Samstag, 7. November 2015

Zwei Taktiken des Antifaschismus gegen den Aufstieg der deutschen Rechten

Das Aufkommen neuer rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien in Deutschland stellt die Antifaschist*innen im Lande vor die Wahl zwischen zwei Formen des Antifaschismus. Damit sind nicht der gutbürgerliche Antifaschismus auf der einen Seite und der übliche Antifaschismus der radikalen Linken auf der anderen Seite gemeint. Diese zwei traditionellen Formen des Antifaschismus sind tatsächlich zwei Seiten einer Medaille. Sie sind im Kern reformistisch. Dass der Antifaschismus des Schwarzen Blocks, der roten Antifa und einzelner Blockadeteilnehmender als reformistisch bezeichnet wird, soll keine Beleidigung sein. Die antifaschistischen Blockaden sind absolut notwendig und verdienen großen Respekt. Aber sie reichen nicht aus. Letztlich zielen sie nicht auf eine Umwälzung der Verhältnisse, so radikal sich ihre Akteure auch geben mögen. Denn für eine Umwälzung der Verhältnisse müsste man eine umwälzende Kraft auf seiner Seite haben - das Proletariat etwa oder zumindest die Avantgarde des Proletariats. Tatsächlich gibt es diese Avantgarde in Deutschland nicht mehr und das Proletariat ist passiv. Da, wo diese Klasse aktiv wird, ist sie eher auf Seiten von SPD, CDU oder Rechtspopulisten. Nur eine winzige Elite ist regelmäßig an antifaschistischen Aktionen beteiligt. Die meisten Blockadeteilnehmenden dürften jedoch nicht einmal dem Proletariat entstammen, sondern vielmehr dem Kleinbürgertum. Die meisten radikalen Linken sind kleinbürgerlich sozialisiert und agieren dementsprechend klassistisch. Das Proletariat zeigt nur vereinzelt Sympathien für die radikalisierten Kinder des Bürgertums. Dass dies geleugnet oder ignoriert wird, ist eine Katastrophe für die deutsche Linke. So ist eine Erneuerung kaum denkbar. Aber das Kleinbürgertum ist auf eine solche Erneuerung vielleicht auch nicht angewiesen. Die Struktur der deutschen Linken ist nicht nur konservativ, sondern auch zirkulär. Die Linkspartei etwa erhält sich auch ohne revolutionäre Politik selbst. Ihre Mitgliedschaft wächst vielleicht nicht, aber die in ihr etablierten Kräfte profitieren auch schon von einem stagnierenden Parteiapparat. Und für eine rot-rot-grüne Koalition ist auch ein rotes Feigenblatt wie eine Linkspartei unter der Dominanz der Reformer ausreichend. Abgesehen von der Linkspartei sind aber auch die anderen linken Parteien trotz revolutionärer Gesinnung strukturell konservativ. Man schaue sich die DKP oder die MLPD an. Wer erwartet von diesen Parteien noch einen revolutionären Anstoß? Und zwischen diesen Parteien stehen die vielen kleinen und mittleren Bündnisse und Grüppchen der radikalen Linken, sowie Lesekreise und Möchtegern-Kommunistische Parteien. Ob theoretisch fit oder nicht - sie leiden am Ultraradikalismus. Sie schotten sich durch Habitus zusätzlich zu ihren oft nicht üblen Familienhintergründen von Proleten und Lumpen ab. Dadurch aber, durch ihren Ultraradikalismus, halten sie die deutsche Linke künstlich und unnötig schwach und klein. So ist keine Umwälzung zu machen. Kein Wunder, dass Pegida, Hogesa, Widerstand Ost-West und wie sie alle heißen mutiger geworden sind. Auch kein Wunder, dass "unpolitische" oder parteikritische Bewegungen wie die Montagsmahnwachen für den Frieden oder dieses merkwürdige Bündnis in Plauen unter dem Titel "Wir sind Deutschland" spontan mehr Massen mobilisieren als die Linke. Trotz aller Errungenschaften der radikalen Antifa hat sie insgesamt zweifellos versagt. Das Versagen des traditionellen Antifaschismus müsste überdacht werden und daraus resultieren sollte eine zweite Form des Antifaschismus.


Im Gegensatz zum bürgerlichen Antifaschismus von SPD, Grünen, CDU, Gewerkschaften, Nachbarschaftsvereinen und schaulustigen Einzelpersonen einerseits und der radikalen Antifa andererseits ist ein Antifaschismus nötig, der große Teile der Bevölkerung radikalisiert, der seine soziale Basis erweitert und damit auch erst selbst revolutionär im eigentlichen Sinne werden kann. Statt bloß auf die etablierten politischen Grüppchen und ihr Standesdenken zu setzen, müssten bisher unpolitische, schwankende und verwirrte Schichten und Milieus für den Antifaschismus gewonnen werden. Das geht aber weder mit dem Opportunismus der bürgerlichen Parteivertreter, noch mit dem sektiererischen Habitus der radikalen Linken. Natürlich können die bürgerlichen Parteien keine Lösung bieten. Sie fallen als Akteure weg und müssen als objektive Hindernisse für solch einen Antifaschismus betrachtet werden. Ob die radikale Linke der richtige Akteur, d.h. radikales Subjekt, sein kann, wird sich noch zeigen. Dafür müsste sie aus ihrem Milieu herauskommen und sich dem Klientel für radikale Politik annähern: den prekären, proletarischen und kleinbürgerlichen Massen, die bisher passiv waren. Die Linke muss eine nachvollziehbare langfristige Strategie ersinnen, eine praktikable mittelfristige Taktik etablieren und ein greifbares alltägliches Angebot aufbauen. Dort, wo es ein alltägliches Angebot gibt, ist es meist durch und durch reformistisch oder ultraradikal. Die Kreisverbände der Linkspartei sind meist ein Beispiel für durchweg verknöcherte Büroangebote, während Autonome Zentren und linke Clubs ziemlich abgehoben sind. Beide sind für die Massen völlig uninteressant und müssen es auch bleiben. Dagegen gibt es Beispiele für gelingende Alltagsarbeit im nachbarschaftlichen Rahmen. Zusammen e.V. in Frankfurt-Rödelheim ist ein solches Beispiel. Die Versuche der Linkspartei kurz nach ihrer Gründung, die Opfer der Hartz-Regimes zu mobilisieren, gehören auch dazu. Leider ist die Partei damit letztlich gescheitert, sodass immer mehr Menschen, die ins "abgehängte Prekariat" herabgesunken sind, der Politik ganz den Rücken zuwandten oder sich nun neuerdings durch rechtspopulistische Propagandisten mobilisieren lassen. Dennoch waren die Ansätze in der LINKEN, diese Schichten zu erreichen, durchaus von Bedeutung. Die Linkspartei ist DIE politische Partei des Prekariats, sei es des intellektuellen Prekariats oder des prekarisierten Proletariats, während die großen Gewerkschaften und die SPD noch immer die politische Heimat für die Arbeiteraristokratie und die verbürgerlichten Arbeiter darstellen. Ein kluger Antifaschismus sollte in der Lage sein, sowohl die Prekären wie auch die Festangestellten unter den Lohnabhängigen auf seine Seite zu ziehen. Ein volksnaher Antifaschismus sollte den bürgerlichen Parteien und Bürgervereinen die Hegemonie entziehen und diese für Antikapitalismus mobilisieren können. Außerdem sollte ein selbstbewusster Antifaschismus keine Berührungsängste mit dem Otto Normalverbraucher haben, der nunmal von der bürgerlichen Ideologie, dem Rassismus der Mitte, den Vorurteilen der populären Extremismustheorie und der gelegentlichen Berührung mit der radikalen Linken von Antifaschismus und Antikapitalismus abgestoßen ist. Dazu gehört, dass Antifschist*innen eindeutig rechte Bewegungen wie Pegida und Hogesa zusammen mit einem breiten Bündnis aus gutbürgerlichen und wenig radikalen Menschen bekämpfen. Dazu gehört aber auch, dass mutige Antifaschist*innen ohne Berührungsängste in "unpolitischen" Bewegungen wie den Mahnwachen für den Frieden oder der Plauener Bürgerbewegung arbeiten können müssen, ohne diffamiert zu werden. Schließlich ist die radikale Linke nicht frei von Opportunismus gegenüber dem Großbürgertum und den medialen Kampagnen, die radikalisierte Kleinbürger wie Ken Jebsen und Lars Mährholz von vornherein verleumdet haben, um sie von der radikalen Linken fernzuhalten und sie den Rechtspopulisten zuzutreiben. Die Linke ist in diesen Fällen der medialen Propaganda auf den Leim gegangen und nur wenige mutige Ausnahmen stellten sich gegen diese Verleumdungen. Ein revolutionärer Antifaschismus macht sich radikalisierte Kleinbürger zu Koalitionspartnern gegen das Großbürgertum und offen rechte Kräfte, Nazis und Faschisten. Entwickelt die Antifa keine breite, populäre Taktik im Bündnis mit weniger radikalen Kräften, ist sie selbst mitverantwortlich für das Erstarken der deutschen Rechten. Bisher haben wir noch zu wenig aus der Geschichte des Faschismus gelernt. Doch gerade für die Linke gilt, was schon für die Bolschewiki galt: "Lernen, lernen und nochmals lernen!" (Lenin)

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