Montag, 25. Juli 2016

Über Verschwörungstheorien und Eliten

Hochaktuell ist die Frage, wie es zu Verschwörungstheorien kommt, zumal im Zuge der Mahnwachen von 2014 einerseits viele Verschwörungstheorien (medial) wieder in Gang gebracht wurden und andererseits, weil die abgehobenen Feinde der Mahnwachen selbst oft zu lächerlichen Verschwörungstheorien gegriffen haben. Beide Seiten machen auch nach der Niederlage der Friedensbewegung von 2014/15 in anderen Formen weiter.

Auf beiden Seiten kommt es zum Glauben an Verschwörungen kleiner Zirkel gegen den Rest der Welt. Die einen glauben tendenziell an eine Verschwörung irgendwelcher Eliten in Banken, Großindustrie, Politik, Medien oder im Kulturbetrieb, die die Welt in völligem Einvernehmen flächendeckend beherrschen und nur von plötzlich "Erwachten" durchschaut werden. Die anderen glauben an eine Verschwörung von Nazis und Querfrontstrategen, die sich geschickt als Pazifisten tarnen, zumindest aber Friedens-Hippies um sich scharen, um diese dann wie durch ein Wunder in Nazis zu verwandeln.

Beide Ansätze sind inkorrekt, haben aber einen gemeinsamen, wahren Kern: Es gibt tatsächlich Menschen, die sich zusammentun, um politische Ziele zu erreichen. Manche dieser Menschen gehören elitären Clubs an und hassen die Massen. Andere Menschen gehören zu den Massen und hassen die elitären Clubs. Dazwischen stehen Menschen, die zu den Massen gehören, aber zugleich die selbstständige Formierung dieser Massen fürchten und daher verleumden. Die Rede ist von den Regierenden und Herrschenden dieser Welt, die Ämter auf nationaler und internationaler Ebene bekleiden oder Beraterfunktionen in Konzernen übernehmen, also die politischen und ökonomischen Eliten. Andererseits sind auch die einfachen Menschen gemeint. Drittens sind die Kleinbürger und Bildungsbürger gemeint, die sich für was Besseres halten und gegen die Masse agieren, also die Bildungselite und Elite der Selbstüberschätzung. Es kämpfen also Eliten gegen die Massen. Erst mit dieser Konstellation im Hinterkopf kann man begreifen, wieso es zu wilden Anschuldigungen auf beiden Seiten kommt. Aber wieso entwickeln selbst die Bildungseliten teils selbst Verschwörungstheorien gegen die Massen?

In jedem Fall sollten Menschen, die sich mit dem eigenartigen Glauben an Verschwörungstheorien befassen, diese auch rational untersuchen und verstehen, wieso es zu solchem Glauben kommt. Sich erhaben dünkende Kritiker (ob links, konservativ oder liberal), die praktisch immer aus den privilegierten Schichten kommen, sollten einfach mal ihre dreiste Überheblichkeit gegenüber den Massen reflektieren und sich ernsthaft mit deren problematischem Bewusstsein beschäftigen. Der Klassismus durch die Bildungsbürger, die Verachtung niederer Schichten und erst zur Bildung gelangender Milieus, ist unerträglich. Dem Autor dieser Zeilen sind unbeweisbare Theorien aus Informations- und bildungsmangel lieber als offensichtlicher Hass der Professorenkinder auf die ratlosen Massen.

Deutsche Reptiloiden
Schön, dass Theorien von Reptiloiden oder Chemtrails amüsiert belächelt oder gar zynisch ausgelacht werden. Ist ja verständlich, wieso man das tut. Aber wer aufhört, nach Erklärungen für die merkwürdigen Theorien der Massen zu suchen und beim Auslachen stehenbleibt, der gesteht im Grunde den eigenen intellektuellen Bankrott ein. Gefordert wäre ein klügerer Umgang mit diesem Phänomen.

Die letzte Ursache der  Beliebtheit von Verschwörungstheorien aller Art ist das Misstrauen, das unvermeidlich ist, wenn es an Informationen und Nachvollziehbarkeit über soziale Prozesse mangelt. Die moderne Gesellschaft ist äußerst komplex und das Bildungssystem überaus schlecht. Der Erforschung der Gesellschaft widmen sich dutzende, hunderte verschiedener Wissenschaften. Soziologie, Volkswirtschaftslehre, politische Ökonomie, Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaften und Psychologie sind darunter die bekanntesten. Wäre die Wahrheit über die Gesellschaft direkt und unmittelbar zu finden, bräuchten wir diese Disziplinen nicht. Aber sie haben ihre Berechtigung. Nur durch die Wissenschaften und traditionelle Überlieferung haben wir halbwegs verläßliches Wissen, das über Grenzen und Zeiten hinweg relative Geltung hat.

Aber nur ein privilegierter Teil der Bevölkerung hat Zugang zu diesem Wissen. Wissenslücken sind damit unvermeidlich. Hinzu kommt, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht sonderlich demokratisch ist und kein Interesse an einer mündigen und klassenbewussten Bevölkerung hat. Irgendwelche Dullis müssen ja noch die Drecksarbeit erledigen und sich bis zur Rente mies abziehen lassen.

Daher trifft eine unmündige Masse auf eine undemokratische und undurchsichtige Gesellschaft. Sobald sich die Masse selbstständig Gedanken macht, sind verworrene und unwissenschaftliche Konstruktionen ganz selbstverständlich. Schuld tragen aber nicht die Massen, sondern die privilegierten Mittel- und Oberschichten. Sie produzieren die Bedingungen, unter denen Verschwörungstheorien aufblühen können. Außerden entwickeln selbst die gebildeteren Schichten eigens solche Theorien. Allerdings richten die sich eher gegen die Massen, denen man allerhand Intentionen und Motive unterstellt, ohne sie nachzuweisen. Das ist schlicht erbärmlich und antidemokratisch.

Der Mangel an Demokratie und Transparenz ist das Problem, nicht die ratlose Suche nach beidem. Also Fressloch halten, wenn ihr euch über den Pöbel lustig machen wollt, den ihr selbst erschaffen habt, liebe Bonzen. Oder werdet gefälligst zu überzeugten Aufklärern und Sozialisten. Dann könnt ihr auch was dazu beitragen, diese Verhältnisse umzukrempeln.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen