Montag, 15. September 2014

S. Coiplet: Die Freiheit in Schillers Briefen über ästhetische Erziehung

Von Sylvain Coiplet (12/1996) 

Die Freiheit in Schillers Briefen über ästhetische Erziehung


Von der ästhetischen zur politischen Erziehung


In der Briefsammlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen geht Schiller nur in den ersten Briefen und in dem letzten Brief auf die Politik ein. Bis zum achten Brief versucht er gegen seine Zeit zu rechtfertigen, warum er sich mit Ästhetik, statt mit Politik beschäftigen will. Ihm scheint es also nur darum zu gehen, mit dem Thema Politik «fertig» zu werden. Im siebenundzwanzigsten Brief kehrt er zwar zur Politik zurück, aber mit ihm brechen auch die Briefe ab. Heißt es, daß die «politischen» Briefe noch gar nicht geschrieben worden sind (Narr)? Sind aber die «ästhetischen» Briefe wenigstens brauchbar als Einleitung zu diesen nicht-vorhandenen politischen Briefen? Wo lassen sie sich weiterführen?
Soll man gleich beim letzten Brief ansetzen, wo Schiller nicht mehr von Stofftrieb, Spieltrieb und Formtrieb, sondern von Naturstaat, ästhetischem Staat und Vernunftstaat spricht? Oder soll man gerade von diesem letzten Brief absehen, weil Schiller hier der Sprung zur Politik nicht gelingt (Krippendorff)? Ich möchte lieber weiter zurückgreifen und schon beim dreizehnten Brief ansetzen. Ein ziemlich abstrakter und nebensächlicher Brief (Krippendorff). Aber, ich glaube, nur scheinbar abstrakt und nebensächlich. Und noch dazu gut geeignet, zu einem politischen Brief umgestaltet zu werden. Vielleicht gerade deswegen, weil er noch nicht zu stark auf ästhetische Beispiele eingeht, sondern rein methodisch bleibt. Der Sprung zur Politik ist noch nicht so groß.

Nacheinander oder Nebeneinander der drei Staaten


In den ersten Briefen unterscheidet Schiller zwischen Naturstaat und Vernunftstaat. Das Problem sieht er darin, daß der alte Naturstaat zusammengebrochen ist, bevor sich der zukünftige Vernunftstaat ausreichend ausgebildet hat. Es fehlt eine Zwischenstufe, ein politischer Vermittler, ein Zwischenstaat, um das Ideal des Vernunftstaates erreichen zu können (vgl. Schiller 1991, 7-10).
Schiller verläßt dann das politische Feld und läuft zur Ästhetik über, macht aber dort auch zwei gegensätzliche Richtungen aus: Den Stofftrieb und den Formtrieb (vgl. 45-49). Die Ähnlichkeit zu den beiden Staaten ist frappierend: Der Stofftrieb entspricht eindeutig dem Naturstaat und der Formtrieb dem Vernunftstaat. Schiller sucht daher nach einem ästhetischen Vermittler, einem Zwischentrieb (vgl. 55-58). Hier enden aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen Politik und Ästhetik.
Die Staaten lösen sich in der Zeit ab, es muß nur dafür gesorgt werden, daß keine Lücke entsteht. Bei den Trieben sieht es aber anders aus: Sie sollen nicht einander ablösen, sondern einander ergänzen. Sie sollen gleichzeitig wirken, und dies nicht nur vorläufig. Die ästhetische Frage ist also nicht, wie man zeitliche Lücken zwischen gegensätzlichen Trieben vermeidet, sondern wie man ihre Kollision vermeidet: Das ist gerade das Thema des dreizehnten Briefes (vgl. 49-55).
Stofftrieb und Formtrieb widersprechen sich zwar, aber stören dabei einander nicht mehr, sobald sie sich nicht mehr auf das selbe Objekt beziehen. Jeder Trieb soll seinen eigenen Bereich bekommen, wo er sich voll, widerspruchslos, entfalten kann. Daneben waltet der andere Trieb und kommt auch zur Selbstverwirklichung (vgl. 49). Aufgabe der Kultur ist es, die Bereiche voneinander abzugrenzen (vgl. 50-51).
Es könnte auch die Aufgabe der Politik sein. Warum sollte die Politik nicht darin bestehen, die politischen Triebe auszumachen und ihnen ihre jeweiligen «Reiche» zuzuweisen, wo sie sich voll ausleben können, wo sie die übrigen politischen Triebe nicht stören? Eine Aufgabe für mehr als einen politischen Brief ...
 

Nacheinander und Nebeneinander der drei Staaten

 
Aber ist es nicht gerade das, was Schiller im letzten Brief versucht? Dort sieht es doch so aus, als ob der dynamische Staat (Naturstaat) und der ethische Staat (Vernunftstaat) gleichzeitig bestehen sollen mit dem ästhetischen Staat. Materie, Vernunft und Schönheit bekommen jeweils ihr eigenes Reich. Zwei Reiche sind schon vorhanden: das Reich der Kräfte (Naturstaat) und das Reich der Gesetze (Vernunftstaat). Das «dritte» Reich, das Reich des Scheins, wird erst aufgebaut (vgl. 125-126). Es gibt immer noch ein Nacheinander, wenn auch nicht mehr so streng wie in den ersten Briefen: Was gewesen ist, bleibt wenigstens neben dem Neuen bestehen. Aber klingt nicht trotztdem der ästhetische Staat wie ferne Zukunftsmusik? Braucht man etwas zu berücksichtigen, was es noch gar nicht gibt? Ein gefundenes Fressen für Konservative, die zunächst lieber alles beim Alten lassen wollen. Es fragt sich nur, ob diese Konservativen zu den feingestimmten Seelen gerechnet werden können, die ein Bedürnis nach diesem ästhetischen Staat haben (vgl. 128).
Warum ist es so wichtig, daß die drei Staaten nicht einander ablösen, sondern nebeneinander bestehen bleiben? Wenn sie sich ablösen, so heißt er nur, daß die Staatsverfassung sich mit der Zeit ändert. Wohin bleibt unklar. Nach dem Ersten Reich kann das Zweite Reich kommen, und endlich das heute berüchtigt klingende «Dritte Reich». Bestehen die drei Staaten gleichzeitig nebeneinander, so heißt es, daß sie sich einschränken müssen. Es gibt keinen allmächtigen Staat mehr, sondern eine Art Gewaltenteilung. Ist es aber eine Gewaltenteilung innerhalb des Staates, oder eine Gewaltenteilung zwischen dem Staat und anderen Organisationen, die von ihm unabhängig agieren. Schiller nennt sie alle drei Organisationen «Staaten», so daß eine Antwort schwierig ist.
Humboldt wird in seinen Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (vgl. Humboldt 1982) schon deutlicher. Dieser Versuch Humboldts lag Schiller vor, als er seine ästhetischen Briefe schrieb. Er war sogar einer der wenigen Menschen, die ihn schon damals ganz gelesen haben. Die anderen konnten nur die Teile lesen, die Schiller selbst veröffentlicht hat. Humboldt verliert keine Zeit mit der Frage einer Gewaltenteilung innerhalb des Staates. Ihm geht es eindeutig um eine Beschränkung seines Machtbereiches. In einer früheren Schrift von ihm, die er hier nur ausführt, heißt es schon dazu: «das Prinzip, daß die Regierung für das Glück und Wohl, das physische und das moralische der Nation sorgen müsse, sei der ärgste und drückendste Despotismus» (vg. 211). Sein Reststaat soll also diese beiden Aufgaben delegieren. Der Naturstaat (physisches Wohl) und der Vernunftstaat (moralisches Wohl) sind also gar keine «Staaten», weil sie daran zugrunde gehen würden. Ich frage mich nur, ob Humboldt seinen Reststaat im ästhetischen Staat von Schiller wiedererkannt hat. Mir gelingt es nicht. Während der Reststaat bei Humboldt zwingen darf und nur er, läßt der schillersche ästhetische Staat frei und nur er.

Die Freiheit als ästhetischer und politischer Trieb


Ob die drei Staaten von Schiller echte Staaten sind oder nicht, bleibt mir also unklar, weil nicht von Humboldt auf Schiller geschlossen werden kann. Klar ist wenigstens, daß sie nicht alle gleichzeitig, sondern erst nacheinander entstehen, genauso wie die drei Triebe (vgl. Schiller 1991, 81-82) und dann bestehen bleiben. Das Verwirrspiel fängt aber gleich wieder an, wenn man sich fragt, in welcher Reihenfolge die Staaten auftreten sollen.
In den ersten Briefen soll erst der Naturstaat, dann der noch gesuchte Zwischenstaat und zuletzt der Vernunftstaat auftreten (vgl. 7-10). Im letzten Brief soll der gefundene Zwischenstaat, der ästhetische Staat an letzter Stelle kommen (vgl. 125-126). Schiller hat nämlich inzwischen gezeigt, daß zunächst der Stofftrieb, dann der Formtrieb aufgetreten sind: Später wurden sie durch den Spieltrieb ergänzt (vgl. 81-82). Wird das, was anfangs bloß als Übergangsstadium gemeint war, heimlich zum Endziel (Narr)? Wo liegt das politische Endziel von Schiller: Beim Vernunftstaat oder beim ästhetischen Staat?
Diese Frage ist schon wichtig. Das Reich der Kräfte und das Reich der Gesetze sind beide Reiche des Zwangs, das Reich des Scheins ist aber das einzige Reich der Freiheit, wenigstens im siebenundzwanzigsten Brief. Will Schiller auf Zwang oder auf Freiheit hinaus? Schon seltsam, daß man sich diese Frage stellen muß. Will Schiller nicht eindeutig auf Freiheit hinaus?

Von der moralischen zur ästhetischen Freiheit


Das Problem hängt, glaube ich, damit zusammen, daß Schiller in diesen Briefen seine eigene Auffassung von Freiheit entwickelt, aber daneben eine andere «fremde» Freiheit bestehen läßt. Er entdeckt eine ästhetische Freiheit, die sich in einem Gleichgewicht zwischen zwei Extremen hält (vgl. 58: dort noch unter dem Decknamen «Zufälligkeit»; 80: «Freiheit» diesmal ohne Deckung). Aber bei der einseitigen moralischen «Freiheit» à la Kant spricht er immer noch von «Freiheit», obwohl sie sich nur von der Materie befreit hat und doch den Menschen unter Zwang setzt, nämlich unter moralischem Zwang (vgl. 43: dort als «Person» bezeichnet; 109-110: als «moralische Freiheit»). Im sechsundzwanzigsten, das heißt im vorletzten Brief, ist er immer noch damit beschäftigt zu zeigen, daß die (freie) ästhetische Stimmung nicht die (moralische) Freiheit ist, weil diese Freiheit erst aus ihr entspringt (vgl. 110-111). Wie unfrei diese moralische «Freiheit» ist, das hat er doch schon längst selbst gezeigt! Wenn in den Briefen «Freiheit» steht, muß man sich immer fragen welche Freiheit: Die alte kantische, oder die neue schillersche Freiheit?
Schiller will auf die Freiheit hinaus, aber auf welche dieser beiden Freiheiten? Meint er seine ästhetische Freiheit oder die moralische Freiheit von Kant? Ich neige dazu, Schiller «das letzte Wort» zu lassen, seine eigene Freiheit sprechen zu lassen. In seinem letzten Brief ist der Vernunftstaat eindeutig Zwang (vgl. 125), und wenn es noch im vorigen Brief anders steht, dann nur deswegen, weil ihm der Weg zu dieser Einsicht schwierig ist. Und vielleicht nicht nur ihm.

Von der ästhetischen zur politischen Freiheit


Wenn dem so ist, dann ist auch das politische «Endziel» klar: Richtung Freiheit via den ästhetischen Staat. Und nun kommt die politische Enttäuschung. Ich war vorhin vom Einfall Schillers begeistert, gegensätzliche Triebe dadurch vor der Kollision zu retten, daß ihnen jeweils ein eigenes «Reich» zugewiesen wird. Welches Reich kommt nun der Freiheit zu, wo darf sie sich voll ausleben? Ausschließlich im Reich des Scheines (vgl. 125) !
Gerät damit nicht die Freiheit selbst zum bloßen Schein? Vielleicht, aber was heißt eigentlich Schein bei Schiller? Ist er mit Utopie gleichzusetzen (Binger)? Jetzt, wo Schiller wieder von Politik spricht, neigt man schnell dazu, alles zu vergessen, was er vorher bezüglich der Ästhetik herausgearbeitet hat. Der Schein ist weder bloß Form, noch bloß Materie: Wo er waltet, hat die Form schon angefangen, die Materie hat aber noch nicht aufgehört (vgl. 127). Schein ist nicht gleich Idee oder Ideal. Schein ist erquicklicher als Licht, es ist die Geselligkeit (vgl. 126), das Gespräch. Was Schiller ausbauen will, ist das freie Gespräch, als einen Weg, die eigenen Gedanken zu befreien. Dann lähmt das Licht, die Wahrheit, nicht mehr, weil man das richtige Tor zur Erkenntnis gefunden hat: Die Kunst (vgl. Schiller 1992, 202). Dieser Weg ist keine Utopie, er wird nicht nur von vielen gewünscht, sondern von einigen Menschen schon beschritten (vgl. Schiller 1991, 128).
Was hat aber diese Geselligkeit noch mit Politik zu tun? Ist es mehr als nur ein frustrierendes «Spiel» mit Worten, wenn Schiller von ihr als von einem ästhetischen «Staat» spricht? Wird der eigentliche Staat von diesem wenigstens halb idealistischen Staat überhaupt beschnitten? Was kümmern ihn die freien Gespräche, wenn sie nur über Ästhetik laufen? Tun sie das? Das kann man jedenfalls nicht vom Gespräch zwischen Schiller und Humboldt sagen. Als der preußische Staat den Beitrag Humboldts nicht frei laufen ließ [1], da wußte er schon warum. Und die ästhetischen Briefe haben sich wahrscheinlich nur durch ihre Zweideutigkeit vor dem Hausarrest retten können. Und doch: Heißt nicht die Forderung nach Freiheit der Gespräche, daß die Politik nicht über ihren Inhalt gebieten soll, daß sie außerhalb ihrer «Wirksamkeit» liegen? Wie politisch eine solche Forderung ist, das hat die Antwort seitens der deutschen Staaten gezeigt: Die Karlsbader Beschlüsse.

Anhang: Kleiner politischer Briefwechsel


«Eine Aufgabe für mehr als einen politischen Brief» ... Auf mehr als zwei Briefe habe ich es nicht gebracht. Die Autorenangaben sind ohne Gewähr.

Brief von Schiller an Humboldt


Zur Zeit greife ich die ästhetischen Briefe wieder auf. Damals habe ich mich auf die Freiheit konzentriert. Im letzten Brief gehe ich nur kurz auf die Gleichheit ein (vgl. 126-128). Das dritte Ideal der Brüderlichkeit ist auch erst ziemlich spät von der Französischen Revolution dazu genommen worden. Ich habe es daher rausgelassen. Sonst wäre mir vieilleicht schon aufgefallen, daß sie alle drei zusammen genommen eine sonderbare Verwandtschaft mit meinen drei Trieben haben.
Dabei geht es nicht so sehr um die einzelnen Triebe, sondern vor allem um ihr Verhältnis zueinander. Stellt man die Freiheit der Brüderlichkeit gegenüber, so ergibt sich genauso eine Polarität wie damals zwischen Formtrieb und Stofftrieb. Bei der Freiheit geht mir nichts über mich, während bei der Brüderlichkeit mir nichts über die anderen geht. Freiheitstrieb und Brüderlichkeitstrieb stehen sich wirklich polar gegenüber. Dann läßt sich mein Bild der Wage vom zwanzigsten Brief auf die Politik anwenden: «Die Schalen einer Wage stehen gleich, wenn sie leer sind; sie stehen aber auch gleich, wenn sie gleiche Gewichte enthalten (83)». Es gibt das alte ängstliche politische Gleichgewicht, die Gleichheit der leeren Schalen. Laß uns Freiheit und Brüderlichkeit zu einer gewagteren politischen Gleichheit steigern. Es ist Zeit zum politischen Spiel, zum Übergewicht meiner und der anderen.
Da uns hier keiner mehr etwas anhaben kann und wir sowieso nichts mehr zu verlieren haben, so will ich die politischen Spielregeln näher beschreiben. Daß nicht alle Menschen gleich fähig sind, habe ich schon damals gesagt: Die Menschen unterscheiden sich bezüglich der «Privatfertigkeit» (126). Das Eigentum gibt mir Freiheit, es macht mir möglich, meine Fähigkeiten einzusetzen. Es soll mir bleiben, solange ich es zum besten Wohl der anderen verwalten kann. Nur so wiegt die Brüderlichkeit meine Freiheit auf. Nur so kommt es zu einem politischen Gleichgewicht, obwohl das Eigentum ungleich, nämlich nach den Fähigkeiten verteilt ist. Werde ich unfähig oder sterbe ich, so kann ich mit meinem Eigentum den Bedürfnissen anderer nicht mehr nachkommen. Fällt die Brüderlichkeit weg, so muß es aber auch die Freiheit: Beide Schalen müssen gleichzeitig leergeräumt werden. Oder ich muß vielmehr eine neue Brüderlichkeit herbeischaffen. Ich muß mein Eigentum rechtzeitig entäußern, dem Fähigsten übergeben, der beide Schalen gleich füllen kann. Nur so kann das politische Spiel weitergehen ...

Brief von Humboldt an Schiller


Deine drei «politischen Triebe» haben mir zu denken gegeben. Kann man nicht von der Französischen Revolution sagen, daß sie ihre politischen Triebe zu «abstrakt» gedacht hat? Sie hat sie verallgemeinert, sie sollten für alles gelten. Im dreizehnten Brief versuchst du die ästhetischen Triebe zu «konkretisieren», sie auf unterschiedliche «Reiche» zu beziehen, damit sie nicht kollidieren. Nun habe ich dasselbe mit deinen drei politischen Trieben versucht.
In meinem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, da habe ich schon damals den Staat dem Gleichheitstrieb zugeordnet. Der Staat ist mir das Reich der Gleichheit. Alles andere ist mir Freiheit gewesen. Eigentlich stimmt es schon, wenn man darunter Freiheit vom Staat meint. Aber du hast schon Recht mit der Polarität zwischen Freiheit und Brüderlichkeit. Die Freiheit ist Freiheit vom Staat und richtet sich dabei auf den Einzelnen, macht ihn erst zum Einzelnen. Die Brüderlichkeit braucht auch die Freiheit vom Staat, richtet sich aber auf die Welt, auf alle anderen Menschen. Der Unterschied ist mir so nicht aufgefallen, weil es mir vor allem darum gegangen ist, meinen «Reststaat» herauszuschälen. Und als ich damals geschrieben habe, da ist in Frankreich von Brüderlichkeit überhaupt noch keine Rede gewesen.
Wenn du von der Freiheit und Brüderlichkeit so sprichst, wie in deinem letzten Brief, dann wird das Individuum zum Reich der Freiheit und die Welt zum Reich der Brüderlichkeit. Damit bin ich aber noch nicht ganz ans Ende meiner Gedanken gekommen. Dem Staat habe ich die Möglichkeit abgesprochen, für das moralische und physische Wohl der Menschen sorgen zu können. Heute würde ich einfach das moralische Wohl zum Reich der Freiheit und das physische Wohl zum Reich der Brüderlichkeit erklären.

 

Literaturverzeichnis




Wolfgang Goethe: Das Märchen von der grünen Schlange und der weißen Lilie (1795)

Wilhelm von Humboldt (1982): Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792), Stuttgart (Reclam)

Edmund Jacoby (1986): Goethe, Schiller und Hölderlin, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen, Hg. Fetscher I. / Münkler H., Bd.4, München-Zürich, 127-151

(Interessant wegen der Betonung der Verwandschaft zwischen den ästhetischen Briefen Schillers und dem Versuch Humboldts über die Grenzen des Staates)

Friedrich Schiller (1991): Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), Stuttgart (Reclam)

Friedrich Schiller (1992): Sämtliche Gedichte, Frankfurt/Main - Leipzig

Rudolf Steiner (1976): Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft (1919), Dornach

(Sein Ansatz einer sozialen Dreigliederung gibt die Inspirationsquelle für den politischen Briefwechsel des Anhangs)

[1] Seine «Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen» wurden erst 1851 vollständig veröffentlicht, da die preußische Zensur sich quergelegt hatte.

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