Dienstag, 17. Juni 2014

Schmidt und Russland. Obsolet gewordene Worte des Altkanzlers Schmidt?

Der paffende Altkanzler
Eigentlich behält Helmut Schmidt immer Recht. Eigentlich. Manchmal hat Helmut Schmidt aber auch Unrecht. Manchmal. Keine Autorität ist fehlerfrei. Sogar Helmut Schmidt nicht.

In Bezug auf Russlands Lage hat sich der Altkanzler leider in einiger Hinsicht gewaltig getäuscht, auch wenn er in Vielem noch immer Recht behalten hat. In jedem Fall sind die Worte des paffenden Ex-Soldaten und Ex-Kanzlers überaus bemerkenswert.

Im Folgenden werden daher obsolet gewordene wie auch nach wie vor gültige Worte des Altkanzlers Schmidt in Bezug auf Russland dokumentiert. Die Zitate stammen aus seinem Büchlein "Die Mächte der Zukunft" (2004):

"Als ein Deutscher, der als Soldat am Zweiten Weltkrieg beteiligt war und auf russischem Boden gegen russische Soldaten gekämpft hat, bin ich besonders dankbar, daß heute kaum noch gegenseitiger Haß zu spüren ist und daß unsere beiden Regierungen eindeutig vom Willen zu fairer Partnerschaft geprägt sind."

"Die Zukunft des Landes wird in absehbarer Zukunft jedoch von keinem anderen Staat gefährdet. Niemand, der die Lage der Welt unvoreingenommen betrachtet und bewertet, kann zu einem anderen Ergebnis gelangen. Es kann keine Rede davon sein, daß Rußland einen Angriff durch einen anderen Staat oder gar durch eine Allianz von Staaten befürchten und sich dagegen wappnen müsse."

"Sofern die innenpolitische und die ökonomische Entwicklung in der Ukraine und in Weißrussland hinter derjenigen Rußlands weiterhin zurückbleiben sollte, kann es nach einer tausendjährigen gemeinsamen Geschichte, angesichts sprachlicher und kultureller Gemeinsamkeiten und wegen der engen gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit zu einer Wiedereingliederung kommen. Wenn ein solcher Prozeß selbstbestimmt und gewaltfrei verliefe, wäre ausländische Einmischung ein schwerer Fehler."

"Allerdings gibt es unter den Russen auch Stimmen, die einen militärischen Angriff auf ihr Land sehr wohl für möglich halten. Diese Furcht entspringt den aus sowjetischer Zeit und aus dem Kalten Krieg stammenden Denkgewohnheiten. Damals ging man davon aus, daß die eigene Hochrüstung das Gleichgewicht zwischen den beiden Giganten aufrechterhalte und daß dieses Gleichgewicht die entscheidende Voraussetzung für die Bewahrung des Friedens und der Sicherheit des eigenen Landes sei. Dieses im Grunde sehr einfache strategische Kalkül war nicht nur aus russischer Sicht plausibel, es wäre auch objektiv richtig gewesen, wenn nicht der bipolare Rüstungswettlauf mit den USA das Gleichgewicht immer wieder gefährdet hätte. Heute hat die militärische Potenz den einen Giganten zur globalen Supermacht werden lassen, die Rüstung des anderen dagegen ist zurückgegangen. Weil von einem globalen Gleichgewicht keine Rede mehr sein kann, so die Schlußfolgerung mancher Russen, sei Rußland bedroht."

"Tatsächlich haben sich zwar in den neunziger Jahren die Rüstungsgewichte erheblich verschoben, Rußland ist jedoch immer noch und auch künftig zum sicheren atomaren Gegenschlag fähig. Deshalb werden auch künftig weder die USA noch Rußland an einen atomaren Krieg gegeneinander auch nur denken können. Zu einem konventionellen Krieg gegeneinander sind beide jedoch nicht fähig; auch die NATO als Ganzes wäre zu einem konventionellen Angriff auf Rußland militärisch wie politisch außerstande. Ein entscheidender Unterschied zur Situation des Kalten Krieges, die man sich bildlich als zwei feindliche Skorpione in ein und derselben Flasche vorgestellt hat, liegt darin, daß Moskau heute nicht mehr weit über die Grenzen des eigenen Staates hinaus missionieren will. Das heutige Rußland ist kein Skorpion."

"Man wird gleichwohl für die russische Skepsis Verständnis haben müssen. Denn aus russischer Sicht ist nicht nur die EU, sondern auch die Nordatlantische Allianz weit nach Osten vorgerückt; Truppen der NATO stehen auch auf dem Boden des ehemaligen jugoslawischen Staates und in Afghanistan; in Kirgisistan und Usbekistan gibt es heute amerikanische militärische Stützpunkte. In den Augen eines russischen Generals nimmt sich dieses Bild nicht wie eine freundschaftliche Umarmung aus, und er wird sich fragen, welche unfreundlichen Absichten dahinter verborgen sein könnten."

"Die europäischen Regierungen haben sich ebenso wie auch Washington bemüht, diesem Eindruck der geopolitischen Einkreisung Rußlands entgegenzutreten"

"Weil die Europäer ihrerseits auf absehbare Zeit nicht zu einer gemeinsamen Außenpolitik finden, kann Rußland sich einstweilen nur wirtschaftlich, nicht aber bündnispolitisch an Europa binden."

"In Rußlands Verhältnis zu China könnten durch den heimlichen Wanderungsdruck aus dem chinesischen Nordosten Spannungen auftreten; wahrscheinlicher ist aber, daß beide Weltmächte ihr gegenwärtig gutes Verhältnis durch dergleichen nicht gefährden lassen."

"Aber gerade in der schwierigen Phase des Übergangs darf Rußland von seinen Partnern ein besonderes Einfühlungsvermögen erwarten."

"Auch wenn einige der Nachbarn in Europa und Asien argwöhnisch bleiben, sind doch Nachbarschaft und Zusammenarbeit der Europäer oder der Chinesen mit den Russen in einem besseren Zustand als jemals im 20. Jahrhundert."

"der Stolz des russischen Volkes und sein Patriotismus sind empfindlich."

"Rußland ist friedlich gestimmt. Das gilt auch für das Militär, für die Bürokratie und für die Diplomaten. Das Land braucht Zeit für den drigend nötigen Reformprozeß."

"Rußland braucht europäische Investitionen, die europäischen Volkswirtschaften brauchen Öl und Gas."

"Vor allem haben die Europäer ihren großen Respekt vor dem russischen Volk, vor Putin und den Reformanstrengungen zum Ausdruck gebracht. Das wird auch künftig nötig sein."

"Wegen seiner ungeheuren territorialen Ausdehnung, wegen der noch immer nicht vollständig explorierten Bodenschätze, aber auch wegen der großen Zahl unmittelbar benachbarter Staaten und schließlich wegen seiner umfangreichen atomaren Rüstung ist Rußland eine der drei strategischen Weltmächte. Das wird so bleiben, auch wenn das Land innenpolitisch und ökonomisch noch über einige Jahrzehnte geschwächt bleiben sollte."

"Ihre eingebildete globale Mission und ihr weltpolitisches Geltungsbedürfnis haben die sowjetischen Führer bis in die achtziger Jahre dazu verleitet, die Versorgung und das Wohlbefinden der eigenen Bevölkerung zurückzustellen hinter die vermeintlichen außenpolitischen, strategischen und militärischen Notwendigkeiten [...] Die innenpolitische und ökonomische Konsolidierung Rußlands wird im Gegenteil die bei weitem wichtigste Aufgabe der kommenden Jahrzehnte sein."

"Gleichwohl steht Rußland auch vor einer Reihe außenpolitischer Fragen. Dazu gehören an der Spitze die Beziehungen zu Amerika, zu China und zur Europäischen Union, sodann die Beziehungen zu den vielen kleineren Nachbarn in Europa und Asien. Wie die meisten europäischen Staaten ist auch Rußland von transnationalem Wanderungsdruck, von grenzüberschreitenden Seuchen und von internationalem Terrorismus bedroht."

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