Dienstag, 17. Dezember 2013

Dostojewskis Dämonen

Fjodor Dostojewski
Die Dämonen
Anaconda Verlag
Neuauflage Köln 2012
928 Seiten
9,95 Euro
Ein Buch, das jeder lesen sollte? Die Dämonen des russischen Schriftstellers Dostojewski! Der Romantitel verweist auf die biblisch inspirierte Handlung: Das altersschwache Mütterchen Russland des 19. Jahrhunderts wird von "Dämonen" heimgesucht. Verkörpert werden diese bösen Geister durch einen sektiererischen Zirkel von Studenten im sakrosankten Petersburg. Deren Ziel scheint zunächst die Umwälzung Russlands mit verworrenen utopischen Vorstellungen zu sein. Am Ende stellt sich jedoch heraus, dass die Studenten vor allem nihilistische Terroristen sind, die nichts als Chaos und Unheil über die sowieso schon geplagten und verzweifelten Russen bringen wollen.

Im Unglauben sah Dostojewski den Grund für den elenden Zustand des russischen Volkes. Der Autor wollte den Roman zur Sirene gegen die lauter werdenden revolutionären Ideen im orthodoxen Russland machen. Deswegen lässt er die Figuren über "Gott und die Welt" (das Hauptmotiv bei Dostojewski) diskutieren, wobei christliche Erlösungsutopien mit faschistoiden Wahnvorstellungen und Forderungen nach Menschenrechten gegeneinander antreten – wie bei bisweilen absurden Diskussionen in heutigen WG-Küchen! Aus den ideologischen Differenzen erwächst ein Komplott gegen einen abtrünnigen Studenten, was zu (Selbst-)Mord und Totschlag ausufert.

In einer Szene planen die Studenten den Aufstand: "Wir werden, sag’ ich Ihnen, einen Aufruhr zustande bringen, dass alles aus den Fugen geht", sagt der zynische Antiheld Werchowenskij. Sein Mitverschwörer Stawrogin beklagt, heutzutage gäbe es furchtbar wenige "selbständig denkende Köpfe" – und folgert daraus, es reichten schon diese beiden für den nötigen Umsturz.

Werchowenskij verkörpert den Alptraum der Besitzenden: "Kaum ist Familie oder Liebe da, so stellt sich auch schon der Wunsch nach Eigentum ein." Dieser Individualismus müsse ausgemerzt werden: "Alles wird auf einen Nenner gebracht, um der vollständigen Gleichheit willen." Indem die Verschwörer "unmittelbar ins Volk" eindringen und ihr dämonisches Gedankengut umsetzen, soll alles Heilige in Russland (Familie, Liebe, Individualität, Eigentum) dem Erdboden gleichgemacht werden.

Obwohl Dostojewski solchermaßen versucht, die radikale Jugend in Russland zu verunglimpfen, gelingt es ihm nicht wirklich. Denn das extreme Abgleiten der "Revolutionäre" in Menschenhass wirkt unglaubwürdig. Man ist zwar entsetzt, wenn die Abgründe ihrer dämonischen Seelen beleuchtet werden, aber man fühlt mit, sobald ihre innere Zermürbung offenbar wird. Es sind Männer und Frauen, die verzweifelt einen Ausweg aus der Misere suchen. Das macht sie sympathisch.

Ironischerweise schafft der Autor es also nicht, die Antihelden seines Buches völlig unmenschlich zu gestalten. Das liegt nicht an fehlendem Talent, sondern an der realistischen Darstellung der Figuren. Die künstlerisch-realistische Seite des Autors kämpft mit seiner antikommunistischen. Den größenwahnsinnigen Revoluzzer Werchowenskij lässt er offenbaren: "Ich bin doch ein Spitzbube, aber kein Sozialist, haha!"

Schließlich kann man den Roman als künstlerische Abbildung der damaligen Klassenkonflikte lesen. Und es drängt sich beim Lesen der Verdacht auf, dass die Erlösung des russischen Volkes weder durch Dostojewskis Glauben noch durch Verschwörung, sondern nur durch die demokratische Lösung der sozialen Frage erfolgen kann. Die Dämonen ist so wider Willen ein Plädoyer für Demokratie und Sozialismus. Dostojewskis politische Vorurteile beeinträchtigen zwar teilweise sein künstlerisches Werk, aber dieser Roman ist ein ebenso schönes wie sozialkritisches Meisterwerk, das Sozialisten und sozial gesinnte Menschen kennen sollten.

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