Donnerstag, 5. Juni 2014

Jean Ziegler über das "Afrika des Hasses" (1987)

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1987 erschien beim Rotbuch Verlag das Büchlein "Endspiel Südafrika" von Robin Cohen. Es thematisiert  Ideologie und die Existenzbedingungen der weißen Rassisten-Diktatur in Südafrika. Jean Ziegler schrieb damals ein wundervolles Vorwort dazu. Anders als Cohen war Ziegler optimistischer, was den Widerstand gegen das Regime anging, und pessimistischer, was die friedliche Reform der Apartheid anging. Nicht in allem mag er Recht behalten haben, aber es lohnt sich, die klaren und trefflichen Gedanken Zieglers in Erinnerung zu rufen.

Im Folgenden das ungekürzte und abgetippte Vorwort* über das "Afrika des Hasses":

Jean Ziegler 

Afrika des Hasses


Zwei gegensätzliche Bilder steigen bei der Lektüre des klugen Buches von Robin Cohen in meiner Erinnerung auf. Sie zeigen gleichzeitig, wo und warum ich mit den Zukunftsprognosen Cohens nicht einverstanden bin.
11. November 1984: die High Society des Transvaal feiert im Ballsaal des Hotel Carlton den Waffenstillstand von 1914. Was eigentlich gefeiert wird, ist nicht ganz klar. 1914 war der Bure Jan Smuts an der Regierung. Ein letzter Aufstand von ungefähr 10 000 ehemaligen Kämpfern des Buren-Krieges unter dem Kommando ehemaliger Buren-Generäle brach aus. Smuts schickte die südafrikanische Armee gegen die Aufständischen ins Feld, massakrierte sie und ließ jeden erschießen, der aus der Armee zu den Aufständischen überlief. 11. November: Gedächtnis-Feier des letzten Buren-Aufstandes oder Gedenktag des Sieges der Alliierten auf dem europäischen Kontinent? So genau will es mir keiner meiner Tischnachbarn erklären. Das Orchester spielt Walzer und Jazz aus den zwanziger Jahren. Die Einladung zum Fest der Buren-Elite verdanke ich dem Schweizer Generalkonsul. Ich komme mir vor wie Malaparte als SS-Mann verkleidet im Ghetto von Warschau. Meine Uniform ist die weiße Haut. Sie verschafft mir Zugang zu dieser häßlichen Welt. Die burischen Damen sind mit Edelsteinen und Gold beladen. Die Herren im Frack sind - wie ihre Damen - meist gesetzten Alters und ziemlich wohlleibig. Sie lachen laut, essen viel und strahlen Zuversicht, Zufriedenheit, Reichtum und Arroganz aus. Die indischen Musiker, die schwarzen Kellner sind Schatten an der Wand. Ihnen wird mit lässiger Handbewegung dies und jenes befohlen. Keiner redet mit ihnen, keiner schaut sie an. Der Lord-Major von Johannesburg - blon, groß, dickleibig, mir rot angelaufenem Gesicht und feistem Nacken - trägt eine herrschaftliche Silberkette über dem Bauch. Ein Adjunkt legt ein silbernes Szepter vor ihn auf das Pult. Der Lord-Mayor steht auf, das Orchester spielt einen flotten Marsch und die Rede beginnt: die weiße Ballgesellschaft, so sagt der Bürgermeister, stehe im Kampf gegen den internationalen Kommunismus und die allgemeine Barbarei. Die Weißen anderswo - vor allem in Europa - verstünden nicht, daß ihre Zivilisation hier verteidigt werde. Demokratie dürfe schließlich keine Schwäche bedeuten ... Tosender Beifall im Saal. Entlang der Wand nicken sogar die schwarzen Schatten höflich Zustimmung. Kafka unter den Tropen.

Zweite Erinnerung: Im September 1980 bin ich zusammen mit Régis Debray Gast von Präsident Samora Machel in Mozambique. 25. September: unser Besuch geht dem Ende entgegen. Eine letzte Diskussion mit Marcelino dos Santos, Oscar Monteiro, Aquino de Bragancccca, Samora Machel im Garten des Präsidenten -Bunkers, einem ehemaligen portugiesischen Offizierskasino nahe dem Strand am Indischen Ozean. Unter den Palmen stehen Fliegerabwehrgeschütze. Wir sitzen in großen Korbstühlen. Samora - entspannt, fröhlich, blitzgescheit - ruft den einen oder andern Kanonier herbei. Tee wird getrunken, Bilanz gezogen. Die Nacht bricht ein. Der Mond steigt auf. Wir verabschieden uns. Aquino hat eine letzte Überraschung für uns bereit: durch die menschenleeren Boulevards unter duftenden Bäumen und dem Sternenhimmel fahren wir gen Süden, Richtung Hafenviertel. Vor einem Hochhaus stehen schwarze Soldaten. Der Aufzug führt in den achten Stock. Die Tür geht auf. Vor uns steht Joeeeee Slovo, der Generalstabschef der Umkhoto We Sizwe (die Lanze der Nation). Er plant und führt - zusammen mit dem 18köpfigen Militär-Komitee - den bewaffneten Widerstand gegen die Apartheid-Diktatur. Slovo, eins erfolgreicher Geschäfts- und Finanz-Anwalt in Johannesburg, hat Nelson Mandela im Rivonia-Prozeß verteidigt; Mandela und praktisch der ganze damalige Führungsstab der Umkhoto We Sizwe waren am 11. Juni 1963 im Bauernhof Rivonia, nahe bei Johannesburg, umzingelt und verhaftet worden. Slovo ist mit der britischen Anthropologin und Oxford-Dozentin Ruth First verheiratet. Er ist ein hochgewachsener weißer Mann, kultiviert, überzeugter Marxist. Das genaue Gegenteil eines Barbaren. Seine komplexen Analysen der Situation - beeindrucken mich durch ihre Präzision, durch ihre undogmatische Subtilität. Er spielt Bridge in Weltklasse und redet ein Englisch in der Stilreinheit eines britischen Lords. Zwischen dem Bürgermeister von Johannesburg und Joeeee Slovo liegen Lichtjahre - und ein sicherlich unüberbrückbarer Haß. Versöhnung, Annäherung zwischen diesen beiden Welten scheinen mir heute ausgeschlossen. 

Ein Nachtrag zu diesem Exkurs in die Erinnerung: am 17. August 1982 explodiert ein Sprengbrief im Sitzungszimmer des Afrika-Institutes der Eduard-Mondlane-Universität in Maputo. Ruth First ist auf der Stelle tot. Bragancccca, ein amerikanischer und ein südafrikanischer Forscher - O'Laughlin und Jordan - sind schwer verletzt. Die Untersuchung ergibt, daß der Brief von einem südafrikanischen Agenten präpariert und transportiert wurde. Oktober 1986: das Flugzeug des Präsidenten Samora Machel stürzt im Wald nahe der südafrikanischen Grenze vom Himmel. Unter den Toten: mein Freund Aquino de Bragancccca. Joeeee Slovo lebt heute nicht mehr in Maputo. 

In seinem Schlußkapitel analysiert Cohen die möglichen Szenarien, welche der weißen Rassendiktatur in Südafrika ein Ende setzen könnten. Sowohl seine empirischen wie seine theoretischen Aussagen erscheinen mir als außerordentlich informiert und klug. Cohen glaubt nicht an den 'Grand-Soir', den entgültigen Aufstand der Sklaven, den mir Joeee Slovo in jener fernen Nacht in Maputo so eindrücklich beschrieben und prophezeit hatte. Vielmehr, so meint Cohen, werde durch Widerstand und Repression, Bewußtseins-Fortschritt bei den Unterdrückten und späte, langsame Einsicht bei den Herrschenden ein neues instabiles Gleichgewicht entstehen. Modelle? Libanon, Nord-Irland. Cohen zeigt, wie die neuen Entwicklungen die sozialen Schichten der schwarzen Bevölkerung verändert haben. Die Stratifikation ist vielfältiger geworden; die Segmentierung ist intensiv, Nebenwidersprüche und vermittelte Gegensätze sind zahlreich. Cohen zeigt auch überzeugend, wie stark die südafrikanische Wirtschaft heute vom internationalen Kapitalismus abhängig ist, wie stark die Überdeterminierung durch den kapitalistischen Weltmarkt auf das südafrikanische Sozialgebäude wirkt. Auch eine schwarze Regierung, hervorgegangen aus der allgemeinen, geheimen, demokratischen Abstimmung aller in Südafrika lebenden Bürger, wird diese Abhängigkeit nicht brechen und diese Überdetermination nicht korrigieren können. All das stimmt.

Trotzdem bin ich nicht mit der Cohen-These vom schleichenden Übergang einverstanden. Cohen sagt kaum etwas von der Kommando-Struktur der Widerstandsbewegung, der Widerstands-Front. Er analysiert lange, genau und interessant die ideologische Struktur der Apartheid (besser: er zeigt, warum die Apartheids-Theorie keine eigentliche Ideologie ist; sie verschleiert nämlich nichts!). Die Gegenseite kommt kaum zu Wort. Doch die Entwicklung des kollektiven Über-Ichs der Buren, des durchaus kohärenten, formallogisch homogenen Systems der Selbstdeutung des Apartheid-Staates wird man nur aus der Dialektik mit einem sich von Tag zu Tag radikalisierenden Selbstverständnis der schwarzen, farbigen unterdrückten Mehrheit begreifen können.

Ein zweites Argument: Cohen meint, die Apartheid sei eben im Begriff still dahinzusiechen. Seine Analyse der Botha-Strategie ist überzeugend. Aber eben: es fehlt ein Zusatz. Während Botha reformiert, abbaut, verhandelt, Brücken sucht, organisieren in seinem Rücken die Rassisten des eigenen Lagers ihre Sabotage. Sabotage? Das Wort ist zu schwach. Es handelt sich um eine eigentliche Konter-Revolution, die jener der OAS (Organisation de l'Armeée secrète) im französisch beherrschten Algerien der Jahre 1961/1962 ähnelt. Allein im Jahr 1986 sind mindestens drei solcher OAS-Organisationen tätig geworden. Im Untergrund oder auf offenem Feld. Die Aksie Eie Toekams-Organisation ist streng geheim, bewaffnet und agiert innerhalb des Expeditionskorps in Namibia, innerhalb der Bereitschaftspolizei und auf der Offiziersakademie. Das Wit-Kommando, auch Afrikaaner Weederstandsbeveging (AWB) genannt, führt ein Fahnen-Emblem, das direkt vom nationalsozialistischen Hakenkreuz inspiriert ist. innerhalb der Nationalen Partei, der Buren-Partei, bestand schon immer ein rechtsextremer Flügel: 1969 trennte sich der damalige Informationsminister Albert Hertzog von John Voster. Die Herstigte Nasionale Party (die 'gereinigte' National Party) entstand. Verbündet mit dem Broederbund gelingt es der HNP 16 Jahre später, ins Parlament einzuziehen. Dazu kommt: auch innerhalb der bestehenden Struktur der Nasionale Party gibt es heute wieder ein 'Endkampf'-Lager. Der rechtsextreme Flügel vereint heute die sogenannt verkrampten Abgeordneten und Parteimitglieder (die 'Verkrampften' - im Gegensatz zu den verligten, den aufgeklärten Botha-Anhängern).

Überschätze ich den derzeitigen Einfluß der Endkampf-Fanatiker im weißen Lager? Nein. Vieles deutet darauf hin, daß wie in Algerien (Juni 1962), wie in Rhodesien (1977) kein schleichender Übergang zur Mehrheitsdemokratie möglich sein wird - wie Cohen meint. Beispiele für die Schlagkraft der Endkämpfer? Es gibt deren viele: Im Mai 1986 stürmt Eugène Terre Blanche an der Spitze von über 2000 AWB-Fanatikern - Lederstiefel, weißes Hemd, schwarze Krawatte - in Pietersburg, im Norden des Transvaal, die Generalversammlung der Nationale Party, der Regierungspartei, und jagt den Außenminister Pik Botha handgreiflich aus dem Saal. Pietersburg ist umzingelt, abgeschirmt von Hunderten von Spezialtruppen, Bereitschaftspolizisten. Sie alle schauen wohlwollend dem Treiben der AWB-Schläger zu! Niemand schützt die anwesenden Minister. Ebenfalls im Jahr 1986 terrorisierten Gruppen von weißen AWB-Gangstern zwei ganze Wochen lang die Einwohner des Schwarzen-Ghettos von Kagiso, im osten Johannesburgs. Das erste Opfer, der schwarze Jugendliche Stephen Matshogo, 22 Jahre alt, wird auf dem Heimweg von seiner Arbeit abgefangen und zu Tode geprügelt. Die Polizei steht dabei und lacht. Ein letztes Beispiel: die südafrikanischen Ku-Klux-Klan-Brüder prügeln nicht nur, sie gewinnen auch stubenreine, freie weiße Wahlen. Von fünf Nach- und Teilwahlen im Jahre 1986 haben die AWB-Kandidaten deren vier gewonnen.

Unsere Verantwortung: Was heute in Südafrika geschieht und von Cohen analysiert wird, ist kein fernes Wetterleuchten für uns hier in Europa. Das ist nicht irgendein afrikanischer Buschkrieg, eine der unzähligen Illustrationen der Verrohung unserer Welt. So nebensächlich und fern, Tagesschau-Futter für europäische Regentage ist das Südafrika-Drama nicht. Die Tragödie geht uns direkt an, denn an ihr sind wir - in der Bundesrepublik, in Frankreich, in der Schweiz - direkt mit verantwortlich. 1985 rief der Friedens-Nobelpreisträger Desmond Tutu, anglikanischer Bischof, zum internationalen Wirtschafts-Boykott gegen Südafrika auf. Genaue Untersuchungen unter der schwarzen und farbigen Bevölkerung belegen, daß über 70% der unterdrückten Mehrheit den Boykott befürworten. Die südafrikanische Wirtschaft ist höchst verwundbar: die Gold-Exporte zum Beispiel bringen rund die Hälfte der südafrikanischen Devisen-Einkommen ein. Die 71 Minen beschäftigen über 450.000 Arbeiter und Techniker. Die Goldminen sind auch eine Bastion der rechtsextremen weißen Gewerkschaft. Ein schwarzer Minen-Arbeiter verdient fünfmal weniger als sein weißer Kollege. Die Schwarzen machen die gefährlichste Arbeit. Pro Jahr sterben in den 71 Minen im Durchschnitt 600 Menschen an Unfällen.

Das Südafrika-Gold wird von Swissair-Sondermaschinen nach Zürich transportiert. Die drei Schweizer Großbanken - Kreditanstalt, Bankgesellschaft und Bankverein - handelten 82% des südafrikanischen Goldes des Jahres 1986 ... und machten Riesenprofite. Industrie- und Finanzkapital aus der Bundesrepublik, Frankreich, England, USA hält die hochentwickelte südafrikanische Industrie, den Handel und die Militärmaschinerie auf Hochtouren. Mittelfristige Bankkredite aus Europa erlauben dem schwer verschuldeten Apartheids-Staat die extravagantesten Militär-Abenteuer: fortlaufende Besetzung der ehemals deutschen Kolonie Namibia, regelmäßige Einfälle in Südangola, Unterstützung und Finanzierung der konterrevolutionären Sabotage- und Guerilla-Bewegung RNM in Mozambique. Aber nicht nur von europäischen Investitionen, europäischen Devisen, sondern auch von europäischer Technologie ist Südafrika direkt und lebenswichtig abhängig: die Rassen-Diktatur ist heute der erste Nuklear-Produzent des Kontinentes (die Zentrale Koeberg, nahe beim Kap an der Atlantikküste, hat heute zwei Reaktoren mit je 920 Megawatt in Betrieb).

Der Boykott-Aufruf von Bischof Tutu gehört keineswegs ins Reich idealistischer Träume verwiesen. Er verdient ernst genommen zu werden, weil er Erfolg verspricht. Zwischen 1966 und 1982 haben die Auslandsinvestitionen in Südafrika um 14% pro Jahr zugenommen. Der Weltwährungsfonds schätzte sie im Jahre 1983 auf 17 Milliarden Dollar. Die Profite waren in Südafrika außerordentlich hoch. Inzwischen sind die Investitionen zurückgegangen. Die Profite ebenfalls: 7% im Durchschnitt im Jahre 1984, 5% im Jahre 1985. Die Hälfte der Kapitalien kommt aus den Staaten des Europäischen Gemeinsamen Marktes. England hat mit 600 Gesellschaften, die rund 350 000 Menschen beschäftigen, den höchsten Anteil (10% aller englischen Auslandsinvestitionen werden in Südafrika getätigt, gegen nur 1% der USA). Die Bundesrepublik steht an dritter Stelle: 6,4% ihrer gesamten Auslandsinvestitionen sind in Südafrika. Frankreich hat rund 80 Gesellschaften und 4,7% seiner Auslandsinvestitionen in der Rassen-Diktatur. Sinkende Profite, Rückzug der nordamerikanischen Kapitalien, Verbot des Verkaufes der Krügerrands in den USA, schwindende Zuversicht der europäischen Investoren ... die Zeit ist günstig für die Organisation und Durchführung eines Finaz- Handels-, Rohstoff- (vor allem Erdöl)-Boykotts.

Wollen die Europäer diesen Boykott und damit das Ende der Rassen-Diktatur? Die Mehrheit will ihn nicht. Staats-Räson, Profitgier, geistige und politische Indolenz charakterisieren die Beziehungen zwischen den westeuropäischen Demokratien und Südafrika. 1911 rief Jean Jaurès den Generalstreik aus gegen die geplante französische Invasion Marokkos. Der Generalstreik fand statt, die Invasion wurde verzögert. Heute ist das Bewußtsein internationaler Solidarität in der europäischen Arbeiterbewegung vollständig verkommen. Keine der großen westeuropäischen Gewerkschaften - von den Skandinaviern und den Holländern abgesehen - hat sich für den Boykott entschieden. In der Sozialistischen Internationale verteidigen nur die alten, konsequenten Anti-Faschisten wie Willy Brandt, Wischnewski und wiederum die Schweden, Dänen, Holländer, Finnen den Boykott. Alle anderen - und in den Gewerkschaften, in den sozialistischen Parteien sind sie leider die überwiegende Mehrheit - ziehen es vor, die Resultate des sogenannten "friedlichen Übergangs zum Mehrheitswahlrecht" abzuwarten. Kurz: Heuchelei, Indolenz, intellektuelle Stumpfheit und politische Verantwortungslosigkeit beherrschen den Tag.

Die Rassen-Tyrannei von Pieter Botha ist eine nackte, pure Gewaltherrschaft. Der Weekly Mail, die südafrikanische Wochenzeitung, meldet, daß gegenwärtig nach Angabe der Elternvereinigungen über 4000 Kinder unter 16 Jahren in Haft sind oder vermißt werden. Über 10 000 Kinder sind seit Ausrufung des Ausnahmezustands verhaftet worden. In den südafrikanischen Gefängnissen und Konzentrationslagern wird systematisch gefoltert. Auch viele Kinder werden mißhandelt. Die physischen und vor allem psychischen Schäden, die diesen Kindern zugefügt werden (Elternkontakt, Kleiderwechseln ist während der Haftzeit untersagt), sind nicht abzusehen.

Ich glaube nicht an friedlichen Übergang. Auch nicht an neue "Gleichgewichte" nach libanesischer Art. Hitler und Stalin stehen den südafrikanischen Tyrannen zu Gevatter. Ein solches Regime wird nur stürzen, wenn die zivilisierte Welt es tatsächlich in Bann stellt, seine verletzliche Wirtschaft boykottiert, die diplomatischen Beziehungen abbricht und sich klar auf die Seite der Unterdrückten stellt. Bischof Tutu, Nelson Mandela, Joe Slovo zeigen Europa den Weg. Maurice Duverger, Jura-Professor an der Sorbonne, der kein Revolutionär und nicht einmal ein Sozialdemokrat ist, hat 1972, während der amerikanischen Terrorbombardemente auf Hanoi und Haiphong, das Konzept vom "äußeren Faschismus" (le fascisme extérieur) geprägt. Wir Westeuropäer leben in marken-echten Demokratien. Meinungsfreiheit , Menschenrechte, Volkssouveränität sind bei uns Wirklichkeit (wenigstens zu einem großen Teil). Unsere Demokratien aber beruhen auf Grundwerten, die nur wirksam bleiben können, der Zeit und der Erosion standhalten, wenn sie universale Geltung erlangen.

Moralische Grundwerte mit regional beschränkter Haftung kann es nicht geben. Wenn die Staats-, Partei- und Gewerkschaftsapparate Westeuropas weiterhin den "äußeren Faschismus" betreiben - das heißt: eine Außenpolitik der Menschen-Verachtung, der Allianz mit Tyrannen -, dann zerfallen auch bei uns unmerklich die moralischen Werte, ohne die keine Demokratie überleben kann. Die Befreiung des südafrikanischen Volkes ist daher eine Bedingung für das Überleben der Demokratie in Europa.



*Eventuelle Tippfehler mögen verziehn werden. Und bei Copyright-Fragen: Ziegler oder der Verlag mögen sich, so unwahrscheinlich es ist, beschweren, falls sie die unentgeldliche Werbung in ihrem Sinne hier fürchten.

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