Donnerstag, 25. September 2014

Владимир Маяковский: "Долг Украине"

 Знаете ли вы
                                     украинскую ночь?
                        Нет,
                             вы не знаете украинской ночи!
                        Здесь
                              небо
                                   от дыма
                                           становится черн_о_,
                        и герб
                     10        звездой пятиконечной вточен.
                        Где горилкой,
                                      удалью
                                             и кровью
                        Запорожская
                                    бурлила Сечь,
                        проводов уздой
                                       смирив Днепровье,
                        Днепр
                              заставят

                     20                на турбины течь.
                        И Днипр_о_
                                   по проволокам-усам
                        электричеством
                                       течет по корпусам.
                        Небось, рафинада
                        и Гоголю надо!

                                   -----

                        Мы знаем,
                                  курит ли,
                                            пьет ли Чаплин;
                     30 мы знаем
                                 Италии безрукие руины;

                        мы знаем,
                                  как Дугласа
                                              галстух краплен...
                        А что мы знаем
                                       о лице Украины?
                        Знаний груз
                                    у русского
                                               тощ -
                     40 тем, кто рядом,
                                        почета мало.
                        Знают вот
                                  украинский борщ,
                        знают вот
                                  украинское сало.
                        И с культуры
                                     поснимали пенку:
                        кроме
                              двух
                     50            прославленных Тарасов -
                        Бульбы
                               и известного Шевченка, -
                        ничего не выжмешь,
                                           сколько ни старайся.
                        А если прижмут -
                                         зардеется розой
                        и выдвинет
                                   аргумент новый:
                        возьмет и расскажет
                     60                     пару курьезов -
                        анекдотов
                                  украинской мовы.
                        Говорю себе:
                                     товарищ москаль,
                        на Украину
                                   шуток не скаль.
                        Разучите
                                 эту мову
                                          на знаменах -
                     70                             лексиконах алых,
                        эта мова
                                 величава и проста:
                        "Чуешь, сурмы заграли,
                        час расплаты настав..."
                        Разве может быть
                                         затрепанней

                                                     да тише
                        слова
                              поистасканного
                     80                      "Слышишь"?!
                        Я
                          немало слов придумал вам,
                        взвешивая их,
                                      одно хочу лишь, -
                        чтобы стали
                                    всех
                                         моих
                                              стихов слова
                        полновесными,
                     90               как слово "чуешь".

                                   -----

                        Трудно
                               людей
                                     в одно истолочь,
                        собой
                              кичись не очень.
                        Знаем ли мы украинскую ночь?
                        Нет,
                             мы не знаем украинской ночи.

                        [1926]
 
http://mayakovskiy.ouc.ru/dolg-ukraine.html 
 
Маяковский
 

Montag, 15. September 2014

S. Coiplet: Die Freiheit in Schillers Briefen über ästhetische Erziehung

Von Sylvain Coiplet (12/1996) 

Die Freiheit in Schillers Briefen über ästhetische Erziehung


Von der ästhetischen zur politischen Erziehung


In der Briefsammlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen geht Schiller nur in den ersten Briefen und in dem letzten Brief auf die Politik ein. Bis zum achten Brief versucht er gegen seine Zeit zu rechtfertigen, warum er sich mit Ästhetik, statt mit Politik beschäftigen will. Ihm scheint es also nur darum zu gehen, mit dem Thema Politik «fertig» zu werden. Im siebenundzwanzigsten Brief kehrt er zwar zur Politik zurück, aber mit ihm brechen auch die Briefe ab. Heißt es, daß die «politischen» Briefe noch gar nicht geschrieben worden sind (Narr)? Sind aber die «ästhetischen» Briefe wenigstens brauchbar als Einleitung zu diesen nicht-vorhandenen politischen Briefen? Wo lassen sie sich weiterführen?
Soll man gleich beim letzten Brief ansetzen, wo Schiller nicht mehr von Stofftrieb, Spieltrieb und Formtrieb, sondern von Naturstaat, ästhetischem Staat und Vernunftstaat spricht? Oder soll man gerade von diesem letzten Brief absehen, weil Schiller hier der Sprung zur Politik nicht gelingt (Krippendorff)? Ich möchte lieber weiter zurückgreifen und schon beim dreizehnten Brief ansetzen. Ein ziemlich abstrakter und nebensächlicher Brief (Krippendorff). Aber, ich glaube, nur scheinbar abstrakt und nebensächlich. Und noch dazu gut geeignet, zu einem politischen Brief umgestaltet zu werden. Vielleicht gerade deswegen, weil er noch nicht zu stark auf ästhetische Beispiele eingeht, sondern rein methodisch bleibt. Der Sprung zur Politik ist noch nicht so groß.

Nacheinander oder Nebeneinander der drei Staaten


In den ersten Briefen unterscheidet Schiller zwischen Naturstaat und Vernunftstaat. Das Problem sieht er darin, daß der alte Naturstaat zusammengebrochen ist, bevor sich der zukünftige Vernunftstaat ausreichend ausgebildet hat. Es fehlt eine Zwischenstufe, ein politischer Vermittler, ein Zwischenstaat, um das Ideal des Vernunftstaates erreichen zu können (vgl. Schiller 1991, 7-10).
Schiller verläßt dann das politische Feld und läuft zur Ästhetik über, macht aber dort auch zwei gegensätzliche Richtungen aus: Den Stofftrieb und den Formtrieb (vgl. 45-49). Die Ähnlichkeit zu den beiden Staaten ist frappierend: Der Stofftrieb entspricht eindeutig dem Naturstaat und der Formtrieb dem Vernunftstaat. Schiller sucht daher nach einem ästhetischen Vermittler, einem Zwischentrieb (vgl. 55-58). Hier enden aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen Politik und Ästhetik.
Die Staaten lösen sich in der Zeit ab, es muß nur dafür gesorgt werden, daß keine Lücke entsteht. Bei den Trieben sieht es aber anders aus: Sie sollen nicht einander ablösen, sondern einander ergänzen. Sie sollen gleichzeitig wirken, und dies nicht nur vorläufig. Die ästhetische Frage ist also nicht, wie man zeitliche Lücken zwischen gegensätzlichen Trieben vermeidet, sondern wie man ihre Kollision vermeidet: Das ist gerade das Thema des dreizehnten Briefes (vgl. 49-55).
Stofftrieb und Formtrieb widersprechen sich zwar, aber stören dabei einander nicht mehr, sobald sie sich nicht mehr auf das selbe Objekt beziehen. Jeder Trieb soll seinen eigenen Bereich bekommen, wo er sich voll, widerspruchslos, entfalten kann. Daneben waltet der andere Trieb und kommt auch zur Selbstverwirklichung (vgl. 49). Aufgabe der Kultur ist es, die Bereiche voneinander abzugrenzen (vgl. 50-51).
Es könnte auch die Aufgabe der Politik sein. Warum sollte die Politik nicht darin bestehen, die politischen Triebe auszumachen und ihnen ihre jeweiligen «Reiche» zuzuweisen, wo sie sich voll ausleben können, wo sie die übrigen politischen Triebe nicht stören? Eine Aufgabe für mehr als einen politischen Brief ...
 

Nacheinander und Nebeneinander der drei Staaten

 
Aber ist es nicht gerade das, was Schiller im letzten Brief versucht? Dort sieht es doch so aus, als ob der dynamische Staat (Naturstaat) und der ethische Staat (Vernunftstaat) gleichzeitig bestehen sollen mit dem ästhetischen Staat. Materie, Vernunft und Schönheit bekommen jeweils ihr eigenes Reich. Zwei Reiche sind schon vorhanden: das Reich der Kräfte (Naturstaat) und das Reich der Gesetze (Vernunftstaat). Das «dritte» Reich, das Reich des Scheins, wird erst aufgebaut (vgl. 125-126). Es gibt immer noch ein Nacheinander, wenn auch nicht mehr so streng wie in den ersten Briefen: Was gewesen ist, bleibt wenigstens neben dem Neuen bestehen. Aber klingt nicht trotztdem der ästhetische Staat wie ferne Zukunftsmusik? Braucht man etwas zu berücksichtigen, was es noch gar nicht gibt? Ein gefundenes Fressen für Konservative, die zunächst lieber alles beim Alten lassen wollen. Es fragt sich nur, ob diese Konservativen zu den feingestimmten Seelen gerechnet werden können, die ein Bedürnis nach diesem ästhetischen Staat haben (vgl. 128).
Warum ist es so wichtig, daß die drei Staaten nicht einander ablösen, sondern nebeneinander bestehen bleiben? Wenn sie sich ablösen, so heißt er nur, daß die Staatsverfassung sich mit der Zeit ändert. Wohin bleibt unklar. Nach dem Ersten Reich kann das Zweite Reich kommen, und endlich das heute berüchtigt klingende «Dritte Reich». Bestehen die drei Staaten gleichzeitig nebeneinander, so heißt es, daß sie sich einschränken müssen. Es gibt keinen allmächtigen Staat mehr, sondern eine Art Gewaltenteilung. Ist es aber eine Gewaltenteilung innerhalb des Staates, oder eine Gewaltenteilung zwischen dem Staat und anderen Organisationen, die von ihm unabhängig agieren. Schiller nennt sie alle drei Organisationen «Staaten», so daß eine Antwort schwierig ist.
Humboldt wird in seinen Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (vgl. Humboldt 1982) schon deutlicher. Dieser Versuch Humboldts lag Schiller vor, als er seine ästhetischen Briefe schrieb. Er war sogar einer der wenigen Menschen, die ihn schon damals ganz gelesen haben. Die anderen konnten nur die Teile lesen, die Schiller selbst veröffentlicht hat. Humboldt verliert keine Zeit mit der Frage einer Gewaltenteilung innerhalb des Staates. Ihm geht es eindeutig um eine Beschränkung seines Machtbereiches. In einer früheren Schrift von ihm, die er hier nur ausführt, heißt es schon dazu: «das Prinzip, daß die Regierung für das Glück und Wohl, das physische und das moralische der Nation sorgen müsse, sei der ärgste und drückendste Despotismus» (vg. 211). Sein Reststaat soll also diese beiden Aufgaben delegieren. Der Naturstaat (physisches Wohl) und der Vernunftstaat (moralisches Wohl) sind also gar keine «Staaten», weil sie daran zugrunde gehen würden. Ich frage mich nur, ob Humboldt seinen Reststaat im ästhetischen Staat von Schiller wiedererkannt hat. Mir gelingt es nicht. Während der Reststaat bei Humboldt zwingen darf und nur er, läßt der schillersche ästhetische Staat frei und nur er.

Die Freiheit als ästhetischer und politischer Trieb


Ob die drei Staaten von Schiller echte Staaten sind oder nicht, bleibt mir also unklar, weil nicht von Humboldt auf Schiller geschlossen werden kann. Klar ist wenigstens, daß sie nicht alle gleichzeitig, sondern erst nacheinander entstehen, genauso wie die drei Triebe (vgl. Schiller 1991, 81-82) und dann bestehen bleiben. Das Verwirrspiel fängt aber gleich wieder an, wenn man sich fragt, in welcher Reihenfolge die Staaten auftreten sollen.
In den ersten Briefen soll erst der Naturstaat, dann der noch gesuchte Zwischenstaat und zuletzt der Vernunftstaat auftreten (vgl. 7-10). Im letzten Brief soll der gefundene Zwischenstaat, der ästhetische Staat an letzter Stelle kommen (vgl. 125-126). Schiller hat nämlich inzwischen gezeigt, daß zunächst der Stofftrieb, dann der Formtrieb aufgetreten sind: Später wurden sie durch den Spieltrieb ergänzt (vgl. 81-82). Wird das, was anfangs bloß als Übergangsstadium gemeint war, heimlich zum Endziel (Narr)? Wo liegt das politische Endziel von Schiller: Beim Vernunftstaat oder beim ästhetischen Staat?
Diese Frage ist schon wichtig. Das Reich der Kräfte und das Reich der Gesetze sind beide Reiche des Zwangs, das Reich des Scheins ist aber das einzige Reich der Freiheit, wenigstens im siebenundzwanzigsten Brief. Will Schiller auf Zwang oder auf Freiheit hinaus? Schon seltsam, daß man sich diese Frage stellen muß. Will Schiller nicht eindeutig auf Freiheit hinaus?

Von der moralischen zur ästhetischen Freiheit


Das Problem hängt, glaube ich, damit zusammen, daß Schiller in diesen Briefen seine eigene Auffassung von Freiheit entwickelt, aber daneben eine andere «fremde» Freiheit bestehen läßt. Er entdeckt eine ästhetische Freiheit, die sich in einem Gleichgewicht zwischen zwei Extremen hält (vgl. 58: dort noch unter dem Decknamen «Zufälligkeit»; 80: «Freiheit» diesmal ohne Deckung). Aber bei der einseitigen moralischen «Freiheit» à la Kant spricht er immer noch von «Freiheit», obwohl sie sich nur von der Materie befreit hat und doch den Menschen unter Zwang setzt, nämlich unter moralischem Zwang (vgl. 43: dort als «Person» bezeichnet; 109-110: als «moralische Freiheit»). Im sechsundzwanzigsten, das heißt im vorletzten Brief, ist er immer noch damit beschäftigt zu zeigen, daß die (freie) ästhetische Stimmung nicht die (moralische) Freiheit ist, weil diese Freiheit erst aus ihr entspringt (vgl. 110-111). Wie unfrei diese moralische «Freiheit» ist, das hat er doch schon längst selbst gezeigt! Wenn in den Briefen «Freiheit» steht, muß man sich immer fragen welche Freiheit: Die alte kantische, oder die neue schillersche Freiheit?
Schiller will auf die Freiheit hinaus, aber auf welche dieser beiden Freiheiten? Meint er seine ästhetische Freiheit oder die moralische Freiheit von Kant? Ich neige dazu, Schiller «das letzte Wort» zu lassen, seine eigene Freiheit sprechen zu lassen. In seinem letzten Brief ist der Vernunftstaat eindeutig Zwang (vgl. 125), und wenn es noch im vorigen Brief anders steht, dann nur deswegen, weil ihm der Weg zu dieser Einsicht schwierig ist. Und vielleicht nicht nur ihm.

Von der ästhetischen zur politischen Freiheit


Wenn dem so ist, dann ist auch das politische «Endziel» klar: Richtung Freiheit via den ästhetischen Staat. Und nun kommt die politische Enttäuschung. Ich war vorhin vom Einfall Schillers begeistert, gegensätzliche Triebe dadurch vor der Kollision zu retten, daß ihnen jeweils ein eigenes «Reich» zugewiesen wird. Welches Reich kommt nun der Freiheit zu, wo darf sie sich voll ausleben? Ausschließlich im Reich des Scheines (vgl. 125) !
Gerät damit nicht die Freiheit selbst zum bloßen Schein? Vielleicht, aber was heißt eigentlich Schein bei Schiller? Ist er mit Utopie gleichzusetzen (Binger)? Jetzt, wo Schiller wieder von Politik spricht, neigt man schnell dazu, alles zu vergessen, was er vorher bezüglich der Ästhetik herausgearbeitet hat. Der Schein ist weder bloß Form, noch bloß Materie: Wo er waltet, hat die Form schon angefangen, die Materie hat aber noch nicht aufgehört (vgl. 127). Schein ist nicht gleich Idee oder Ideal. Schein ist erquicklicher als Licht, es ist die Geselligkeit (vgl. 126), das Gespräch. Was Schiller ausbauen will, ist das freie Gespräch, als einen Weg, die eigenen Gedanken zu befreien. Dann lähmt das Licht, die Wahrheit, nicht mehr, weil man das richtige Tor zur Erkenntnis gefunden hat: Die Kunst (vgl. Schiller 1992, 202). Dieser Weg ist keine Utopie, er wird nicht nur von vielen gewünscht, sondern von einigen Menschen schon beschritten (vgl. Schiller 1991, 128).
Was hat aber diese Geselligkeit noch mit Politik zu tun? Ist es mehr als nur ein frustrierendes «Spiel» mit Worten, wenn Schiller von ihr als von einem ästhetischen «Staat» spricht? Wird der eigentliche Staat von diesem wenigstens halb idealistischen Staat überhaupt beschnitten? Was kümmern ihn die freien Gespräche, wenn sie nur über Ästhetik laufen? Tun sie das? Das kann man jedenfalls nicht vom Gespräch zwischen Schiller und Humboldt sagen. Als der preußische Staat den Beitrag Humboldts nicht frei laufen ließ [1], da wußte er schon warum. Und die ästhetischen Briefe haben sich wahrscheinlich nur durch ihre Zweideutigkeit vor dem Hausarrest retten können. Und doch: Heißt nicht die Forderung nach Freiheit der Gespräche, daß die Politik nicht über ihren Inhalt gebieten soll, daß sie außerhalb ihrer «Wirksamkeit» liegen? Wie politisch eine solche Forderung ist, das hat die Antwort seitens der deutschen Staaten gezeigt: Die Karlsbader Beschlüsse.

Anhang: Kleiner politischer Briefwechsel


«Eine Aufgabe für mehr als einen politischen Brief» ... Auf mehr als zwei Briefe habe ich es nicht gebracht. Die Autorenangaben sind ohne Gewähr.

Brief von Schiller an Humboldt


Zur Zeit greife ich die ästhetischen Briefe wieder auf. Damals habe ich mich auf die Freiheit konzentriert. Im letzten Brief gehe ich nur kurz auf die Gleichheit ein (vgl. 126-128). Das dritte Ideal der Brüderlichkeit ist auch erst ziemlich spät von der Französischen Revolution dazu genommen worden. Ich habe es daher rausgelassen. Sonst wäre mir vieilleicht schon aufgefallen, daß sie alle drei zusammen genommen eine sonderbare Verwandtschaft mit meinen drei Trieben haben.
Dabei geht es nicht so sehr um die einzelnen Triebe, sondern vor allem um ihr Verhältnis zueinander. Stellt man die Freiheit der Brüderlichkeit gegenüber, so ergibt sich genauso eine Polarität wie damals zwischen Formtrieb und Stofftrieb. Bei der Freiheit geht mir nichts über mich, während bei der Brüderlichkeit mir nichts über die anderen geht. Freiheitstrieb und Brüderlichkeitstrieb stehen sich wirklich polar gegenüber. Dann läßt sich mein Bild der Wage vom zwanzigsten Brief auf die Politik anwenden: «Die Schalen einer Wage stehen gleich, wenn sie leer sind; sie stehen aber auch gleich, wenn sie gleiche Gewichte enthalten (83)». Es gibt das alte ängstliche politische Gleichgewicht, die Gleichheit der leeren Schalen. Laß uns Freiheit und Brüderlichkeit zu einer gewagteren politischen Gleichheit steigern. Es ist Zeit zum politischen Spiel, zum Übergewicht meiner und der anderen.
Da uns hier keiner mehr etwas anhaben kann und wir sowieso nichts mehr zu verlieren haben, so will ich die politischen Spielregeln näher beschreiben. Daß nicht alle Menschen gleich fähig sind, habe ich schon damals gesagt: Die Menschen unterscheiden sich bezüglich der «Privatfertigkeit» (126). Das Eigentum gibt mir Freiheit, es macht mir möglich, meine Fähigkeiten einzusetzen. Es soll mir bleiben, solange ich es zum besten Wohl der anderen verwalten kann. Nur so wiegt die Brüderlichkeit meine Freiheit auf. Nur so kommt es zu einem politischen Gleichgewicht, obwohl das Eigentum ungleich, nämlich nach den Fähigkeiten verteilt ist. Werde ich unfähig oder sterbe ich, so kann ich mit meinem Eigentum den Bedürfnissen anderer nicht mehr nachkommen. Fällt die Brüderlichkeit weg, so muß es aber auch die Freiheit: Beide Schalen müssen gleichzeitig leergeräumt werden. Oder ich muß vielmehr eine neue Brüderlichkeit herbeischaffen. Ich muß mein Eigentum rechtzeitig entäußern, dem Fähigsten übergeben, der beide Schalen gleich füllen kann. Nur so kann das politische Spiel weitergehen ...

Brief von Humboldt an Schiller


Deine drei «politischen Triebe» haben mir zu denken gegeben. Kann man nicht von der Französischen Revolution sagen, daß sie ihre politischen Triebe zu «abstrakt» gedacht hat? Sie hat sie verallgemeinert, sie sollten für alles gelten. Im dreizehnten Brief versuchst du die ästhetischen Triebe zu «konkretisieren», sie auf unterschiedliche «Reiche» zu beziehen, damit sie nicht kollidieren. Nun habe ich dasselbe mit deinen drei politischen Trieben versucht.
In meinem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, da habe ich schon damals den Staat dem Gleichheitstrieb zugeordnet. Der Staat ist mir das Reich der Gleichheit. Alles andere ist mir Freiheit gewesen. Eigentlich stimmt es schon, wenn man darunter Freiheit vom Staat meint. Aber du hast schon Recht mit der Polarität zwischen Freiheit und Brüderlichkeit. Die Freiheit ist Freiheit vom Staat und richtet sich dabei auf den Einzelnen, macht ihn erst zum Einzelnen. Die Brüderlichkeit braucht auch die Freiheit vom Staat, richtet sich aber auf die Welt, auf alle anderen Menschen. Der Unterschied ist mir so nicht aufgefallen, weil es mir vor allem darum gegangen ist, meinen «Reststaat» herauszuschälen. Und als ich damals geschrieben habe, da ist in Frankreich von Brüderlichkeit überhaupt noch keine Rede gewesen.
Wenn du von der Freiheit und Brüderlichkeit so sprichst, wie in deinem letzten Brief, dann wird das Individuum zum Reich der Freiheit und die Welt zum Reich der Brüderlichkeit. Damit bin ich aber noch nicht ganz ans Ende meiner Gedanken gekommen. Dem Staat habe ich die Möglichkeit abgesprochen, für das moralische und physische Wohl der Menschen sorgen zu können. Heute würde ich einfach das moralische Wohl zum Reich der Freiheit und das physische Wohl zum Reich der Brüderlichkeit erklären.

 

Literaturverzeichnis




Wolfgang Goethe: Das Märchen von der grünen Schlange und der weißen Lilie (1795)

Wilhelm von Humboldt (1982): Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792), Stuttgart (Reclam)

Edmund Jacoby (1986): Goethe, Schiller und Hölderlin, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen, Hg. Fetscher I. / Münkler H., Bd.4, München-Zürich, 127-151

(Interessant wegen der Betonung der Verwandschaft zwischen den ästhetischen Briefen Schillers und dem Versuch Humboldts über die Grenzen des Staates)

Friedrich Schiller (1991): Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), Stuttgart (Reclam)

Friedrich Schiller (1992): Sämtliche Gedichte, Frankfurt/Main - Leipzig

Rudolf Steiner (1976): Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft (1919), Dornach

(Sein Ansatz einer sozialen Dreigliederung gibt die Inspirationsquelle für den politischen Briefwechsel des Anhangs)

[1] Seine «Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen» wurden erst 1851 vollständig veröffentlicht, da die preußische Zensur sich quergelegt hatte.

Freitag, 12. September 2014

Reaktionäre Phantastereien und Marxismus, oder: War Lenin ein Querfrontler?

Die neuen Montagsdemos bzw. "Mahnwachen für den Frieden" haben gewisse Gemüter in Deutschland stark erhitzt und gespalten, wobei das Spektrum der Urteile über den Charakter der Mahnwachen sogar innerhalb marxistischer Zirkel weit auseinanderging.

Dabei kam es zu Verurteilungen, zu Gleichgültigkeit oder zu aktiver Teilnahme linker Aktivisten an der Bewegung, die mal für "neurechts", mal für "fortschrittlich" oder mal für schlicht "zu unbedeutend" gehalten wurde. Doch ist diese Spaltung gerechtfertigt? Ist die Beteiligung linker Aktivisten an einer nicht vollständig linken Bewegung oder sogar einer Bewegung, in der es "reaktionäre Phantastereien" und "Vorurteile" gibt also selbst auch reaktionär? Ist das die in letzter Zeit viel beschworene rot-braune "Querfront"? Und war Lenin dann ein sogenannter "Querfrontler"?

Denn Lenin hat sich ziemlich eindeutig zur Frage linker Beteiligung an Massen mit "reaktionären Phantastereien" geäußert. Im Folgenden einige abseitige Gedanken zum Verhältnis von linken Intellektuellen und nicht-linken Massen.

Lenin über die "reine" soziale Revolution


Die Frage der Haltung linker Aktivisten zu nicht-linken Massen ist nicht neu. Sie wurde seit der großen französischen Revolution immer wieder aufgeworfen. Marx und Engels thematisierten sie ebenso wie Lenin. Aber vielleicht waren diese Hauptvertreter des Internationalismus ja insgeheim durch irgendein Hintertürchen selbst Nationalisten und reaktionäre Fantasten?

Schauen wir doch einfach, was Lenin zur Frage "reaktionärer Phantastereien" in der Bewegung erklärt hat. So schrieb Lenin über die Frage der "reaktionären Fantasien" in den Massen und die nötige Haltung der Marxisten zu ihnen:

"Denn zu glauben, daß die soziale Revolution denkbar ist ohne Aufstände kleiner Nationen in den Kolonien und in Europa, ohne revolutionäre Ausbrüche eines Teils des Kleinbürgertums mit allen seinen Vorurteilen, ohne die Bewegung unaufgeklärter proletarischer und halbproletarischer Massen gegen das Joch der Gutsbesitzer und der Kirche, gegen die monarchistische, nationale usw. Unterdrückung - das zu glauben heißt der sozialen Revolution entsagen. Es soll sich wohl an einer Stelle das eine Heer aufstellen und erklären: 'Wir sind für den Sozialismus', an einer anderen Stelle das andere Heer aufstellen und erklären: 'Wir sind für den Imperialismus', und das wird dann die soziale Revolution sein! Nur unter einem solchen lächerlich-pedantischen Gesichtspunkt war es denkbar, den irischen Aufstand einen 'Putsch' zu schimpfen.

Wer eine 'reine' soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution.

Die russische Revolution von 1905 war eine bürgerlich-demokratische Revolution. Sie bestand aus einer Reihe von Kämpfen aller unzufriedenen Klassen, Gruppen und Elemente der Bevölkerung. Darunter gab es Massen mit den wildesten Vorurteilen, mit den unklarsten und phantastischsten Kampfzielen, gab es Grüppchen, die von Japan Geld nahmen, gab es Spekulanten und Abenteurer usw. Objektiv untergrub die Bewegung der Massen den Zarismus und bahnte der Demokratie den Weg, darum wurde sie von den klassenbewußten Arbeitern geführt.

Die sozialistische Revolution in Europa kann nichts anderes sein als ein Ausbruch des Massenkampfes aller und jeglicher Unterdrückten und Unzufriedenen. Teile des Kleinbürgertums und der rückständigen Arbeiter werden unweigerlich an ihr teilnehmen - ohne eine solche Teilnahme ist ein Massenkampf nicht möglich, ist überhaupt keine Revolution möglich -, und ebenso unweigerlich werden sie in die Bewegung ihre Vorurteile, ihre reaktionären Phantastereien, ihre Fehler und Schwächen hineintragen. Objektiv aber werden sie das Kapital angreifen, und die klassenbewußte Avantgarde der Revolution, das fortgeschrittene Proletariat, das diese objektive Wahrheit des mannigfaltigen, vielstimmigen, buntscheckigen und äußerlich zersplitterten Massenkampfes zum Ausdruck bringt, wird es verstehen, ihn zu vereinheitlichen und zu lenken, die Macht zu erobern, die Banken in Besitz zu nehmen, die allen (wenn auch aus verschiedenen Gründen!) so verhaßten Trusts zu expropriieren und andere diktatorische Maßnahmen durchzuführen, die in ihrer Gesamtheit den Sturz der Bourgeoisie und den Sieg des Sozialismus ergeben, einen Sieg, der sich durchaus nicht mit einem Schlag aller kleinbürgerlichen Schlacken 'entledigen' wird."

Die reine Revolution und die Reinlichkeitsreflexe der Linken


So weit Lenin zur Frage der "reinen" Revolution. Man könnte nun einwenden, dass dies ein aus dem Kontext herausgerissenes Zitat sei. Vielleicht ist ja die Kritik an den Mahnwachen heute legitim? Aber dann möge man bitte eine überzeugendere Zitatstelle oder einen Text bieten, der die Problematik besser behandelt. Lenin hat sich nicht umsonst gegen die sogenannte "Kinderkrankheit des Kommunismus" gewandt, der so links eingestellt war, das er mit realen Menschen nicht umgehen konnte. Auch heute noch stellen sich ähnliche Probleme der Bewegungsarbeit wie früher. Diether Dehm hat diese "Reinlichkeitsreflexe der Linken" entsprechend kritisiert.

Aber bisher konnte man fast nur eben diese Reinflichkeitsreflexe vermerken. Nur wenige Linke nahmen aktiv an den Mahnwachen teil und gewannen dort Sympathien und konnten dort überzeugen. Ein anderer Teil der Linken bediente sich Verleumdungen des Klassengemenges, das die "Mahnwachen" bildete und in der Tat nur stellenweise von Marxisten geprägt wurde.

Idealistische Kritiker sind oft mehr oder weniger links, also linksliberal oder kleinbürgerlich-radikal. Solche idealistischen Kritiker finden sich bei den Mahnwachen zuhauf. Sie selbst wünschen sich eine "reine" Revolution, eine "friedliche" Revolution und eine "Revolution des Geistes", des "Inneren" und ganz ohne Parteipolitik und Klassenkämpfe. Das ist natürlich eine Illusion und Idealismus. Aber es hat etwas Progressives, wenn sich vorher unpolitische Menschen gegen den Krieg und gegen offensichtliche Kriegspropaganda in den Medien wenden.

Da die Linke, die sich auf die marxistischen Klassenkämpfer und das Proletariat bezieht, selbst nicht frei von solchem Idealismus, ist es paradox, wenn sie die Mahnwachen für verkürzte Kritik kritisiert. Die Wurzel dieser Reinlichkeitsreflexe in der Linken ist ihr weitgehend bürgerlicher Charakter. Nicht das Proletariat und sein Kern, das Industrieproletariat, treibt die Bewegung voran. Nicht Arbeiter sind auf den entscheidenden Posten der linken Organisationen. Und es sind nicht Arbeiterkinder unter der linken Intelligenzija, die den sozialistischen Ton angeben. Arbeiterklasse, Arbeiterbewegung und die Linke sind momentan sehr verschiedene Dinge. Praktisch überall sind es Kinder kleinbürgerlicher, verbürgerlichter und sogar großbürgerlicher Familien, die den linksliberalen Ton angeben. Und wenn sie das nicht einsehen, dann bestätigt das nur einen bürgerlichen Idealismus und Liberalismus, der die realen Klassenspaltungen in der Gesellschaft nicht beachtet.

Wer sich eine linke Demonstration oder linke Bewegung wünscht, die nicht nur die üblichen Verdächtigen und vom Staatsschutz übel Verdächtigten umfassen soll, der muss akzeptieren (oder ignorieren), dass nicht bloß linke Heilige aufkreuzen. Diese gerade neu in (die) Bewegung geratenen Menschen haben natürlich "ihre Vorurteile, ihre reaktionären Phantastereien, ihre Fehler und Schwächen", die sie in die Bewegung hineintragen. Wer sie deswegen systematisch als "neurechts" diffamiert, der mag ein Linker sein, aber revolutionäre Massen wird er nie auf seiner Seite haben. Und wenn die radikalisierten Kleinbürger der Mahnwachen und die linksradikalen Kleinbürger linker Organisationen sich gegenseitig kritisieren, dann geschieht das weitgehend auf kleinbürgerlichem Boden.

Man könnte leicht schlussfolgern: Wer nur eine "reine" Revolution als Revolution akzeptiert, die ausschließlich von linken Heiligen getragen wird, der will in Wirklichkeit womöglich gar keine Revolution. Wer alle vorherigen, "unreinen" Demonstrationen, Bewegungen, Kämpfe und Rebellionen von vornherein als "neurechts" auffasst, der will in Wirklichkeit womöglich gar keine echte Revolution, sondern nur eine "reine" Revolution. So jemand fürchtet womöglich eine eigenständige Bewegung.

Solch ein elitäres Verhalten passt gut zu den Neokonservativen, zu den Kriegstreibern, zu den konformen Intellektuellen, zu den Eliten in Politik und Wirtschaft. Diese Vertreter der bürgerlichen Herrschaft sind massenfeindlich und ekeln sich geradezu vor der proletarischen Bewegung, die Marx und Engels zufolge nicht viel mehr ist als "die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl" im Kapitalismus. Dieser Abscheu vor den selbständigen Massen, die gerade erst ihre Verschlafenheit und Passivität abstreifen, widerspricht natürlich den Interessen der Herrschenden. Solcher Abscheu passt aber nicht zu Menschen, die sich auf proletarischen Sozialismus oder Marxismus beziehen.

Das heißt nicht, dass die Vorurteile, reaktionären Phantastereien, Fehler und Schwächen einer Bewegung kritiklos hingenommen werden dürfen. Sie verdienen ihre Kritik vom sozialistischen, internationalistischen, proletarischen Standpunkt aus. Und jeder Rest an rückständigen Ideen sollte möglichst von fortschrittlichen Ideen und fortschrittlicher Praxis zurückgedrängt werden. Das gilt gerade auch für rechte, faschistische, reaktionäre Bewegungen, die der größte Feind der proletarischen Bewegung sind. Umso wichtiger ist es, eine Bewegung und Einzelpersonen mit bloß verkürzter Kapitalismuskritik vom Faschismus klar unterscheiden zu können. Wer das nicht tut, muss selbstzufrieden sein.

Aber der Kampf gegen die Reaktion kann eben nicht durch eine ebenso reaktionäre Standpauke bürgerlicher Idealisten geschehen, die ganz offensichtlich keinerlei Verwurzelung in den Massen und keinerlei Verständnis für diese Massen haben. Das wiederum heißt nicht, dass nur Industriearbeiter linke Politik machen können. Aber es sollte ein besseres Gefühl für das Problem existieren, dass sich die große Masse der Bevölkerung politisch nicht vertreten fühlt, dass es dadurch ein politisches Vakuum gibt ("Postdemokratie" genannt) und dass die Linke die Enttäuschung der Massen nicht mit Sektiererei und Moralismus überwinden kann. Die Idealisten der Mahnwachen haben eine eigenständige Massenbewegung gebildet, die sich über Monate hinweg jede Woche trifft. Ihr Kern besteht aus bisher unpolitischen Menschen in der Postdemokratie, die sich nun in lebendiger Demokratie üben. Je mehr die Linke auf sie einschlägt, desto mehr "Phantastereien" werden sich dort entwickeln. Je mehr die Linke sie stützt, desto mehr Hegemonie kann die Linke gewinnen.

Die Linke muss ihre Isolation von den breitesten Menschenmassen loswerden und gleichzeitig ihre Ideen verbreiten. Sie muss die Hegemonie gewinnen innerhalb der selbständigen Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl. Das ist nicht "Querfront", sondern die einzige Möglichkeit, die linken Ideale mit Hilfe der Mehrheit endlich zu verwirklichen.

Mittwoch, 10. September 2014

Lauffeuer - Die Gräueltaten von Odessa am 02.Mai 2014 [Trailer]

"In Odessa starben bei einem Brand am 2. Mai mindestens 48 Menschen. Ein rechter Mob warf Molotow-Cocktails auf das Gewerkschaftshaus, in das sich regierungskritische Aktivisten geflüchtet hatten.

Doch was genau passierte am 2. Mai in Odessa? Wer waren die Organisatoren? Und was bezweckten sie? – Nun entsteht eine Dokumentation über dieses Schlüsselereignis des ukrainischen Bürgerkrieges - und Wir bitten um Ihre Unterstützung."

Hier der Trailer dazu:

https://www.youtube.com/watch?v=DH_Wwd1bASU

Kommunismus leicht erklärt auf qummunismus.at

Manchmal reicht es, einfach zu verlinken. Diese Einführung in den Kommunismus auf qummunismus.at ist nicht schlecht:

http://qummunismus.at/p/article39.html