Samstag, 7. Dezember 2013

Amewu

Teil 5 der Serie zu Deutschrappern mit Anspruch. Diesmal geht es um Amewu (früher auch Halbgott genannt).

Amewu ist irgendwie sowas wie ein John Lennon des Deutschrap. Er bietet uns Texte tiefster Empörung, die auf magische Weise dennoch beruhigend wirken. Seine Musik hat etwas Meditatives an sich. Sie ist durchgehend durchdacht. Da Amewu viel vorgedacht hat, sind sie auch leicht zu verstehen. Jeder Text beweist die überlegene Intelligenz dieses Ausnahmetalents. Dennoch wird man die Texte immer wieder anhören müssen, weil sie einen nicht mehr loslassen.

Andererseits wurde er angeblich von Kollegah als bester Doubletimer der Welt gelobt, weil er so schnell rappen kann. Amewus Technik ist ohnehin einen eigenen Artikel wert. Hier ist jedoch erstmal nicht der Platz dafür. Seine Inhalte interessieren uns doch viel mehr.

Musik und Weisheit


Was heißt Rap für Amewu und wieso rappt er? Gegenüber rap.de hat er erklärt, worum es ihm beim Rap geht:

"Darum, dass ich das, was ich mache, gut mache, in seinem gesamten Kontext gut. Ich mache Rap, ich könnte aber auch ein Restaurant aufmachen, gut kochen, mit guten Zutaten, und das zu einem guten Preis anbieten. Das verstehe ich unter gut."

Es geht ihm wie eine Zen-Buddhisten um Konzentration auf die Gegenwart, darf man annehmen. Das, was man tut, egal was es ist, gut tun. Es bewusst tun. Darum geht es im Zen. Sogar eine Tee-Zeremonie kann man auf diese Weise meistern. Aber es geht ihm dabei nicht um Fachidiotentum.

Was er thematisiert, sind die Höhen und Tiefen des Mensch-Seins. Allerdings ist Amewu dabei nie wütend über die Niedertracht und Erbärmlichkeit der Menschen. Er wirkt wie ein abgeklärter Mönch, der uns ein paar gute Ratschläge gibt. Es ist ein einziger Genuss, diese Weisheit aufzusaugen, die wie die Würze des Lebens schmeckt.

In einem Interview mit rap.de erklärt er, wie er auf seine Texte gekommen ist:

"Das sind die Themen, die am ehesten meinem Alltag entsprechen. Ich denke viel über so was nach. Ich denke sowieso viel nach, und wenn, dann fast nur über so was. Ich denke viel über meine persönliche Entwicklung nach. Ich beherrsche diesen Verdrängungsmechanismus nicht. Als es in der Schule mit Politischer Weltkunde anfing, wurde mir langsam klar, dass eigentlich alles am Arsch ist. Oder Erfahrungen mit Freunden oder Frauen, wo man sich irgendwann fragt, warum gebe ich mir das überhaupt noch? Und warum habe ich trotzdem noch das Bedürfnis, mich gegenüber den Leuten gut zu verhalten? Ich bin da immer sehr extrem in meinem Denken, deshalb habe ich mir gesagt, entweder ich gehe jetzt den kaputten Weg und mache, was ich will und jeden, der im Weg steht, räume ich beiseite oder ich versuche, unabhängig davon, wie abgefuckt Leute zu mir sind, den guten Weg zu gehen. Ich habe den kaputten Weg mal zu Ende gedacht, aber das war für mich kein lebenswertes Leben, deshalb habe ich mich dann für den anderen entschieden."

Das macht Amewu unheimlich sympathisch. Vielleicht liegt es auch an seiner Erdung. Er scheint mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen, während er zum Himmel hochschauend den Lauf der Dinge an sich vorbeiziehen lässt. Vielleicht liegt es auch an seinem tiefen Verständnis der menschlichen Situation. Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass er wahnsinnig schöne Musik macht? Schon sein erstes Album "Entwicklungshilfe" war jedenfalls bereits eine Klasse für sich. Das zweite Album verblüfft noch mehr.




Leidkultur


In seinem zweiten Album "Leidkultur" ist Amewu wie ein Beichtvater, dem man zuhört und der einem zuhört. Das Album hat Amewu selbst in irgend einem Interview ungefähr so angekündigt: "Leid, Leid, noch mehr Leid und gute Mucke." Der erste Track, "Leidkultur", hat es echt in sich. Da steckt wirklich 'ne Menge Leid drin. Thema ist die Hoffnungslosigkeit in dieser Welt der Leidkultur:

Ah, erzähl mir nichts von Hoffnung
Diese Welt ist wie ein Taser, der mir Schläge in den Kopf pumpt
Impulse und Gedanken bilden ein Meer meiner Möglichkeiten
Die mir Böses zeigen und versuchen, es schön zu kleiden
Ich habe Angst zu erfrieren
 [...]
Streit' mit mir selbst, streit' mit der Welt
Nächte sind kurz, gleich ist es hell
Ich seh den Bildschirm und er zeigt mir die Welt
Entscheidet für mich, wer ist Feind, wer ein Held?
[...]
Du hast eine Meinung, sie hat eine Meinung
Er hat eine Meinung zu dem allen
Woher hast du deine?
In der Propaganda gibt es nämlich einiges an Fallen
Heute ist es dies, gestern war es jenes
Morgen ist es das
Vielleicht bist du für den Frieden, schürst dabei den Krieg
Bist für Liebe, aber schürst den Hass

Es gibt gerade in diesem Lande der Leidkultur genügend Menschen, die für Frieden sind, aber Krieg schüren, die Liebe wollen, aber Hass zwischen den Völkern predigen. Amewu zu hören könnte gegen diesen Wahnsinn helfen. Auch unter jenen, die sich als fortschrittlich verstehen. Respekt dafür, Mann!

Einzelkampf


In "Einzelkampf" geht es zunächst einmal um den Kampf des Einzelnen gegen die Verlogenheit der Gesellschaft. Aber der Text bleibt nicht bei der Lyrik des Ichs stehen. Er wird außerordentlich politisch, obwohl kein Stückchen aufdringlich, dafür aber schön ironisch:

Ich bleib' ungemütlich, weil ich es will.
Du sagst, ich kann so nichts ändern,
doch ich bleibe gechillt,
denn dieser Sound fließt
durch die Straßen
und verändert Details.
Ich weiß, wie mein Wirken
aussieht und erkenn' es bereits.
[...] 
Jeder fragt sich, warum sich das
Leben hier im Land verschlimmert.
Roland Koch gab uns die Antwort:
"Es sind die Migrantenkinder"
Du bist ein sehr guter Christ,
und Jesus ist an deiner Seite.
Triff dich im Problembezirk mit
ihm, und ihr schmeißt ein paar Steine!

Amewu zeigt den ganzen Mist auf, aber schmeißt mit keinen Steinen. Besonders cool an Amewu ist, dass er nicht nur pessimistisch das die falsche Richtung und Hoffnungslosigkeit feststellt, sondern auch in die richtige Richtung weist. Aber auch dabei wirkt er nicht lehrerhaft oder streng, sondern wie ein mitfühlender und mitleidender Mensch, der selbst gesündigt und gefehlt hat.

Fortschritt



In "Fortschritt" formuliert Amewu treffende Gesellschaftskritik. Es ist ein ganz vortrefflicher Fingerzeig auf den jetzigen Wachstumswahn der kapitalistischen Gesellschaft:

Wir rennen für die Lüge, rennen über Menschen
Wer von uns kann denn schon beim Rennen überdenken?
Rennen über Wälder, Tiere, Meere, über Seen
Und denken sogar wir können sogar die Konsequenzen übergehen

Typisch für unseren mitfühlenden Rapper ist, dass er religiöse Motive aufgreift:

Wie wenige haben die Richtung des Wegs denn noch für sich selbst gewählt?
Im Allgemeinen glauben die Menschen, dass nur noch ein Held so lebt
Doch gibt es einmal einen Helden, der sich erhebt, dann fällt er stets
Denn wie soll er denn Berge versetzen, wenn ihr euch nicht mal selbst bewegt?
Ja, wir haben die Propheten und es gibt die Religion
Doch wenn keiner nach ihr lebt, warum sitzt sie auf dem Thron?
Unsere heiligen Bücher sind doch nur Trophäen an der Wand
Doch Trophäen verleihen leider deiner Seele keinen Glanz
Wir sehen in die Distanz, ziehen das Leben aus dem Land
Jeder redet über Angst, doch folgt dem Weg dann wie gebannt
Kriegszustand, plötzlich laufen alle durcheinander
Wohin sollen wir auch flüchten, wenn das Ziel uns nie bekannt war?

Das Universelle in jedem einzelnen Geist 


"Universelle" ist einfach... der hegelianische Weltgeist gerappt. Es geht um die Einheit der Gegensätze im menschlichen Geist. Das Lied ist dermaßen über alles erhaben, was es sonst im Rap gibt, dass man sich fragt, wie Amewu auf die Idee kommen konnte, derartiges zu rappen. Hat er Hegel gelesen und sich gedacht, man müsse ihn jetzt einfach mal musikalisch formen? Oder hat er einfach einen gebufft? Man weiß es nicht. Jedenfalls ist die ganze Umsetzung der Idee dermaßen episch und vollkommen, dass es fast eine Beleidigung ist, nur ein paar Zeilen vom Text zu zitieren. Aber man kann ja nach diesen schönen Worten das Lied auf Dauerschleife immer wieder anhören:

Ich bin der reiche Typ ohne einen Cent in der Tasche
Bin immer nüchtern und häng an der Flasche
Denke so gern nach, weil ich Denken so hasse
Bin der Wärter und bin auch der Gefängnisinsasse
Der größte Egoist und beschenke die Massen
Lass die Finger von dem, was ich mit den Händen anfasse
Extrem nachtragend und kenn' keine Rache
Immer tief traurig, weil ich ständig nur lache
Ich verhunger', weil ich viel zu viel zu essen hab'
Sitz in der letzten Reihe, auf dem besten Platz
Kann das Leben nicht genießen und schätze das
Fühl mich leicht wie ein Vogel, denn ich schlepp 'ne Last

Amewu schmeichelt uns Halbtieren sogar. In einem weiteren Interview erklärt er seinen alten Künstlernamen Halbgott so:

"Für mich sind alle Leute Halbgötter, das ist für mich nichts Besonderes. Wir haben halt mehrere Seiten an uns, man muss jetzt auch nicht unbedingt religiös sein, um sich mit dem Konzept Gott auseinanderzusetzen. Ich glaube das ist eine bestimmte Seite, die wir alle haben."

Bruder, Amewu, ich würde dir ja gerne glauben, aber hast du meine Nachbarin Schakkeline und ihren Bruder Schastin kennengelernt? Sind das etwa Halbgötter? ;-) Nun ja. Egal. Kommen wir zum Ernst des Lebens zurück.

Verlust


"Long Lost Relative" ist ebenfalls wunderschön und kritisch zugleich. Unbedingt anhören oder besser noch, jetzt gleich online ansehen!



Was uns das Lied namens "Demut" lehrt, sollte klar sein. Es ist ein sehr ruhiges, eindringliches Lied mit viel wehleidiger Selbsterkenntnis:

Ich bin einsam, kann viele Dinge nur mit mir selbst teilen.
Schaffst weder dich noch mich, doch würde gerne die Welt heilen.
Spiel mit dem Feuer, doch passe nicht auf.
Die Seele brennt, mein Körper ist ein abgefackeltes Haus.
Die Augen glühen noch wie Glut, bevor sie erlischt.
Keiner bemerkt mein verstorbenes Ich.
Sie sagen, das ist mein Charakter, ich wäre so
und sorgen sich nicht.
 
Doch wer ich bin, bleibt verborgen im Licht.
Es tut mir Leid, (so) Leid, endlos Leid.
Wer ich war, wie ich bin. Ihr wisst, wer ihr seid.
Ich hab Menschen gekränkt, zu oft Schwäche gezeigt.
Bitte habt Nachsicht, ich erkenns mit der Zeit.

"Abschied" (ft. Phase) behandelt den Verlust von den nächsten, geschätzten und geliebten Menschen. Wer jemanden schon Mal verloren hat, wird dieses Lied hoch schätzen. Beim Hören kommen Selbstkritik, Selbstmitleid, Selbsterkenntnis und Selbstdisziplinierung ganz selbstverständlich auf. Kein Wunder bei solchen Zeilen von Phase:

Sie sagen: irgendwann wird die Wut in dir vergehen
Und in vielen, vielen Jahren wirst du nichts mehr davon sehen
Das sind leider nur Phrasen, die sie dir sagen, weil sie dich tragen
Wollen, aber nicht können, weil sie nicht sehen, wie es dir geht
Die Last deiner Worte auf meinen Schultern zu schwer
Die Erinnerung an dein Lachen, Wodka Pullen zu leer
Ich schieße mich ab, wieder am Schnaps, wieder bei Nacht draußen
Bilder von dir du bist nicht hier, Worte die laufen

Aber das Lied führt über das Selbst und die Selbstbeschäftigung hinaus und das macht es zu einer bittersüßen Erzählung, die alles an Emotionen und Gedanken im Hörer wecken kann. Die Erzählung bietet einen Trost und Moral an:

Wie viele sind noch da und wie viele sind gegangen?
Leb in Frieden mit denen, die du liebst, hilf ihnen wo du kannst
Wenn die Reise nah ist, dann weich nicht von ihrer Seite
Und reist einer ohne Abschied, dann begleite ihn im Geiste

Man denkt vielleicht an Mutter und Großmutter oder an andere Menschen, die man verloren hat oder an Menschen, die man nie verlieren möchte. Ich kann nur empfehlen, auf Amewu und Phase hier zu hören. Ansonsten könnte es später viel Leid bedeuten.

Fazit


Und übrigens, Amewu, ja, du hast Recht: zu viel Nachdenken macht depressiv in dieser Dreckswelt. Aber man kann es auch so ausdrücken: Nachdenken darüber, dass es zig tausende Leute gibt, die Musik von Miley Cyrus feiern und auch noch kaufen, während du nur von einigen Wenigen gekannt wirst, macht traurig. Liebe Mitmenschen, schämt euch, wenn ihr freiwillig mehr Tier als Halbgott seid. Hört Amewu! Der hat's drauf. Denn er erhebt euch in höhere Sphären, ganz ohne dass ihr einen bufften müsst.


www.amewu.de

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