum Aufstandsbekämpfungsmittel gegen Occupy-Protestierende und Schwarze in den Vereinigten Staaten mutiert.

Dieser geopolitische und innenpolitische Hintergrund ermöglicht es erst, den sozialen Gehalt und die ideologische Wirkung des Rachestreifens mit Gerard Butler und Jamie Foxx zu deuten. Es geht nicht bloß um Rache. 

Die Handlung folgt der Gerechtigkeit


Der gesetzestreue Clyde Shelton (G. Butler), der die gerechte Strafe für seine Widersacher ersehnt, spricht das sogar aus. Es geht ihm demnach nicht um Rache, sondern um Strafe oder Gerechtigkeit. Da sein Anwalt Nick Rice (J. Foxx) und die anderen Gesetzesvertreter die Mörder von Sheltons Familie nicht angemessen bestrafen, sondern einen "Deal" aushandeln, wobei nur der eine Täter eine Todesstrafe erhält, während der eigentliche Mörder nur eine Haftstrafe erleiden muss, sieht sich sich der Super-Ingenieur dazu gezwungen, zu Selbstjustiz zu greifen. Soweit ist der Film als schlichter Rachefilm deutbar.

Allerdings machen die Dialoge und die Handlung eine weitere Auslegung denkbar. Shelton betont, dass es ihm nicht bloß um Rache geht. Er will vor allem Gerechtigkeit und Strafe. Und Genugtuung. Dafür tötet und foltert er seine Feinde körperlich und seelisch. Einen der Mörder seziert er bei lebendigem Leibe. Der Sadismus, den er dabei entwickelt, ist wohl unübertroffen im amerikanischen Film (über die Japaner wollen wir hier nicht reden). Den anderen Täter lässt er sehr schmerzlich sterben. Andere explodieren oder sterben auf die eine oder andere kreative Art und Weise. Da der geniale Ingenieur seinen Gegnern immer weit voraus ist, kann er sogar nach seiner Inhaftierung weiter töten und das verfaulte Justizsystem der USA bloßstellen. Dieses dreht sich um "Deals", die von Anwälten und Anklägern ausgehandelt werden, um für alle das Beste rauszuschlagen. Gerechtigkeit kommt nur als Phrase vor. Aber wenn die Strafe zu gering ausfällt, dann kommen eben Ingenierue der Gerechtigkeit dazu, das Strafmaß eigenmächtig zu revidieren. Shelton kontrolliert voll und ganz die Handlung bis zum Finale, da er seinen Kontrahenten intellekuell, moralisch und technisch haushoch überlegen ist. 

Im Verlauf der Handlung zeigt sich, dass auch Shelton nicht die Gerechtigkeit verkörpert. Er ist anderen Figuren im Film gegenüber ungerecht. Seine Strafe übersteigt das Strafmaß, das gerecht wäre, da er auch weitgehend Unschuldige tötet oder bestraft. Die Tochter seines Anwalts muss die oben beschriebene Folterung mit ansehen. Dessen Mitarbeiterin explodiert sogar. Dabei haben beide nichts mit dem Mord und der Untat des Advokaten zu tun. Eine Richterin wird ganz "kopflos", weil sie offenbar so irregeleitet ist, dass sie Shelton nicht wegen Mordes verurteilen will, nur weil ein Geständnis fehlt. Ihr Kopf platzt daher dank einer Sprengfalle. 

Die Vertreter des Gesetzes und ihre Angehörigen werden wie die eigentlichen Mörder bestraft. Die Strafe gilt also im Grunde nicht bloß den offensichtlichen Tätern, sondern auch den Anstiftern, den Profiteuren und heimlichen Mittätern im Rechtssystem. Immer mehr zeigt sich, dass Shelton selbst unter seinem Tun leidet und Gewissensbisse hat. Er weiß, dass er im Grunde Unschuldige bestraft. Aber er muss den Bogen überspannen, um das verbogene Recht wieder "zu Recht" zu biegen. Dafür nimmt er die Bürde auf sich, Unrecht an Anderen auszuüben. Die Erinnerung an die verlorenen Angehörigen hindert ihn nicht an seinen eigenen Untaten, aber sie lässt ihn leiden. Die christliche Nächstenliebe wird von der alttestamentarischen Idee der Vergeltung überdeckt, aber nicht völlig ersetzt. Shelton handelt letztlich aus Nächstenliebe, selbst wenn er sich schuldig macht und aus Hass tötet.

Sein Widersacher, Nick Rice, hat zwar selbst Unrecht begangen als er seinen "Deal" abschloss. Aber er musste so handeln, weil das System so funktioniert - und er an das System glaubt. Gleichzeitig wäre es Rice lieber gewesen, die Mörder der Sheltons gerecht zu strafen. Seine persönliche Einstellung widerspricht seiner professionellen. Er äußert das mehrfach. Aber da er ein Vertreter des Rechtssystems ist, muss er Shelton aller Sympathien zum Trotz wie jeden anderen Verbrecher strafrechtlich verfolgen. Das bindet ihm die Hände, sein Glaube an das System bindet ihm die Hände - zunächst. Er kann Shelton nichts nachweisen, sodass dieser seine Opfer immer weiter abstrafen kann. Glaube ist ohnehin ein wichtiges Thema im Film. Man achte auf die Aussagen des Mörders, auf die Worte von Rice und Anderen in Bezug auf den Glauben und auf christliche Symbolik. 

Erst als sich der Advokat dazu entschließt, Shelton zu töten, wendet sich das Blatt. Er selbst bricht mit dem System, von dem er so profitiert, und wendet sich dem Gesetz der Rache zu. Die Tötung Sheltons durch Rice symbolisiert daher nicht den Sieg des korrupten Rechtssystems über die Selbstjustiz. Der ganze Film zielt auf die Auflösung des Konflikts zwischen beiden Formen der Gerechtigkeit. Die Zuspitzung des Konflikts, verkörpert durch die beiden Kontrahenten, symbolisiert die schwierige Weiterentwicklung und Leid schaffende Umsetzung der Gerechtigkeit. Im Finale treffen sich Legislative und Exekutive in der Bluttat des Gesetzesvertreters wieder. Die Gerechtigkeit setzt sich durch, aber nicht, ohne das Gesetz zu beugen. 

Die Legitimierung des Neokonservatismus


Mit diesem Film wird zwar nicht direkt die Selbstjustiz wild gewordener Polizisten in den USA gegen Opfer staatlicher Gewalt gerechtfertigt, aber er legitimiert die ausufernden Befugnisse des amerikanischen Polizeistaates seit 9/11. Und er legitimiert die völkerrechtswidrige Vorgehensweise der amerikanischen (Privat-)Armeen im Ausland, ob durch die Führung von Angriffskriegen oder durch die Lenkung von Bürgerkriegen in Ländern wie der Ukraine, in Syrien, im Irak oder in Libyen und Afghanistan. 

Wie schafft der Film das? Solche Filme haben eine subtile psychologische Wirkung auf die Zuschauer, die wiederum ideologische Folgen hat. Zuschauer werden von Moral ergriffen und speichern diese als legitim ab. Das macht sie nicht zu Helden oder Bösewichten. Aber es macht sie anfälliger für politische Propaganda außerhalb der Kinos und Wohnzimmer. Der Film ist nicht bloß Unterhaltungsmedium, sondern natürlich auch ein Lehrvideo. Neben Unterhaltung liefert er auch Moral. 

Und die Moral dieses Films ist nicht die Moral der Bergpredigt, sondern die Moral der neokonservativen Eliten, die in den USA herrschen und die den eigentlichen Gehalt des Films ausmachen. Diese Moral ist die Rache der Selbstgerechten und Mächtigen an den Massen, sie ist die Rache des Staates an Menschen, die unschuldig sind, an Zivilisten in Ländern, die zerbombt und zerschossen werden, nur um die imperialen Interessen, Profiteure und Mitverursacher des Terrors zu verteidigen. Nächstenliebe zählt dabei nicht mehr, sondern nur das kapitalistische System, das von amerikanischer Selbstjustiz gestützt wird.

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